Peter Grohmanns Rede am 10. März 2012
(M)ein Wort zum Sonntag
„Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!
Wie gut, dass sie am Sterben teilhaben!
Die Pfirsiche sind geerntet, die Pflaumen färben sich,
während unter dem Brückenbogen die Zeit rauscht.
Dem Vogelflug vertraue ich meine Verzweiflung an.
Er mißt seinen Teil von Ewigkeit gelassen ab.
Seine Strecken werden sichtbar
im Blattwerk als dunkler Zwang,
die Bewegung der Flügel färbt die Früchte.
Es heißt Geduld haben.
Bald wird die Vogelschrift entsiegelt,
unter der Zunge ist der Pfennig zu schmecken.“
schreibt uns Günter Eich ins Stammbuch. Ich grüß Euch vom Siebenschläfer, von Eichhörnchen und Fledermäusen, von den Hasen auch, vom Großen Mausohr, ja, vom Igel, nicht zu vergessen Grünfink und Amsel.
Ich grüß Euch von den Kindern am Neckartor, den vielen, die im Staubloch leben, dort, wo die Autos Gift und Galle spucken Tag und Nacht in die Lungen viel mal zehntausendfach. Ich grüß Euch vom dummer Wetter, das die Stadt zur Tortur macht, wenn die Bäume fehlen.
Fotosynthese und Inversion. Machtlos sind die Menschen, die hier wohnen müssen, ohne Lobby: Wer spricht schon für Arme und Außenseiter, die hier wohnen müssen, Nachbarn da drüben, für die ihr Park ihr Garten war:
Der Baum redet sie mit dem Vornamen an: Ibrahim und Mustafa, Jalloll und Amira.
PM - 10 - Partikel: Zehn und oder weniger Mikrometer kleine Teilchen. Sie erreichen selbst die feinsten Verästelungen der Lunge, kriechen in die kleinen und die großen Körper.
Krebs.
Feinstaub: der Partner der Welt ist auf beiden Augen blind und zugeknöpft und schwerhörig: In der Stadt der krebskranken Kinder zählen Geschwindigkeit und Profit.
Dabei sollt ihr wissen: Pro Jahr sterben in der Schweiz mehr als 3'300 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung. Sie wird zunehmen, todsicher, das Immunsystem gefällt, zersägt, zerschreddert.
Zeit also, sag ich Euch, die Grenzwerte zu erhöhen und die Meßstationen abzubauen.
Ich grüß Euch also von den alten Bäumen damals, von ihrem Grün und Rot dazwischen. Erinnert euch an sie mit Freude, an die tausend Helfer der Städte im Dunst, im Feinstaub, der die Lungen zerfrisst.
Hier, im Herzen der Stadt, wo Platz war zum Verweilen, schau in den Himmel, weltoffen wie das Land, willst du mir sagen, die Wiesen ausgebreitet mit offenen Armen, die Sonne im Nacken: Juchtenkäfer und Murmeltier beim Zuschauen, wie das frische Grün wächst immer wieder immer wieder immer wieder.
Den Eichelhäher verblüfft die Dummheit :der Menschen: Sieh da, wie sie das eigene Grab schaufeln, ruft er den lachenden Ringeltauben zu. Es gibt keinen zweiten Planeten, wollte er uns sagen. Wer glaubt schon dem Eichelhäher ...
15 bis 30 kg Sauerstoff hat uns jeder einzelne der Bäume täglich gespendet, über Zeiten, über die Zeiten, als Krieg war und Hunger, über die Zeiten. Und die Stadt brannte ...
15 bis 30 kg Sauerstoff, genug ist nie genug, genug aber, genug, um 50 Kinder jeden Tag mit Sauerstoff zu versorgen ...
Nun, zähl die Bäume, mein Freund, doch nicht nur sie. Zähl die Menschen am Amazonas und in den Höhlen, wo sie das Uran abbauen. Zähl, mein Freund, mit den Bäumen auch die Kinder, die Menschenkinder unserer Stadt, am Rande des Parks.
Der heiße Kessel, in dem Ignoranz und Starrsinn brodeln, braucht jeden Baum und jedes Blatt an den brennenden Sommertagen, braucht die Sträucher und Gräser,
wo sich die Maikäfer ausruhen und den Hummeln zuhören beim Summen. Deine Bäume, guter Freund, haben den Staub gefiltert ohne TÜV und Bürgermeisteramt, haben Bakterien und Schadpilze aus der Luft verwandelt, haben Schatten gespendet allzeit in reichem Maße:
Wie Herrenknecht, der Mann im Schatten der CDU, in christlicher Demut spendet:
Der Hofknicks des Kapitals vor Stuttgart21 und Sonntags ein Ava Marie für die Armen und Kranken und die Natur.
Bäume.
Stärker wird der Wind in der Stadt ohne Euch, meine Gefährten am Wegesrand. Unendlich lauter wird die Stadt: du hast viel geschluckt, mein Freund, im Lauf der Jahrzehnte. Nun machen sie sich auf die Suche, sieht du, nach dem Planeten B, der zweiten Erde:
Planet A: Mutter Erde. Dort.
Sie vergiften die Flüsse, rund um die Erde. Sie vernichten die Wälder, weltweit. Sie fischen die Meere leer und lassen die Gletscher schmelzen. Sie rauben die Rohstoffe, rund um den Globus. Der weiße, erbarmungslose Mann. Wir.
Denkt nach.
Eure Trauer braucht nun den Zorn.
Euer Zorn aber braucht Nachsicht und Klugheit.
Eure Klugheit braucht Tatkraft.
Unsere Tatkraft braucht Ausdauer, auf lange Sichten,
Schaut, wie sie die Natur geschändet haben, wieder und wieder und wieder - und doch werden jedes Jahr, wenn der Frühling kommt, die neuen Knospen sprießen, zehntausendfach - immer wieder und wieder und wieder.
Ich zitiere noch einmal Günter Eich:
"... Fuhrest auch du einmal aus den Armen der Liebe auf,
weil ein Schrei dein Ohr traf, jener Schrei,
den unaufhörlich die Erde ausschreit und den du sonst
für das Geräusch des Regens halten magst
oder für das Rauschen des Winds.
Sieh, was es gibt: Gefängnis und Folterung,
Blindheit und Lähmung, Tod in vieler Gestalt,
den körperlosen Schmerz und die Angst, die das Leben meint.
Die Seufzer aus vielen Mündern sammelt die Erde,
und in den Augen der Menschen, die du liebst,
wohnt die Bestürzung.
Alles, was geschieht, geht dich an.
Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht,
die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind,
wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder,
die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!"