Rede von Martin Poguntke, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, Theologinnen und Theologen gegen Stuttgart 21, auf der 693. Montagsdemo am 29.1.2024
Liebe Freundinnen und Freunde eines attraktiven Bahnverkehrs,
Stuttgart 21 wäre mit dem zu bewältigenden Bahnverkehr völlig überfordert. Das ist uns allen schon lange klar. Aber diese Überforderung ist noch mehr der Fall, wenn mal irgendwo Störungen auftreten. Wir haben das jetzt schwarz auf weiß: Das Aktionsbündnis hat nämlich beim Mitgründer der Firma Vieregg-Rößler, dem Verkehrsberater Karlheinz Rößler eine Studie dazu in Auftrag gegeben. Wir wollten wissen, was eigentlich konkret passiert, wenn mal ein Zug in einem der Tunnels oder im Tiefbahnhof aus irgendeinem Grund stehen bliebe. Karlheinz Rößler hat diese Untersuchung schon vor der Corona-Pandemie begonnen und seither immer wieder aktualisiert. Unterstützt hat ihn bei seiner Arbeit der unter uns wohlbekannte Klaus Wößner von den Ingenieuren22.
Diese Studie haben wir nun am vergangenen Donnerstag in einer Pressekonferenz vorgestellt. Nur das Allerwichtigste daraus will ich Ihnen in ein paar wenigen Sätzen erzählen.
Die Studie hat ja ein ziemliches Medien-Echo hervorgerufen. Sie haben es sicher mitbekommen: Einen sehr kritischen Nachrichtenbeitrag hat z.B. der SWR dazu gebracht, u.a. in der 18 Uhr-„aktuell“-Sendung und nachmittags schon im Radio. Und selbst Christian Milankovic war offenbar so beeindruckt davon, dass er einen ausgesprochen fairen Artikel darüber geschrieben hat. Allerdings ist der erst heute, Montag, in der gedruckten Ausgabe erschienen.
Für Milankovic war von den Ergebnissen der Studie wohl am interessantesten, wie wenig Züge noch durch den Fildertunnel fahren könnten, wenn eine Röhre blockiert wäre. Von den geplanten 21 Zügen pro Stunde blieben dann nämlich nur noch 9 bis 10 übrig, also weniger als die Hälfte. Der Rest müsste über Esslingen umgeleitet werden oder ganz ausfallen.
Und für den SWR stand im Mittelpunkt, dass der Tiefbahnhof eine Fehlkonstruktion ist, weil nämlich wichtige Weichen an den falschen Stellen angebracht wurden. Vermutlich aus Kostengründen wurden sie so dicht an die Enden der Bahnsteighalle gelegt, dass einfahrende Züge immer nur fünf oder sogar nur drei der – sowieso zu wenigen – acht Gleise erreichen können. Wenn dann z.B. ein Zug auf einer der Weichen stehen bleiben würde, müsste schon bei dieser kleinen Störung auf jeden Fall ein Drittel der Züge weiträumig um den Tiefbahnhof herumgeleitet werden.
Für Fernzüge hieße das: Sie würden am Hauptbahnhof vorbeigeführt und könnten erst in Esslingen halten, weil das der erste Bahnhof nach Stuttgart mit ausreichend langen Bahnsteigen ist. Weil das vermutlich recht häufig der Fall sein würde, haben die Autoren der Studie deshalb schon von Esslingen, als dem „heimlichen Hauptbahnhof“ gesprochen. Allerdings sind die Gleise von Esslingen über Plochingen nach Wendlingen ohnehin schon sehr stark befahren. Deshalb würde das Umleiten über diese Strecke zusätzlich zu Staus und weiteren Verspätungen führen.
Einen wichtigen Gedanken haben die beiden Gutachter noch zum Fildertunnel eingebracht: nämlich, dass doch eigentlich aus Sicherheitsgründen zur gleichen Zeit immer nur ein Zug entweder in der einen oder in der anderen der beiden Röhren fahren dürfte. Denn durch die von der Störung betroffene Röhre müssten ja die Rettungsfahrzeuge kommen können, ohne dass ihnen ein nachfolgender Zug im Weg steht. Und die jeweils andere Röhre soll ja z.B. im Brandfall eine sichere Fluchtmöglichkeit darstellen, in der die Flüchtenden nicht auf durchfahrende Züge treffen. Das bedeutet, im Störungsfall wäre oft gar nicht nur eine der beiden Röhren blockiert, sondern beide.
Wären aber beide Röhren im Fildertunnel blockiert, wäre u.a. die Gäubahn komplett von Stuttgart abgeschnitten. Und übrigens weitgehend auch der Flughafen, weil die Züge dort nicht wenden können und deshalb einander im Wege wären. Vernünftige Umleitungsmöglichkeiten für die Gäubahn gäbe es nicht, weder mit noch ohne Pfaffensteigtunnel. Es sei denn – und das wäre die Lösung zumindest für die Gäubahn – es sei denn, die Gäubahn bleibt dauerhaft über die Panoramastrecke an den Kopfbahnhof angeschlossen.
Das heißt: Unsere Forderung „keine Abhängung der transnationalen Gäubahnstrecke vom Stuttgarter Kopfbahnhof“ ist nicht nur für den täglichen Betrieb unverzichtbar, sondern genauso oder noch mehr für den Störungsfall.
Und Ursachen für solche Störungsfälle gibt es genug. Die Verfasser der Studie haben allein 21 aufgelistet: von Gegenständen oder Personen im Gleis über defekte Bremsen bis hin zu Brandereignissen. Mit wochen- oder monatelangen Sperrungen wäre sogar zu rechnen, wenn wegen des quellenden Anhydritgesteins Reparaturen anfielen. Wir kennen das alle vom Engelbergtunnel. Wobei bei einem Straßentunnel ein paar Zentimeter Hebung nichts ausmachen, aber bei Zügen, vor allem schnellen Zügen, führen schon ganz wenige Zentimeter zum Totalausfall.
Kurzum: Stuttgart 21 ist in jeder Hinsicht auf Kante genäht, völlig unbrauchbar für attraktiven Bahnverkehr – weder im Normalbetrieb und noch viel weniger bei Störungen. Das haben wir jetzt schriftlich.
Deshalb haben wir weiterhin allen Grund zu fordern – wofür wir übrigens auch weiterhin eine ganze Reihe von Chancen haben – dass wir „oben bleiben“.
Vielen Dank!