Rede von Georg Rapp, POEMA Deutschland, auf der 728. Montagsdemo am 14.10.2024
Mein Name ist Georg Rapp und ich bin im Vorstand der Stuttgarter NGO – Nichtregierungsorganisation – POEMA und da für die Kasse zuständig. POEMA steht für PObreza E Meio ambiente na Amazônia, auf deutsch „Armut und Umwelt in Amazonien“. Es war von dieser Bühne aus ja schon des Öfteren die Klimaschädlichkeit von S21 bei Bau, Betrieb und Bebauung des Gleisvorfeldes ein Thema. Heute werde ich über eine Klimaschädlichkeit von globalem Ausmaß sprechen.
Eine der wesentlichen Aktivitäten von POEMA ist der Bau von Trinkwasserbrunnen in den Dörfern des unteren Amazonas im Bundesstaat Pará. Genauer gesagt, gebaut werden die Brunnen von den Menschen vor Ort, POEMA finanziert sie aus den Spenden, die wir hier sammeln. Für manche Ohren mag das widersinnig klingen, ausgerechnet im Amazonasgebiet – dem größten Wassersystem unserer Erde – nach Wasser zu bohren. Aber das Amazonaswasser taugt nicht als Lebensmittel. Die Menschen werden krank, weil es stark verunreinigt ist. Zum Beispiel durch Quecksilber, das bei der Goldsuche in die Flüsse gelangt. So dass diese Trinkwasserbrunnen schon in „normalen“ Zeiten sehr wichtig sind für die Gesundheit der Amazonasbewohner. Und erst recht jetzt, wo es eine katastrophale Trockenheit im Amazonasregenwald gibt. Denn je weniger Wasser, desto höher die Schmutzkonzentration.
Die meisten von euch haben wahrscheinlich noch die Bilder aus dem Fernsehen im Kopf. Der Rio Negro als einer der wichtigsten Quellflüsse des Amazonas ist beinahe ausgetrocknet. Sein Pegelstand ist der niedrigste seit Beginn der Messungen. Anderen Flüssen wie dem Rio Tocantins geht es nicht anders. Und das nun schon in zwei aufeinanderfolgenden Jahren.
Für die Menschen, die an und in den Flüssen leben, ist das eine Katastrophe. Die Flüsse sind ihre Verkehrs- und Versorgungswege. Trocknen sie aus, liegen ihre Boote auf dem Trockenen. Um sich zu versorgen, müssen sie die Waren über weite Strecken durch den Flussschlamm und da, wo es noch welches gibt, durchs Wasser tragen. Teilweise können sie nur durch Hubschrauber versorgt werden.
Ursache für die verheerende Trockenheit ist der Klimawandel im Zusammenspiel mit dem unberechenbaren Klimaphänomen El Nino über dem südlichen Pazifik, dessen Auftreten in immer kürzeren Abständen erfolgt. Es ist noch kein halbes Jahr her, dass im Süden Brasiliens Hunderttausende wegen Überschwemmungen evakuiert werden mussten und über 100 in den Fluten starben. Der Klimawandel ist volle Breitseite da angekommen, von wo wir uns, wenn nicht die Lösung, so doch eine Verlangsamung desselben erhofft haben.
Fliegt man beispielsweise von Manaus im Westen nach Belem im Osten, ist man entsetzt, welche Narben Rinderzüchter für ihre gigantischen Rinderweiden, die Sojabauern und illegale Holzfäller in den Regenwald geschlagen haben. Was oft auch mit Vertreibungen indigener Gemeinschaften aus diesen Gebieten verbunden ist, und auch vor den Reservaten selbst nicht halt macht. Große Gebiete des Regenwaldes emittieren inzwischen mehr CO2 als sie binden. Was nebenbei gesagt laut Waldschadensbericht inzwischen auch für den gesamten deutschen Wald gilt. Damit fällt der Wald – auch der Regenwald – immer mehr als CO2-Senke aus.
Aber es sind nicht nur die Rinderzüchter, Sojabauern, illegalen Holzfäller und Goldsucher, durch die das Amazonasgebiet unter Druck gerät. Sondern auch die Bergbaugesellschaften, die den Regenwald ausbeuten. Mit ihren Minen, ihren Kraftwerken, ihren Transportwegen, ihren Vertreibungen.
Mitten im Amazonasregenwald liegt die weltweit größte Eisenerzmine Carajas. Betrieben wird sie von der Bergbaugesellschaft Vale. Über eine firmeneigene 900 Kilometer lange Eisenerzbahn schafft Vale den Rohstoff zu einem privaten Verladehafen in São Luis an der Atlantikküste. Die Gesellschaft wird mit schweren Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Vale ist auch verantwortlich für den Bruch des Brumadinho-Damms im Jahre 2019 mit 272 Todesopfern. Das ist der Damm, den der deutsche TÜV-Süd noch wenige Monate zuvor geprüft und als stabil befunden hatte. 50% des nach Deutschland importierten Eisenerzes kommen aus dieser Mine.
Und auch da schon mit dabei: Die Deutsche Bahn mit ihrer Tochtergesellschaft „Engineering & Consulting“ als Berater für klimaneutrale Transporte.
Nun planen drei portugiesische Geschäftsleute eine neue, 520 km lange Eisenbahnstrecke in den Regenwald, um dessen Rohstoffe auszubeuten. Das Schienen- und Hafenprojekt Grão Pará Maranhão. Maranhão ist ein östlicher Nachbarstaat von Pará. Zu diesem gehört die Insel Cajual, wo ein gigantischer Hafen für die Verschiffung der Rohstoffe aus dem Regenwald geplant ist. Auf dieser Trasse wird ausdrücklich kein Personentransport stattfinden!
Der westliche Teil von Maranhão, wo die Bahntrasse und der Hafen geplant sind, entfällt auf das Amazonasgebiet und ein geschütztes Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung. Entlang der Küste von Maranhão und dem benachbarten Bundesstaat Pará einschließlich der Amazonasmündung erstreckt sich das weltweit größte noch intakte Mangrovenwaldgebiet. Es ist der Lebensraum einer enormen Artenvielfalt, die auf der Insel Cajual wichtige Brutkolonien hat. Der östliche Teil von Maranhão ist dagegen von der ebenfalls artenreichen und bedrohten Cerrado-Savanne bedeckt.
Vor allem Indigene und Quilombolas sind durch die geplante Bahnstrecke und den Hafen auf der Insel Cajual bedroht. Quilombolas sind Nachfahren entlaufener afrikanischer Sklaven und genießen wie die Indigenen einen besonderen Schutzstatus. Sie betreiben traditionelle Landwirtschaft zur Eigennutzung. Durch den Hafen würden sie 90% ihres Territoriums verlieren. Dann ginge es ihnen wie den Menschen am Rio Xingu, die vor ein paar Jahren durch ein gigantisches Wasserkraftwerk für die Aluminiumverhüttung ihrer Lebensgrundlagen – hauptsächlich Fischerei – beraubt und vertrieben wurden. Viele von ihnen vegetieren heute noch in perspektivlosem Elend. Nebenbei: aufgrund der Trockenheit laufen in diesem Wasserkraftwerk derzeit nur zwei von acht Turbinen. Ist das Ökosystem erst mal zerstört, ist es auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr weit her.
Zurück zum Hafen- und Schienenprojekt Grão Pará Maranhão. Auch hier ist die Deutsche Bahn wieder mit dabei. Bisher zwar nur mit einem Memorandum of Understanding über gemeinsame Projektentwicklung und den späteren Betrieb der Eisenbahn. Und weil noch nichts endgültig festgeschrieben ist, haben Mikaell und Flavia Nascimento aus Brasilien stellvertretend für Justiça nos Trilhos – einer Vernetzungsinitiative betroffener Gemeinden – mit Unterstützung von Organisationen wie der Kooperation Brasilien (Kobra e.V.), Misereor und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Ende Mai vor der DB-Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin gegen eine Beteiligung der Deutschen Bahn und der Bundesregierung protestiert: „Wir fordern die deutsche Regierung und ihren staatseigenen Konzern Deutsche Bahn auf, sich nicht an dem zerstörerischen Projekt zu beteiligen. Wir bitten euch alle, zusammen mit uns zu fordern: Nein zum Projekt Grão Pará Maranhão!“
Denn auch die Bundesregierung mit ihrem grünen Wirtschaftsminister unterstützt das Projekt. Obwohl es allen internationalen Bemühungen zum Schutz und Erhalt des Amazonasregenwaldes und der Cerrado-Savanne widerspricht.
Und wenn wir schon in Brasilien sind, darf auch das Mercosur-Freihandelsabkommen zwischen der EU und den meisten südamerikanischen Staaten nicht unerwähnt bleiben, das ja immer noch in der Pipeline dümpelt – das man plakativ mit „Soja gegen Autos“ bezeichnen kann. Mit dem nicht nur die landwirtschaftlichen Betriebe unterhalb der Agrarkonzerne beidseits des Atlantiks massiv unter Druck geraten würden, sondern das auch zur massiven Zunahme von Sojafeldern und Rinderweiden im Regenwald führen würde. Und wodurch noch mehr klimawichtiger Regenwald den Motorsägen zum Opfer fiele. Auch deshalb laufen Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen in Europa und Südamerika seit Jahren Sturm gegen die Pläne. Die Bauernproteste haben, ohne das Mercosur-Abkommen überhaupt zu thematisieren, zumindest in Frankreich – auch einem Autoland – politisch bewirkt, dass die dortige Regierung zum Bremser gegen dieses Abkommen geworden ist. Ich würde mir wünschen, die deutsche Regierung würde sich dem anschließen.
Bei all dem muss uns immer klar sein: diese Eingriffe in den Regenwald und in die Lebensgrundlagen seiner Bewohner dienen nicht nur den Profitinteressen einiger Wenigen, sondern auch uns im Norden, damit wir an unserer imperialen Lebensweise nichts ändern müssen.
Zurück zum Anfang, zu POEMA. POEMA baut nicht nur Trinkwasserbrunnen, sondern unterstützt vielfältige Projekte – oftmals in Zusammenarbeit mit lokalen NGOs – in den Bundesstaaten Pará, Maranhão und Amapa, die gegen diesen Raubbau an der Natur, die Waldzerstörung, die Vertreibung von Kleinbauern und Indigenen sowie gegen weitere Großprojekte wie Wasserkraftwerke kämpfen. Wer mehr über unsere Arbeit wissen will, am Infotisch gibt es Flyer über uns und unsere Projekte.
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