Was wir treiben, was uns umtreibt – das Aktionsbündnis lädt ein zum gemeinsamen Blick in den Spiegel

Rede von Martin Poguntke, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, auf der 730. Montagsdemo am 28.10.2024

Liebe Freundinnen und Freunde des Stuttgarter Kopfbahnhofs!

Wenn ich Leuten aus anderen Gegenden Deutschlands von unserem S21-Widerstand erzähle, bekomme ich eigentlich regelmäßig die Reaktion: Was seid ihr bloß für eine super Bewegung! Was ist das für eine Qualität, die ihr da produziert in euren Demos, Veranstaltungen, Flyern, Dossiers, Gutachten, Pressemitteilungen, Offenen Briefen! Und wie schafft ihr das, dass ihr noch heute mit so vielen Leuten und solchem Schwung dabei seid?!

Und ich muss sagen: Ich höre das gern. Ja, ich brauche es fast, dass ich gelegentlich von außen wieder darauf gestoßen werde, wie wenig selbstverständlich das ist, was wir da gemeinsam auf die Beine gestellt haben und seit so vielen Jahren am Laufen halten. Ich brauche es, dass ich mich nicht gewöhne an unsere klasse Bewegung.

Ein bisschen ist es wie in einer schon lange währenden Ehe: Man hat sich so aneinander gewöhnt, dass man gar nicht mehr merkt, was für eine tiefe und wertvolle Beziehung man da über die Jahre erarbeitet hat. Und dann nörgelt man an Kleinigkeiten herum und übersieht das große Ganze, das Tragende – naja, ein bisschen so ist‘s jedenfalls.

Auf jeden Fall sollten wir uns immer wieder auch einmal einen Moment des Zurückblickens gönnen: Was haben wir denn gemacht in letzter Zeit? Was ist denn gewesen? Was ist Neues passiert? Und natürlich auch: Wo sind uns Fehler passiert? Was sind unsere Schwächen?

Zu einem solchen Rückblick wollen wir vom Aktionsbündnis Sie heute Abend, gleich im Anschluss an diese Demo, einladen. Das „Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“ ist ja keine Privatveranstaltung von ein paar Interessierten, die entscheiden, was die S21-Bewegung macht. Sondern wir sind ja eine Art Delegierten-Versammlung von Aktiven aus unserer ganzen gemeinsamen Bewegung: Architekt*innen, Ingenieur*innen, Jurist*innen, Theolog*innen, Mitgliedern von SPD, Linke, Gewerkschaften usw.

Und wie es bei einer solchen Gruppe von Delegierten so ist: Wir brauchen immer wieder auch die Rückmeldung von denen, in deren Namen wir ja das alles machen. Sie, liebe Freundinnen und Freunde, sind der Spiegel, in den wir immer mal wieder blicken wollen und müssen. Die Rückmeldung von Ihnen brauchen wir – aber auch Ihre Fragen. Wir haben es rund um Stuttgart 21 teils mit so komplizierten Dingen zu tun, dass man manches einfach auch mal in direkter Frage und Antwort erklärt bekommen muss. Auch für solche technischen Fragen soll heute Abend ein wenig Raum sein.

Wir haben im forum 3 einen Saal gemietet, in den ca. 50 bis 70 Leute reinpassen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und wer zu spät kommt – na, gut, den bestraft vielleicht nicht die Geschichte, aber er findet womöglich keinen Platz mehr.

Worum soll es gehen, heute Abend? Thematisch um die beiden derzeit zentralen Probleme: Gäubahn und Rosenstein.

Zum Thema Rosenstein hat ja Frank Distel letzten Montag hier auf dem Podium eine hoch interessante Rede gehalten. Er hat einfach mal nachgerechnet, wie groß die Flächen sein sollen, die bebaut werden sollen, und wie hoch sie bebaut werden sollen. Und er ist auf das interessante Ergebnis gekommen: Die geplanten Wohnungen werden viel zu klein und viel zu teuer. Das wird kein günstiger Wohnraum für Normalverdiener-Familien werden, vermutlich nicht mal für die Leute, die genügend Geld übrighaben, um sich dort eine Eigentumswohnung als Betongold zu kaufen. Das hieße: Entweder verdienen lediglich die Baufirmen daran, und anschließend hätte man dort Bauruinen. Oder die Stadt, das Land etc. subventionieren die Wohnungen so hoch, dass sie auch für Kleine Leute in Frage kommen – aber öffentliche Haushalte massiv belastet werden.

Aber soweit soll – ja, darf – es ja ohnehin nicht kommen, weil der Rosenstein und das Gleisvorfeld eine wichtige Funktion für das Stuttgarter Stadtklima haben. Sie wissen das inzwischen alle, dass die verbrauchte und erhitzte Stadtluft über das Gebiet Rosenstein ins Neckartal abfließen können muss. Und dass die Gleisflächen und der Schotter, in dem die Gleise liegen, nicht nur ökologisch für zahllose zum Teil geschützte Pflanzen- und Tierarten wichtig sind, sondern auch für die nächtliche Abkühlung des Stuttgarter Kessels.

Wie das funktioniert, und wie und warum das geplante Rosenstein-Quartier dabei ausgesprochen störend ist – für das alles wollen wir heute Abend noch einmal Gelegenheit zum Nachfragen geben. Aber vor allem soll auch Gelegenheit zum Austausch darüber sein, was wir denn dagegen tun können. Mal sehen, wonach Sie Bedarf und was für Ideen sie haben.

Ja, und das zweite große Thema heute Abend wird natürlich die Gäubahn sein. Da soll es vor allem darum gehen, Ihnen zu erzählen, was da in letzter Zeit in den Städten entlang der Gäubahn und hier in Stuttgart gelaufen ist und noch laufen soll. Da gibt es nämlich erfreulich viel Bewegung bei der Bevölkerung, bei den Medien und bei den Oberbürgermeistern. Und natürlich spielt die Deutsche Umwelthilfe, namentlich Jürgen Resch dabei eine zentrale Rolle.

Auch hier: Mal sehen, was Sie für Fragen haben. Vielleicht ja auch zu der technischen Frage, warum die Abhängung der Gäubahn gar nicht nötig ist und wie die Bahn und die Stadt begründen, dass das angeblich doch nötig sei.

Das sind die beiden Hauptthemen, um die es heute Abend gehen soll.

Dann wird es auch noch eine Runde zu überregionalen Fragen geben. Wir haben nämlich einen „Außenminister“, den Ernst Delle. Er sitzt für das Aktionsbündnis in zwei bundesweit orientierten Initiativen: der „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“ und dem – Achtung, ein langer Name – „Aktionsbündnis Bahn-Bürgerinitiativen Deutschland“, kurz ABBD. Ernst wird uns berichten, was dort zurzeit wichtig ist.

Ja, und dann wollen wir Ihnen natürlich noch Einblick geben in die Arbeit des Aktionsbündnisses. Das heißt wir erzählen – wirklich kurz, kein ausführlicher Rechenschaftsbericht – davon, was wir in letzter Zeit gemacht haben. Und wir machen eine nicht ganz so kurze Runde darüber, wo wir gerade stehen.

Da wird es natürlich zunächst darum gehen, wie das mit dem Allgemeinen Eisenbahngesetz gerade aussieht. Sie erinnern sich: der geänderte Paragraph 23, durch den die Flächen der Kopfbahnhofgleise auf einmal nicht mehr für den Bau von Wohnungen und Bürogebäuden verwendet werden dürfen – eine Katastrophe für die S21-Betreiber.

Auch die Frage nach einem Kombibahnhof müssen wir natürlich ansprechen: Wenn die „Deutsche Umwelthilfe“ und die Lokführergewerkschaft GDL seit einiger Zeit einen parallelen Betrieb von Tiefbahnhof und einigen Kopfbahnhofgleisen fordern – was heißt das für uns? Wollen wir das unterstützen? Oder dagegen arbeiten? Oder wie könnte unsere Linie da aussehen?

Die gleiche Frage stellt sich ja auch, wenn die DUH vor Gericht siegt und durchsetzt, dass die Gäu- und Panoramabahn für die nächsten 10 bis 15 Jahre weiterhin in den Kopfbahnhof geführt werden – solange, bis der Pfaffensteigtunnel fertig ist, also möglicherweise für immer. Auch das wäre – sobald die ersten Züge im Tiefbahnhof fahren – ein Kombibetrieb.

Und dann die Frage: Hat das womöglich Auswirkungen auf unser Konzept „Umstieg 21“? Da fordern wir doch, dass die Kopfbahnhofgleise wieder zurückverlegt werden bis an den Bonatzbau. Geht das noch? Müssen wir umplanen? Oder stellt sich die Frage gar nicht?

Sie sehen: Eine Fülle an interessanten Fragen werden wir heute Abend bereden. Und dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, was Sie, die Besucher*innen dieses Abends für eigene Fragen mitbringen. Auch dafür soll ja ausreichend Gelegenheit sein: dass Sie Ihre Fragen an uns, das Aktionsbündnis loswerden und mit anderen darüber diskutieren.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen nun geht. Ob Sie sich vielleicht auch fragen, wie lange die Veranstaltung gehen soll. So ein oder zwei Tage müsste man vielleicht schon ansetzen, wenn man das alles, was wir da vorhaben, ausgiebig diskutieren wollte. Aber wir haben den Raum im forum 3 nur für gut zwei Stunden gebucht. Wir müssen also schweren Herzens schon jetzt davon Abschied nehmen, dass alles, wirklich alles zur Zufriedenheit besprochen werden wird. Es wird vielmehr noch ein gewaltiger unbefriedigender Rest bleiben.

Für uns, das Aktionsbündnis ein Grund, schon heute an die nächste Veranstaltung dieser Art zu denken. Termin haben wir dafür natürlich noch keinen. Aber wir können Ihnen zusichern: Die Themenrunde heute Abend wird nicht die letzte sein. Wir werden das wiederholen, immer und immer wieder, dauerhaft, wenigstens einmal im Jahr.

So, und jetzt bleibt mir nur noch, Sie herzlich einzuladen. Den Weg ins forum 3 finden Sie problemlos, denn heute führt der Demozug auf einem kleinen Umweg direkt ans forum 3.

Herzliche Einladung! Wir freuen uns auf Sie.

Und – egal, ob Sie heute Abend dabei sind oder nicht – bleiben Sie oben!

Rede von Martin Poguntke als pdf-Datei

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