Rede von Matthias von Herrmann, Pressesprecher der Parkschützer, beim Schwabenstreich in Leinfelden-Echterdingen am 8.9.2011. Diese Rede gibt die Position des Parkschützerrats wieder. Im Parkschützerrat sind etwa 50 parteipolitisch nicht gebundene Gruppen aus dem S21-Widerstand vertreten.
Wir Parkschützer lehnen Stuttgart 21 ab. Dafür gibt es, neben dem Schutz des Stuttgarter Schlossgartens, viele weitere, gute Gründe. Z.B. fehlt das Geld, um wichtige Bahnstrecken in ganz Deutschland auszubauen. Dazu gehört der vielzitierte viergleisige Ausbau der Rheintalstrecke, aber auch die Anbindung an die Güterstrecke vom Hafen Rotterdam oder die Gäubahn Richtung Zürich. In Baden-Württemberg fehlen jede Menge Lehrer – Lehrer einzustellen ist eine typische Landesaufgabe, die MP Kretschmann nun angehen muss, statt der Bahn 50 Mio. EUR für Stuttgart 21 zu überweisen. Diese triftigen Gründe gegen Stuttgart 21 werden mit der vorgesehenen Volksabstimmung nicht aus der Welt geschafft werden – diese Gründe sprechen auch nach der Volksabstimmung noch gegen Stuttgart 21.
In der geplanten Volksabstimmung am 27. November wird nicht über Stuttgart 21 entschieden, sondern lediglich über die Frage, ob das Land aus der Finanzierung für Stuttgart 21 aussteigen soll. Lassen Sie sich daher nicht einreden, dass der Protest gegen S21 nach dem 27.11. aufhören müsse! Denn egal, wie die Volksabstimmung ausgeht – das Tunnelprojekt Stuttgart 21 ist katastrophal geplant und kommt bei der Baudurchführung seit über einem Jahr nicht vom Fleck. Zerstört wurde schon viel für Stuttgart 21 – substanziell Neues wurde noch nicht geschaffen. Das zeigt uns, dass Stuttgart 21 nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Realität gescheitert ist und nun das Projekt von Kanzlerin Merkel und dem zuständigen Bundesverkehrsminister Ramsauer endlich beendet werden muss.
Zurück zur Volksabstimmung: Die finanzielle Beteiligung des Landes, über die wir anstelle der gewählten Politiker am 27. November entscheiden sollen, ist rechtlich hoch umstritten. Der renommierte Verfassungsrechtler Prof. Hans Meyer hält diese Mischfinanzierung für verfassungswidrig. Er sagt, dass die Mischfinanzierung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Diese schwere verfassungsrechtliche Anschuldigung gegen die Finanzierungsverträge für Stuttgart 21 muss gerichtlich geklärt werden – und zwar bevor das Volk zur Abstimmung aufgerufen wird! Ministerpräsident Kretschmann hätte dazu die Chance gehabt, als er vor zwei Wochen der Bahn die Zahlung von 50 Mio. EUR Landesbeteiligung an S21 verweigerte. Die Bahn hätte sich dieses Geld einklagen müssen und dabei hätte die Verfassungsmäßigkeit geprüft werden können. Doch dann ist Kretschmann umgefallen und hat doch bezahlt. Herr Kretschmann, dafür haben viele CDU-Wähler nicht einmalig die Grünen gewählt, um am Ende so verraten zu werden!
Fakt ist, dass die geplante Volksabstimmung keine demokratische Legitimation für das Projekt Stuttgart 21 schaffen kann:
- Stuttgart 21 ist von Beginn an unter fundamentalen Beschädigungen des demokratischen Gemeinwesens auf den Weg gebracht worden. Unter anderem wurden Alternativen zu S21 nie ernsthaft geprüft, und die Parlamente wurden jahrelang bewusst über die wahren Kosten und den tatsächlichen Nutzen von S21 getäuscht.
- Es wird nur über den Ausstieg des Landes Baden-Württemberg aus der Finanzierung abgestimmt, nicht über das Projekt Stuttgart 21 selbst.
Wenn wir zur Abstimmung aufgerufen werden, muss sichergestellt sein, dass vor der Abstimmung keine unumkehrbaren Fakten geschaffen werden. Es dürfen bis dahin keine weiteren Verpflichtungen zu Lasten des Landes eingegangen werden, es muss ein Bau- und Vergabestopp gelten und der Park mitten in der Stuttgarter Innenstadt darf nicht angetastet werden.
Wenn wir Bürger bei der Volksabstimmung eine seriöse Entscheidung treffen wollen, setzt dies voraus, dass wir korrekte Informationen und Entscheidungsgrundlagen haben. D.h. wenn über eine Kostenbeteiligung abgestimmt werden soll, müssen sämtliche Kosten, Kalkulationen und Kostenrisiken offen gelegt werden. Die Landesregierung muss dies von der Bahn nachdrücklich einfordern, sonst ist die ganze Volksabstimmung nur ein unseriöses Schauspiel.
Wir Parkschützer werden die öffentliche Aufmerksamkeit rund um die bevorstehende Volksabstimmung nutzen, um unsere grundlegende Ablehnung des Projekts S21 allen Menschen im Land zu zeigen und zu begründen. Wir werden in ganz Baden-Württemberg für den Erhalt und die Modernisierung des Kopfbahnhofes werben, für guten Regionalverkehr und für eine sinnvolle Verwendung der Gelder. Die Volksabstimmung und der dazugehörige Wahlkampf sind für uns ein weiteres Mittel, um zu zeigen, wie unsinnig und schädlich dieses Projekt ist und wie viele Menschen S21 ablehnen.
In den vergangenen Jahren haben wir viel erreicht:
- Wir haben die bundesweite Aufmerksamkeit auf unseren Protest lenken können.
- Wir haben am 30. September 2010 mit unserem entschlossenen und mutigen Protest erreicht, dass nicht der ganze Schlossgarten abgeholzt wurde, wie es eigentlich geplant war.
- Wir haben die Bahn genötigt, beim Faktencheck mehr Defizite von Stuttgart 21 zuzugeben als der Bahn lieb war.
- Wir haben im März einen Politikwechsel gewählt, der von diesen Politikern nun auch umgesetzt werden muss.
- Wir werden auch die Volksabstimmung zu unserem Vorteil nutzen und Stuttgart 21 durch unser Abstimmverhalten weiter schwächen.
Beteiligen Sie sich an dieser großen Aufgabe, die noch vor uns liegt: Wir müssen gemeinsam die Menschen im Land dafür begeistern, dass wir alle, Badener und Württemberger, Schwaben und Alemannen, es bei der Volksabstimmung denen da oben so richtig zeigen. Unterstützen Sie uns bei dieser großen Aufgabe: beim Gespräch im Bekanntenkreis, beim Verteilen von Infozetteln zur Volksabstimmung oder bei Infoständen im ganzen Land.
Lassen Sie uns in Baden-Württemberg gemeinsam OBEN BLEIBEN.
Nochmal innehalten, nachdenken, objektiv betrachten.
was ist hier los?
http://eurodemostuttgart.wordpress.com/2011/09/09/s21-und-euro-rettungswahnsinn-zwei-symptome-eine-ursache/
Prinzipiell bin ich natürlich für mehr direkte Demokratie, die repräsentative Parteien-Demokratie wurde schon immer und in zunehmenden Maße durch Interessen von Lobbyvertretern der Großkonzerne vereinnahmt. In dieser ungebremsten Einflußnahme offenbart sich ein fundamentaler Konstruktionsfehler dieser Demokratieform.
Aber nicht in jedem Fall und unter allen Umständen ist eine direkte Abstimmung des Bürgers sinnvoll. Speziell bei der geplanten Volksabstimmung zu Stuttgart 21 propagierten die Grünen weit im Vorfeld mit einer bedenklichen Naivität eine landesweite Volksabstimmung als die beste Lösung. Dabei gab es von vorneherein auch damals viele Stimmen aus der Protestbewegung die anmeldeten, dass dies eine fundamentale Ungerechtigkeit gegenüber der Stadtbevölkerung darstellt, weil hier wieder über ihre Köpfe hinweg von Menschen, die nicht direkt von den Auswirkungen betroffen sind über das Schicksal der Stadt und ihres direkten Lebensumfelds entscheiden werden soll.
Mittlerweile haben sich nicht nur die politischen Umstände insgesamt kaum gebessert, weil die SPD in der Landesregierung unbelehrbar die Interessen der Industrielobby und CDU-Seilschaften vertritt, sondern sich das Ganze auf Landesebene zu einem machtpolitisch motivierten Lagerwahlkampf entwickelt. Dabei fallen die Sachfragen, die auf dem Land sowieso den meisten Menschen zu mühsam sind (verständlich – warum sollten sie sich auch vertieft damit auseinandersetzten, wenn sie gar nicht betroffen sind) wieder unter den Tisch und man steht vor der Situation, dass perverserweise ein an sich zu begrüßendes demokratisches Instrument wie eine Voksabstimmung dazu genutzt werden soll die berechtigten Interessen der Betroffenen endgültig niederzuwalzen. Deshalb muss eine Voksabstimmung gezielt eingesetzt werden, da wo sie demokratisch Sinn macht: Bürgerentscheid nur in Stuttgart!
siehe oben:
„Im Parkschützerrat sind etwa 50 parteipolitisch nicht gebundene Gruppen aus dem S21-Widerstand vertreten.“
1. Was ist mit S21-Widerstand gemeint? – schließt das strafbare Handlungen ein (zB: 20.6.)?
2. Gibt es eine Auflistung dieser Gruppen, in welcher Art bilden sie ein Bündnis?
3. Auf welcher Art Organisation beruht dieses Bündnis?
4. Wer leitet dieses Bündnis? Gibt es einen Verein mit Vorstand?
Herrmann schreibt:
Am Anfang steht: „Volksabstimmung nutzen!“ – dann:
„Wir haben die Bahn genötigt, beim Faktencheck mehr Defizite von Stuttgart 21 zuzugeben als der Bahn lieb war.“ und schließlich:
„Wir müssen es denen da oben so richtig zeigen. “
Es dürfte sehr fragwürdig sein, eine Volksabstimmung dafür zu nutzen, „es denen da oben zu zeigen“ – es geht doch korrekterweise darum, gegen die Finanzierung zu stimmen.
Meines Wissens waren die Parkschützer immer diejenigen, die nur auf Widerstand und nicht auf Argumentation Wert gelegt haben. Beim Faktencheck wollten sie nicht dabei sein und an der Teilnahme an der Stresstestpräsentation wollten sie das Aktionsbündnis wieder hindern. Zwischen den Zeilen liest man, dass die Parkschützer nur halbherzig an der Volksabstimmung teilnehmen und keine Ergebnis hinterher akzeptieren wollen. Für die Parkschützer muss die Demokratie erst noch gebacken werden, an der sie teilnehmen.
Die Parkschützer tun gut daran, selbst erst einmal an ihrer demokratischen Legitimation zu arbeiten, bevor sie andere hierin kritisieren.
Lieber Matthias von Herrmann,
eine gute, engagierte Rede.
Jedoch ist es eminent wichtig, ganz klar, konstant und auch redundant vor allem Eins deutlich zu vermittlen: Über kriminelle Hehlerware(S21) demokratisch abstimmen lassen zu wollen, führt die bislang bereits schwer beschädigte Demokratie weiter ad absurdum. Jeder, der sich daran beteiligt, eine Volksabstimmung unter den derzeitigen Gegebenheiten zu befördern, erweist sich so als Totengräber der Demokratie.
S21 ist mindestens vergleichbar mit der Flick-Affäre – und gehört vor Untersuchungsausschüsse und ordentliche Gerichte. S21 nun zum Plebiszit zu „erheben“ (was Sie nicht tun; jedoch SPD und -was richtig schlimm ist: Grüne), ist post-postdemokratsicher Zynismus.
MfG
Lieber Matthias von Herrmann,
ich finde es gut, eine „offizielle“ Position im Namen der Parkschützer oder der sog. Aktiven Parkschützer zur geplanten landesweiten Voksabstimmung zu hören.
Ich muss aber gestehen, dass ich auch nach mehrmaligen Lesens keine Stringenz in der Argumentation entdecken kann.
Erstens: Du formulierst Bedingungen, unter denen im Rahmen der Volksabstimmung eine „seriöse Entscheidung“ getroffen werden könnte, ergo, weil nichts davon gilt, geschweige denn absehbar ist: diese Volksabstimmung führt zu keiner seriösen Entscheidung, sie ist und bleibt ein „unseriöses Schauspiel“.
Zweitens: Du sprichst Dich dennoch dafür aus, diese Herausforderung anzunehmen und rufst zu einer landesweiten Beteiligung (also: an einem unseriösen Schauspiel) auf, um es „denen da oben“ gemeinsam so richtig zu zeigen, um
drittens schon vorsorglich anzukündigen, im Falle des Scheiterns (eine Mehrheit stimmt anders) es nicht nur „denen da oben“ sondern mithin auch dieser Mehrheit weiter zu zeigen, also, dass Du natürlich nicht plötzlich vom Sinn des Projekts überzeugt bist, aber eben auch nicht vom Votum der nicht vom Gegenteil überzeugten zahlreicheren Anderen.
Wie willst Du dieses Glaubwürdigkeitsdilemma lösen? Und es wird Folgen haben: es wird der Mobilisierung nichts nützen. Die Indifferenten werden sich nicht ernst genommen fühlen und erst recht fortbleiben oder dann lieber anders votieren, und selbst unter den zugeneigten bis eindeutigeren Sympathisanten wird dieser Weg nicht frei von moralischen Skrupeln bleiben. Er wird mehr innere Kraft kosten als freisetzen, diese Prognose will ich wagen. Ein Volk will sich so nicht „nutzen“ lassen.
Schönen Gruß,
zornigst
Wieso sollte das denn eine „offizielle Meinung“ darstellen?
Es handelt sich doch wohl um die persönliche Meinung von Matthias. Gibt es denn überhaupt offizielle Meinungen und kann es solche in einer Basisdemokratie überhaupt geben?
So erklärte der Justizminister und Gegner von S 21 letzens ja, dass die Regierung die Position zur gesetzwidrigen Mischfinanzierung nicht teilt, Matthias vertritt diese gleichwohl weiter.
„Die Indifferenten werden sich nicht ernst genommen fühlen und erst recht fortbleiben oder dann lieber anders votieren, und selbst unter den zugeneigten bis eindeutigeren Sympathisanten wird dieser Weg nicht frei von moralischen Skrupeln bleiben.“
So schwarz würde ich das nicht sehen. An diesem Schwabenstreich werden wohl kaum „Indifferente“ oder lediglich Zugeneigte teilgenommen haben, sondern nur erklärte Gegner von S 21.
Einerseits erklärt er weiter, man habe einen Regierungswechsel erreicht, ruft dann aber gleich wieder auf, es „denen da oben“ mal richtig zu zeigen.