Liebe Freunde in Stuttgart,
ich habe nur drei Jahre in Stuttgart gelebt – ich war Redakteur bei den Stuttgarter Nachrichten – und das ist schon lange, lange her. Aber ich hab noch einen Koffer in Stuttgart! Und wenn ich mir manchmal überlege, ob ich vielleicht doch nach Deutschland zurückkehren sollte, denke ich sofort an Stuttgart.
Ich bin immer noch ein Zeitungsmann. Seit 20 Jahren bin ich Herausgeber der New Yorker Staats-Zeitung und seit vier Jahren auch der California Staats-Zeitung, beides altehrwürdige deutsch-amerikanische Blätter, die ihre Leser auch ausführlich über das Geschehen in Deutschland informieren. Und da mein Herz an Stuttgart hängt, bekommen die Leser der „Staats" öfter etwas über die schwäbische Metropole zu lesen. Es ist schon einige Jahre her, als ich von den Plänen erfuhr, den alten Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu ersetzen. Konkretes war damals in der Presse nicht zu erfahren. So setzte ich einen Mitarbeiter in Deutschland darauf an, Einzelheiten des Projektes zu recherchieren. Ich stellte mir vor, eine große Reportage mit Zeichnungen der Planungen zu veröffentlichen.
Aber die Presseabteilung der Bahn zeigte sich unkooperativ. Der beauftragte Mitarbeiter gab schließlich auf.
Ich vermute, dass ich dabei auf die Wurzel des heutigen Konflikts um Stuttgart 21 gestoßen bin. Mir scheint, dass die Bahn die Öffentlichkeit bewusst darüber im Dunklen gelassen hat, welche Konsequenzen ihre Pläne für Stuttgart haben.
Ich bin mir bewusst, dass es viele Fälle gibt, in denen die Obrigkeit mit Erfolg Städte umgebaut hat gegen den Willen vieler der Betroffenen. Die Boulevards von Paris etwa sind ein Denkmal des Absolutismus. Die Hässlichkeit vieler amerikanischer Städte ist mit darauf zurückzuführen, dass deren Entwicklung von Privatinteressen bestimmt war anstatt von den Planungen einer weitsichtigen Obrigkeit.
Aber in einer Demokratie ist ein so gewaltiges Projekt, welches das Leben so vieler Menschen beeinflusst, selbst von einer noch so wohlmeinenden Regierung nicht durchzusetzen, ohne einen Grundkonsensus herzustellen. Ich gehe außerdem davon aus, dass Stuttgart 21 nicht von einer solchen weitsichtigen Obrigkeit geplant wurde, sondern von Privatinteressen. Aus diesen Gründen hat das Projekt keine solide Basis. Selbst durch eine Volksabstimmung ließe sich dieser fundamentale Konstruktionsfehler nicht beseitigen.
Deshalb begrüße ich es, dass der Schlichter Geissler einen Alternativvorschlag gemacht habe. Dem stimme ich zwar keineswegs zu. Aber ich finde es gut und richtig, dass Alternativvorschläge gemacht und diskutiert werden. Ich lese, dass Geißlers Vorschläge keineswegs neu sind. Und vermutlich sind meine Vorstellungen auch ein alter Hut. Aber wer weiß, vielleicht sind die naiven Ideeen eines Exil-Reingeschmeckten geeignet, die Diskussion in Gang zu bringen, um eine sanftere Lösung zu erzielen.
Dabei will ich von dem Beispiel New York ausgehen (Ich lebe dort nun auch nicht mehr, sondern in Sarasota im Staate Florida, aber ich betrachte mich als New Yorker). Auf Manhattan, gibt es zwei Bahnhöfe, den Kopfbahnhof Grand Central und den Durchgangsbahnhof Penn Station. Die Strecken beider Bahnhöfe sind unterirdisch. Drei Fakten sind wichtig.
1. Als man beide Bahnhöfe baute, hatte das Autozeitalter kaum begonnen. Deshalb kam es nicht in Frage, die Bahnhöfe in einem Vorort zu bauen.
2. Außerdem ist Manhattan eine Insel. Die Brücken sind oft verstopfte Flaschenhälse.
3. Da schon damals Millionen von Menschen auf Manhattan lebten, war es sinnvoll, die Bahnhöfe dort zu bauen und die Bahnstrecken unter die Erde zu verlagern.
Stellen wir nun dem New Zork von 1910 das Stuttgart von 2011 gegenüber:
1. Wir leben im Autozeitalter.
2. Stuttgarts Innenstadt ist keine Insel, sondern ein Landkessel.
3. Stuttgart hat ein relativ kleines Zentrum. Der größte Teil der Bevölkerung lebt und arbeitet in Vororten.
Daraus kann man folgern, dass ein neuer Durchgangs-Hauptbahnhof nicht unbedingt im Zentrum der Stadt liegen muss. Er kann auch am Rande des Kessels liegen. Vielleicht in Echterdingen in der Nähe des Flughafens. Oder vielleicht eignet sich einer der Bahnhöfe in Zuffenhausen oder Untertürkheim zum Ausbau als Hauptbahnhof. Dieser Bahnhof müsste mit den anderen Orten am Rande des Kessels mit Strecken verbunden sein und vielleicht auch mit einer Strecke in die Innenstadt von Stuttgart.
Diese Lösung hat viele Vorteile:
Der neue Hbf. muss nicht unter der Erde gebaut werden.
Die Strecke für den Schnellzug aus Paris nach München kann am Rande des Kessels gelegt werden, sodass der Reisende einen Eindruck von der Stadt hat und ihm Stuttgart nicht als ein Ort unter der Erde in Erinnerung bleibt.
Der neue Hbf. ist günstig gelegen für die Reisenden aus dem Umland, die mit dem Schnellzug fahren wollen. Für diese können Parkplätze angelegt werden, sodass die Reisenden bequem vom Auto auf die Eisenbahn umsteigen können.
Für die Bewohner der Innenstadt ist der neue Hbf gut erreichbar mit der Straßenbahn oder mit dem Auto.
Das Gebäude des alten Hauptbahnhofs kann erhalten bleiben, auch wenn er seine zentrale Funktion verliert.
Die Bäume im Park müssen nicht gefällt werden.
Die Stuttgarter müssen nicht über Jahrzehnte Bauarbeiten in der Innenstadt ertragen.
Das Gelände, welches von den Bahngleisen zum jetzigen Hauptbahnhof beansprucht wird, kann anders genutzt werden.
Und darauf sollten sich die Stuttgarter freuen können. Denn dieses Gelände erlaubt es, Stuttgart zu einem echten, urbanen Zentrum zu machen – ohne das Alte zu zerstören.
Ich stelle mir den Bau eines Wolkenkratzers von atemberaubender Schönheit vor, dessen Bewohner dort leben und arbeiten. Vielleicht können sie in einem Paternoster sogar ihr Elektroauto mit nach oben nehmen!
„Das Alte bewahren – und das Neue bejahen", sollte der Wahlspruch sein. Kultur findet zumeist auf engem Raum statt. Eine echte Metropole ist immer ein Ort mit vielen Menschen auf engem Raum. Eine solche Bebauung würde Stuttgart transformieren zu einem Ort der Dynamik, in der sowohl das Traditionelle und die Moderne seinen Platz haben – mit high tech und Besenwirtschaft.
Liebe Stuttgarter, wenn Ihr diesen Plan übernehmt und ihn durchsetzt, komme ich zurück nach „Stuggi"! (Das soll keine Drohung sein.)
Jes Rau
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Bravo…die Hoffnung stirbt zuletzt!
Die Stuttgarter aus Amerika müssen den Schwaben vorschlagen was es an Alternativen alles noch gibt!?
Da müßte ein Heiner Geißler aufhorchen…schnell zu SMA und Stgt.-Echterdingen eingeben…und…und…und…!
Artaperma – Im jetzigen Tun gestalte ich den Morgen!
Erfrischend :-)! Aber leider geht es genau um die frei werdenden Flächen…seit dem Stresstest und der Reaktion von Herrn Schuster auf das Alternativangebot von Geißler ist mir vollkommen klar, dass das ein Milliardendeal sein muss, den die nur über ihre Leiche aufgeben werden. Da sollte man mal genauer recherchieren, was da verdient wird und vor allem, von wem.
Wo ist das Problem bei nur über ihre Leichen?Prinzip italienische Scheidung!
Ich verstehe Sie nicht. Erst schreiben Sie unter K.F. massiv Pro-S21 Kommentare, jetzt auf einmal Kontra? 2 Herzen schlagen, ach, in Ihrer Brust?
Zur Info an alle: Kopf hoch, Ohrenschützer, nicht weinen, Hans König, Peter Lustig und der Kaiser sind ein und dieselbe Person
Don’t feed the Troll
Endlich kommen auch Kompromisse ins Spiel, auch wenn ich den obigen Vorschlag nicht so zustimmen kann, denn ich bin schwer für die Beibehaltung des Bonatzbaus als Bahnhof. Mein Favorit ist ein Mix aus Geisslerschen Kompromiss und den oben im Text: Fernbahnhof Untertürkheim (Fernverkehr der Verbindung Bruchsal-Ulm) und der jetzige City-Bahnhof (Nahverkehr, endender Fernverkehr)
Bei den endenden fernzügen sehe ich das problem des umsteigens auf andere fernzüge die vielleicht nur tangieren würden …. aber das mit dem nah verkehr finde ich gut!
Tut mir leid, aber ein Bahnhof gehört in die Innenstadt. Wir brauchen in Stuttgart kein zweites Kassel-Wilhelmshöhe – bin dort x-mal umgestiegen und habe Kassel noch nie gesehen…
Da haben Sie auch recht. Aber es betrifft eigentlich nur den aus Singener und Nürnberger Richtung kommenden Fernverkehr. Der aus Singen ist dann auch zusätzlich vom Fernbahnhof Untertürkheim abgeriegelt, ohne eine zusätzliche Querspange. Die anderen Richtungen haben einen gemeinsamen Bahnhof (also der durchgehende und endende Fernverkehr): Untertürkheim (Ulmer Richtung) und Vaihingen/Enz (Bruchsaler Richtung). Wobei Vaihingen auch schon suboptimal ist.
Die Variante ist nicht perfekt, aber man könnte darauf bauen, sie ausbauen
Noch ein Kompromiss Grube will seinen Bahnhof und Geißler und SMA ihren. Mein neuer Vorschlag wäre Prüfen wir doch was ganz neues K21S.Das S steht für sofort bauen!