Dann sprech mr nomol drüber

Rede von Timo Brunke, Poet und Wortkünstler, auf der 726. Montagsdemo am 30.10.2024

Verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Leute, die Ihr seit Jahren Seite an Seite einsteht für eine Zukunft der politischen Vernunft und der politischen Kultur im Land.

Vielleicht heißt das Thema meiner kleinen Ansprache an Euch so: „Die Unwägbarkeit des Lebens in Raum und Zeit – und was daraus für Schlüsse zu ziehen sind“. Vielleicht ist mein Thema aber auch viel kleiner und heißt: „Die Sprechklausel in der Finanzierungsvereinbarung des Lenkungskreises von 2009 und ihr tieferer Sinn“.

Drei Thesen zu Beginn:

  • Erste These: Meistens kommt es anders.
  • Zweitens: als man denkt.
  • Die dritte These, die sich aus den ersten beiden ergibt: Weil das Leben so ein wilder Ritt ist, gibt es in der zwischenmenschlichen Kommunikation drei Verfahren, damit fertig zu werden: Nämlich: 1. Gespräche, 2. Verträge und 3. Die Sprechklausel.

Zur ersten Methode, den Gesprächen: Da hab ich mir etwas so fest vorgenommen – und dann wird mein schöner Plan durchkreuzt. So was geht schnell. Wir schmieden Pläne für einen Ausflug oder ich stecke mir ein ehrgeiziges Ziel. Wir entwickeln Kinderwünsche, oder planen Vermögensanlagen. Aber wie selten haben wir da die Fäden selbst in der Hand.

Drum ist es doch gut, wenn wir uns absprechen. „Gell, wenn's Probleme gibt, kannst du dich immer gern bei uns melden.“ – „Ja, danke dir, das mach ich!“ Oder: „Du, wenn du merkst, es wird dir doch zu viel, gib einfach Bescheid.“ Oder: „Du, falls dir das übern Kopf wächst, dann lass uns nochmal quatschen, wir finden auf jeden Fall ne Lösung.“ Oder: „Leute, ich hab plötzlich gemerkt, dass das Ganze für mich keinen Sinn mehr macht. Ich hatte mir das schlicht anders vorgestellt.“ – „Gut, dass du das offen ansprichst. Gut, wenn du die Lust dran verloren hast, dann lass uns mal gemeinsam überlegen“ usw.

Ich komme kurz zur zweiten Verfahrensweise, nämlich: wir wappnen uns auch mit Hilfe von Verträgen gegen die Unwägbarkeiten im Leben. Das ist ein beliebter Schritt im Wirtschafts- und Geschäftsleben wie in der Politik. In vielen Verträgen finden wir, wie wir alle wissen, das berühmte Kleingedruckte, um die Interessen der jeweils eigenen Seite zu wahren. Kann es eine Haftpflichtversicherung ohne Kleingedrucktes geben? Ich glaube nicht.

Ich habe nun aber noch eine dritte Methode ausgemacht: Einen Kniff, der in Stuttgart ausgeheckt worden ist, um mit den Veränderungen im öffentlichen Leben klarzukommen. Dieser Kniff ist eine Kombination aus offenem Gespräch und Vertrag – und eine baden-württembergische Spezialität. Um genau zu sein: Ich kenne nur einen einzigen Fall. Ich meine: „die Sprechklausel“. Geboren im Jahr 2009 im Text der Finanzierungsvereinbarung von Stuttgart 21. Ihr alle kennt den Text: „Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen und das Land Gespräche auf.“ Diese sogenannte „Sprechklausel“ gehört mittlerweile zum baden-württembergischen Lebensgefühl wie Spätzle mit Soß', schwäbisch-badischer Fleiß und The Länd! 🙂

Das Wort „Sprechklausel“ fehlt sowohl im Duden als auch im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. Dabei ist es wohl an der Zeit, das Wort „Sprechklausel“ als Jugendsprache-Vokabel von DB-Managern in den deutschen Grundwortschatz mit aufzunehmen.

Die Sprechklausel war offenbar als knitze Finte erdacht und vorgeschlagen worden. Mittlerweile, nach jahrelangem Rechtsstreit ist allen klar: die Sprechklausel hat milliardenschwer gepatzt. Wer hatte ernsthaft geglaubt, sie könne Spruchreife erlangen? „Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen und das Land Gespräche auf.“ So offenherzig klingt das. Oder strunznaiv. Ein irritierender Satz angesichts der knallharten Pokerrunden im Lenkungskreis.

Oder ist die Sprechklausel doch eher eine krude Mischung aus Offenherzigkeit bei gleichbleibend albernem Spiel? Immerhin wurde doch seit den allerersten Projekttagen über alle Bedenken drübergesprochen. Nach dem Motto: „Jetzt ist Schluss, wir bauen jetzt einfach los. Und wenn wir uns verzocken, dann sprechen wir einfach.“ Tja: Und so buddelten und bauten sie los, bohrten und rammten Eisen ins Erdreich. Trotz aller Kritik. Trotz Volksaufstand, trotz massiver Gegenexpertise. Trotz Regierungswechsel und Zeitenwende.

Stuttgart 21 kommt mir vor wie ein Kind, das an einem kühlen Herbsttag nackig durch den Garten rennt, obwohl es dafür viel zu kalt ist. Die Eltern rufen das Kind zur Vernunft. Aber das Kind lacht und kreischt und spritzt mit dem Schlauch und macht so einfach weiter Quatsch. Das Kind will die Erwachsenen dadurch glauben machen: wenn es einen solchen Spaß daran hat, ja dann soll es eben einfach weitermachen dürfen – eben weil es einfach weiter macht.

Was für ein schwachsinniger Trick. Und wie irre, dass er funktioniert!

Aber auch, wenn ich fest mit einer Niederlage der Deutschen Bahn im internen Rechtsstreit um die Mehrkosten rechne – und jetzt komm ich für mich zum entscheidenden Punkt – auch wenn ich fest mit einer Niederlage der Deutschen Bahn im internen Rechtsstreit um die Mehrkosten rechne, so plädiere ich dennoch dafür, dass wir auf die Sprechklausel des Lenkungskreises tatsächlich eingehen. Ich plädiere dafür, die Sprechklausel ernst zu nehmen, auf sie einzugehen. Unter zwar unter einer Bedingung: dass sie massiv erweitert wird.

Wie sieht die massiv erweiterte Sprechklausel aus, wie hört sie sich an? Im folgenden stell ich euch meine Version der „Schwäbischen Sprechklausel“ einmal vor: Ihr seid herzlich eingeladen, mit einzufallen in meinen Text. Und zwar immer, wenn ihr den güldenen Satz hört, der da heißt:  „Dann sprech mr nomal drüber.“

An die Verantwortlichen unserer Deutschen Bahn:

Sollten euch die gefällten Bäume doch noch ein wenig schmerzen,
Und angenommen die Räumung unseres Parks ginge euch doch noch zu Herzen –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Sollten euch die geschleiften Bahnhofsflügel grämen,
und solltet ihr euch für das verbrochene UNESCO-Erbe schämen –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Wenn auch euch der Tiefbahnhof so nicht mehr gefallen sollte,
und eure Augen am großen Schandloch abprallen sollten –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Sollten auch euch die schrägen Bahnsteige nicht mehr geheuer sein,
und sollten eure Nächte sich schlaflos aneinander reihn –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Sollte sich der wind of change in euren Gesichtern als Tornado erweisen,
und solltet auch ihr berechnen: acht, das ist die Hälfte von sechzehn Gleisen –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Falls euch die Umstiegszeiten doch noch vorkommen als zu kurz bemessen,
falls auch ihr inzwischen denkt: den Deutschlandtakt können wir mit S21 vergessen –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Bevor die Berger Sprudler unfreiwillig zu spucken beginnen,
bevor Eltern auf den Tiefbahnsteigen ihren Kinderwagen hinterher zu kucken beginnen –
 „Dann sprech mr nomal drüber."

Bevor die engen Tunnel eine Brandkatastrophe heraufbeschwören,
und die internationalen Gäste unserer Stadt vergrätzt den Rücken kehren –
„Dann sprech mr nomal drüber."

Gesetzt den Fall, die Liebe zur Vernunft sollte sich nach alledem noch einstelln,
gesetzt den Fall, ihr wollt euch auf die Verkehrswende nicht nur zum Schein einstelln –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Gesetzt den Fall, ihr wollt die Deutsche Bahn in der Fläche und Breite sanieren,
anstatt den Schienennahverkehr mit automobilem Zynismus zu ruinieren –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Sollten euch, liebe Bahn-Vorstände, Eure Boni doch noch peinlich werden,
und ihr machtet selbst ein Mal ne Zugfahrt nach Pfronten-Ried mit allen Schikanen und Beschwerden –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Falls die Gäubahn als Gäubahn doch noch etwas wert sein sollte,
falls euch der Pfaffensteigtunnel zu teuer umgekehrt sein sollte –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Falls euch das ewige Tunnelbauen am Ende doch mal zum Hals raushängen sollte,
und euch der Quellgips und der eigene Zynismus am Ende selbst bedrängen sollte –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Wenn Fleischkäsweckle euch irgendwann nicht mehr schmecken sollten,
falls neue Bundesgesetze Euere veralteten Pläne schnöde nicht mehr checken sollten –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Sollte das Gelächter in der Welt über euch euch doch zu Ohren kommen,
gesetzt den Fall, ihr hättet ein Quentchen vom Protest in euch aufgenommen –
 „Dann sprech mr nomal drüber.“

Sollte Scheitern für Euch als Reifung noch eine Option darstellen,
und ihr wolltet die Wahrheit über den Murks am Mikro laut und hörbar klarstellen,

als echte Volksvermögen-Keeper,
als ehrliche Verantwortliche und Leader,
als Kümmerer von anständigem Kaliber
für uns das Volk und Eigentümer;
und wird euch die Seele immer trüber,
und ruft ihr: „vergebt uns, euren verirrten Brüdern –

„Dann sprech mr nomal drüber!"

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