Bericht aus der Sondersitzung des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag

Rede von Bernd Riexinger, Mitglied des Deutschen Bundestags ‚Die LINKE', auf der 713. Montagsdemo am 1.7.2024

Liebe Freundinnen und Freunde,

gerne komme ich der Bitte nach, heute über die Informationen und Ergebnisse der Sondersitzung des Verkehrsausschusses vom vergangenen Mittwoch zu berichten. Einiges davon stand schon in den Zeitungen, einiges wird euch empören. Und das völlig zu Recht.

Vom Bahnvorstand waren die Herren Huber und Nagel dabei, vom Ministerium Staatssekretär Theurer. Zuerst wurde betont, dass Stuttgart 21 die komplexeste Inbetriebnahme eines Eisenbahnknotens der vergangenen Jahrzehnte in Europa sei. Stuttgart 21 müsse daher vom Start weg funktionieren – mit stabilen und für die Fahrgäste verlässlichen Fahrplänen.

Das Problem der weiteren Verschiebung auf 2026 sei nicht die bauliche Seite. Dort wäre man im Plan. Ich äußerte Zweifel an dieser Aussage. Meines Erachtens nach hat es nicht den Anschein, dass der Baufortschritt im Plan ist. Das Problem ist laut Bahn der Digitale Knoten Stuttgart (DKS). Dort habe es Probleme mit der beauftragten Firma Thales gegeben. Sie hat den Firmenteil, der für den DKS verantwortlich ist, in eine Tochtergesellschaft ausgegliedert, die von Hitachi übernommen wurde. Solche Übernahmen verursachten Unsicherheiten und abwartendes Verhalten auf Seiten des Verkäufers und auf Seiten des Übernehmers. Darauf wären die Verzögerungen zurückzuführen. Auch hätten wegen der Übernahme Fachkräfte die Firma verlassen. Es sei jedoch der DB gelungen, einige davon zu gewinnen. Überhaupt wären die Probleme mit Thales jetzt behoben, und der Bahnvorstand sei sicher, das es funktionieren wird. Auf meine Nachfrage, ob es nicht hoch riskant oder sogar fahrlässig ist, sich bei einem solch komplexen Projekt, das noch nirgendwo erprobt wurde, in die Abhängigkeit einer Firma zu begeben, folgte die Antwort: sie wollen auf keinen Fall noch eine weitere Schnittstelle schaffen. Auf keinen Fall käme es für sie deshalb in Frage, weitere Firmen ins Boot zu holen. Wir können getrost davon ausgehen, dass diese Versicherung Thales enorm beruhigen wird. Das Unternehmen profitiert davon, wenn die Bahn von vornherein keine Alternativen hat und völlig von ihm abhängig ist. Das treibt in aller Regel die Kosten weiter hoch.

Die Bahnvorstände stellten dann ihr neues Inbetriebnahmekonzept vor. Die alte Infrastruktur wird ein Jahr länger betrieben, damit es zu keinem Big Bäng kommt. S21 würde dann in vier Schritten in Betrieb genommen:

  1. Ab Oktober 2025 ist der Start des Vorlaufbetriebs auf den zwei Gleisen der Strecke 4813 (Mannheim‑) Feuerbach – Stuttgart Durchgangsbahnhof – Wendlingen (-Ulm) und des Sicherungssystems ETCS geplant. Das hätte die niedrigsten Ansprüche an die digitale Technik.
  2. Im Mai 2026 soll die Inbetriebnahme der Zielentfernung (ZE) S-Bahn im Bereich Stuttgart-Vaihingen und Filderstadt erfolgen. Das beinhaltet die erste Umrüstung von konventioneller Technik auf ein digitales Stellwerk mit ETCS Level 2 ohne Signale.
  3. Mitte 2026 soll die Strecke Untertürkheim mit dem neuen Abstellbahnhof in Untertürkheim in Betrieb gehen.
  4. Im September 2026 soll die S-Bahn-Stammstrecke mit digitaler Technik folgen. Damit wäre die S-Bahn vollständig in Betrieb genommen.

Im Dezember 2026 würde die Eröffnung des künftigen Hauptbahnhofes erfolgen. Der künftige Hauptbahnhof mit der Verkehrsstation Bonatzbau soll ab dem Fahrplanwechsel Dezember 2026 den alten Kopfbahnhof ablösen. Ebenfalls im Dezember geht der neue Fernbahnhof am Stuttgarter Flughafen in Betrieb, wie auch die beiden Röhren des Cannstatter Fernbahn-Tunnels (P-Option). Ebenso die Große und Kleine Wendlinger Kurve. Die Bausteine 1 und 2 des bundesweiten Pilotprojektes Digitaler Knoten Stuttgart plus Kerngebiet der S-Bahn mit ETCS sind dann vollständig in Betrieb genommen. Die Gäubahn wird ebenfalls erst im Herbst 2026 abgeknipst. Der Pfaffensteigtunnel soll ein Pilotprojekt für das neue Beschleunigungsverfahren werden.

Allerdings steht das Projekt noch unter Finanzierungsvorbehalt. Die Nachfrage, ob die ursprüngliche Veranschlagung der Kosten von 1 Milliarde noch aktuell ist, wurde nicht beantwortet. Die Bahnvertreter zeigten sich sicher, dass die Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen das jahrelange Abknipsen der Gäubahn zurückgewiesen wird. Der Digitale Knotenpunkt Stuttgart steht beim Aufsichtsrat der Deutschen Bahn unter Finanzierungsvorbehalt. Dieser soll erst im September aufgehoben werden, was einen verzweifelten Appell von Ministerpräsident Kretschmann an den Bundeskanzler Scholz auslöste. Dieser soll doch bitte, bitte dafür sorgen, dass das Projekt nicht an der Finanzierung scheitert. Den Grünen ist wirklich nichts zu peinlich!

Liebe Freundinnen und Freunde, ich habe das Inbetriebnahmekonzept als Mogelpackung bezeichnet. Nach allen Erfahrungen mit den Terminzusagen der Deutschen Bahn ist großes Misstrauen mehr als angebracht. Die Verzögerung um ein Jahr würde Mehrkosten von 100 Millionen Euro verursachen. Ich habe den Eindruck, dass dieser Betrag bei 11 Milliarden Kosten keine große Aufregung mehr auslöst. Dabei könnte man damit einige sinnvollere und nachhaltigere Maßnahmen zum Ausbau des Nahverkehrs finanzieren. Die Mehrkosten von 7,5 Milliarden, die durch das Verwaltungsgerichtsurteil alleine bei der Bahn liegen, würden keine anderen Investitionsprojekt gefährden, weil die DB ausreichende Risikovorsorge betrieben hätte. Das ist – gelinde gesagt – eine mutige Aussage, fehlt es doch der Bahn vorne und hinten an Geld – sowohl für die dringend nötigen Investitionen als auch für den laufenden Betrieb, als dass sie so einfach mal 7,5 Milliarden wegstecken könnte. Den Bahnkunden und den Parlamentariern wird so mal wieder Sand in die Augen gestreut.

Auf meine Nachfrage, wie es um den Brandschutz bestellt ist, zeigte sich der Bahnvorstand erstaunt. Er verstehe nicht, was man da will. Der Istplan wäre festgestellt, vom Eisenbahnbundesamt. Der Brandschutz erfülle die europäischen Normen und entspräche weltweit dem höchsten Standard. Wir alle hier wissen, dass das nicht stimmt. Die Sicherheitsstandards entsprechen den Mindestvorschriften, und der nicht ausreichende Brandschutz wird lebensgefährlich sein. Die engen, nur 1,2 Meter breiten Rettungswege, eine erhöhte Gefahr der Verrauchung und der Einsatz längerer Züge mit doppelter und dreifacher Anzahl von Personen bergen unkalkulierbare Risiken.

Liebe Freundinnen und Freunde, die Bahnvorstände sind zwar selbstbewusst aufgetreten. Dass sie die Außerbetriebnahme des bestehenden Kopfbahnhofes nochmal hinausschieben und nicht versprechen können, dass der neue Tiefbahnhof wirklich funktionieren wird, belegt, dass sie sich ihrer Sache nicht sicher sind. Dazu kommen weitere Unsicherheitsfaktoren: Es ist keinesfalls gesagt, dass das neue Zugsicherungssystem ETCS zu einem effektiveren Zugverkehr führen wird. Es ist ein digitales Zugsicherungssystem und nicht in erster Linie ein System zur Kapazitätserweiterung. Darin besteht aber ihre ganze Hoffnung, dass sich damit der Engpass des nur achtgleisigen Tunnelbahnhofes beheben ließe. Bisher gibt es dafür keine Belege, und es ist unwahrscheinlich, dass die versprochene Leistungssteigerung von ca. 200 Prozent bei einem Bahnhof überhaupt zu erzielen ist.

Es ist erstaunlich, dass sich die Regierung und die meisten Parteien mit so vielen unsicheren Prämissen, Wahrscheinlichkeiten, unbewiesenen Möglichkeiten und Versprechungen abspeisen lassen. Dafür einen bestehenden und funktionierenden Bahnhof zu demontieren, ist völlig verantwortungslos. Die Grundstücke sollen der Stadt erst ab 2027 überlassen werden. Vor 2035 oder gar 2040 würden demnach keine Gebäude stehen. Die Luftschneise ist außerdem für Stuttgart, erst recht unter den Bedingungen der zunehmenden Klimaerwärmung, lebenswichtig. Außerdem brauchen die Stuttgarter*innen jetzt bezahlbaren Wohnraum und nicht in 10,15 oder 20 Jahren. Das alles sollte doch mehr Menschen auf die Straße bringen, um die Demontage eines funktionierenden Bahnhofes zu verhindern!

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!

Rede von Bernd Riexinger

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