Weselsky: Ich lasse mir nicht mehr viel Zeit in diesem Konflikt

Interview von Matthias Schiermeyer mit Claus Weselsky in der Stuttgarter Zeitung vom 14.01.2024

Herr Weselsky, nicht nur Ihre Lokführer, auch die Bauern gehen auf die Barrikaden – wie finden Sie deren Proteste?

Die bewerte ich als ein Ergebnis des konfusen Regierungshandelns, das wir momentan alle erleben. Das ist aber mehr meine private Meinung, denn mit uns als GDL hat das überhaupt nichts zu tun. Wir sind im Arbeitskampf – und bei den Bauern handelt es sich um politische Demonstrationen.

Es erscheint manchen wie eine konzertierte Aktion. Hat es da seitens des Bauernverbandes Vorstöße gegeben?

Es gibt keine Gemeinsamkeiten. Der Verlauf von Tarifkonflikten ist sowieso schwer bis gar nicht vorhersehbar. So hat das eine mit dem anderen nichts zu tun, daher äußere ich mich nicht zu den Protesten der Landwirte.

Besorgt Sie der Zustand der Republik?

Darum sorge ich mich schon viel länger, als die Bauern protestieren. Das begann mit dem Heizungsgesetz. Was da jetzt drinsteht, hätte von Anfang an drinstehen müssen. Und es hätte mit dem Fördergesetz kommen müssen, damit diejenigen, die investieren, gesichert Fördergelder bekommen. Über Nacht Förderung abzuschalten, ist nicht normal. Das ist alles Aktionismus. Niemand verfolgt eine langfristige Strategie. Als Tarifexperte halte ich das für das Schlimmste, weil gerade Tarifpolitik langfristig angelegt ist. Jetzt aber Schluss mit politischer Bewertung, weil ich ja nicht Kanzler werden will.

Kommen wir zur Deutschen Bahn: Trotz umfangreicher Forderungen sparen Sie nicht mit Kritik am DB-Management.

Da dürfte ich ja nicht der Einzige sein. Wenn mir jemand beizubringen versucht, dass die Misere des Systems Eisenbahn auf die Streiks von Lokführern zurückzuführen ist, wird er wahrscheinlich sehr lange brauchen. Was wir hier erleben, ist das Ergebnis von langfristigen Fehlhandlungen, Missmanagement, Sparwahn. Das ist auch eine Langfriststrategie, aber von Menschen, die es nicht gut mit dem Eisenbahnsystem gemeint haben. Das sind Versager ganz oben, und die 3500 Führungskräfte darunter sind Duckmäuser. Ich kenne genügend Leute von Führungsebenen, die resigniert oder dieses System ganz verlassen haben, weil sie damit nicht umgehen können, was hier abgeht.

Das wird die Kompromissbereitschaft der Bahnmanager nicht befördern.

Die Herrschaften sind dazu gezwungen, weil sie nicht Millionen-Gehälter kriegen, um sich über jemanden zu echauffieren, sondern um das Eisenbahnsystem am Fahren zu halten. Das nenne ich Professionalität. Ich muss ja auch mit den ganzen Verunglimpfungen leben, die die andere Seite ablässt. Die tun so, als würde der Weselsky sie unflätig betiteln – sie selbst sind viel schlimmer. Sie packen das nur noch in schöne Worte.

Wie geht es weiter? Sie haben ja schon die Ansage gemacht: Ohne ein echtes Angebot der Bahn gibt es neue Streiks.

So ist es. Und ich sehe gerade kein inhaltliches Angebot kommen.

Das heißt, wir werden jetzt immer wieder drei oder vier Tage Streiks erleben?

Wieso soll ich jetzt schon sagen, wie lange wir streiken? Vom Prinzip her wird es länger und härter – das ist die Botschaft. Der Druck wird erhöht. Punkt. Ich glaube nicht, dass ich mir viel Zeit lasse. Beim vorigen Tarifkonflikt 2021 waren wir nach sechs Wochen durch. Das war diesmal nicht möglich wegen der großen Weihnachtspause, die ich im Prinzip festgelegt habe und nicht Herr Seiler....

... der Bahn-Personalvorstand...

... und die viel länger war, als er mir per Vertrag andichten wollte. Der hat eine unbedingte Friedenspflicht drin gehabt. Hätte ich den Vertrag unterschrieben, wäre meine schon angelaufene Urabstimmung tot gewesen. Die Herrschaften arbeiten die ganze Zeit daran, meinen Ruf zu beschädigen – wieso soll ich ein Blatt vor den Mund nehmen?

Sie haben gesagt, man könne Wellenstreiks wie vor einem Jahr bei der Südwestdeutschen Landesverkehrs-GmbH, der SWEG, machen?

Das Management ist am Zuge, ein substanzielles Angebot zu machen. Ich mache aber prinzipiell keine Aussagen zur Streiktaktik. Wir treten nicht in einen unbefristeten Streik zum jetzigen Zeitpunkt, weil wir Verantwortung für das Gesamtsystem sehen und weil wir meinen, dass die Auswirkungen zu groß wären. Aber ob ich jetzt drei oder fünf Tage Streik mache, hängt davon ab, was passiert. Wenn das Management Millionen Steuergelder verschleudert und meint, dass die Fahrgäste das alles erdulden müssen, dann ist es die Entscheidung im Turm...

... also im Bahntower in Berlin. Warum lehnen Sie eine Schlichtung strikt ab?

Weil ich über grundgesetzliche Angelegenheiten nicht schlichten lasse. Die Frage, ob ich einen Tarifvertrag für Fahrdienstleiter kriege, gebe ich in keine Schlichterhand. Da wäre ich ja ein bisschen bekloppt. Hat niemand mehr ein Gedächtnis? Zum vierten Mal seit 2007/2008 entzieht diese Schleudertruppe im Turm den Menschen die Eisenbahn mit derselben Übung: Zunächst wollen sie uns keinen Tarifvertrag geben – dann kriegen wir ihn doch. Auch für Fahrdienstleiter werden wir einen bekommen.

Juristisch wird über Ihre Genossenschaft Fair Train gestritten, die Lokführer von der Bahn abwerben und mit gehobenen Konditionen ausgestattet wieder verleihen soll. Daher spricht die Bahn der GDL die Tariffähigkeit ab. Sind Sie gewiss, rechtlich auf der sicheren Seite zu sein?

Ich bin erst sicher, wenn das Urteil gesprochen ist. Denen geht es auch gar nicht um Fair Train im Hauptsacheverfahren. Es ging ihnen doch nur darum, drei Tage nach Einreichung der Klage die Verknüpfung zur einstweiligen Verfügung herbeizuführen.

Das Landesarbeitsgericht hat aber auf die rechtliche Problematik der engen Verflechtung von GDL und Fair Train hingewiesen – ist Ihr Projekt bedroht?

Das hat es. Das Gericht hat uns sogar noch einen klaren Tipp gegeben: Wir hätten jetzt noch genügend Zeit, uns zu überlegen, ob die intensive Verflechtung – also die drei Aufsichtsratsmitglieder, die auch meine Stellvertreter bei der GDL sind – aufrechterhalten bleiben muss. Unser Anwalt hat argumentiert: Wenn das Gericht seine einstweilige Verfügung erlassen sollte mit dem Hauptgrund der Verflechtung, dann würden diese drei am Tag drauf zurücktreten – und wir würden eine Woche später den nächsten Streik ausrufen.

Das heißt, Sie können das Genossenschaftsmodell bei Fair Train bewahren?

Eine Genossenschaft zu gründen, ist doch kein Verbrechen. Die Idee ist hervorragend, und in anderen Bereichen findet man das, was die GDL angefangen hat, beispielgebend. Man kann sich so ein Modell auch in der Pflege gut vorstellen. Wenn sich dort Tag für Tag Hunderte Festangestellte in die Zeitarbeit verabschieden, ist irgendetwas krank.

Warum?

Zeitarbeit sollte eine Ergänzung sein und Spitzen abfangen. Weil sich aber die Arbeitgeber bei den festen Anstellungsverhältnissen nicht bewegen, weil die Gewerkschaften keine Ideen entwickeln und die Menschen unter den Arbeitsregeln leiden, bieten jetzt die Personaldienstleister in der Pflege flexible Arbeitszeitmodelle an. Dann verabschieden sich die Pflegekräfte aus der Festanstellung und gehen in die Zeitarbeit, um dort mehr zu verdienen. Das ganze Ding verteuert sich, und die Gewinne verschieben sich von den Kliniken und Heimen zu den Leiharbeitsunternehmen. Da finde ich ein Genossenschaftsmodell Klasse, weil es letztlich den Mitgliedern der Genossenschaft zugutekommt. Und wenn es die sind, die dort auch noch arbeiten, dann schließt sich der Kreis auf eine exzellente Art und Weise.

Anfang dieses Jahres wollten Sie die ersten Lokführer aus der Genossenschaft bereitstellen. Wie läuft es?

Es gibt zurzeit noch keine aktiven Arbeitsverhältnisse und demzufolge auch keinen verliehenen Lokführer, trotzdem läuft es planmäßig und gut.

Sie müssen erhebliche Überzeugungsarbeit in der Mitgliedschaft leisten?

Natürlich. Glauben Sie denn, dass es Menschen leicht fällt, ein Arbeitsverhältnis, das 20 bis 25 Jahre bestanden hat, von sich aus zu kündigen, Risiken einzugehen und dann zu sagen: Der Claus wird es schon richten?

Da braucht es extremes Vertrauen in Ihre Vorhersagen – ist das eine Bürde?

Uneingeschränktes Vertrauen haben die in uns. Es ist das Ziel der Bahn, das Vertrauen zu erschüttern, indem sie so tut, als wäre es eine ganz windige Kiste. Die verschaffen sich nichts anderes als noch ein bisschen Zeit, weil sie die Schwingungen und Einschläge wahrnehmen. Genau das ist gewollt: Ein Arbeitgeber, der meinen Mitgliedern die Tarifverträge entzieht, die wir erkämpft haben, der hat nichts anderes verdient, als dass sie sich abwenden und dort hingehen, wo sie vernünftig bezahlt und wo die Regeln der Tarifverträge eingehalten werden. Was ist denn daran so schlimm? Wissen Sie, was für die Typen bei der Bahn falsch ist? Dass hier ein Ossi durch das Land läuft, der gelernt hat, sich in dem Rechtssystem zu bewegen und denen zeigt, wie es auch geht.

Folgen Ihre Leute Ihnen bedingungslos?

Bei der DB folgen die Führungskräfte bedingungslos – wenn sie es nicht tun, werden sie mit Rausschmiss bedroht. Unsere Mitglieder gehen aus Überzeugung, dass sie dann vernünftig und gerecht behandelt werden. Dies gilt aber nicht für die individuelle Entscheidung, den Arbeitgeber zu wechseln, weshalb das etwas anspruchsvoller ist. Aber es wird funktionieren, weil die Bahn alles dafür tut, um ihre eigenen Mitarbeiter zu verunglimpfen. Die glauben, sie zielen auf den Weselsky. Sind die nicht intelligent genug zu wissen, dass sie jedem Lokführer und Zugbegleiter ins Gesicht schlagen mit ihren Äußerungen über mich und über das, was diese GDL tut? Wie abgehoben muss man sein, um zu glauben, dass das keine Auswirkungen auf die eigenen Beschäftigten hat?

Die Bahnführung schweißt Ihre Truppe somit weiter zusammen?

Ja klar, die haben Vertrauen in eine Sache, die sie verstehen, weil wir es ja vorher auch diskutieren, dass das richtig ist. Und dann marschieren wir gemeinsam durch das Feuer. Das ist kein bedingungsloser Gehorsam.

Gewinnen Sie noch Mitglieder hinzu?

Ja, sehr schön. Der Dreh für die Bahn war doch, das Tarifeinheitsgesetz anzuwenden und der GDL nur die damals 17 Betriebe zu geben, obwohl es unübersehbar ist, dass wir die Mehrheit der Mitglieder in viel mehr Betrieben haben. Doch in den anderen Betrieben, wo dies auch der Fall ist – was glauben Sie, was dort los ist? Da gehen die Leute zu den Arbeitgebervertretern und sagen: Was wollt Ihr eigentlich von uns, wieso soll ich denn die Überstunden machen? Ihr nehmt mir den Jahresschichtplan weg und bietet mir irgendein Flexibilisierungsprogramm an. Zuverlässigkeit in der Planung kostet mehr Geld und mehr Personal – daher verweigert sich die Bahn.

Stuttgart 21 wird erneut teurer: 11,45 Milliarden Euro. Wie finden Sie das?

Es ist ein Projekt der Deutschen Bahn AG, geplant von Menschen im Geschwindigkeitswahn, die jetzt unglaublich lange suchen müssen, um noch irgendeine vernünftige Begründung dafür zu finden. Was denken Sie denn, warum in Ihrem Umfeld in Stuttgart die ganzen sogenannten Digitalisierungsprojekte angesiedelt sind? Warum man dort krampfhaft versucht, aus dem Acht-Gleise-Bahnhof noch einen Bahnhof zu machen, der irgendwie in den Deutschland-Takt hineinpasst? Es ist eine Fehlleistung vor dem Herrn.

Warum?

Das Eisenbahnsystem fußt nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf Zuverlässigkeit von Anschlussverbindungen und auf Pünktlichkeit. Da geht es nicht darum, dass die Menschen zwischen Berlin und Hannover mit 300 km/h befördert werden wollen. Es geht ihnen darum, dass sie nach dem Ausstieg in Hannover alle Anschlüsse in fünf Minuten bekommen. Stuttgart 21 ist das absolute Desaster, nicht bloß finanziell, sondern auch eisenbahnsystemisch. Jeder Kopfbahnhof funktioniert besser als das, was dann dort unten stattfinden wird. Der Berliner Hauptbahnhof ist größer, aber auch von der Konstruktion her geeignet, weil die Züge in jede Richtung fahren und weil über die drei Etagen ein Umsteigeprozess innerhalb von zehn Minuten gewährleistet ist.

Somit fühlen Sie sich in Ihrer früheren Kritik an Stuttgart 21 bestätigt?

Es ist ein Milliarden-Grab – die Tunnel-Lobby hat sich dumm und dämlich verdient. Es ist immer noch mit höchstem Risiko versehen, und für die Region Stuttgart wird es nicht besser. Denn die Frage, ob sie etwa nach Ulm eine Viertelstunde kürzer fahren, ist nicht entscheidend für Reisende. Für die zählt, wann sie losfahren und ankommen. Genau das klappt in diesem Fall nicht.


Reizfigur
GDL-Chef Claus Weselsky weiß zu gut, dass er polarisiert und die Menschen in der Republik gegen sich aufbringt. Er sei aber „absolut nicht stur, sondern konsequent“ darin, den Auftrag seiner Mitglieder umzusetzen, sagt der 64-jährige Sachse. Weselsky wurde in Dresden geboren und lebt heute in Leipzig. Seit 2007 ist er CDU-Mitglied.

Ruhestand
Zu DDR-Zeiten wurde er zum Lokomotivführer ausgebildet. Nach der Wende schlug er eine Laufbahn als Gewerkschaftsfunktionär ein. Im September will er mit 65 Jahren aufhören – nach 16 Jahren als Bundesvorsitzender. Bei seiner Art zu leben mit teils nur wenigen Stunden Schlaf in der Nacht brenne die Kerze schneller ab, und er wolle aber noch „eine lange Zeit erleben“. Daher freue er sich auf den Ruhestand.

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