Rede von Dr. Walter Heldmann, Verein der Bürgerinitiative Haidhausen S-Bahn-Ausbau, auf der 692. Montagsdemo am 22.1.2024
Es geht um einen sieben Kilometer langen Tunnel durch die Münchner Innenstadt, die sogenannte zweite Stammstrecke der S-Bahn in München. Dieser Tunnel ist so unnötig wie ein Kropf!
Ein paar Zahlen zu dem Projekt, die eigentlich schon alles sagen: Das Projekt wurde 2001 begonnen, Spatenstich mit großer Politik war 2017. Die Kosten sollten eine halbe Milliarde betragen, heute liegen sie bei 8,5 bis 14 Mrd., je nachdem, wen man fragt. Wir haben es also mit einer Kostensteigerung von 1300% zu tun. Die Inbetriebnahme des Tunnels war für das Jahr 2010 versprochen, heute liegt der Termin bei 2037, ja 2037! Eine Terminverschiebung im Moment von 27 Jahren. Das sind die nackten Zahlen.
Unter den gescheiterten Großprojekten hat München somit die Spitzenstellung in Deutschland übernommen, und das, obwohl noch kein Meter des Tunnels selbst gebohrt ist – und hat damit Stuttgart 21 von der Spitze verdrängt. Vielleicht ist das ein kleiner Trost für Sie, es geht eben immer noch schlimmer. Normalerweise müsste so ein Projekt mausetot sein, aber nicht bei uns in der Weltstadt mit Herz und im Land von Laptop und Lederhose. Die Bayerische Staatsregierung und die Stadt München reiten dieses tote Pferd unverdrossen weiter.
Wie Sie schon gehört haben, bin ich Gründungsmitglied einer Bürgerinitiative. Wir sind gegen diesen Tieftunnel und kämpfen für eine Alternative. Das Projekt der 2. Stammstrecke begann Jahr 2001. Aufgewacht sind wir aber erst vier Jahre später, als die Planfeststellungen anliefen. Ein Abschnitt davon betraf direkt unseren Stadtteil, Haidhausen. Wir waren zuerst erschrocken über das, was auf unser Viertel zukommen sollte, und wollten nur das Schlimmste verhindern. Schnell aber haben wir gelernt, was die Fachleute schon längst wussten, nämlich, dass dieser Tunnel eine totale Fehlplanung ist, und dass es die definitiv bessere Lösung gibt.
Wir nennen uns Verein der Bürgerinitiative Haidhausen S-Bahn-Ausbau. Das klingt nach konstruktiver Kritik und das meinen wir auch so.
Wozu braucht München überhaupt eine zweite S-Bahn-Stammstrecke?
Die Münchner S-Bahn ist seit den Olympischen Spielen 1972 im Betrieb. Das Netz ist wie ein Stern angeordnet. Es gibt sieben Linien im Westen und fünf Linien im Osten. Die sind mit einem sieben Kilometer langen Tunnel durch die Innenstadt, vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof verbunden. Das ist die sogenannte Stammstrecke. Die Züge fahren von den westlichen Außenästen durch den Tunnel und weiter bis zu den Endstationen im Osten. So ist der heutige Stand.
Von Anfang war es erklärtes Endziel, einen 10-Minuten-Takt auf allen Linien zu ermöglichen. Dafür reicht die Kapazität der heutigen Stammstrecke nicht aus. Dafür – und auch für den Störfall im Tunnel – wird eine zweite Verbindung zwischen den Außenästen benötigt. Das soll die 2. Stammstrecke werden.
Schon in den 90er Jahren hat die Stadt mögliche Lösungen des Problems untersucht. Hauptsächlich zwei Alternativen waren im Gespräch: ein zweiter Tunnel parallel zum ersten durch die Innenstadt oder der Ausbau einer bereits bestehenden Bahntrasse vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof. Da fahren heute die Züge Richtung Rosenheim, Mühldorf und nach Österreich. Diese Variante ist der sogenannte Südring. Das wäre die schnellere, billigere und vor allem bessere Lösung. Die Stadt hat sich dann in den 90er Jahren für den Südring entschieden, aus Kostengründen, aber vor allem aus verkehrstechnischen Überlegungen. Ein zweiter Tunnel würde eines der Hauptprobleme des jetzigen S- Bahn-Netzes für alle Zeit fest betonieren, nämlich die Stern-Struktur. Alle Großstädte z.B. Berlin haben so etwas wie einen S-Bahn-Ring, und München sieht sich ja als Metropole.
Sie sehen, so einfach ist das Problem, man kann es in zwei Minuten erklären, und so naheliegend wäre die richtige Lösung. Aber nicht in München, nicht in Bayern und schon gar nicht, wenn die Deutsche Bahn mit im Spiel ist.
Wie ist nun die Rollenverteilung in diesem Projekt?
Auftraggeber ist der Freistaat, Bauherr ist die Deutsche Bahn, genauer die DB-Netze AG, die Stadt München ist die Beschenkte, hatte aber bei der Frage, welche Alternative realisiert werden sollte, das entscheidende Wort mitzureden. Was die Politik betrifft, sieht es so aus: CSU und SPD sind für den Tunnel, damit ist die Mehrheit sowohl im Landtag als auch im Stadtrat schon mal sicher. Die Grünen im Landtag sind dagegen, die Grünen im Stadtrat waren früher eher dagegen, aber jetzt regieren sie mit der SPD und sind dafür. Na ja, das ist Politik.
Und wer sind die Projektgegner, und wenn ja, wie viele? Das sind praktisch alle Gruppierungen und Verbände, die sich mit Verkehrsthemen befassen: also die ProBahn in Oberbayern, der VCD, die Arbeitsgruppen im Münchner Forum zum Schienenverkehr und Nahverkehr, der BUND Naturschutz und andere. Darüber hinaus gibt es unabhängige Fachleute, Planungsbüros, Eisenbahningenieure, die nicht nur kritisieren, sondern professionell ausgearbeitete Alternativlösungen vorlegen. Und schließlich unsere BI in Haidhausen. Wir sind nur im Stadtviertel stark, eine münchenweite Massenbewegung ist leider nie zustande gekommen. Da liegt sicher ein Unterschied zu Stuttgart 21, und man könnte darüber philosophieren, was die Gründe sind.
Die Fehlentscheidung steht ganz am Anfang.
Ein getürktes Gutachten ist dabei sehr hilfreich. Im Jahr 2001 legt die Bahn dem Stadtrat ein Gutachten vor. Dieses besagt, dass beide Alternativen, der Tunnel und der Südring gleichwertige Lösungen sind und auch gleich viel kosten, je eine halbe Milliarde Euro. Zur großen Überraschung aller hatten sich die Südringkosten plötzlich verdoppelt und waren damit gleich mit dem Tunnel.
Die Bahn empfiehlt den Tunnel, sie macht ja gerne Großprojekte. Der Oberbürgermeister Christian Ude und der damalige Wirtschaftsminister Otto Wiesheu hatten sich schon vorher im Stillen auf einen Tunnel geeinigt, und so kommt es, dass der Stadtrat beschließt, den Tunnel zu bauen. Wider besseres Wissen und trotz ernst zu nehmender, schriftlich vorgetragener Warnungen von Pro-Bahn. Aber die Fehlentscheidung ist getroffen, die Bahn beginnt mit dem Projekt, und die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Die Kosten und Termine steigen kontinuierlich, Jahr für Jahr, und sind heute bei über 8 Mrd. und dem Jahr 2037.
Schon bald nach Projektbeginn – also um 2004/05 – war die Stadt München von dieser Entwicklung beunruhigt und forderte die Rückfallposition Südring für alle Fälle zu planen. Das wurde von der Bahn und der Staatsregierung locker mit dem Hinweis und der Zusage „Betriebsbeginn ist ja eh schon 2010“ zurückgewiesen.
Der große Knall fand dann 2022 statt.
Schon im Jahr 2020 wussten Staatsregierung und Bahn von der neuerlichen drastischen Kostensteigerung. Aber man hielt zwei Jahre dicht, und erst im Sommer 2022 wurde dieses Desaster öffentlich kommuniziert. Und wie waren die Reaktionen, als das Desaster bekannt wurde? Unser OB Dieter Reiter hat sich gleich hingestellt und verkündet: Er will in Berlin alle Hebel in Bewegung setzen, dass das Geld kommt. Offensichtlich akzeptiert er diese Zumutung für die Münchner Pendler und stellt gar nicht erst die Frage nach einem Moratorium, einem Baustopp oder einer Alternative. Ebenso der Ministerpräsident Markus Söder. Der Bauherr, die Bahn, hat kein Problem. Sie hat ja keinen Festpreisvertrag gemacht. Die Bahn ist nicht perfekt bei der Pünktlichkeit, aber sie ist ziemlich gut im Aushandeln von Verträgen mit dem Staat. Das gesamte Risiko liegt jedenfalls beim Staat bzw. beim Steuerzahler. Man fragt sich: ist die Staatsregierung echt so blöd gewesen?
Wie kann es passieren, dass alles so schief läuft?
Ein Projekt läuft aus dem Ruder – inzwischen über zwei Jahrzehnte – alle sehen es. Es fehlt nicht an Warnungen von Seiten der Kritiker, es gibt fundierte Alternativpläne, aber keiner greift ein. Die S-Bahn mit ihren ständigen Verspätungen ist inzwischen ein großes Ärgernis für die Pendler, und die sehen, dass die Verbesserung der Situation in immer weitere Ferne rückt. Aber keiner von den entscheidenden Personen zieht die Reißleine, kein Minister oder Bahnvorstand greift ein oder tritt gar zurück.
Ja, so mancher Akteur nutzt die Fehlentscheidung als Sprungbett. Otto Wiesheu geht von der Politik zur Bahn mit einem fettem Vorstandsgehalt, Vorstand Grube bekommt einen Beratervertrag vom Tunnelbohrer. Die Methoden, wie mit der Kritik und den Kritikern umgegangen wird, kennen Sie sicher aus eigener Erfahrung. Ich könnte einige schöne Beispiele bringen, aber das wird dann zu lange. Nur ein paar Stichwörter dazu: Manipulierte Gutachten sind sehr beliebt, Lügen, die plausibel klingen und die Leute für dumm verkaufen. Das passiert häufig. Und wenn mal eine Strafanzeige vorliegt? Ja, dann haben wir immer noch die Weisungsbefugnis des Ministers.
Wie soll es weiter gehen?
Die Beschlusslage im Moment ist weiterbauen, koste es, was es wolle, und egal, wie lang es noch dauert. Aber noch ist Polen nicht verloren. Wir haben zwar riesige Baustellen am Marienhof, Hauptbahnhof und an der Isar, aber der Tunnel selbst ist noch nicht gebohrt. Die Gegner haben noch nicht aufgegeben. Man denkt so ähnlich wie hier, nämlich: Wie kann man unter Nutzung von dem, was schon gebaut wurde, auf das Alternativkonzept umsteigen und so noch in diesem Jahrzehnt zu einer Lösung kommen? Für die Entscheidungsträger – eigentlich müsste man ja sagen, für die Fehlentscheidungsträger – wäre das auch eine gute Gelegenheit, halbwegs gesichtswahrend aus dem Schlamassel auszusteigen.
Manche hoffen auf die leeren Kassen. Ich befürchte, dass es an der Finanzierung nicht scheitern wird. Dem Bund, also dem Verkehrsminister, der 60% der Kosten übernimmt, ist es egal, wofür die Bayern das Geld aus dem GVFG(Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz)-Topf ausgibt. Übrigens: Der Bundesrechnungshof hat 2018 festgestellt, dass das Projekt nicht wirtschaftlich ist und deshalb nicht gefördert werden darf.
Das ist schon schlimm genug. Aber viel schlimmer sind die Auswirkungen auf alle anderen Verkehrsprojekte in Bayern. Ganz konkret: aus diesem Topf gehen jährlich 446 Mio. Euro an Bayern, davon bleiben 427 in München und 19 Mio. bleiben für den Rest von ganz Bayern übrig. Und die lassen sich das gefallen. Für einen radikalen Stopp braucht es den Mut der Entscheidungsträger. Den sehe ich nicht, aber ich kann mich ja täuschen.
Eine persönliche Hoffnung habe ich trotzdem noch: Die Tunnelbohrmaschine wird nämlich knapp am Nordturm der Frauenkirche in 40 Meter Tiefe vorbeifahren. Fachleute warnen, dass der Belastungskegel viel zu steil ist, und dass der Turm zu Schaden kommen wird. Ich hoffe im Stillen, dass der Nordturm einfach umfällt. Das wäre dann ein Gottesurteil und das Ende der Tragödie.
Siehe auch: https://youtu.be/tTRlzFCEuUg