Am Dienstagabend hatte die Esslinger SPD den Innenminister wegen Erklärungsbedarfs zur aktuellen Polizeireform ins Alte Rathaus eingeladen. Diesen Termin nahm die "Esslinger Initiative gegen S21" zum Anlass, auf die vielfältigen Missstände in Polizei und Justiz hinzuweisen, die offensichtlich für Innenminister Gall eine zu vernachlässigende Rolle spielen. Unter dem Motto: "Wen oder was schützt die Polizei?", referierte Dieter Reicherter, ehemaliger Staatsanwalt und Richter am Stuttgarter Landgericht.
Zu Beginn seines Vortrages wies er darauf hin, dass er am 30.9.2010 die gewalttätige Vorgehensweise mehrerer Polizisten mit eigenen Augen beobachten musste und sogar am eigenen Leib zu spüren bekam. Auch er wurde vom Wasserwerfer attackiert. Er verdeutlichte, dass inzwischen sehr viele aus der Protestbewegung Willkür- und Gewalterfahrungen bei der Ausübung ihres Demonstrationsrechts gemacht haben. Ein anwesender Betroffener, der damals mit einem Schlagstock am Kopf verletzt worden war, gilt für Herrn Reicherter als exemplarisch:
Nachdem er im Anschluss an den Vorfall Anzeige gegen Unbekannt erstattet hatte, erhielt er erst jüngst die Einstellungsverfügung von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Sinngemäß heißt es darin, man könne nicht erwarten, dass sich die betreffenden Polizisten selbst meldeten oder auch nur die Tat gestehen würden - analog gelte dies auch für Polizistenzeugen, die sonst bei derlei Vorfällen sich selbst oder ihre Kollegen belasten müssten. Herr Reicherter zog daraus die Konsequenz: Kennzeichnungspflicht für Polizisten - jetzt! Weiter erläuterte er an einem Beispiel, dass inzwischen bloße Vermutungen auf Seiten der Ermittlungsbehörden dazu führen können, dass Demonstranten mit dem kompletten Instrumentarium der Überwachung über sehr lange Zeiträume observiert werden können. Selbst der jahrzehntelang in Stuttgart tätige Jurist Reicherter durfte bis zum heutigen Tag nicht erfahren, welche Informationen über ihn bereits gesammelt wurden.
Die rund einhundert KundgebungsteilnehmerInnen in Esslingen dankten Herrn Reicherter für seine alarmierende Rede, welche Herr Gall allerdings "verpasst hatte". Selbst die prägnante Zusammenfassung der Problematik, die ihm in Form eines druckfrischen "Tunnelblicks" von der Esslinger Initiative angeboten wurde, lehnte er ab.
Er beließ es beim Händeschütteln mit den anwesenden Polizeibeamten und war sichtlich bemüht, seine Bürgernähe für andere Zielgruppen aufzusparen.
Was den Engagierten vor dem Rathaus nach dieser "kalten Schulter" die Stimmung wieder etwas aufhellen konnte, war das mitreißende Finale der Stuttgarter LOKOMOTIVE. Die Musiker hatten spontan Unterstützung für diesen Abend zugesagt. Speziell die LOKOMOTIVE und andere Musikgruppen sehen sich vermehrt Repressalien und Bedrohungen von Seiten der Polizei ausgesetzt und können somit ein Lied davon "trommeln"- wen oder was die Polizei schützt.
Im Anschluss an diese gelungene Veranstaltung durfte sich die Esslinger Initiative noch über eine sehr hohe Teilnehmerzahl bei ihrem wöchentlichen Plenum im "Hendl-House" am Marktplatz freuen.
Gall möchte Polizeireform – wir auch!
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