Rede von Ruben Neugebauer, Sea-Watch, auf der 738. Montagsdemo am 23.12.2024
Ihr Lieben,
es freut mich sehr, dass ihr noch da seid, auch nach all den Jahren und trotz allem. „Solidarität – heißt dran bleiben“, niemand weiß das besser als ihr, und ich werde heute darüber sprechen, was das für mich bedeutet.
Ich war noch in der Schule, als ich das erste Mal hier in Stuttgart auf der Montagsdemo war – und die Gründe, warum wir auch heute noch hier stehen, sind leider nicht weniger geworden: Klimakatastrophe, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, Trump, Musk, Rechtsruck auch hierzulande, und jedes Mal, wirklich jedes Mal, wenn Jens Spahn den Mund aufmacht, kommt eine menschenverachtende Forderung raus – die die Grünen dann wenig später etwas abgeschwächt und mit Bauchschmerzen umsetzen.
Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zum Beispiel, hat die Ampelregierung Grundrechtsverletzungen ermöglicht, die sich Horst Seehofer nicht mal in seinen kühnsten Träumen zu wünschen getraut hätte.
Das Grundrecht auf Asyl im Grundgesetz, die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sind keine business opportunities, die man nutzen oder liegen lassen kann wie es einem gerade passt, nein, Herr Spahn, die Europäische Menschenrechtskonvention ist kein Maskendeal – und genau wegen korrupten Demagogen wie Ihnen, Herr Spahn, haben die Autoren des Grundgesetzes extra dazu geschrieben, dass die Grundrechte unveräußerlich sind! Diese Grundrechte sind nach dem Zweiten Weltkrieg aus gutem Grund geschaffen worden, und wir werden nicht zulassen, dass dieses Fundament friedlichen Zusammenlebens weiter ausgehöhlt wird.
Es gibt wohl auch wenig Geschichtsvergesseneres, als wenn ausgerechnet im Land der Täter eine Abschiebeoffensive stattfindet. Es wird mittlerweile aus dem Kirchenasyl abgeschoben, es werden Jugendliche kurz vor dem Schul- oder Ausbildungsabschluss abgeschoben und es wird aus Frauenhäusern abgeschoben – aus Frauenhäusern! Da brauch ich gar kein Brechmittel, Olaf, um das zum Kotzen zu finden. Apropos Brechmittel, Olaf – die Menschenverachtung in weiten Teilen der SPD ist nicht neu, bereits 2001 wurde Achidi John durch einen Brechmitteleinsatz der Hamburger Polizei getötet, den der CumEx-Lügenkanzler Olaf Scholz angeordnet hatte, da komme ich später nochmal drauf.
Und wenn heute ein Interview im Spiegel mit Angela Merkel vernünftiger und menschlicher klingt als das mit Felix Banaszak zum Amtsantritt als Grünenvorsitzender im ZDF, dann wissen wir ganz genau, was im Bereich Menschenrechte von einer Schwarz-Grünen Regierung zu erwarten ist. Ich sag´s ungern, aber: Die Merkel-Seehofer Regierung hat am Ende eine humanere Bilanz als das, was jetzt auf uns zu kommt, egal ob BlackRock mit Rot oder Grün regiert.
An dieser Stelle eine kleine Erinnerung: Es heißt „die Würde des Menschen ist unantastbar“, nicht die Würde der Fachkraft und auch nicht die Würde des deutschen Passinhabers, sondern tatsächlich die Würde des Menschen! Damit sind alle gemeint, alle!
Auch die Bürgergeld-Empfänger*innen, auch die Geflüchteten und – ja auch die, die Straftaten begangen haben, und das verdammt nochmal, genau das ist die Grundlage der freiheitlich demokratischen Grundordnung, dass die Grundrechte in unserer Verfassung auch für Straftäter gelten, genau das ist das Fundament unseres Rechtsstaats, genau das unterscheidet uns von den Diktaturen dieser Welt und genau das, genau das gilt es zu verteidigen, und ich weiß nicht, warum das bei Felix Banaszak nicht in seinen Lockenkopf hinein geht!
Wer Vergewaltiger und islamistische Gefährder nach Afghanistan abschieben lässt, wo sie sofort freigelassen werden, anstatt sie hier einem rechtsstaatlichen Verfahren zuzuführen, der sorgt nicht für Sicherheit, sondern der trägt einfach nur seine Verachtung gegenüber den Frauen in Afghanistan zur Schau, die unter dem Terrorregime der Taliban ohnehin schon genug zu leiden haben.
Das sind übrigens die gleichen Leute, die bis vor wenigen Tagen auch noch zu Assad nach Syrien abschieben wollten, ein Diktator, der eine Menschenpresse betrieben hat. Eine Menschenpresse – ich weiß, dass man mit KZ-Vergleichen vorsichtig sein muss, aber die Bilder, die mir befreundete Reporter*innen vor zwei Wochen aus Sednaya geschickt haben, haben mich an genau die Bilder erinnert, die wir alle aus dem Geschichtsunterricht kennen.
Ein Bekannter von mir, der die Folter des Assad-Regimes überlebt hat, wurde mit einer Methode gefoltert, die „Deutscher Stuhl“ heißt. Alois Brunner von der SS war es, der Assads Vater in Bezug auf Foltermethoden beraten hat, und genau dorthin wollte das braun-blau-schwarze Bündnis Spahn-Weidel abschieben.
Die Doppelmoral zeigt sich übrigens auch daran, dass diejenigen, die tatsächlich etwas gegen islamistische Verbrechen unternehmen, allein gelassen werden. Mit CADUS (CADUS e.V. – Redefine Global Solidarity), einer Hilfsorganisation, für die ich mittlerweile arbeite, haben wir längere Zeit ein Krankenhaus in Al-Hol in Nordost-Syrien betrieben. Dort gibt es ein großes Gefängnis voller IS-Verbrecher, darunter auch Deutsche, die schwerste Straftaten begangen haben, Kriegsverbrecher, Mörder, Vergewaltiger. Sehr gerne würde die Regionalverwaltung dort diese deutschen IS-Verbrecher nach Deutschland abschieben, bevor sie von Kriegsverbrecher Erdogan und seinen Milizen wieder frei gebombt werden – und guess what: Deutschland nimmt sie nicht zurück.
Dass dann auch noch Annalena Baerbock nach einem Treffen mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan fordert, die Demokratischen Kräfte Syriens zu entwaffnen, diejenigen also, die den IS niedergeschlagen haben, ist besonders zynisch, wenn man bedenkt, dass die Leopard-Panzer für die bisherigen Angriffskriege gegen die demokratische Selbstverwaltung, etwa in Afrin, aus Deutschland geliefert wurden. Am selben Tag hat Erdogan übrigens mit einer Drohne zwei Journalist*innen ermorden lassen. Anstatt deswegen aber Sanktionen zu verhängen, reist Ursula von der Leyen zu Erdogan mit Milliarden im Gepäck, damit Erdogan weiter bei der Flüchtlingsabwehr mithilft. Das hängt zusammen!
Von dem, was wir mit Sea-Watch auf dem Mittelmeer erleben, habe ich noch gar nicht angefangen, und ich habe auch noch nicht von denen erzählt, denen in Griechenland absurde Haftstrafen von teils mehreren hundert Jahren drohen, lediglich weil sie zum Beispiel ein Fluchtboot gesteuert oder übersetzt haben. Das sind keine Schlepper, das sind selbst Flüchtende, die ihr Leben riskieren, weil sie sich nichts weiter wünschen als ein Leben ohne Angst.
Es sind wahrlich dunkle Zeiten gerade. Sowohl global, als auch hier bei uns: aber was tun?
Ein Verbot der AfD ist selbstverständlich längst überfällig, aber wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, dass die AfD unser Hauptproblem ist, das sollten wir diesen Faschisten nicht zugestehen. Die AfD ist natürlich schlimm und macht alles schlimmer, aber sie ist nicht der Auslöser, sondern das Symptom einer vergifteten und entmenschlichenden Debatte, die schon längst begonnen hatte, als Olaf Scholz den Brechmitteleinsatz angeordnet hat.
Als jemand, der an der Potsdamer Correctiv-Recherche beteiligt war, und der genau heute vor einem Jahr um diese Zeit vor dem Computer saß und Bilder vom Parkplatz des Landhauses Adlon ausgewertet hat, habe ich mich natürlich über die massiven Demokratie-Proteste gefreut, die die Veröffentlichung ausgelöst hat. Was in der allgemeinen Empörung aber weitgehend untergegangen ist, ist daß bei dieser Wannseekonferenz 2.0 auch CDU-Mitglieder am Tisch saßen.
Und was ich jetzt sage, geht auch an Felix Banaszak von den Grünen, der in seinem Interview beim ZDF genau die Logik von den guten und schlechten Ausländern übernommen hat, von denen man die einen braucht und die anderen eben abschiebt. Wer dem Rechtsruck dadurch begegnet, selbst nach rechts zu rücken, der hilft nicht zu mäßigen, sondern der ist Teil des Rechtsrucks, der ist Teil des Problems, der ist eine Gefährdung für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat, egal ob mit oder ohne Bauchschmerzen.
Es sind wahrlich dunkle Zeiten gerade, aber ich kann Euch sagen, seit diesem Samstag wird es wieder heller – jeden Tag etwas mehr als eine Minute ab jetzt. Und Weihnachten ist das Fest der Hoffnung. Ich bin selbst nicht gläubig, aber als mir eine Freundin vor ein paar Tagen ein Video davon geschickt hat, wie in Homs die Weihnachtsbeleuchtung an einem riesigen Weihnachtsbaum eingeschaltet wurde, und Syrer*innen verschiedenster Glaubensrichtungen gemeinsam gefeiert haben, da hat mir das tatsächlich Hoffnung gegeben.
Am 8. Dezember hat meine Freundin und Genossin Luna Ali, die bei uns, bei Sea-Watch arbeitet, und die als syrische Kurdin in Aleppo geboren wurde, auf Instagram ein Bild gepostet mit einem Graffiti aus Idlib, das sich mit den Black-Lifes-Matter-Protesten 2020 weltweit solidarisierte. Sie schrieb dazu mit Bezug auf die Bilder von weinenden und feiernden Syrer*innen, die an diesem Tag allgegenwärtig waren: „Lasst Euch nicht täuschen: Diese Tränen sind Tränen der Freude – und des Schmerzes. Es sind auch Tränen der Angst. Aber das erste Mal sind diese Tränen frei, das zu sein, was sie sein wollen. Die Menschen in Syrien haben sich immer wieder mit den Bewegungen und Kämpfen weltweit solidarisiert, jetzt muss die Welt endlich auch ihnen Solidarität zeigen.“
Solidarität aber heißt: „dran bleiben!“ Ich habe meine Rede damit begonnen.
Diesen Spruch haben meine Freund*innen von Adopt a Revolution bereits 2017 auf ein Plakat geschrieben. Da hatte Assad gerade die Zivilbevölkerung in Syrien mithilfe von Putins Terrorarmee in Grund und Boden gebombt, und kaum jemand hatte noch Hoffnung.
Aber Solidarität heißt eben dran bleiben: Adopt a Revolution hat weitergemacht und zum Beispiel in Idlib Frauenzentren betrieben. Adopt ist auch mit all ihren Partner*innen, die überlebt haben, in Kontakt geblieben, und vor wenigen Tagen haben wir gemeinsam die Befreiung von Sednaya gefeiert. Wenig in meinem Leben hat mich so berührt wie genau die Mischung aus Freude und Tränen meiner syrischen Freund*innen am 8. Dezember, die Luna beschrieben hat.
Sie sind es, die wir fragen müssen, wenn wir wissen wollen, wo es hin führt, wenn die Würde des Menschen wie hier aktuell durch den Rechtsruck, antastbar wird. Sie müssen wir fragen, wenn wir wissen wollen, was der Verlust von Freiheit bedeutet (und nein, damit meine ich kein Tempolimit auf der Autobahn)! Aber vor allem müssen wir jetzt mit ihnen feiern, allein schon um mal wieder zu spüren, dass sich das Dranbleiben lohnt.
Natürlich heißt das nicht, dass in Syrien jetzt alles gut ist: Erdogans terroristische Milizen bedrohen die Selbstverwaltung im Nordosten, und auch al-Dscholani und die HTS müssen zeigen, dass sie das, was sie sagen, auch umsetzten. Natürlich haben viele in Syrien auch Angst vor dem, was jetzt kommt, aber zum ersten Mal seit Jahren gibt es realistische Gründe zur Hoffnung darauf, dass es besser wird, und gerade deshalb heißt Solidarität auch: jetzt dran bleiben.
Dafür möchte ich Euch ein paar Optionen an die Hand geben, wo ihr Euer Weihnachtsgeld besser investieren könnt, als es mit unseren Steuern in dem Milliardengrab da hinten geschieht: Während wir hier die Festtage vorbereiten, sind meine Freund*innen von Adopt a revolution bereits überall in Syrien unterwegs, um die progressiven und demokratischen Partner*innen endlich persönlich zu besuchen, die all die Jahre drangeblieben sind, und die jetzt das freie Syrien aufbauen müssen, die werden Eure Unterstützung gut brauchen können.
Während aber in Syrien gefeiert wird, dürfen wir auch die Menschen an den Orten nicht vergessen, wo es keinen Grund zum Feiern gibt: Etwa in Gaza. Ich arbeite mittlerweile für die bereits erwähnte Hilfsorganisation CADUS, die in Gaza medizinische Hilfe leistet, und was unser Team dort erlebt, stellt alles in den Schatten, was ich in all meinen Jahren als Kriegsreporter und als humanitärer Helfer erlebt habe. Kolleg*innen von mir sind auch jetzt über die Feiertage dort, um als Ärzt*innen oder Sanitäter*innen zu helfen – übrigens auch, weil die Präsenz von ausländischen Helfer*innen unter UN-Mandat einfach das Risiko senkt, dass Krankenwägen und Krankenhäuser weggebombt werden, so perfide ist das Vorgehen dort.
Anstatt sich über den Nahostkonflikt zu zerstreiten, spendet also lieber für CADUS, da macht ihr nix falsch. Und auch sonst gibt es jede Menge Möglichkeiten, sich einzubringen, auf Instagram hab ich zu all den angesprochenen Themen ein paar Projekte vorgestellt, die mir besonders wichtig sind und für die ich meine Hand ins Feuer lege. Da sind die dann auch gleich verlinkt, so dass ihr das Spendenformular findet: https://www.instagram.com/p/DD2LX_VM1qJ/?hl=de&img_index=1
Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu tun, auch wenn die Tage dunkel sind. Spenden sind natürlich nicht das einzige. Nicht nur jetzt zu Weihnachten, sondern vor allem auch mit Blick auf den Wahlkampf heißt ‚dranbleiben‘ auch, in die Diskussion zu gehen und zwar gerade in die, die weh tun.
Und ja, auch wählen sollten wir gehen, denn wie Fridays for Future gesagt hat: Wählen ist wie Zähneputzen, macht mans nicht, wird’s braun. Ich werde zum Beispiel dieses Mal die Linke wählen, weil es die einzige Partei ist, die beim Rechtsruck nicht mitmacht und die Menschenrechte nicht leichtfertig vor den Bus wirft. Mit der Grundmandatsklausel hat die Partei eine realistische Chance einzuziehen, da zählt also jede Stimme.
Eure Stimme brauchen wir aber auch generell, wenn die Stimmung in der Gesellschaft kippt, lasst Rassismus nicht unwidersprochen – egal, ob er vom Schaffner im Zug, von der Polizei oder vom Onkel beim Weihnachtsessen ausgeht: Lasst das nicht einfach geschehen, bleibt auch in solchen Situationen dran.
Und denkt daran: Es wird jetzt jeden Tag wieder etwas heller.
Mit Blick auf die Bundestagswahl, Trumps Amtsantritt im Januar und alles, was da kommen mag, sage ich: Solidarität heißt dran bleiben. Lasst Euch und lasst uns nicht unterkriegen, lasst Euch nicht untertunneln, lasst rassistische Kommentare beim Weihnachtsessen nicht unwidersprochen und lasst nicht zu, dass aus Eurer Nachbarschaft abgeschoben wird.
In diesem Sinne einen guten Abend und ein frohes Fest euch allen!
Wir sehen uns 2025 und bleiben gemeinsam dran – und oben!