Rede von Joe Bauer, Stadtflaneur, Autor und Journalist, auf der 729. Montagsdemo am 21.10.2024
Guten Abend, verehrte Protestgemeinde,
vielen Dank für die Einladung, heute hier zu sprechen, und für den freundlichen Empfang.
Einige von Ihnen werden jetzt sagen: Der schon wieder. Was eigentlich hat der Einsatz gegen Rechtsextreme mit Stuttgart 21 zu tun? Diese Frage höre ich immer wieder bei Montagsdemos, und das schon seit mehr als zehn Jahren.
Die Sache ist ganz einfach: Ich dachte immer, dass der Kampf um einen Kopfbahnhof nicht ausschließt, dass der Kopf eines Menschen auch für andere politische Themen gebraucht wird. Womöglich sogar für sehr wichtige, die miteinander zusammenhängen. Ich möchte an das hier oft zitierte „Prinzip Stuttgart 21“ erinnern – wonach der Profit über Lebensqualität und soziale Gerechtigkeit gestellt wird. Diesem Prinzip folgen auch die Rechtsextremen: Sie bedienen die Interessen der Öl-, Energie- und Atomindustrie, leugnen den Klimawandel und greifen jede Maßnahme für den Klimaschutz an. Sie versprechen Mitbestimmung, meinen damit in Wahrheit aber Hass und Hetze gegen die, die nicht in ihr nationalistisches, völkisches Weltbild passen.
Der Vormarsch der Faschisten wird immer bedrohlicher. In Deutschland wurde schon einmal eine Demokratie von Rechtsextremen zerstört, vor allem deshalb, weil zu wenige bereit waren, demokratische Freiheiten zu verteidigen. Ich will nicht die Weimarer Republik mit der Gegenwart der Bundesrepublik zu vergleichen. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber die Strategien der alten und neuen Faschisten ähneln sich sehr.
Und gerade jetzt müssen die oft hart erkämpften Errungenschaften der Demokratie geschützt und verteidigt werden. Die Sympathisanten einer Partei, die sich als parlamentarischer Arm von Rechtsextremen etabliert hat, sehen das natürlich anders – und Menschen, die die Gesinnung und die demokratiefeindlichen Inhalte dieser Partei teilen, finden wir heute überall. Auch in Initiativen und Organisationen, die wir lange für fortschrittlich hielten.
Es ist doch keine Frage: Alle demokratischen Bündnisse sind verpflichtet, sich gegen die rechtsextremen, gegen die rassistischen und menschenverachtenden Bewegungen zu stellen. Ganz egal, ob sie sich für den Naturschutz oder gegen ein profitträchtiges Immobilienprojekt namens Stuttgart 21 engagieren. Der rechtsextreme Populismus ist eine internationale Gefahr – und es ist nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf.
Nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg wäre es falsch, den Vormarsch von Rechtsextremen als deutsches Ost-Problem abzutun. Die politische Stimmung in diesen Bundesländern breitet sich so ähnlich auch vor unserer Haustür aus, vor allem wenn wir den Blick aus Stuttgart hinaus aufs weite Land richten. In Großstädten, und was man dafür hält, wird die Provinz immer mit einer gewissen Arroganz betrachtet. Das kann sich bitter rächen. Wir haben im Südwesten selber genug Osten, jedenfalls was die Verunsicherung oder gar die Hoffnungslosigkeit in vielen Teilen der Bevölkerung angeht. Wo das hinführen kann, wissen wir inzwischen.
Und jetzt zu unserem heutigen Thema: Ich bin ja, wie Tom Adler vom Demoteam gegen S21, Mitglied in einem kleinen Netzwerk-Team namens „Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie“. Wir organisieren regelmäßig Bildungsabende und bereiten gerade für kommenden Samstag hier auf dem Schlossplatz eine weitere Aktion vor.
Da stellt sich die Frage: Warum eine weitere Kundgebung? Auch diese Frage kommt ja ständig: Was bringt öffentlicher Protest, wozu soll eine Demo gut sein? Nicht einmal die zurückliegenden Massendemos haben etwas bewirkt.
Antwort: Nach einer Kundgebung gegen die extreme Rechte wird es womöglich keinen Faschisten weniger geben. Aber: Was geschieht, wenn wir nichts tun? Anscheinend haben viele diese Frage, die man einst allen Passiven und Mitläufern der Nazis gestellt hat, schon vergessen: Warum habt ihr nichts getan?
Wir dürfen nicht schweigend zuschauen, wie die Rechten immer stärker werden. Wie sie in Parlamenten, Behörden und Institutionen immer größeren Einfluss gewinnen. Wie ihr Kulturkampf gegen unsere demokratische Lebensweise erschreckend viele junge Menschen, vor allem junge Männer anzieht. Wir dürfen nicht zuschauen, wenn bei uns eine Politik gemacht wird, die immer mehr den Rechten zuarbeitet. Wenn deren Codes und Propagandaphrasen von Politiker:innen konventioneller Parteien verwendet werden und immer weiter in die sogenannte Mitte vordringen.
Wir dürfen nicht schweigen, wenn demokratische Freiheiten von der herrschenden Politik aus Rücksicht auf die Forderungen der Rechten abgeschafft werden, und die soziale Ungerechtigkeit immer härter wird.
Die körperliche Präsenz bei Protest- und Aufklärungsaktionen ist nach wie vor unverzichtbar. Wir müssen uns zeigen, wir müssen laut und sichtbar demonstrieren, dass wir demokratische Errungenschaften verteidigen. Deshalb auch immer unser Netzwerk-Plädoyer „für eine bessere Demokratie“. Die bisher bestehende wird spürbar abgebaut.
Wir müssen Räume für Information und Diskussion schaffen. Jede Kundgebung bietet die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, Gleichgesinnte zu finden – oder einen konstruktiven Meinungsstreit zu führen. Die Polarisierung nimmt ständig zu. Risse gehen durch Freundschaften und Familien. Die oft fundamentalistisch geprägte Rechthaberei wird immer schlimmer. Demokratische Debatten über den Krieg in der Ukraine und den Krieg im Nahen Osten, über Waffenlieferungen und Militarisierung müssen möglich sein. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß.
Wir haben das Recht, zu differenzieren, wir haben das Recht, zu zweifeln und Fragen zu stellen. Niemand hat die Wahrheit gepachtet, schon gar nicht, wenn es um Debatten auf der Basis unzuverlässiger Informationen aus Kriegsgebieten geht. Mit politischen Aktionen schaffen wir Orte für freie Debatten, für Ideen und solidarisches Handeln. Deshalb machen wir weiter.
Unsere nächste Kundgebung findet am Samstag, 26. Oktober, auf dem Stuttgarter Schlossplatz statt. Beginn 14 Uhr. Motto: „Wir müssen mehr tun! Gemeinsam gegen rechts. Für eine bessere Demokratie“. Es geht um Themen wie Migration, Krieg und Frieden, es geht um die Ignoranz von Menschenrechten und die Missachtung der Menschenwürde.
Und wie immer sollen unsere Veranstaltungen auch Freude an der politischen Arbeit vermitteln – mit guter Live-Musik, mit starken Inhalten und mit Humor, den wir brauchen, um das Leben auszuhalten. Wir freuen uns über alle, die bereit sind, unsere Sache zu unterstützen.
Vielen Dank!