Keine Demontage der Gäubahn!

Rede von Andreas Frankenhauser, Pro-Gäubahn-Bündnis Tuttlingen, auf der 735. Montagsdemo am 2.12.2024

Liebe Stuttgarterinnen und Stuttgarter, liebe Freundinnen und Freunde eines funktionierenden Bahnverkehrs,

mein Name ist Andreas Frankenhauser. Ich darf zu Ihnen heute sprechen als Mitglied des Landes-Pro Gäubahn-Bündnisses. Vielen wird dies vielleicht wenig sagen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die Stuttgarter Presse- und Medienlandschaft schweigt uns seit Monaten konsequent tot.

Dabei tut sich seit über einem Jahr enorm viel entlang der Gäubahn. Die Gäubahn, das wissen Sie sicherlich, ist die internationale Fernverkehrsverbindung, die Stuttgart mit dem namensgebenden Gäu, mit Rottweil, Tuttlingen, Singen, dem westlichen Bodenseeraum, Zürich und Norditalien verbindet. Diese Gäubahn war einst eine stolze Magistrale mit Direktverbindungen nach Berlin, Mailand, Rom und Neapel. Bis Anfang der 1990er Jahre konnte man noch in Stuttgart in den Nachtzug steigen und dann über die Gäubahn im Nachtsprung bis Rom und Neapel fahren. Bis 2010 gab es noch ICE-Verkehr auf der Gäubahn, der Stuttgart mit Zürich um 17 Minuten schneller verband. Das alles ist Geschichte. Die Gäubahn hat in den letzten 20 Jahren einen unglaublichen Abstieg und Bedeutungsverlust erlebt: ICE weg! Italienverkehr weg! Fahrzeit erhöht und inzwischen nicht mehr konkurrenzfähig zur parallel verlaufenden Bundesautobahn A81.

Dieser Abstieg steht im krassen Gegensatz dazu, was den Gäubahn-Anliegern im Zuge von Stuttgart 21 versprochen wurde! Mit S21 sollte nämlich alles besser werden! Das war der Tenor, den man überall entlang der Gäubahn zur Volksabstimmungszeit vernahm. Die Gäubahn sollte nämlich mit S21 nicht nur über den Flughafen an den S21-Tiefbahnhof angeschlossen werden. Nein! Bis zur vollständigen Inbetriebnahme von S21 im Jahr 2019 sollte die Gäubahn außerdem zweigleisig ausgebaut und beschleunigt werden. Die Gäubahn sollte dank S21 endlich leistungsfähiger und schneller werden. Das 1946 von der französischen Besatzungsmacht demontierte zweite Gleis zwischen Horb und Tuttlingen sollte endlich wieder verlegt werden. Dank S21 sollte die Gäubahn also einer blendenden Zukunft entgegen gehen! Der Abstieg der Strecke sollte endlich dank S21 gestoppt werden!

Diese Vorgeschichte muss man verstehen, um zu begreifen, warum der Unmut, ja die Wut entlang der Gäubahn gerade so groß ist. Nichts von den Versprechen der S21-Propagandisten von damals ist eingehalten worden. In Sachen zweigleisiger Ausbau ist so gut wie nichts passiert. Lediglich ein winziger Abschnitt zwischen dem Bahnhof Horb und dem Horber Stadtteil Neckarhausen ist tatsächlich ausgebaut worden. Auch von der versprochenen Beschleunigung ist nichts zu spüren. Von den Fahrzeiten, die es auf der Gäubahn vor 25 Jahren noch gab, ist die Strecke heute weit weg. Die Geschwindigkeiten sind heute deutlich niedriger. Man ist länger unterwegs und die Gäubahn verliert weiter Marktanteile an die gut ausgebaute Autobahn A81. Am krassesten ist das S21-Versprechen aber beim geplanten Flughafen-Anschluss gescheitert. Der sollte zunächst über die Filder-S-Bahn-Strecke erfolgen. Diese Planung war aber so hundsmiserabel schlecht, dass diese nach 20 Jahren Planungszeit selbst den S21-Machern so peinlich war, dass sie stillschweigend begraben wurde.

Jetzt könnte man sagen: Alles gar nicht so schlimm. Wer braucht denn schon diesen Flughafen-Anschluss. Aber genau diesen Schluss ziehen die S21-Macher eben nicht! Sie wollen diesen jetzt mittels eines irrsinnig teuren Tunnels, des sogenannten Pfaffensteigtunnels, herstellen. Den Gäubahn-Anliegern sagt die DB dabei: Solange es diesen Tunnel nicht gibt, gibt es auch keinen Anschluss der Gäubahn an den Hauptbahnhof mehr. Wir hängen die Gäubahn einfach in Stuttgart-Vaihingen, 16 Kilometer vor dem Hauptbahnhof, ab.

Damit wird die Diskrepanz zwischen dem, was den Gäubahn-Anliegern zur Volksabstimmungszeit versprochen wurde, riesig: Nichts wurde umgesetzt, was versprochen wurde – kein Gäubahn-Ausbau, keine Beschleunigung, kein Flughafen-Anschluss. Stattdessen soll jetzt der Supergau kommen: 1,4 Millionen Menschen im Einzugsgebiet der Gäubahn sollen auf Jahre, möglicherweise Jahrzehnte, ganz abgehängt werden.

Die Wut darüber ist inzwischen überall entlang der Gäubahn mit Händen zu greifen. Eine ganze Region soll einfach abgehängt werden! Mit allen Konsequenzen: Noch mehr Autoverkehr und noch mehr Flugverkehr. Es wäre eine Verkehrswende in die falsche Richtung!

Dagegen hat sich aber entlang der Gäubahn im letzten Jahr eine starke Bewegung gebildet. Es klagen nicht nur die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV) gegen diese Gäubahn-Kappung! Nein, es hat sich inzwischen auch eine starke Bewegung gebildet und viele lokale Initiativen in Konstanz, Singen, Tuttlingen, Rottweil und im Landkreis Freudenstadt und Stuttgart kämpfen gegen diese Gäubahn-Kappung. Am 9. März dieses Jahrs haben diese lokalen Initiativen sich in Rottweil zusammengefunden und haben zusammen das Pro Gäubahn Landesbündnis gegründet. Unterstützt werden sie vor Ort insbesondere vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), aber auch von der DUH. Mehrere Kreisverbände der Grünen und auch ein SPD-Kreisverband sind dem Bündnis inzwischen ebenfalls beigetreten.

Inzwischen haben die Pro Gäubahn Initiativen unendlich viele lokale Aktionen durchgeführt. Es gab unzählige Infostände auf Wochenmärkten und an Bahnhöfen. Eine Pro-Gäubahn-Homepage ist aktiv und auch eine Pro-Gäubahn-Facebookseite liefert tägliche Infos. In Rottweil wurde kürzlich der 145. Geburtstag der Gäubahn feierlich begangen. Eine Vielzahl von Vorträgen und Filmaufführungen zur Gäubahn fanden ein großes Publikum. Außerdem gab es zwei große landesweite Aktionstage: Am 16. Juni 2024 veranstalteten wir eine viel beachtete Podiumsdiskussion mit Jürgen Resch von der DUH, Benedikt Weibel (Ex-SBB-CEO) sowie den bahnpolitischen Sprecherinnen und Sprechern von CDU/CSU, SPD und Grünen – alles viel beachtet von der örtlichen Presse und mit Unterstützung oft der örtlichen CDU-Oberbürgermeister

Beim zweiten landesweiten Aktionstag am 11. Oktober gab es gleichzeitig Infostände und De­mon-strationen der lokalen Pro-Gäubahn-Gruppen in Konstanz, Singen, Tuttlingen, Oberndorf und Horb. An allen diesen Stationen machten nicht nur die lokalen Aktivisten einen hervorragenden Job. Nein, sie bekamen auch prominente Unterstützung! Jürgen Resch besuchte alle diese Veranstaltungen und hielt in jeder der fünf Aktionsstädte fulminante Reden! Die Unterstützung für die Aktion reichte dabei weit über die „üblichen Verdächtigen“ hinaus. Es waren nicht nur Menschen aus den Umweltverbänden, von VCD, Grünen und SPD, die am Stand standen und uns unterstützten, auch CDU-Oberbürgermeister wie der Konstanzer OB Uli Borchardt riefen zur Teilnahme auf! Besonders gefreut hat mich auch, dass die Universität Konstanz zur Teilnahme aufgerufen hat. Die Rektorin Prof. Dr. Katharina Holzinger hat sich persönlich hinter unsere Proteste gestellt und Professoren und Studenten zum Protest gegen die Gäubahn-Kappung aufgerufen.

Das alles wurde von den lokalen Medien sehr ausführlich aufgenommen. Der Südkurier in Konstanz, das Singener Wochenblatt, der Gränzbote in Tuttlingen, die Neue Rottweiler Zeitung, der Schwarzwälder Bote. Sie alle berichteten ausführlich über die Pro Gäubahn und die Protestwelle. Nur von einer Seite kam nichts: Die Stuttgarter Presse schweigt alle Pro-Gäubahn-Aktivitäten konsequent tot. Von der Gründung des Landesbündnisses im März bis zu den großen Aktionstagen: Im Stuttgarter Pressewald kommen wir nicht vor.

Dabei ist die Wirkung, die Pro Gäubahn hat, jetzt schon enorm. Wir haben eine Öffentlichkeit geschaffen und machen auf den Skandal aufmerksam, dass 1,4 Millionen Menschen im Einzugsgebiet der Gäubahn für ein kommunales Immobilienprojekt in Stuttgart abgehängt werden sollen. Denn nämlich nur darum geht es: Kopfbahnhof und Gäubahn-Zufahrt sollen verschwinden, weil die Landeshauptstadt dort kommunale Stadtentwicklung betreiben will – alles auf dem Rücken eines guten Bahnverkehrs in Baden-Württemberg. Denn es ist klar: Die Gäubahn kann auch nach Teilinbetriebnahme des S21-Tiefbahnhofs weiter bis Stuttgart Hauptbahnhof (oben) betrieben werden! Es gibt keine technische Begründung, die Gäubahn für S21 abzuhängen. Dr. Hans-Jörg Jäkel vom Gäubahnkomitee Stuttgart hat dies ja auch an dieser Stelle schon sehr überzeugend dargelegt. Ein Kombibahnhof-Betrieb ist möglich und notwendig!

Die Erkenntnis, dass die Gäubahn-Abhängung juristisch nicht zulässig und technisch nicht notwendig ist, sickert dabei auch zunehmend in den politischen Diskurs ein. Wie schon vorher erwähnt sind bereits vier Kreisverbände von Bündnis 90/Die Grünen und ein SPD-Kreisverband dem Pro-Gäubahn-Bündnis beigetreten und unterstützen damit unseren Kampf gegen eine Kappung der Gäubahn. Aber der Kampf gegen die Gäubahn-Kappung ist keinesfalls nur ein grün-rotes Projekt. Bereits im Mai dieses Jahres hat sich der CDU-Ortsverband Rottweil gegen die Gäubahn-Kappung und für einen paralle­-len Kombi-Betrieb von Tief- und Kopfbahnhof ausgesprochen. Beim Bezirksparteitag der CDU-Südbaden am 26. Oktober in Endingen am Kaiserstuhl hat sich der komplette CDU-Bezirksverband mit so mächtigen Kreisverbänden wie Freiburg, Konstanz, der CDU entlang der südlichen Gäubahn, dem Hochrhein, der Ortenau, dem Kaiserstuhl und dem Hochschwarzwald gegen die Kappung der Gäu­bahn und damit für einen Kombi-Bahnhofsbetrieb in Stuttgart ausgesprochen. Für uns von Pro Gäubahn war das eine kleine Sensation!

Haben Sie davon in Stuttgart erfahren? Ein großer CDU-Bezirksverband will „OBEN BLEIBEN“? Da haben wir sie wieder, die Stuttgarter Presse, die nicht wahrhaben will, welchen Stimmungsumschwung es gerade entlang der Gäubahn gibt. Zuletzt hat sich auch noch CDU-Landeschef Manuel Hagel bei einer Veranstaltung der CDU in Singen klar gegen die Kappung der Gäubahn und damit hinter die Position der CDU Südbaden gestellt. Offensichtlich möchte auch der CDU-Ministerpräsidentenkandidat Hagel einen Rückbau der Gäubahn und der oberirdischen Infrastruktur verhindern.

Innerhalb der grünen Partei ist man schon weiter als innerhalb der CDU. Hier steht der ganze Landesverband kurz davor, unsere Position zu übernehmen und sich vorbehaltlos für den Erhalt und den Weiterbetrieb der Gäubahn auszusprechen. Nächstes Wochenende findet die Landesdelegiertenkonferenz der baden-württembergischen Grünen in Reutlingen statt. Die grünen Kreisverbände Konstanz, Tuttlingen und Rottweil haben einen Antrag eingebracht, der die Landes-Grünen ganz klar gegen die Gäubahn-Unterbrechung positionieren soll. Der Antragstext ist so gut, dass ich kurz daraus zitieren darf:

Die derzeit geplante Unterbrechung und der teilweise Rückbau der Gäubahn ist für den weiteren Baufortschritt von Stuttgart 21 nicht erforderlich. Stuttgart 21 kann auch nach Aussage der Deutschen Bahn mit nur kleineren Änderungen im Bauablauf mit einer intakten Gäubahn-Verbindung bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof zu Ende gebaut werden. Dazu kommt, dass alle bisherigen Rechtsgutachten zum Ergebnis kommen, dass so eine kalte Teilstillegung einer internationalen Magistrale rechtlich nicht zulässig wäre. Die für 2026 geplante Abhängung der Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof würde aber 1,4 Millionen Menschen im Einzugsgebiet der Gäubahn von der Schiene aufs Auto und Flugzeug drängen. Die Vorstellung, Reisende aus dem Süden Baden-Württembergs, aus der Schweiz und Norditalien mit Umsteigezielen wären bereit, in Stuttgart-Vaihingen aus den Fern- und Regionalzügen in schon heute überfüllte S-Bahnen umzusteigen und dann noch ein weiteres Mal im Stuttgarter Hauptbahnhof, widerspricht jeder Erfahrung.

Alle wissen: Die Abhängung der Strecke in Stuttgart-Vaihingen, knapp 16 Kilometer vor dem Hauptbahnhof würde zu einem weiteren Anstieg des Auto- und Flugverkehrsverkehrs auf dieser wichtigen Nord-Süd-Verbindung von Stuttgart Richtung Bodensee, Schweiz und Norditalien führen. Neben Fernreisenden wären damit vor allem auch Pendlerinnen und Pendler betroffen, denen das Bahnfahren erschwert wird.

Aber nicht nur die große Menge an zusätzlichen Treibhausgasen würde unsere Glaubwürdigkeit beschädigen, sondern auch die Symbolwirkung! Die Abhängung wäre ein deutliches Zeichen, dass eine tatsächliche Verkehrswende – und das heißt weniger statt mehr Auto- und Flugverkehr – politisch gar nicht gewünscht ist. Die egoistische Position der Landeshauptstadt, dass Stuttgart oberirdisch praktisch gleisfrei werden soll und das Abhängen von 1,4 Millionen Menschen im Einzugsgebiet der Gäubahn hinter die eigenen Immobilieninteressen zurückzutreten hat, lehnen Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg entschieden ab. Stadtentwicklung einer Kommune darf weder auf dem Rücken der nachhaltigen Mobilität noch gegen große Teile der baden-württembergischen Bevölkerung und unserer Schweizer Freund:innen durchgesetzt werden. Die geplante Abhängung der Gäubahn wäre eine unnötige Zerstörung vorhandener Schieneninfrastruktur und damit eine Verkehrswende weg von der klimafreundlichen Schiene und hin zu mehr Auto- und Flugverkehr. Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg lehnen dies ab.

Wir alle wissen, Klimaschutz ist ein dickes Brett und vieles, was an Alternativstrukturen eigentlich sofort nötig wäre, kann nicht so schnell durchgesetzt werden. Wenn wir Grünen aber die Zustimmung dazu geben, dass vorhandene klimagerechte Strukturen zerstört werden, dann verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit in der Klimafrage."

Diesen Antrag halte ich für so stark, dass ich glaube, dass die Grünen sich dahinter stellen werden. Ich habe jedenfalls noch keinen Grünen getroffen, der für die Abhängung der Gäubahn wäre. Damit wäre Erhalt von Kopfbahnhof und Gäubahn auch offiziell eine grüne Position.

Aber die Grünen sind da nicht alleine. Etliche CDU-Oberbürgermeister akzeptieren die Gäubahn-Abhängung nicht. Der CDU Bezirksverband Südbaden und CDU-Landeschef Hagel sind für den Erhalt der Gäubahn bis in den Kopfbahnhof. Deutsche Umwelthilfe und Landesnaturschutzverband klagen, um die Gäubahn und damit auch den Kopfbahnhof zu erhalten. Es gibt gerade enormen Schwung in der Frage. Der politische Wind hat sich erheblich gedreht. Es gibt jeden Grund, optimistisch zu sein. Eine Kombi-Bahnhof-Lösung zeichnet sich ab.

In diesem Sinne: Der Käs ist überhaupt noch nicht gegessen.

Am Ende werden wir alle OBEN BLEIBEN!

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