Brief an Kretschmann, Grube, Kefer & Züfle: „Es soll später keiner sagen, er habe es nicht gewußt!“

Und hier ein Schreiben an Ministerpräsident Kretschmann, das vor allem Herr Grube, Herr Kefer und Herr Züfle noch lesen sollten, denn jetzt wäre ein Ausstieg oder zumindest eine Verschiebung der Baumrodung unter Gesichtswahrung wegen der neu aufgetauchten Fehler beim Streßtest, für die die Bahn letztlich nichts kann, auch VOR den heutigen Polizeimaßnahmen - die sich soeben mit ersten Absperrmaßnahmen am Schloßgarten abzeichnen - in letzter Sekunde noch möglich:

"Es soll später keiner sagen, er habe es nicht gewußt!"

OFFENER BRIEF

ZITAT (zu diesem Thema demnächst mehr!):
"Dazu kommt, dass in der vergangenen Woche ein Softwarefehler in dem von der DB verwendeten Programm „Railsys" entdeckt wurde. Wird es korrigiert, so sinkt die Leistungsfähigkeit u n t e r die in der Schlichtung vereinbarte. Daher muss gemäß der Schlichtung der Bahnhof auf 10 Gleise erweitert oder die „Kombilösung" verfolgt werden."

Bürgerbahn statt Börsenbahn
Prof. Dipl.-Ing. Karl-Dieter Bodack, Gröbenzell
Klaus Gietinger, Frankfurt
Johannes Hauber, Mannheim
Dipl.-Ing. Eberhard Happe, Celle
Prof. Dr. Wolfgang Hesse, München
Prof. Jürgen Rochlitz, Havelaue-Strodehne
Carl Waßmuth, Berlin
Dr. Winfried Wolf, Wilhelmshorst

Herrn Ministerpräsident Winfried Kretschmann
Kopie an Herrn Minister für Verkehr und Infrastruktur Winfried Hermann

Offener Brief
Stuttgart 21 13. 2. 2012

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Hermann!

Wir beziehen uns auf Ihren Offenen Brief (Antwort an Frau Klausmann-Sittler u.a.) sowie die Antwort von Herrn Dr. Christoph Engelhardt auf diesen Brief. Wir teilen die in Ihrem Brief ausgedrückte Enttäuschung über den Ausgang der Volksabstimmung. Dennoch sind wir der Meinung, dass das Wohl der Bürger, die berechtigten Interessen der Steuerzahler und die Belange der Bahnkunden einen verantwortlichen Umgang Ihrer Landesregierung mit den vielen noch offenen Fragen und Problemen dieses Projekts dringend erfordern.

Ungeklärte Risiken der Finanzierung

Alle großen Bauvorhaben der Bahn haben während der Bauzeit Mehrkosten zwischen 70 - 100 % verursacht. Bei den ursprünglich kalkulierten Baukosten von 3 Mrd. Euro waren 1.5 Mrd. (= 50 %) als Risikovorsorge eingeplant. Nach den aktuellen Kostenplanungen der Bahn belaufen sich jetzt allein schon die nominalisierten Grundkosten auf knapp 4.5 Mrd. Euro: Damit ist keine Risikovorsorge mehr gegeben. Schon bei der Auftragsvergabe für das Technikgebäude zeigten sich Risiken, für die keine finanzielle Vorsorge getroffen ist. Die notwendige Verdoppelung der abzuleitenden Grundwassermenge, die Umgestaltung der Bahnsteigzugänge sowie die absehbare Neuplanung der Bahnanlagen auf den Fildern lassen weitere erhebliche Kostensteigerungen erwarten. Ihnen ist sicher die Risikoanalyse der DB bekannt, in der insgesamt 121 Risiken in z.T. unbezifferter Höhe aufgezählt sind. Aus den Erfahrungen bisheriger Großbauvorhaben der DB AG muss wegen der unabseh-baren Risiken während der Bauzeit mit Mehrkosten von wenigstens 50%, das sind 2,25 Mrd. Euro, gerechnet werden. Daher ist es aus unserer Sicht unabdingbar, dass vor Beginn der Baumaßnahmen eine neue Vereinbarung der Vertragspartner über die Finanzierung der zusätzlich zu erwartenden Aufwendungen abgeschlossen wird. Da der Vorstand der DB AG erklärt hat, bei Überschreitung der 4,5 Mrd. werde das Projekt beendet, sollte es besser jetzt und nicht erst dann beendet werden, wenn weite Teile der Stadt ab- und aufgerissen sind.

Fehlinformation der Öffentlichkeit und Unstimmigkeiten beim sog. "Stresstest"

In dem oben erwähnten Briefwechsel sind die zahlreichen Fehler und Unstimmigkeiten im Stresstest der DB AG angesprochen. Dabei konnten die gravierenden Vorwürfe von Herrn Dr. Engelhardt nicht widerlegt werden. Auch wir sind der Überzeugung, dass der Stresstest verfehlt wurde und dass der Tiefbahnhof einen erheblichen Kapazitätsabbau gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof bringen wird. Es bleibt also der dringende Verdacht, dass die Öffentlichkeit im November in diesen entscheidenden Punkten falsch informiert wurde.

Dazu kommt, dass in der vergangenen Woche ein Softwarefehler in dem von der DB verwendeten Programm „Railsys" entdeckt wurde. Wird es korrigiert, so sinkt die Leis-tungsfähigkeit unter die in der Schlichtung vereinbarte. Daher muss gemäß der Schlichtung der Bahnhof auf 10 Gleise zu erweitert oder die „Kombilösung" verfolgt werden.

Wir erwarten daher von der Landesregierung, dass sie zu diesen Vorwürfen und diesen Softwarefehler Stellung bezieht und die Öffentlichkeit über den wahren und gesicherten Sachstand der Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs im Vergleich zum beste-henden Kopfbahnhof informiert. Offene Fragen könnten in einem Fachgespräch disku-tiert und geklärt werden. Wir sind bereit, an einem solchen Fachgespräch mitzuwirken.

Bahnhofs-Schräglage, Doppelbelegungen

Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) hat zwar die fünffache Überschreitung der zulässigen Gleisneigung im Bahnhofsbereich genehmigt, dabei jedoch nach unserem Kenntnisstand keine doppelt (d.h. durch zwei Züge gleichzeitig) belegten Gleise berücksichtig. Da solche Doppelbelegungen wesentlich die im Stresstest behauptete Leistungsfähigkeit des Tief-bahnhofs begründen, muss unverzüglich geklärt werden, ob und ggf. unter welchen Vo-raussetzungen die Doppelbelegung der Gleise zugelassen werden kann. Sollte sie nicht zulässig sein, wären die Stresstest-Ergebnisse schon allein aus diesem Grunde hinfällig.

Baumfällungen und fehlende Gäubahn-Anbindung

Im Schlichtungsgespräche im Herbst 2010 hatte Herr Dr. Geißler u.a. die Verpflanzung der gesunden Bäume des Mittleren Schlossgartens sowie den Erhalt der Gäubahn-Trasse im Stuttgarter Stadtgebiet gefordert. Jetzt sollen mit derzeit gar nicht notwendigen Baumfällungen vollendete Tatsachen geschaffen werden: Dies stellt u.E. einen eklatanten Verstoß gegen das auch von der DB AG ausdrücklich akzeptierte Schlichtungsergebnis dar. Weiter sind uns keine Planungen bekannt, wie die deutsche Bahn die Gäubahn erhalten in den neuen Tiefbahnhof einbinden will. Nachdem auch der damalige Ministerpräsident und die Verkehrsministerin dem Schlichtungsergebnis zugestimmt hatten, sehen wir Sie in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass alle Beteiligten das Schlichtungsergebnis ohne Wenn und Aber realisieren: Das heißt, dass Sie die Baumfällungen verhindern und die DB AG veranlassen, den Gäubahnanschluss an den Tiefbahnhof zu planen.

Ungeklärte Bauplanung beim Fildertunnel und Flughafenbahnhof

Im Bereich der Bahnanlagen auf den Fildern und des geplanten Messebahnhofs gibt es nach wie vor keine realistisch durchführbare Planung. Seit über zehn Jahren gelingt es der DB AG nicht, das Planfeststellungsverfahren in die öffentlichen Erörterungen zu bringen. Die veröffentlichten Pläne lassen eine Genehmigung unwahrscheinlich erscheinen. Wir erwarten von der Landesregierung eine Stellungnahme dazu, wie sie sich an einem Pro-jekt finanziell beteiligt, das in wesentlichen Teilen in technischer als auch in finanzieller Hinsicht ungeklärt ist.

Fehlende Redundanzen

Der bestehende Kopfbahnhof bietet bei Instandhaltungsmaßnahmen im Bahnhof und auf den Zulaufstrecken vielfältige Alternativen der Betriebsführung. Bei den Planungen für den Tiefbahnhof sind diesbezügliche Überlegungen weder dargestellt noch im Stresstest berücksichtigt worden. Dadurch erscheint die Funktionsfähigkeit des Bahnknoten Stuttgart gefährdet.

Wir erwarten von Ihnen, dass Sie Ihre Verantwortung als Ministerpräsident für das Wohl des Landes Baden-Württemberg in Bezug auf das Projekt Stuttgart 21 wahr- und ernst nehmen, die angesprochen Fragen und Problemkomplexe baldmöglichst klären und im Besonderen keine Bautätigkeiten zulassen, die in den o.g. Punkten nicht-rückholbare Tatsachen schaffen.

Mit freundlichen Grüßen
Karl-Dieter Bodack
für die Unterzeichner gemäß Briefkopf

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Brief an Kretschmann, Grube, Kefer & Züfle: „Es soll später keiner sagen, er habe es nicht gewußt!“

  1. Pingback: Nachtwächter-Blah » Kurz zu S21 verlinkt: Dazu kommt, dass in der ve…

  2. Pingback: Stuttgart 21 - Seite 71 - Aktienboard

Kommentare sind geschlossen.