Rede von Peter Grohmann, Kabarettist, Autor und Publizist, auf der 739. Montagsdemo am 30.12.2024
Hochverwehte Gemeinde der 21 Klugheiten! Ich beginne mit Eurem Freund Bertolt Brecht, der uns diese Verse schenkte über die „Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des Laotse in die Emigration“. Wie treffend!
Als er 70 war und war gebrechlich
drängte es den Lehrer doch nach Ruh
denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete den Schuh.
Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das.
So die Pfeife, die er immer abends rauchte
und das Büchlein, das er immer las.
Weißbrot nach dem Augenmaß.
Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es
als er ins Gebirge den Weg einschlug.
Und sein Ochse freute sich des frischen Grases
kauend, während er den Alten trug.
Denn dem ging es schnell genug.
Doch am vierten Tag im Felsgesteine
hat ein Zöllner ihnen den Weg verwehrt:
„Kostbarkeiten zu verzollen?“ – „Keine.“
Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach:
„Er hat gelehrt.“
Und so war auch das erklärt.
Doch der Mann in einer heitren Regung
fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“
Sprach der Knabe: „Dass das weiche Wasser in Bewegung
mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt.“
Dass er nicht das letzte Tageslicht verlöre
trieb der Knabe nun den Ochsen an
und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre
da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann
und er schrie: „He, du! Halt an!
Was ist das mit dem Wasser, Alter?“
Hielt der Alte: „Interessiert es dich?“
Sprach der Mann: „Ich bin nur Zollverwalter
doch wer wen besiegt, das interessiert auch mich.
Wenn du's weißt, dann sprich!
Schreib's mir auf! Diktier es diesem Kinde!
Sowas nimmt man doch nicht mit sich fort.
Da gibt's doch Papier bei uns und Tinte
und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.
Nun, ist das ein Wort?“
Über seine Schulter sah der Alte
auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.
Und die Stirne eine einzige Falte.
Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.
Und er murmelte: „Auch du?“
Eine höfliche Bitte abzuschlagen
war der Alte, wie es schien, zu alt.
Denn er sagte laut: „Die etwas fragen
die verdienen Antwort.“ Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.“
„Gut, ein kleiner Aufenthalt.“
Und von seinem Ochsen stieg der Weise
7 Tage schrieben sie zu zweit
und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise
mit den Schmugglern in der ganzen Zeit)
Und dann war's soweit.
Und dem Zöllner händigte der Knabe
eines Morgens 81 Sprüche ein.
Und mit Dank für eine kleine Reisegabe
bogen sie um jene Föhre ins Gestein.
Sagt jetzt: kann man höflicher sein?
Aber rühmen wir nicht nur den Weisen
dessen Name auf dem Buche prangt!
Denn man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt.
Deutschland steht am Abgrund, höre ich. Die Erde ist eine Scheibe – noch einen Schritt, und wir fallen unter Faktenleugner.
Doch was ist eigentlich typisch deutsch?
Ein funktionierender Bahnhof?
Einbahnstraßen? Schrebergärten? Pantoffeln? Ein Besuch im Leonhardsviertel?
Freie Fahrt für freie Bürger? Ein Fassanstich mit Frank Nopper?
Eine der vielen Antworten gab vor 175 Jahren Heinrich Heine, als er aus dem Exil nach Deutschland zurückkehrte und am Ufer des Rheins einer singenden jungen Frau zuhörte.
Nee, nicht Angela Merkel und auch nicht Sara Wagenknecht.
Ein Auszug:
„Sie sang das alte Entsagungslied / Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint / Das Volk, den großen Lümmel...
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text / Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein / Und predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied / O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten.
Den Himmel überlassen wir / Den Engeln und den Spatzen.
So haben wir's gehalten, in diesem Jahr, dem alten. Es haben uns etliche verlassen in den kalten Tagen dieses Jahres, die Uhren waren abgelaufen, die Füße müde von den langen Wegen durchs Leben, von den Krankheiten der Zeit geschlagen, heimgesucht in den Nächten von schweren Träumen, die von übermorgen erzählen. Kritische Zeitgenossen, Bürgerinnen und Bürger, die wussten: Man zockt nicht mit der Demokratie.
Man kritisiert sie, ja. Mit Lust und Spaß und Würde und Kraft und Fakten.
Man kritisiert sie und die Politik, die hinten rauskommt, scharf. Damit schärft man die Republik, die Institutionen, die Verfassung des Landes. Damit schärft man den Widerspruchsgeist der Menschen, die Bereitschaft, auf die Straßen zu gehen, die Plätze zu besetzen und die Häuser, die leerstehen.
Damit stärkt man die Fähigkeiten, einzugreifen zu Gunsten der Bürgerechte, die morgen schon perdu sein können, weil die linke Hand nicht weiß, was die Rechte tut, und weil die Orientierungspunkte fehlen. So entsteht politisches Bewusstsein, das Handlungsoptionen deutlich macht, und uns nicht in Resignation und Schwermut verfallen lässt.
Wir sind es, die dieses Bewusstsein zu schärfen haben! Aber man zockt nicht mit der Demokratie, denn das Ende vom Lied wäre das Ende der Republik.
Irritation statt Orientierung dagegen ist die Devise der rechtsgewickelten Polit-Abenteurer, der Tagdiebe sachgerechter Informationen, der Reichstagsstürmer und Faktenleugner. Sie schüren Angst und Unsicherheit, erzählen Märchen von finsteren Mächten, jeder auf seine Weise: ob nun Multipolar, Michael Meyen, Karl May aus Radebeul, Ken Jebsen, Kauft nicht bei Juden, Götz Kubitschek, Compact, Tichy, Rubikon, die Trommelwirbler für die AfD.
Man zockt nicht mit der Demokratie wie die Merzens und Söders, die grüngestrichene Avantgarde der Oberförster von vorgestern, wie die umgefallenen Sozialdemokraten, die Grauen Wölfe und Wagenknechte der Remigration, die multipolaren Kryptochristen und verkappten Brüder der Karnevalsvereine von Junger Freiheit über Kopp bis zu Tichys Feindblick. Da ist schneller als die Polizei erlaubt der rechtsradikale Mob von morgen auf den Straßen – er stürmt nicht mehr das Capitol, er stürmt die Wahlkabinen, die Rathäuser und Theaterhäuser:
Elon Musk könnte mit 500 Millionen Dollar aushelfen.
Es braucht Vorbereitung und Gefolgschaft, Nationalstolz und Manneszucht, die Abschaffung der Heizungsgesetze und das Reinheitsgebot für deutsches Bier. Und es braucht Banker und Bankrotteure der Demokratie: Elon Musk könnte mit 500 Millionen Dollar aushelfen. Das Angebot steht.
Im Hintergrund stehen schon lange die Verschwörungstheoretiker, die Helfershelfer von Steve Bannon, die Machthaber von Washington über Moskau bis hinein in die Hinterwälder von Thüringen und Trump-hausen: Götz Kubitschek, Pegida.
Elon Musk wird mit 500 Millionen Dollar aushelfen. Das Angebot steht, aber heute ist Ruhetag im Schlachthof der Heiligen Kühe.
Und der Haifisch, der hat Zähne / Und die trägt er im Gesicht
Und Mackie, der hat ein Messer / Doch das Messer sieht man nicht
An ′nem schönen blauen Sonntag / Liegt ein toter Mann am Strand
Und ein Mensch geht um die Ecke / Den man Mackie Messer nennt
Sie leugnen den Klimawandel. Sie leugnen, dass die Regenrekorde und Überschwemmungen, die tödliche Hitze, die Dürren und Wildfeuer, die wir 2024 gesehen haben, leider unsere neue Realität sind.
Ein paar Tage bleiben noch, doch die Fachleute sind sich einig. Sowohl der EU-Klimawandel-Dienst Copernicus als auch die Weltorganisation für Meteorologie der UNO melden: 2024 wird das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Es löst das Vorjahr auf dem „Spitzenplatz“ ab. Mit verheerenden Folgen:
In Indien und Pakistan forderten Hitzewellen Hunderte von Toten. Mehr als 1300 Menschen starben bei der traditionellen Pilgerfahrt Hadsch, als die Temperaturen in Mekka zeitweise auf über 50 Grad stiegen.
Da hilft kein Bitten und kein Beten – die Nachricht stimmt: Der liebe Gott ist aus der Kirche
ausgetreten.
„Alles musste selber mache, Peta“. würde meine Om Glimbzsch in Zittau jetzt sagen. Sich zu engagieren, anderen zu helfen, auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen – all das ist leider nicht selbstverständlich. Aber deshalb stehen wir hier: Um es verständlich und selbstverständlich zu machen. All das tun wir unabhängig, überparteilich, wir tragen die Kosten selbst spendenfinanziert und offen und frei, weil wir uns unsere Unabhängigkeit etwas kosten lassen.
Die kapitalistischen Gesellschaften von Peking über Washington, von Berlin und Moskau haben den Seh- und Webfehler: Profit auf Teufel komm raus.
Und die Herrschaften, die die Herrschaft ausüben über Autobahnen und Stadtentwicklung, über Fahrradwege und Krankenhäuser und Bundesbahnen und Bürgergeld und Frieden und Wohlstand, kriegen die Hausaufgaben nicht hin:
In Deutschland fehlen 800.000 Wohnungen, tausende Brücken sind marode, Straßen, Schienen, Digitalnetze und Schulgebäude in einem schlechten Zustand.
So verspielt unser Land seine Zukunft.
Ich könnte mit Dutzenden weiteren Beispiele fortfahren – vom Schwindel des Bürgergeldes über die Versprechen von Kindergartenplätzen, von sozialer Sicherheit, von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und der Würde der Menschen, die in den Regierungszeiten verlorengegangen ist.
Könnten wir also die Hände in den Schoß legen und sagen: Na und, das war's?
Nein.
Denn wir sind vernunftbegabte Wesen.
Deshalb kommen wir nächstes Jahr wieder.
Mit wärmenden Jacken
und Tränen in den Augen für alle, die nicht mehr aufstehen können.
Gebt niemals auf.
Hört nie auf zu versuchen,
die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Ihr habt die Macht.
https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/180893/das-braune-netz/
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