Prozess wegen Knalltraumas am 20. Juni 2011 gegen 72-jährigen Rentner am Amtsgericht am Mittwoch, 13. Juni 2012, beobachtet und kommentiert von Petra Brixel.
Zugegeben, dies war eine Gerichtsverhandlung mit Unterhaltungswert. So zum Beispiel, als ein polizeilicher Zeuge angab, am 20. Juni 2011, bei der Besetzung des Grundwassermanagements seien „Flaschen und Steine“ geflogen. Nun wurden ja schon äußerst weitreichende Ermittlungen zu den Vorkommnissen des 20.6. gemacht und es war eine Menge in den Zeitungen zu lesen, aber jetzt – nach wohl gemerkt fast einem Jahr! - kommen Wurfgeschosse ins Spiel. Für wie dumm hält die Polizei eigentlich ihre eigenen Ermittler, das Gericht und die Stuttgarter Bürger? Da dies der erste Prozess ist, der sich mit der Aufarbeitung des „20.6.“ befasst, sollte sich jeder Zeuge dreimal überlegen, was er sagt. Das war offensichtlich nicht der Fall; vielleicht hatte man auch geglaubt, dass es so weitergeht, dass die Aussage eines Polizisten zehnmal mehr Gewicht hat als die eines K21-Befürworters. Wenn die acht betreffenden Polizisten dachten, in diesem Zivilprozess könnten mal eben p. P. 1000 Euro als Schmerzensgeld wegen eines Knalltraumas über den Tisch gehen, so zeigte die Verhandlung deutlich, dass dem nicht so sein muss.
Zur Vorgeschichte:
Der Angeklagte, ein 72-jähriger Rentner aus Stuttgart, hielt sich am Abend des 20.Juni 2011 auf dem GWM-Gelände auf, mit Hunderten weiterer Bürger. Eine Anklage wegen Hausfriedensbruchs müsste in einem Strafprozess erörtert werden, das war heute nicht das Thema. Hier ging es um einen Zivilprozess, in dem ein Polizist mit angeblichem Knalltrauma eine Zivilklage auf Schmerzensgeld anstrengte. Noch weitere sieben Polizisten hatten Hörprobleme erlitten, auch sie würden im Falle einer Verurteilung Schmerzensgeld in Höhe von je 1000 Euro verlangen. Nun ist es jedem unbenommen, wegen eines Silvesterböllers ein Knalltrauma zu haben, nur sollte sich einwandfrei feststellen lassen, wer diesen Böller geworfen hat und man müsste dafür zuverlässige Zeugen und aussagekräftige Beweise benennen.
In einem ersten Prozesstermin im Mai dieses Jahres (siehe Stuttgarter Zeitung vom 10.5.2012) hatte der Rentner, Herr B., geschildert, wie er die Montagsdemo mit GWM-Besetzung erlebt hatte und wie die polizeiliche Hausdurchsuchung bei ihm im Sommerrain vonstatten ging. Man wollte Spuren von Sprengstoff oder Substanzen zur Herstellung von Knallkörpern finden, was aber ohne Erfolg gewesen war. Der dann folgende erste Prozesstag Anfang Mai brachte keine sichere Beweislage, so dass Richterin H. einen weiteren Termin ansetzte, den heutigen 13. Juni, um mittels Zeugen doch Licht in die „Knallkörperaffäre“ zu bringen.
Zum heutigen Verfahren:
Der erste Zeuge, ein 46-jähriger Polizeihauptkommissar der Bereitschaftspolizei Bruchsal, erlebte als Einheitsführer den Knallkörper aus der Nähe. Zunächst war er mit seinen Kollegen auf der Straße am Schlossgarten, nach der Niederlegung des Bauzaunes und „als mit Flaschen und Steinen geworfen wurde“, stellten sich die Polizeibeamten auf der Seite der GWM-Türme auf. Als der Knall kurz nach 19 Uhr entstand, sah er nicht, was der Auslöser war, er bemerkte nur „Qualm und Schmutz“. Den Angeklagten, Herrn B., habe er nicht gesehen. Auf die Frage, ob er verletzt worden sei, erwiderte er, dass er gleich darauf Pfeifgeräusche in einem Ohr vernommen habe; welches Ohr, wisse er nicht mehr, da er ja auch ein Funkgerät am Ohr gehabt habe. Zu seiner Kopfbedeckung machte er detaillierte Angaben: Einen Helm haben er und seine Einheit zu Beginn des Einsatzes nicht aufgehabt, dann wurde man von der Lage überrascht, habe die Helme aus den Autos geholt und aufgesetzt. Außerdem habe er in jedem Ohr einen Lärmschutzstöpsel gehabt.
Der Zeuge wurde unvereidigt entlassen. Gut für ihn, denn ansonsten hätte man auch mal nachfragen können, ob die angeblichen Flaschen aus Glas (Scherbenteppich?) oder Plastik (voll oder leer?) gewesen sind. Aber darum ging es ja nicht und so quittierte die zahlreiche Zuhörerschaft diese fast schon kabarettistische Aussage mit einem herzlichen Lachen. Sympathiepunkte erlangte dagegen die Richterin, da sie das amüsierte Publikum weder mit erhobenem Zeigefinger zur Ruhe ermahnte noch einen Raumverweis oder gar eine Ordnungsstrafe wegen fassungslosen Gelächters androhte.
Als zweite Zeugin trat eine 36-jährige Kriminalhauptkommissarin auf, die am 20. 6. nicht vor Ort gewesen war und zu der Lage am GWM keine Angaben machen konnte, zumindest nicht aus persönlicher Anschauung. Sie war Sachbearbeiterin und hatte die Aufgabe, die Vorkommnisse des 20.6. „komplett und umfassend aufzuarbeiten“. Mittels Videos und Vernehmungen habe sie recherchiert und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich ein Tatverdacht („Knallkörperwerfen“) ergeben habe. Das besagte Video, welches Herrn B. belasten sollte, wurde von einem Zeugen (nicht von der Polizei) von außerhalb des GWM-Geländes gefilmt. Darauf sei eine männliche Person mit grau-weißen Haaren und …. –Kleidung, gebückt und dann aufgerichtet zu sehen, später habe man den Böller gehört. Dies war die Haupterkenntnisquelle und ein erster Verdacht war gegeben. Im Laufe der Ermittlungen habe sie dann Zeugen vernommen, die sagten, die männliche Person habe einen 10 mal 10 cm großen, mit einer Schnur umwickelten Gegenstand mit einem Feuerzeug angezündet. „Wo sind diese Zeugen?“, fragte die Richterin. Fehlanzeige. Und wie viele Zeugen? Einer.
Der Anwalt des Angeklagten hielt der Kriminalhauptkommissarin vor: „In den Akten gibt der Zeuge an, dass er davon ausgeht, dass Herr B. es war. Und das hat Ihnen ausgereicht zu sagen, dass er es tatsächlich war?“ Nachdem noch weitere Ungereimtheiten von Zeugenaussagen erörtert wurden, hielt der Anwalt der Kriminalbeamtin wiederum vor: „Warum schreiben Sie in Ihrem Bericht, Sie haben den Täter ermittelt, wenn nur der Verdacht besteht?“ Es wurde damit nicht nur die nachlässige Ausdrucksweise angesprochen, sondern ein symptomatisches polizeiliches Verhalten, was – leider - in vielen K21-Prozessen zu beobachten ist. Interessant war für die Zuhörer an dieser Stelle, wie polizeiliche Erkenntnisse zustande kommen. Die mit der Auswertung von eigenem oder fremdem Film- und Fotomaterial beschäftigten Sachbearbeiter gehen kriminalistisch vor, schauen sich endlos Filmmaterial an, vergrößern Einzelbilder und suchen damit nach angeblichen Tätern. Dass man dafür die Lebens- und Dienstzeit einer Kriminalhauptkommissarin verbrät, ist irgendwie auch erschreckend.
Zum Schluss wurde der 77-jährige Zeuge G. vernommen, der sich auf einen Artikel in der Stuttgarter Zeitung (10.5.12) hin gemeldet hatte und sich erinnerte, dass er drei junge Männer gesehen hat, die an etwas gezündelt, zu Boden geworfen und unter einen kleinen Kran gestoßen haben. Ob dies der besagte Knallkörper war oder gar noch ein zweiter Knallkörper im Spiel war, klang mit dieser Aussage an, dem wurde aber heute nicht weiter nachgegangen. Obwohl der Vorgang sich in seiner Nähe abspielte, hatte er anschließend kein Ohrensausen.
Beendet wurde die Beweisaufnahme gegen 12:00 Uhr. Die Entscheidung, ob der Klage auf Schmerzensgeld stattgegeben wird oder ob es zur Klageabweisung kommt, soll am Dienstag, 19. 6.2012 um 12:00 Uhr ausgesprochen werden.
Was haben wir an diesem Vormittag gelernt?
Die Polizei hat sich mit dieser Klage keinen guten Dienst erwiesen. Ja, man fragt sich, welch unglückseliger Ratgeber bei der Klage die Feder geführt hat. War es die Macht des Geldes, wenn 1000 Euro winken? War es der Glaube an die Überzeugungskraft der Polizei? Wenn Flaschen und Steine fliegen, wo keine geflogen sind, wenn man trotz Helm, Ohrenstöpseln und Funkgerät im Ohr ein Knalltrauma hat, wenn man den Urheber dieser Verletzung nicht gesehen hat, ihn aber in einer schwer nachvollziehbaren Recherche als Täter outet und wenn man mit dieser Beweislage vor Gericht antritt, dann kann etwas mit der Vorbereitung von Polizisten auf einen Prozess nicht stimmen.
In der Stuttgarter Zeitung vom heutigen Tag beklagt die Gewerkschaft der Polizei, dass in der Bevölkerung der Respekt vor der Polizei fehle. „Um etwa 25% steigt … die Zahl der Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt. … Ursachen seinen sinkendes Ansehen, Alkohol oder schlechte Erfahrungen.“ Ich stelle fest: Wer den acht Polizisten geraten hat, für einen Böller je 1000 Euro einzuklagen, hat der Polizei keinen guten Dienst erwiesen, denn an diesem Vormittag am Amtsgericht wurde dem sinkenden Ansehen der Polizei nicht entgegengewirkt.
Das Gericht, das sich um Klärung der Sachlage bemühte, hatte allerdings in der Richterin H. eine geduldige, aufmerksame und bei kleinen Turbulenzen auch gelassene Vertreterin gefunden, die -zumindest am heutigen Vormittag – dem angeschlagenen Image der Stuttgarter Gerichte eine Portion Respekt zurückgab. Wie gesagt: für heute.
Knalltrauma vor Gericht
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