Frühstücksblockade mit Alarm
Geschrieben von Petra Brixel, Parkschützerin Nr. 6264.
Eine Pressemitteilung der Bahn vom Montag, 3.10.2011, ließ Gegner von S21 und vor allem Parkschützer aufhorchen. Hieß es doch darin: „Die Deutsche Bahn AG setzt ab Dienstagmorgen, 4.10.2011, die Arbeiten zum Aufbau des Grundwassermanagements zu Stuttgart 21 im Mittleren Schlossgarten fort. Da von der Grundwassermanagementanlage im Bereich des ehemaligen ZOB die Rohrleitung in Richtung Neckar zunächst unterirdisch verläuft, wird ein Rohrgraben gegraben. Dazu ist die Beseitigung des vorhandenen Buschwerks erforderlich. Die von Projektgegnern im Bereich zwischen Biergarten und sogenannter Parkwache aufgestellten Zelte sind von den Arbeiten nicht betroffen.“
Diese Absicht, Baumaßnahmen genau ein Jahr nach dem Schwarzen Donnerstag und zudem genau an der Stelle aufzunehmen, wo mit einem brutalen Polizeieinsatz eine tiefe Wunde in das Bewusstsein der Stadt geschlagen wurde, grenzte an Zynismus. Auch wenn die Bahn Arbeiten im Park nur als bauvorbereitende Maßnahmen einstuft, wurde die Presseerklärung von den Projektgegnern als Provokation empfunden. Erst wenige Tage zuvor, am 29. September, hatte es eine emotional berührende und von Hunderten von Teilnehmern besuchte Veranstaltung unter dem Titel „Bürgertribunal“ gegeben, darin Rückblick und Analyse des Schwarzen Donnerstags vor einem Jahr.
Einen Tag später, am 30. 9., war im Park mit Gedenkreden, Ansprachen, Proklamationen und einem von Tausenden von Menschen begleiteten Schweigemarsch zum Neuen Schloss der Ereignisse des Polizeieinsatzes gedacht worden. Nach diesem für die Gegner von S21 bedeutsamen Gedenkwochenende sollten also bei der ersten terminlichen Gelegenheit im Schlossgarten neue Fakten geschaffen werden.
Neu an dieser Situation war, dass seit dem Gestattungsvertrag, der Mitte September zwischen dem Finanzministerium und der DB Netz AG abgeschlossen wurde, nun auch auf Flächen des Landes Baden-Württemberg gebaut werden darf. Bislang wurden alle Baumaßnahmen auf Flächen getätigt, die der Stadt Stuttgart gehören. Der Gestattungsvertrag regelt die Nutzungsrechte zwischen dem Land und der Bahn als Bauherrn. Er wurde nicht einmal von der ehemaligen CDU/FDP-Regierung unterschrieben. Erst der neue Finanzminister erlaubte sich den Affront, noch vor der Volksabstimmung den Vertrag zu unterschreiben und so den Zugriff auf den Mittleren Schlossgarten voranzutreiben.
„Es ist unser Park!“, riefen am frühen Dienstagmorgen am Eingang zum Grundwassermanagement beim „Frühstück am Bauzaun“ etwa 35 Demonstranten den Polizisten entgegen, die versuchten, die Versammlung aufzulösen. Die Fahrzeuge der Firma Hölscher konnten um kurz vor 7.00 Uhr auf das Baugelände fahren, nachdem die Demonstranten nach Aufforderung der Einsatzleitung den Weg frei gegeben hatten.
Zur Beobachtung des Bauvorhabens begaben sie sich anschließend in den Mittleren Schlossgarten auf den so genannten „Feldherrenhügel“, eine Anhöhe am Biergarten, die unmittelbar an das Grundwassermanagement anschließt. Etwa 75 Demonstranten erlebten, wie ab 9.00 ein Großaufgebot an Polizisten den Hügel einkreiste und gleichzeitig ein Fahrzeug mit Absperrgittern auffuhr. Unter dem Schutz eines immer stärker werdenden Polizeieinsatzes und unter dem Protest von Demonstranten wurden die Gitter am Fuße des „Feldherrenhügels“ aufgestellt. Hierbei und auch beim Abladen eines weiteren Gittertransporters, der kurzzeitig blockiert wurde, halfen Polizisten tatkräftig mit. Um 9:30 Uhr wurde Park-Alarm der Parkschützer per SMS und Mail ausgelöst: „Die Bahn AG beginnt am Biergarten einen Schutzzaun aufzustellen, um in Ruhe Rohre unterirdisch verlegen zu können.“ Nur unter vehementem verbalem Protest und heftigen Diskussionen konnten die Gitter aufgestellt werden.
Nach Schließung des Gitterrings erging eine letzte Durchsage der Polizei, den „Feldherrenhügel“ – dieser Begriff wird inzwischen sogar von der Polizei übernommen – zu verlassen, andernfalls erfolge die Räumung durch Polizisten und ein Platzverweis. Etwa 35 Demonstranten blieben sitzen, begleitet von einem Akkordeonspieler innerhalb der Absperrung. Die anschließende Räumung verlief sehr schleppend, so dass erst um 12.30 Uhr der letzte Sitzdemonstrant durch Polizisten weggeführt wurde. Zurück blieben drei Demonstranten, die zwei Bäume besetzt hatten. Sie machten durch ihre Anwesenheit darauf aufmerksam, dass der geplante Kanalverlauf die Wurzelballen dieser Bäume durchschneidet. Ein Demosanitäter, der als Unterstützer der Baumbesetzer auf dem Hügel bleiben wollte, wurde gewaltsam von Polizisten aus dem Gelände gebracht.
Die etwa 400 Demonstranten, die sich anschließend rund um die Absperrung versammelten, verhielten sich trotz der anhaltenden Provokation besonnen. Unmut, Zorn und Rütteln an den Gittern gab es zwischendurch, als ein Baum, der sich nicht als „Buschwerk“ entpuppte, von einem Baufahrzeug ausgerissen wurde. Für den Rest des Tages bestand die „Besatzung“ des „Feldherrenhügels“ aus einer großen Anzahl von Polizisten, die z.T. mit Ferngläsern die Demonstranten beobachteten und ansonsten zwei Zivilpersonen begleiteten, die infolge ihrer Vermessungsarbeit kleine Pflöcke in den Boden steckten. Sollen sie den möglichen Verlauf des Grabens angeben?
In Laufe des Nachmittags und bis in den Abend hinein strömten Menschen in den Park, teilweise ganze Bezugsgruppen, so dass stündlich ein SprecherInnenrat abgehalten wurde. Es wurden Beobachtungen diskutiert und Durchsagen zur aktuellen Situation gemacht. Betont wurde, dass weiterhin ungeklärt ist, ob die Landesregierung das so genannte "Krongut" der Bahn überhaupt zur Verfügung stellen darf. Dieses Krongut befand sich einst im Besitz des letzten Königs von Württemberg. Am 30.11.1918 wurde zwischen ihm und dem neuen republikanischen württembergischen Staat ein Abkommen geschlossen, wonach ein Großteil seiner Besitztümer in den Besitz des Landes, d.h. der Bürger, überführt werden. Mittlerweile verwaltet die Abteilung Vermögen und Bau im Finanzministerium dieses Krongut. Im Zusammenhang mit dem Krongut gibt es Nutzungseinschränkungen, was die Schlossgartenanlage angeht.
Besonders erbost sind die Bürger, dass zwar im Koalitionsvertrag vom 27. April 2011 die Forderung nach einem Baustopp bis zu einer Volksabstimmung formuliert ist und die Regierung erwartet, dass die Bahn einen Bau- und Vergabestopp verlängert, dass aber offensichtlich Tatsachen geschaffen werden, die nach einer Volksabstimmung nur schwer wieder zu revidieren sind, wie z.B. Eingriffe in die Natur. Doch Projektsprecher Dietrich von S21 drückt aufs Gaspedal, was die Bäume im Park angeht, wenn er sagt „… verpassen wir die vegetationsfreie Zeit zwischen Oktober und Februar, müssen wir ein Jahr länger warten.“ Die gestrigen Demonstranten am Schutzzaun und im Biergarten sehen auch in dieser Aussage den Zynismus des Projektbefürworter, wenn die Jahreszeiten Herbst und Winter zur „vegetationsfreien Zeit“ erklärt werden. „Als gäbe es nur im Frühjahr und Sommer Leben und Natur,“ beklagte sich eine Demonstrantin.
Als Bestätigung, dass es sich auch am Dienstag – wieder einmal – um eine übereilte Baumaßnahme handeln könnte, sorgte die Presseerklärung des BUND am späten Nachmittag, worin es hieß, dass „… dem Bauherrn in der geltenden Planfeststellung landschaftspflegerische und artenschutzrechtliche Verpflichtungen auferlegt sind, denen die Bahn bislang nicht nachgekommen ist.“ Auch am heutigen Tag sei dies der Fall. Die Geschäftsstelle des BUND nahm Kontakt mit dem Eisenbahnbundesamt auf. Der Einsatzleiter der Polizei bestätigte am Spätnachmittag, dass bis zur Klärung mit dem Eisenbahnbundesamt keine Rodungsmaßnahmen innerhalb des Schutzzauns vorgenommen werden. An diesem Tag im Park fehlte jedoch der Glaube an die Durchführung dieser Aussage. Zum Schwabenstreich versammelten sich die Demonstranten am Absperrgitter in einer eindrucksvollen Menschenkette.
Wo ist dieser Krongutvertrag? wir brauchen ihn, ich sehe nur so die möglichkeit unseren park zu retten. Seid ihr euch bei dem datum 30.11.1918 sicher? dass müsste stimmen um den Vertrag zu suchen
„Die gestrigen Demonstranten am Schutzzaun und im Biergarten sehen auch in dieser Aussage den Zynismus des Projektbefürworter, wenn die Jahreszeiten Herbst und Winter zur „vegetationsfreien Zeit“ erklärt werden. „Als gäbe es nur im Frühjahr und Sommer Leben und Natur,“ beklagte sich eine Demonstrantin.“
Dummschwätzer gibt es eben reichlich. die „vegetationslose Zeit“ regelt das Bundesnaturschutzgesetz, welches es untersagt, bis zum 30.09. Bäume zu fällen.
Die Natur hat es nun mal so an sich, dass es derartige Zeiten gibt, die Vögel brüten z.B. nun mal im Frühjahr, im Herbst werfen die Bäume ihr Laub ab, im Frühjahr treiben sie wieder aus.
Diesem Kreislauf der Natur gab das Bundesnaturschutzgesetz Tribut.
Die DB hatte bei der Erläuterung also nicht etwa den „schwarzen Donnerstag“ im Hinterkopf, sondern die gesetzlichen Regelungen, wann solche Maßnahmen überhaupt möglich sind.
Die Regierung hat zutreffend den Wunsch nach einem Baustopp geäußert, der MP war dann aber nicht bereit, für die finanziellen Folgen einzustehen, so dass sich dieser Wunsch von selbst erledigte.
„Im Zusammenhang mit dem Krongut gibt es Nutzungseinschränkungen, was die Schlossgartenanlage angeht.“
Welche Einschränkungen gibt es denn konkret?
Ach Gott, ein Rechtswahrer. Dass es so etwas heute noch gibt! Finde ich toll. Besser wie im Mittelalter.
Liebe Julia
Hast Du den Bericht auch an die Stuttgarter Zeitungen geschickt, die das Rütteln am Bauzaun nur als aggressiv darstellten, ohne nach dem Grund zu fragen ?
Außerdem war mindestens einer derBaumbesetzer nicht abgesichert und der mutige Sanitäter, der von der Polizei so wüst weggeschleppt wurde, warf ihm die gewünschte Sicherung hoch.
Was ein Polizist dazu sagte, ist empörend.
Das ganze Vorgehen von Grube samt dem ganzen Politik-, Staatsanwaltschafts- und Polizeifilz ist empörend.
und wieder musste ein Baum (erneut rechtswidrig) sterben 🙁 Da wird von Seiten der Bahn nicht mehr gezündelt, sondern gebrandschatzt 😐
Wieso wittert diese Demonstrantin nun sogar im Bundesnaturschutzgesetz schon Zynismus der Projektbefürworter?
Geht diese davon aus, dass die Bahn an diesem Gesetz mitgewirkt hat und dort regeln ließ, dass sie bis zum 30.09. d.J. keine Baumfällungen vornehmen darf?
Diese Regelung schränkt die Bahn doch ein und schützt die Tierwelt. Worin sollte denn da Zynismus bestehen?