Rede von Bernd Riexinger, Mitglied des Deutschen Bundestag, auf der 749. Montagsdemo am 17.3.2025
Liebe Freundinnen und Freunde,
letztes Mal hatte ich gesagt, es wäre meine letzte Rede als Bundestagsabgeordneter – das hat nicht geklappt. Vor einigen Wochen hätte jedoch niemand geahnt, dass morgen im Bundestag eine Grundgesetzänderung mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet wird, die eine zusätzliche Verschuldung von einer Billion Euro umfasst.
Weil sich nach der Bundestagswahl die Mehrheitsverhältnisse im Parlament geändert haben, soll noch einmal der alte Bundestag mit Hilfe der Grünen die Schuldenbremse für nur ein einziges Vorhaben aufheben. Nicht für die dringend notwendigen Investitionen in Bahn und ÖPNV, nicht für Bildung, Erziehung, Gesundheit, die Stabilisierung unserer Sozialsysteme, Klimaschutz, Armutsbekämpfung, für bezahlbares Wohnen oder andere wichtige Dinge, die unsere Lebensqualität verbessern und Voraussetzungen für Wohlstand sind, an dem alle teilhaben. Nein, nur für einen einzigen Zweck: Aufrüstung ohne Limit. Alles, was ein Prozent des Bruttosozialproduktes übersteigt, kann über Verschuldung finanziert werden. Geredet wird hier über 500 Milliarden Euro. Und das, obwohl der Etat für die Bundeswehr in den letzten 10 Jahren nahezu verdoppelt und ein sogenanntes Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden für die Bundeswehr eingerichtet wurde. Ursula von der Leyen kündigt gar für die Aufrüstung der EU ein Ausgabenprogramm von 800 Milliarden Euro an.
Ich weiß, dass seit dem völkerrechtswidrigen Angriff von Russland auf die Ukraine viele Zweifel zu Abrüstung und Friedenspolitik und dem Stopp von Waffenlieferungen aufgekommen sind und vorherige Gewissheiten brüchig wurden. Ich möchte hier kurz einige Gründe nennen, warum ich und meine Gruppe diese Grundgesetzänderung ablehnen werden.
- Die europäische Union steht nicht wehr- und verteidigungslos da. Sie gibt 430 Milliarden Euro pro Jahr für die Rüstung aus. Russland 320 Milliarden – also über 100 Milliarden weniger, und das ist preis- und inflationsbereinigt.
- Mit den Aufrüstungsprogrammen wird ein neues weltweites und gefährliches Wettrüsten in Gang gesetzt, das unsere Sicherheit nicht erhöht, sondern im Gegenteil, die Kriegsgefahr vergrößert.
- Es ist nicht so, dass die Haltung von Trump zum Ukraine-Krieg völlig überraschend kam. Zur Einordnung: Wir erleben gerade eine gefährliche Phase des offenen Imperialismus, in der das Recht des Stärkeren gelten soll. Kein Völkerrecht, keine Regeln, keine UN-Beschlüsse, die Negierung internationaler Organisationen. Es geht offen ums Geschäft, um die Ausbeutung von Ressourcen, um die Verteilung der Welt in drei Einflusszonen – China, USA und EU. Deshalb Trumps Kehrtwende in der Ukrainepolitik. Russland soll aus der engen Allianz zu China herausgebrochen werden. Unter diesen Bedingungen und zusätzlich zu erwartenden Konflikten bräuchten wir dringend ein weltweites System der Kooperation, der Verhandlungen, der Stärkung internationaler Regeln und Institutionen. Und nicht einen neuen Rüstungswettbewerb.
- Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Land nicht kriegstüchtig, sondern friedenstüchtig gemacht werden muss. Noch nie in den letzten 40 Jahren habe ich eine solch massive militaristische Stimmung über fast alle Parteien hinweg erlebt, wie derzeit.
- Bei der Ukraine müssen wir schnellsens in Verhandlungen und einen Waffenstillstand kommen. Das Sterben und die Verletzung von Millionen Menschen muss dringend beendet werden. Ohne Verhandlungen läuft die Ukraine Gefahr, den Krieg zu verlieren und die besetzten Gebiete mit.
- Wir brauchen dringend Investitionen in Kitas, Bildung, Gesundheit, Bahn, ÖPNV, bezahlbares Wohnen, in die soziale Infrastruktur, nicht in noch mehr Panzer, Raketen und anderes Rüstungsgerät. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass wir uns für die Aufrüstung verschulden – Schulden, die zurückbezahlt werden müssen. Geld, das an anderer Stelle fehlen wird.
Der zweite Teil der Entscheidung morgen umfasst ein Sondervermögen von weiteren 500 Milliarden in ein Investitionsprogramm für die nächsten 10 Jahre, in Klimaschutz und Infrastruktur. 100 Milliarden für Klimaschutz war der Preis für die Zustimmung der Grünen zum größten Rüstungsprogramm der Nachkriegszeit. 100 Milliarden erhalten die Länder und Kommunen, und sie können sich in gleicher Höhe, wie der Bund, neu verschulden. Die Chance jedoch, eine wirkliche Reform der investitionshemmenden Schuldenbremse durchzusetzen, wurde mit der Zustimmung der Grünen versäumt.
Im Prinzip ist es völlig richtig, massiv in die Infrastruktur zu investieren. Leider ist völlig unklar, was das heißt: Z.B. ist an keiner Stelle von bezahlbarem Wohnen die Rede – zweifellos eines der größten sozialen Probleme, von Kitaplätzen, mehr Personal in Pflege, Erziehung und Gesundheit, dafür umso mehr von Wettbewerbsfähigkeit und militärischer Infrastruktur. Noch nicht einmal die Finanzierung des Deutschlandtickets ist gesichert.
Liebe Freundinnen und Freunde,
es ist keine Überraschung, dass zwar Geld für Dinge da ist, die unbedingt gewollt sind, für Soziales und soziale Infrastruktur es aber immer fehlt. Offensichtlich fehlt es nicht am Geld, sondern an der gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. So ist es auch keine Überraschung, dass Steuergerechtigkeit und die Einführung einer Vermögenssteuer keine Rolle spielen, auch nicht bei den Sondierungsgesprächen. Dabei ist der Reichtum gerade in Deutschland besonders ungerecht verteilt. Nur einige wenige Beispiele und Zahlen:
- In Deutschland wuchs das Gesamtvermögen der Milliardäre 2024 um 26,8 Milliarden auf 625,4 Milliarden Euro. Die Zahl der Milliardäre um 9 auf 130.
- Jeden Tag wuchs das Vermögen eines Milliardärs um 2 Millionen Euro, während 14 Millionen Menschen arm sind.
- 3300 Superreiche besitzen in Deutschland 23 Prozent des gesamten Vermögens, während 50 Prozent der Bevölkerung gerade mal 2,3 Prozent besitzen und 20 Prozent gar nichts.
- 10 Prozent der Reichsten besitzen 60 Prozent des Gesamtvermögens, netto nach Abzug der Schulden. 1 Prozent der Reichsten besitzen 30 Prozent.
- Die Schere zwischen arm und reich ist enorm auseinander gegangen. 1993 hatte die reichsten 10 Prozent 50-mal mehr Vermögen als die ärmere Hälfte, 2018 waren es dann 100-mal mehr.
- 77 Prozent der Vermögen werden vererbt, nicht erarbeitet, sind also leistungslos erworben durch Gnade der reichen Geburt.
Eine kleine Nebenbemerkung: Unter dem Eindruck dieser Zahlen ist es völlig angemessen, dass die Kollegen und Kolleginnen von ver.di für eine angemessene Lohn- und Gehaltserhöhung und für bessere Arbeitsbedingungen streiken.
Bei der Einführung einer Vermögenssteuer von 1 Prozent, bei einem Freibetrag von 1 Million – keine Ahnung wie viele hier betroffen wären – und 5 Prozent ab einem Vermögen von 50 Millionen, würden jedes Jahr 108 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen gespült. Mehr als doppelt so viel wie das morgen zu beschließende Investitionsvolumen von 500 Milliarden, das ja auf 10 Jahre gestreckt ist. Seit 28 Jahren ist die Vermögenssteuer in Deutschland ausgesetzt. Wir sind eines der wenigen wirtschaftlich starken Länder, die keine Vermögenssteuer kennen. Es wird Zeit, dass Steuergerechtigkeit wieder auf die Agenda der Politik gesetzt wird!
Liebe Freundinnen und Freunde,
immer mehr Menschen wird der Alltag erschwert, weil die soziale Infrastruktur am Boden liegt. Wenn der Kitaplatz nicht im Stadtteil angeboten wird, wenn es Wochen dauert, um einen Termin im Bürgerbüro zu erhalten oder Monate bei der Ausländerbehörde, wenn die Suche nach Wohnraum zum Alptraum wird, wenn Busse und Bahnen nicht pünktlich kommen oder überhaupt nicht, wenn ein Facharzttermin zum Lotteriespiel wird, wenn der Stress, dein Kind durch die Schule zu bringen, immer größer wird, dann belastet das den Alltag. Wut und Unzufriedenheit nehmen zu. Das ist auch ein Nährboden für die Rechtsradikalen. Deshalb muss nachhaltig in die soziale Infrastruktur investiert werden, damit das Leben der Menschen erleichtert und besser wird. Dafür brauchen wir das Geld der Reichen und Superreichen, die nach der 100-Meter-Yacht nicht noch eine mit 200 Meter brauchen, und nach der 10. Villa nicht noch die 11. Und auch keinen Privatflug zum Mond oder Mars, obwohl es bei Elon Musk nicht so schlecht wäre mit dem Flug zum Mars. Sie sollen stattdessen endlich einen gerechten Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwohls leisten müssen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
und wir brauchen auch keinen unterirdischen Bahnhof, der über 11 Milliarden kostet und hinterher weniger Bahnverkehr auf die Schiene bringt als der Alte. Wir brauchen endlich eine funktionierende Bahn und einen funktionierenden ÖPNV, den mindestens doppelt so viele Menschen nutzen wie heute. Wir brauchen nicht noch mehr Autobahnen, Bundesfernstraßen, noch mehr versiegelte Flächen. Wir brauchen auch nicht mehr PS-starke Verbrennerautos auf den Straßen.
Es ist sicherlich richtig, wenn ein erheblicher Teil des sogenannten Sondervermögens für die Sanierung der Infrastruktur der Bahn verwendet werden soll. Wir brauchen jedoch keine Bahn, die den größten Teil ihrer Mittel für Großprojekte, für immer längere Tunnels und aufwendige Schnellstrecken verschleudert, sondern eine gut ausgebaute Flächenbahn, die die Menschen zuverlässig und bequem mit kurzen Taktzeiten von A nach B transportiert, und zwar mit niedrigen Ticketpreisen und Nulltarif für einkommenslose oder einkommensarme Gruppen der Gesellschaft.
Wir brauchen fußgänger- und fahrradfreundliche Städte und Kommunen der kurzen Wege. Städte, die nicht zubetoniert werden, und eine Stadtpolitik, bei der nicht jeder Fahrradweg, jeder stillgelegte Parkplatz und jede verkehrsfreie oder verkehrsarme Zone als Anschlag auf die Menschenrechte der Autofahrer begriffen wird. Also keine Stadtpolitik, wie sie unser Oberbürgermeister Nopper gerne haben will.
Wir brauchen Investitionen, die für die laufende Sanierung von Bahn und ÖPNV ausreichend bemessen sind. Es ist absurd, dass das Schienennetz so marode gespart wurde, dass ganze Strecken über Monate oder gar ein halbes Jahr komplett gesperrt werden, um sie zu sanieren. Das wird dann Generalsanierung genannt. So als würde man Autobahnen für 6 Monate komplett sperren, wie es bei der Riedbahn gemacht wurde. Oder die ständigen S-Bahn-Sanierungen in unserer Region, die teilweise zu kompletten Streckensperrungen führen. So kann man den Menschen die Lust an der Bahn und am ÖPNV auch verleiten.
Das Ziel muss auch sein, dass sowohl Strecken für den Güter- als auch für den Personenverkehr ausgebaut werden. Dazu gehört auch die Reaktivierung von Strecken und nicht deren Kappung und Reduzierung, wie es für die Gäubahn geplant ist. Ich gehe mal davon aus, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Wir werden auf alle Fälle keine Ruhe geben, dass der Beschluss dieser unsinnigen Kappung nicht umgesetzt wird.
Und dazu gehört auch, dass die Bahn ihre Bahnhöfe und Grundstücke nicht privatisiert und zu Schleuderpreisen verkauft, wie das in den letzten Jahrzehnten tausendfach passiert ist. Im Gegenteil: Strecken müssen reaktiviert, stillgelegte Bahnhöfe wieder in Betrieb genommen werden. Die Bahnhöfe dürfen auch nicht zu seelenlosen und teilweise heruntergekommenen Gebäuden verkommen, sondern Plätze werden, an denen man sich gerne aufhält und die man nicht am liebsten schnell wieder verlässt.
Deshalb werden wir weiter dafür eintreten und kämpfen, dass die positiven Veränderungen beim Paragrafen 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes nicht wieder rückgängig gemacht werden, wie es die CDU gerne haben will, damit man die Gleisvorflächen endlich zubetonieren kann. Ich hoffe, die SPD macht dabei nicht mit, genauso wenig wie bei der von den Konservativen geplanten Heraustrennung des Infrastrukturbereiches in eine eigene GmbH. Bei allen Bahnen, die funktionieren, sind Infrastruktur und Bahnbetrieb in einer Bahngesellschaft zusammen. Wir brauchen nicht mehr Markt und Wettbewerb bei der Bahn und beim ÖPNV. Im Gegenteil, Mobilität muss Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein, am Gemeinwohl orientiert und ist eine explizit öffentliche Aufgabe. Privatisierungen oder eine profitorientierte AG sind dort völlig fehl am Platz.
Liebe Freundinnen und Freunde,
ihr seht, die Beschlüsse morgen werden nicht dem Gemeinwohl dienen. Deshalb gibt es viel zu tun und allen Grund, weiter zu protestieren. Für den Erhalt des Kopfbahnhofes, für eine andere Bahnpolitik, aber auch für Frieden und Abrüstung, gegen die Militarisierung der Politik und Gesellschaft. Und nicht zuletzt: für eine sozial gerechte, klimagerechte und solidarische Gesellschaft!
Ich danke für Eure Aufmerksamkeit!
Oben bleiben!