Drei Wochen nach dem Schwarzen Donnerstag (30.9.2010) hatte Ursel B. auf der Königstraße angesichts zweier Polizisten die Polizei als "Kinderschläger" bezeichnet. Sie bekam für diese angeblich persönliche Beleidigung einen Strafbefehl über 40 Tagessätze, wogegen sie Einspruch einlegte. Am 18.4.2011 kam es dann vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt zu einem Prozess. Sowohl durch die Aussage von Ursel B. als auch die der beiden Polizisten, die Anzeige erstattet hatten, wurde bestätigt, dass nicht die Polizisten als Personen, sondern "die Polizei als Apparat" von der Beklagten als "Kinderschläger" bezeichnet wurde. Trotzdem blieb Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler bei seinem geforderten Strafmaß von 40 Tagessätzen. Die Richterin reduzierte die Strafe auf 20 Tagessätze.
In einem Folgeprozess am 8. März 2012 ging es nun um das Schmerzensgeld der Polizistin. Diese sah die angeblich persönliche Beleidigung offensichtlich als Chance einer Gehaltsaufbesserung an und stellte über den Beamtenbund bzw. die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine Schmerzensgeldforderung. Die Gewerkschaft der Polizei verlangte für ihr Mitglied 200 Euro. Der Beamtenbund war der Meinung, für sein Mitglied seien 400 Euro eine angemessene Entschädigung. In einem Brief an die Gewerkschaften kritisierte Ursel B. die Schmerzensgeldklagen. Sie fragte, wo denn der Protest der Gewerkschaften gegen den Polizeieinsatz am 30.9.2010 gewesen sei. Sie schrieb weiter: "Die vielen körperlich und seelisch Verletzten vom 30.9.2010, darunter auch mein Sohn und ich, werden nie Schmerzensgeld erhalten. Deshalb empfinde ich Ihre Schmerzensgeldforderung als empörend." Um einer juristischen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen, überwies Ursel B. an beide Gewerkschaften je 50 Euro und erklärte ausdrücklich, dass das kein Schuldeingeständnis sei. Der Beamtenbund ging trotzdem vor Gericht und beharrte auf 400 Euro Schmerzensgeld.
Deshalb kam es am 8. März 2012 vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt zu einem Zivilprozess.
Am 22. März 2012 verkündete die Richterin, dass die Schmerzensgeldklage abgewiesen wird und die Klägerin (die Polizistin) die Kosten des Rechtsstreits trägt. In der Urteilsbegründung heißt es: "Es liegt keine schwerwiegende Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin durch die Äußerung der Beklagten vor. ... Vorliegend erachtet das Gericht den sozialen Geltungsanspruch der Klägerin durch die Äußerungen der Beklagten - "Kinderschläger" und "schalten Sie Ihr Gehirn ein" - nicht in der Art und Weise beeinträchtigt, dass er einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin rechtfertigt. .... Es ist nämlich zu beachten, unter welchen konkreten Umständen die Äußerungen der Beklagten fielen, insbesondere in zeitlicher Hinsicht in relativer Nähe zu dem unglücklichen Polizeieinsatz im Schlossgarten vom 30.9.2010, bei dem von der Klägerin unbestritten sowohl die Beklagte als auch ihr 14jähriger Sohn verletzt wurden. Zudem äußerte die Beklagte dies nicht gegenüber einer breiten Öffentlichkeit, sondern nur im Vorübergehen, wobei das Gericht jedoch durchaus unterstellt, dass die Beklagte damit rechnete, ihre Äußerungen würden bei dem richtigen Adressaten ankommen."
Rechtsanwalt Markus Mauz, der die Beklagte juristisch in dem Schmerzensgeldprozess vertrat, erklärte zu dem Urteil: "Mit dieser Begründung konnte es sich das Amtsgericht ersparen, sich mit der strafrechlichten Verurteilung auseinandersetzen zu müssen. Aber die Entscheidung zeigt Augenmaß und ist zu begrüßen. Auch anderen Betroffenen, von denen Schmerzensgeld wegen Beleidigungen gefordert wird, ist zu raten, solchen Forderungen nicht vorschnell nachzugeben."
Anmerkung: Der Beamtenbund hat die 50 Euro inzwischen zurückerstattet, die Gewerkschaft der Polizei sah dazu keinen Anlass.