Valentin Dübbers offener Brief: Warum der Widerstand weiterhin höchst legitim und notwendig ist

Offener Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Verkehrsminister Winfried Hermann und den Tübinger OB Boris Palmer

Warum die Volksabstimmung zu S21 Demokratie ad absurdum führte und der Widerstand weiterhin höchst legitim und notwendig ist.

Ein Appell an die Wahrhaftigkeit in der Politik.

Tübingen, den 23. Februar 2012

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,
sehr geehrter Herr Verkehrsminister Hermann,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,

Sie sind der Meinung, dass die Volksabstimmung das Projekt „Stuttgart 21" endgültig demokratisch legitimiert habe und weiterer Widerstand undemokratisch sei, weil der Souverän das „letzte Wort" gesprochen habe.

Sie, Herr Ministerpräsident, werden nicht müde zu behaupten, dass es bei der Volksabstimmung nicht um Wahrheit, sondern um Alternativen gegangen sei. Ich will Ihnen aufzeigen, dass Sie in dieser wesentlichen Frage irren.

Zwar haben Sie völlig recht, dass es in einer demokratischen Volksabstimmung nicht um Wahrheit gehen darf, aber ebendiese essentielle Bedingung für jedwede Abstimmung wurde hier fahrlässig ignoriert und damit Demokratie ad absurdum geführt. Ich will den Beweis hierfür nur anhand des Umgangs mit der – zentralen! – Sachfrage der Leistungsfähigkeit  von Kopf- vs. Tiefbahnhof führen, will damit aber nicht sagen, dass man ihn nicht auch anhand anderer Sachfragen in dem Konflikt führen kann. Und ich schreibe diesen offenen Brief auch nachdem mit der Rodung des zentralen Teils des Schlossgartens und dem Abriss des Südflügels – was schon angesichts der fehlenden Planfeststellungen eine Erpressung durch Faktenschaffen darstellt! – wichtige Symbole des Widerstands gefallen sind bzw. fallen, denn der zentrale Streitpunkt der Leistungsfähigkeit und damit die Legitimation des Widerstands ist damit ja keineswegs aus der Welt geschafft!

Der Sinn einer Volksabstimmung kann nur darin liegen, dass in einer Frage nach Handlungsalternativen, nach individueller Abwägung verschiedener Argumente und Gegenargumente eine Mehrheitsentscheidung getroffen wird. Bei dieser Abwägung geht es nicht um „wahr" oder „falsch", sondern um ein „besser" oder „schlechter", also die Ergebnisse der individuellen Abwägung der Argumente, von denen dann die Mehrheit ermittelt wird. Die Argumente und Gegenargumente selbst aber müssen sehr wohl dem Kriterium der sachlichen Richtigkeit, also dem Kriterium von "wahr" oder "falsch" unterliegen. Damit eine Behauptung als Argument für oder gegen eine Sache dienen kann, muss sie wahr sein; wenn sie falsch ist, ist sie kein Argument. Ein "besser" oder "schlechter" von Argumenten gibt es nur als Ergebnis der individuellen Gewichtung, bis dahin, dass ein bestimmtes Argument auf der Waagschale individuell für vernachlässigbar gehalten werden kann – die sachliche Richtigkeit des Arguments aber ist davon unberührt.

Die Problematik beginnt da, wo als angebliche „Argumente" von beiden Seiten  Sachbehauptungen aufgestellt werden, die sich widersprechen. Dann handelt es sich noch nicht im objektiven Sinn um Argumente und Gegenargumente, sondern eben um Behauptungen, über deren Wahrheitsgehalt das Volk urteilen muss. In der Informationsbroschüre der Landesregierung waren zahlreiche solcher kontradiktorischen Behauptungen genannt, die fälschlicherweise „Argumente" für bzw. gegen den Ausstieg genannt wurden, die man aber gar nicht gegeneinander abwägen konnte, weil man stattdessen erst einmal „entscheiden" musste, welche Behauptungen überhaupt sachlich richtig sind, also als Argumente dienen können.

Nun gebe ich zu: Auch bei objektiven „Wahr/Falsch"-Fragen (also nicht nur bei Sinnfragen, die durch Abwägung von Argumenten zustande kommen) gibt es mitunter gegensätzliche Meinungen, und es ist natürlich richtig, dass es in einer aufgeklärten Gesellschaft keine absolute „Wahrheitsinstanz" außer der individuellen Erkenntnis geben kann. Es ist auch richtig, dass es sich bei der zentralen Frage der Kapazität von S21 im Vergleich zur Kapazität des Kopfbahnhofs um eine ziemlich komplexe Materie handelt.

Dennoch ist es ein Sachverhalt, der nach objektiven Wahrheitskriterien festgestellt werden kann und keine Abwägungsfrage darstellt. Und gerade weil es ein komplexer und für den Laien nicht unmittelbar einsichtiger Sachverhalt ist, ist es umso notwendiger, dass von offizieller Seite alles dafür getan wird, zu einem einvernehmlichen objektiven Bild zu kommen, das dann auch von der Regierung einheitlich vertreten wird und als wirkliches Argument für die Abwägung mit weiteren Argumenten dienen kann. Wenn dies nicht stattfindet, wird dem Volk mit der Abstimmung implizit auch das Urteil über diese zentrale Frage überlassen, bzw. man muss als abstimmender Laie entscheiden, welchen Behauptungen von Fachleuten man Glauben schenkt.

Das aber pervertiert die Idee einer Volksabstimmung, denn das Volk kann nicht darüber abstimmen sollen, wie viele Züge in der Spitzenstunde der Kopfbahnhof (bzw. ein modernisierter Kopfbahnhof) oder der geplante Tiefbahnhof abfertigen kann – das ist genauso absurd, wie wenn in einer akademisch wissenschaftlichen Streitfrage durch eine Volksabstimmung die Wahrheit über die Gültigkeit einer These oder eines Beweises ermittelt werden sollte.

Eine wirkliche Klärung dieser zentralen Frage hat aber nie stattgefunden, denn hierfür wäre eine von beiden Seiten offiziell durchgeführte und akzeptierte Untersuchung der wirklichen Kapazität beider Bahnhöfe mit gleichen Maßstäben eine unabdingbare Voraussetzung gewesen.

Stattdessen wurde an dem von Herrn Palmer eingestandenen fatalen Fehler der Schlichtungsvereinbarung festgehalten (die aber im Schlichterspruch so gar nicht steht!), nämlich für den zu erbringenden Nachweis der Kapazitätssteigerung um 30% als Vergleichsgrundlage die im Kopfbahnhof nach aktuellem Fahrplan zur Spitzenstunde vorliegende Zahl von 37 Zügen anzusetzen (anstatt zunächst die mögliche Zahl, also die wirkliche Kapazität des Kopfbahnhofs zu ermitteln) und dem Stresstest für S21 keine entsprechende Simulation für eine wirkliche Auslastung des Kopfbahnhofs gegenüberzustellen.

Damit steht Aussage gegen Aussage: diejenige der Bahn und der Projektbefürworter, welche behaupten, mit dem Stresstest sei der Nachweis einer dreißigprozentigen Kapazitätssteigerung gegenüber dem Kopfbahnhof erbracht worden (weil der Kopfbahnhof ihrer Meinung nach mit dem aktuellen Fahrplan zur Spitzenstunde an seiner absoluten Kapazitätsgrenze angelangt sei), und die Aussage privater Initiativen, die bei der Untersuchung des bestehenden bzw. eines geringfügig verbesserten Kopfbahnhofs eine höhere mögliche Kapazität festgestellt oder den Stresstest der Bahn selbst widerlegt haben.

Pikanterweise besteht dieser Widerspruch auch in Ihren Reihen und selbst innerhalb der Regierung:

Die Landesregierung einschließlich ihres grünen Teils akzeptierte offiziell den Stresstest ohne Vergleichsuntersuchung, während Herr Palmer ihn verriss, und das Verkehrsministerium ließ die Untersuchung des Kopfbahnhofs, die zu dem Ergebnis einer höheren Kapazität kam, sogar "offiziell" von der Nahverkehrsgesellschaft bestätigen (d. h. dass der Kopfbahnhof 50, mit Signalverbesserungen 56 Züge abfertigen kann), aber zu spät, um dieses Ergebnis noch in die Informationsbroschüre aufzunehmen (siehe die Pressemitteilung unter http://www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/104632/ ).

Außerdem wird in der Pressemitteilung bemängelt, dass im S21-Stresstest der Bahn bei einer Zahl von 49 Zügen „die vom Land formulierten Fahrbahnkriterien nicht vollumfänglich erfüllt werden".

Der Schluss der genannten Pressemitteilung des Verkehrsministeriums beweist, dass die wirkliche Klärung der Kapazitätsfrage nicht stattgefunden hat. Dort heißt es: Für eine definitive Klärung müsste die Deutsche Bahn (DB) sich bereiterklären, mit den nur ihr zur Verfügung stehenden vollständigen Infrastrukturdaten für den Kopfbahnhof, einen Stresstest wie für das Projekt Stuttgart 21 durchzuführen. Diesen Wunsch des Verkehrsministeriums hat die Deutsche Bahn aber bisher strikt abgelehnt. Mit Blick auf das milliardenschwere finanzielle Engagement (...) wäre es allerdings dringend angeraten, einwandfrei zu klären, welcher Bahnknoten leistungsfähiger ist: Stuttgart 21 oder der Kopfbahnhof.

Damit ist bewiesen, dass die beiderseitige „definitive" Klärung dieser Streitfrage offen blieb und dass, weil es hierüber kontroverse fachliche Einschätzungen gab, das Volk implizit auch darüber  abzustimmen hatte. Außerdem ist die Pressemitteilung auch insofern entlarvend, als hier gar nicht mehr von der Frage nach den in der Schlichtung vereinbarten 30% mehr Leistung die Rede ist, sondern nur noch von der Frage, welcher Bahnhof überhaupt mehr leistet!

Wenn Sie in der Informationsbroschüre der Landesregierung geschrieben haben: „Ziel dieser Volksabstimmung ist es, zu einem abschließenden und befriedenden Urteil über Stuttgart 21 zu gelangen, um die Spaltung in unserem Land zu überwinden" (meine Hervorhebung), dann haben Sie fatalerweise ignoriert, dass mit diesem „abschließenden Urteil" das Volk implizit auch über die Wahrheit in der Kapazitätsfrage zu entscheiden hatte. Eine Befriedung ist damit nicht zu erreichen!

Gerade Sie, Herr Palmer, haben als Mathematiker und politischer Verkehrsexperte aus Ihren Ausführungen immer wieder das Fazit gezogen: „S21 darf nicht gebaut werden", und zwar „wegen der Mathematik". Von Ihrem Standpunkt aus stellte die Verschlechterung der Schieneninfrastruktur also eine Wahrheit dar wie „zweimal zwei ist vier". Dennoch fordern Sie jetzt von den Kopfbahnhofbefürwortern, gute Verlierer zu sein und das Ergebnis der Volksabstimmung zu akzeptieren. Das hieße aber aus Ihrer Sicht, zu akzeptieren, dass das Volk darüber abgestimmt hat, ob zweimal zwei vier oder fünf sein soll, und sich eben dessen unbewusst mehrheitlich für letzteres entschieden hat.

Politiker oder sonstige Bürger, die zumindest vor der Volksabstimmung anscheinend davon überzeugt waren, dass S21 eine Verschlechterung und den Rückbau der Schieneninfrastruktur bedeutet, und die jetzt die Akzeptanz der Volksabstimmung fordern, verhalten sich also entweder schizophren und akzeptieren, dass sich die Mehrheit eben unwissend für einen Rückbau der Schiene ausgesprochen hat, oder sie stellen ihre einstmals feste Überzeugung jetzt auf einmal selbst in Frage – nur weil die Mehrheit dies anscheinend nicht so sah!(Als dritte Möglichkeit bleibt nur noch, dass sie bereits vorher glaubten, dass S21 doch einen Kapazitätszuwachs bringt oder keine klare Meinung hatten, dies aber aus taktischen Gründen anders kommunizierten.)

Selbst von einem Standpunkt der Neutralität oder Ungewissheit gegenüber der Kapazitätsfrage muss allein der massive Zweifel an der Richtigkeit des angeblichen Nachweises der Bahn ein Grund sein, gerade jetzt eine beiderseitige einvernehmliche Feststellung einzufordern, bevor es kein Zurück mehr gibt (und das Projekt ist auch nach dem Opfer der Parkbäume und des Südflügels noch nicht unumkehrbar!). Und wenn eine einvernehmliche Feststellung nicht möglich wäre, müsste der Grundsatz gelten „In dubio pro re" bzw. „pro reo" (im Zweifel für die Sache bzw. den Angeklagten), wobei die „Sache" oder der „Angeklagte" in diesem Fall natürlich der Status quo, also der bestehende Kopfbahnhof ist, dessen Kapazität angeblich nicht mehr ausreicht und der deshalb einem neuen Bahnhof weichen soll. Die Zweifel kulminieren in der Aussage des Physikers Dr. Christoph Engelhardt, der nach seiner auf „wikireal.org" dokumentierten, sehr detaillierten Untersuchung den Stresstest als „womöglich größten technisch-wissenschaftlichen Betrugsfall der deutschen Geschichte" bezeichnet hat (vgl. hierzu auch das erschütternde Interview mit dem Wiener Verkehrswissenschaftler Prof. Hermann Knoflacher im ZDF unter www.youtube.com/watch?v=3RwpYbXNK60 ). Wenn nun das Verkehrsministerium diese Vorwürfe prüft, wie Rechtsanwalt Dr. Eisenhart von Loeper bei der Demonstration vom Samstag, dem 18.2. verkündete, so ist dies als längst überfälliger Schritt ausdrücklich zu begrüßen! Aber auch unabhängig vom Wert des Stresstests an sich ist die Frage des Vergleichs mit dem Kopfbahnhof beiderseitig zu klären.

Das Argument, dass ja alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit hatten, sich in beiden Lagern umfassend zu informieren, sticht nicht als hinreichende Legitimation der Volksabstimmung.

Auch wenn vielleicht den meisten Bürgern irgendwann einmal die Umstrittenheit der Leistungsfähigkeit zu Ohren gekommen sein sollte – der entscheidende Mangel ist eben der, dass es gar keine beiderseitige Vergleichsuntersuchung gab! Das Argument, dass die Mehrheit die Frage der Leistungsfähigkeit sowieso nicht interessierte und es deshalb nichts genutzt hätte, dies von S21-Gegnerseite noch stärker publik zu machen bzw. einen vergleichendenStresstest für den Kopfbahnhof zur Bedingung für die Volksabstimmung zu machen, ist natürlich hanebüchen, denn diese Mehrheit hat sich ja auf die Aussage verlassen, dass der dreißigprozentige Kapazitätszuwachs im Stresstest nachgewiesen worden sei! Würde man explizit über einen Kapazitätsrückbau bzw. auch nur eine milliardenschwere Nichterweiterung der Schiene mit fehlender Erweiterungsmöglichkeit abstimmen lassen, wäre das Ergebnis wohl eindeutig (auch wenn man dies als objektives Gegenargument gegen eine Stadterweiterung zur Abwägung stellte)! Und selbst wenn durch eine wirkliche Vergleichsuntersuchung mit gleichen Maßstäben offiziell nur festgestellt worden wäre, dass die in der Schlichtung vereinbarten 30% Kapazitätssteigerung nicht erreicht werden, hätte die Volksabstimmung nicht stattfinden dürfen, denn dann wäre das Projekt laut Heiner Geißler schon „tot" gewesen.

Die Weigerung, das Ergebnis dieser Volksabstimmung zu akzeptieren, hat also nichts damit zu tun, ob einem das Ergebnis der Abstimmung gefällt oder nicht, sondern damit, dass hier die unabdingbaren Voraussetzungen einer Volksabstimmung nicht gegeben waren. Da wäre im Falle eines Abstimmungssieges der Ausstiegsbefürworter unter den gegebenen Bedingungen natürlich ganz genauso gewesen. Auch dann hätte das Projekt nicht allein aufgrund eines solchen Abstimmungsergebnisses gestoppt werden dürfen, sondern nur aufgrund einer einvernehmlichen Klärung des wirklichen Leistungsvergleichs.

Fragen, die eigentlich objektive Fragen des Wissens sind, wurden mangels einer wirklichen vergleichenden und einvernehmlichen Erörterung für die breite Bevölkerung zu Fragen der persönlichen Meinung, über die man abstimmen kann. Die Fragen nach dem „ist" (objektive Zusammenhänge und Konsequenzen) wurden mit denjenigen nach dem „soll" (Handlungsalternativen) unzulässigerweise vermischt. Und wer sich um Erkenntnis bemühte und den Rückbau als eine Wahrheit erkannte, musste feststellen, dass Wahrheit in dieser Art von missverstandener Demokratie keinen Platz hat. Das ist verheerend für die Entwicklung von direkter Demokratie und für eine Demokratie allgemein.

Angesichts der fehlenden notwendigen Voraussetzungen dieser Abstimmung kommt das Diktum „Wenn das Volk gesprochen hat, muss die Politik schweigen" einer Verabsolutierung des Volkswillens und einer Relativierung jeglicher Wahrheit gleich. In einer Demokratie muss es aber jederzeit möglich sein, dass die Politik kollektive Versäumnisse und kollektiven Irrtum eingesteht und korrigiert.

Ich schreibe diesen offenen Brief als bisheriger Grünen-Stammwähler, weil ich angesichts dieser Entwicklung auch besorgt um das Schicksal Ihrer Partei bin. Ich weiß, dass Ihre Regierungsarbeit und Agenda noch viele andere Themen umfasst und wünsche mir weiterhin Ihre politische Gestaltungskraft in unserem Land. Aber auch wenn Politik mit Abwägen, Kompromissen, Strategien und letztlich mit Mehrheiten zu tun hat, darf sie nicht auf die notwendige Erörterung von Wahrheit bzw. deren Einforderung verzichten, sonst hat sie auf Dauer verloren!

Gerade eine Partei, die sich mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung auf die Fahnen geschrieben hat, darf Mehrheitsentscheidungen nicht verabsolutieren, indem sie ihnen implizit wissenschaftliche Wahrheitsfragen unterwirft und damit Demokratie ad absurdum führt.

Eine Frage wie die der Kapazität von Kopf- und Tiefbahnhof ist nicht verhandel- oder relativierbar und darf nicht impliziter Gegenstand einer Volksabstimmung sein, wie es hier der Fall war, und es ist auch nicht akzeptabel, dass sie als irrelevantes Kriterium abgetan wird.

Ich will auch Ihren großen argumentativen Einsatz im Wahlkampf vor der Volksabstimmung, namentlich von Herrn Palmer und Herrn Hermann, nicht in Abrede stellen. Aber eine Frage wie die der Kapazität darf nicht einmal Gegenstand eines Wahlkampfes sein in dem Sinne, dass um die Zustimmung zu einer wissenschaftlichen Behauptung geworben werden muss, ohne dass über diese Frage eine beiderseitige Feststellung eingefordert wird.

Sie haben recht, Herr Ministerpräsident, wir leben nicht in einer Gesinnungsdiktatur und durch die VA wird niemand gezwungen, seine Meinung über S21 zu ändern. Aber genau deshalb ist der Widerstand für diejenigen, die aus sachlichen Gründen der Überzeugung sind, dass S21 einen Rückbau oder zumindest keine Verbesserung der Schienenkapazität darstellen würde (und zu denen Sie meines Wissens auch gehörten), jetzt notwendiger denn je! Man kann nicht eine Mehrheitsentscheidung akzeptieren sollen, die nach eigener Überzeugung auf Grundlage einer Behauptung von „zweimal zwei ist fünf" zustande gekommen ist – das wäre Gesinnungsdiktatur, weil man eine solche Entscheidung nur dann ohne innere Widersprüche akzeptieren könnte, wenn man seine Überzeugung, dass zweimal zwei vier ist, über Bord würfe.

Herr Palmer versuchte in seinem Appell die Kopfbahnhofbefürworter damit zu trösten, dass S21 noch am Dilettantismus der Bahn, also an sich selbst, scheitern und somit einer vernünftigen Verkehrslösung Platz machen könne. Dies zu hoffen, reicht aber nicht aus, denn wenn das Projekt unterwegs in einer Bauruine endet, sind alle die Verlierer und insbesondere die Grünen verantwortlich, weil sie es eigentlich besser wussten und sich nicht hinreichend um die Erörterung und Kommunikation der Fakten kümmerten. Schon die jetzige Baubrache im Schlossgarten und das zerstörte Baudenkmal des Bahnhofs werden im Falle des Scheiterns ein Mahnmal für die sträflichen Unterlassungen sein. Aber noch kann weiteres Unheil abgewendet werden!

Im Interesse des Allgemeinwohls und in Ihrem eigenen Interesse an einer glaubwürdigen und der Wahrhaftigkeit verpflichteten Politik appelliere ich eindringlich an Sie, die durch Ihre Versäumnisse vor der Volksabstimmung in Kauf genommene möglicherweise verheerende Entwicklung für die Bahninfrastruktur, für Stuttgart, für Ihre Partei und nicht zuletzt die Demokratie abzuwenden, indem Sie alles dafür tun, den wirklichen Kapazitätsvergleich und die Betrugsvorwürfe gegenüber dem Stresstest erörtern zu lassen und öffentlich zu kommunizieren und die zahlreichen anderen Ungereimtheiten  aufzuklären!

Mit freundlichen Grüßen

Valentin Dübbers

PS: Aus den dargelegten Gründen (unter anderen) habe ich bei der „Stuttgarter Erklärung zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21" unterzeichnet und hoffe auf  anwachsende Zahl der Unterstützer(inne)n.

Anm. d. Red.: Valentin Dübbers ist der Sohn von Peter Dübbers, dem Enkel von Paul Bonatz.

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