Es klappert die Mühle am Nesenbach – die Justiz und Stuttgart 21

Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 699. Montagsdemo am 11.3.2024

Liebe Freundinnen und Freunde,

heute will ich über juristische Verfahren im Zusammenhang mit Stuttgart 21 berichten. Inzwischen sind es sehr viele. Ich fürchte, das wird eine Fortsetzungsgeschichte, und ihr dürft mich noch öfter auf der Bühne erleben. Damit es nicht zu trocken wird, hat sich die Capella Rebella wieder bereit erklärt, die Rede mit passenden Liedern aufzulockern. Dafür ein ganz toller Dank!

Meine Aufstellung der Themen war bereits fertig, als mich ein befreundeter Journalist auf die Idee eines ganz dringenden Projekts brachte. Es ist nämlich höchste Zeit, angesichts des von der Stuttgarter Zeitung als Desaster bezeichneten Zustands des Projekts Stuttgart 21 die Schuldigen nicht nur zu benennen, sondern auch zur Verantwortung zu ziehen. Wenn schon der CSU-Kasper Andi Scheuer wegen lächerlicher 243 Millionen Euro Schaden durch seine Mautverträge fast verklagt worden wäre, so muss erst recht juristisch vorgegangen werden gegen diejenigen, die jetzt schon über 11 Milliarden Euro auf dem Gewissen haben. Ob man da ein Tribunal veranstalten, einen Untersuchungsausschuss einsetzen, strafrechtlich wegen Untreue ermitteln oder als geschädigtes Land, Landeshauptstadt, Region, Flughafen Klage erheben müsste, muss dringend geklärt werden. Spontan fallen mir als Beklagte Grube, Mappus, Schuster und Ramsauer ein. Ich sehe schon, das muss in einer Extrarede vertieft werden.

Nun aber zu den schon anhängigen juristischen Verfahren.  Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht mit dem drängendsten. Das ist die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in unserer Brandschutzklage. Einige von euch waren ja bei der Verhandlung dabei, als nicht nur uns drei persönlichen Klägern, darunter unser Rollstuhlfahrer Charly, sondern auch der Schutzgemeinschaft Filder trotz ihrer Anerkennung als Umweltverband das Klagerecht abgesprochen und die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen wurde. Damit ersparte sich das Gericht die inhaltliche Prüfung der katastrophalen Brandschutzmängel. Selbstverständlich haben wir dagegen Rechtsmittel eingelegt. Nun muss das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden, ob die Revision zugelassen und das Urteil auf Rechtsfehler überprüft wird. Unser lieber Dr. Eisenhart von Loeper hat mit viel Schweiß eine umfangreiche Begründung ausgearbeitet, ebenso Rechtsanwalt Dr. Lieber für die Schutzgemeinschaft Filder. Nun sind wir gespannt. Es ist noch ein weiter Weg, bis wir das Bundesverfassungsgericht anrufen können.

In diesem Zusammenhang darf ich euch das hohe finanzielle Risiko nicht verschweigen. Solche Verfahren sind insbesondere wegen des hohen Streitwerts sehr teuer. Wenn es schief geht, müssen wir nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch die Anwaltskosten des Eisenbahn-Bundesamts und der Bahn bezahlen. Ich bin mir sicher, dass angesichts der riesigen Unterstützung durch euch und die ganze Bewegung einige Menschen ihr Scherflein beitragen werden, wenn wir einen Spendenaufruf  starten.

Der Prozess beim Verwaltungsgericht Stuttgart über die Finanzierungsklagen der Bahn gegen Land, Stadt, Verband Region Stuttgart und Flughafen Stuttgart ist ins Stocken geraten. Eigentlich war ein letzter Verhandlungstag im November angesetzt. Der wurde auf Dezember verschoben, weil die Bahn nach siebenjährigem Prozess unbedingt noch einen Schriftsatz einreichen wollte. Dann wurde der Vorsitzende krank und der Termin wurde ganz abgesetzt. Nun gibt es einen neuen Termin am Dienstag, 23. April, um 13:30 Uhr. Ich bin mir sicher, dass wir wieder eine passende Aktion vor dem Gerichtsgebäude machen werden. Nicht sicher bin ich mir aber, ob das tatsächlich der letzte Verhandlungstag wird. Denn obwohl bei dem letzten Termin die Klageforderungen auf gut elf Milliarden erhöht wurden, ist das ja schon wieder überholt und es wird wohl noch teurer werden.

Und gleich gibt es den nächsten Verhandlungstermin. Diesmal wieder beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Dort sind zwei Klagen gegen die Planfeststellung zum Abstellbahnhof in Untertürkheim anhängig. Zur Unterstützung der Klage des direkt betroffenen Michael Brunnquell, der ja auf dieser Bühne schon zu euch gesprochen hat, hat sich ein breites Bündnis in Untertürkheim gebildet. Im Wesentlichen geht es darum, dass durch das nächtliche Aufrüsten der Züge unerträgliche Lärmbelästigungen entstehen und die Anwohner aus dem Schlaf gerissen werden. Seine Klage wird am 3. Juli um 10 Uhr verhandelt.

Nachmittags um 14 Uhr geht es mit der zweiten Klage weiter. Es geht darum, dass eine regelkonforme Schienenrampe abgerissen und durch eine zu steile ersetzt wird, was zu Einschränkungen für schwere Güterzüge führt. Bei der Gelegenheit möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass der neue Abstellbahnhof auch bahntechnisch weit schlechter als der jetzige ist.

Und noch ein Gerichtstermin. Ich habe schon öfter über die angeblich verschwundenen Simulationen der PSU berichtet. Im Arbeitskreis Brandschutz hatte die Bahn vorgetragen, sie könne in den S21-Tunneln 1757 Menschen aus einem vollbesetzten Zug in 11 Minuten evakuieren. Dies sei durch Simulationen der Firma Gruner AG bestätigt. Die Simulationen wurden aber den Behörden nie vorgelegt. Die Ingenieure22 klagten dann auf Einsichtnahme, und die PSU verpflichtete sich beim Verwaltungsgerichtshof im Dezember 2019, ihnen Einsicht zu gewähren. Dazu kam es aber bis heute nicht. Vielmehr berief sich die PSU nachträglich darauf, die Simulationen seien von der Firma Gruner AG schon 2016 gelöscht worden. Weil wir das nicht glaubten, haben wir die Zwangsvollstreckung betrieben und letztlich gegen Olaf Drescher, den Vorstand der PSU, Zwangshaft beantragt. Dagegen hat die PSU eine Vollstreckungsabwehrklage mit der Behauptung erhoben, sie könne den Vergleich nicht erfüllen, weil die Simulationen gelöscht seien. Auf unseren Antrag sind zum Verhandlungstermin am Freitag, 12. April, um 11:00 Uhr beim Verwaltungsgericht Stuttgart nun zwei Mitarbeiter der Firma Gruner als Zeugen geladen. Sie sollen Auskunft dazu geben, ob die Simulationen vorhanden sind oder gelöscht wurden.

Die Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die Kappung der Gäubahn ist euch bestens bekannt. Jürgen Resch wird in einer Woche bei der 700. Montagsdemo sicher wieder genau informieren. Leider gibt es beim Verwaltungsgericht Stuttgart noch keinen Termin. Wir unterstützen die Klage aus vollem Herzen und mit unserem Wissen. Auch Spenden und Fördermitgliedschaften sind der DUH für den Kampf auf Erhalt der Gäubahn und damit auch der oberirdischen Gleise des Kopfbahnhofs willkommen. Mit der Veranstaltung unseres Gäubahnkomitees haben wir das Thema auch in die Medien gebracht, und vorgestern haben sich alle Initiativen entlang der Gäubahn schlagkräftig zusammengeschlossen.

Zur Abwechslung machen wir einen Sprung vom Verwaltungsgericht zur Staatsanwaltschaft. Denn diese brütet noch über unsere Beschwerde gegen die Einstellung unserer Anzeige wegen der Rostrohre. Dabei geht es um Verunreinigungen des Grundwassers und des Erdreichs im Schlossgarten sowie des Neckars durch Einleitung von unzulässigen Rostmengen aus den innen völlig verrosteten Röhren des Grundwassermanagements. Die Staatsanwaltschaft hatte sich keinerlei Mühe gegeben und so gut wie nichts ermittelt. Das konnten wir nicht hinnehmen, erhielten auf unseren Antrag immerhin Akteneinsicht und haben dann unsere Beschwerde umfangreich und detailliert begründet. Nun muss der Leitende Oberstaatsanwalt entscheiden, ob er seinen Untergebenen anweist, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Falls er dies nicht tut, muss er die Akten dem Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Stuttgart vorlegen. Auch hier mahlen die Mühlen langsam und bislang hört man nichts klappern.

Damit es dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim sowie dem in Sachen Akteneinsicht zuständigen Verwaltungsgericht Köln nicht langweilig wird, hat ein nicht namentlich genannt werden wollender Unterstützer mehrere Klagen gegen das EBA eingereicht. Dabei geht es im Wesentlichen um eine möglicherweise unzulässige Freistellung des Geländes der Maker City beim Nordbahnhof vom Schienenverkehr, um verweigerte Einsicht in die Entwurfsplanung zum Pfaffensteigtunnel, um die Planung zur Tunnelentrauchung und um Einsicht in rechtserhebliche Aktenvermerke von Mitarbeitern des EBA . Diese Klagen wären wiederum einen extra Beitrag wert.

Zum Schluss möchte ich auf eine Klage zu sprechen kommen, die ich selbst beim Verwaltungsgericht Stuttgart führe. Ich hatte beim Landratsamt Göppingen Einsichtnahme in die Unterlagen zum Brand- und Katastrophenschutz auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm beantragt. Dabei geht es insbesondere auch um missglückte Brandschutzübungen. Offenbar hat das Landratsamt etwas zu verbergen und vertuscht aus politischen Gründen von der Bahn zu verantwortende katastrophale Mängel.  Auf 15 Seiten lehnte das Landratsamt meinen Antrag ab. Nicht weniger als 13 Seiten davon waren wörtlich aus einem Schriftsatz des Bahnanwalts Krappel einkopiert. Dagegen habe ich Widerspruch eingelegt und diesen umfangreich begründet. Daraufhin wurde mir mitgeteilt, dass mir voraussichtlich bald Einsicht gewährt werden könne. Wie ich dann aber herausfand, setzten sich anschließend hochrangige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamts mit Rechtsanwalt Krappel und mehreren Vertretern der DB Netz AG zusammen.

Wenn die Bahn mit Entscheidungsträgern des Landkreises hinter verschlossenen Türen über meinen Widerspruch berät, wundert ihr euch bestimmt nicht darüber, dass anschließend mein Widerspruch zurückgewiesen wurde. Unter anderem besteht die Gefahr, dass Terroristen von mir Informationen bekommen und einen Anschlag auf die Neubaustrecke durchführen. Dagegen habe ich mit einer umfangreichen Begründung geklagt. Nun heißt es abwarten und Tee trinken, denn die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich langsam.

So lange werden wir ganz sicher

Oben bleiben!

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