Rede von Peter Grohmann, Kabarettist, Autor und ‚AnStifter‘, auf der 690. Montagsdemo am 8.1.2024
Glück auf, Glück auf ! Der Steiger kommt und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
und er hat sein helles Licht bei der Nacht / schon angezündt, schon angezündt.
Hat’s angezündt, ´s wirft seinen Schein, und damit so fahren wir bei der Nacht,
und damit so fahren wir bei der Nacht ins Bergwerk ein, ins Bergwerk ein.
Ins Bergwerk ein, wo die Bergleut‘ sein, die da graben das Silber und das Gold
bei der Nacht, die da graben das Silber und das Gold bei der Nacht
aus Felsgestein, aus Felsgestein.
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
die Lichter des letzten Jahres sind verblasst. Die Lichter des neuen Jahres mögen angezündt' sein, aber sind sie denn auch hell genug? Nein, es geht hier nicht um Erleuchtung, nicht um Osram und nicht um „Dein Licht komme“: Es geht um Erkenntnis statt Erleuchtung. Es geht nicht um Glauben, sondern um Wissen.
Um Wissen und Wissenschaften.
Der Königsberger Gelehrte Immanuel Kant (1724-1804) würde dieses Jahr 300 Jahre alt, wenn er noch lebte. Allerdings ist Königsberg heute russisch. „Wer sich zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, wenn er mit Füßen getreten wird“, sagte der Ostpreuße. Immanuel Kant gehört neben meiner Omi Glimbzsch in Zittau zu den bedeutendsten Vertretern der europäischen Aufklärung und der neuzeitlichen Philosophie. Er stellte die Vernunft in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und wandte sich damit gegen die Bevormundung durch Staat und Religion.
Wessen Stadt? Wessen Geld? Wessen Recht? Wessen Luft? Wessen Wälder? Wessen Erde? würde er vernünftigerweise fragen. Und was die Vernunft angeht, von der Unvernunft ganz zu schweigen, behauptete Kant: Der Friede ist das Meisterwerk der Vernunft. Und so zweifeln wir in diesen Tagen mit Millionen Menschen in aller Welt an der Vernunft – an der Vernunft der Reichen und Schönen, an der Vernunft der Regierenden ostwärts und westwärts und südlich von Stuttgart 21, an der Vernunft auch der Menschen, die den Kriegstreibern die Treue halten.
In meiner Jugendzeit, also vor 10, 15 Jahren, sangen wir: Nie, nie woll'n wir Waffen tragen / nie nie woll'n wir wieder Krieg / Lass die hohen Herrn allein sich schlagen – wir machen einfach nicht mehr mit!
Ach, die Jugendzeit, sie kommt nicht mehr. Doch der Krieg, der bleibt unsere größte Sorge. Der Krieg, der ausufernde, der lauernde, der menschenfressende, vernichtende, der brutale. Wir sehen ihn mit Sorgen und fürchten sein Näherkommen. Wir sehen seine Opfer, die Toten und Verwundeten, wir sehen die, die fliehen müssen, und sehen sie nicht, die hungern müssen, die keine Decke für die Nacht haben – und sehen sie nicht, die in den Schützengräbern verrecken, wir sehen die Kinder in den Bunkern von Gaza und im Kibbuz Be'eir und sehen sie nicht.
Ich bitt' euch, lasst uns stellvertretend für sie alle eine Minute schweigen.
Wir wisssen ja: Beides wohnt nebenan: Das pralle Leben und das elende Elend. Der alte Krieg und der neue Krieg. Der Hass und die Zuversicht auf bessere Zeiten – beides wohnt in unserer Stadt. Beides wohnt in deinem Haus. Der alte Krieg und der neue. Der alte Krieg, den wir vergessen haben und der neue, den wir vergessen wollen – beides wohnt nebenan.
Die Sorglosigkeit und die Trauer. Die guten Nachrichten und die schlechten. Der neue Krieg, der sich auf den Weg macht, der sich nicht einhegen lässt wie eine Schafherde im Schwarzwald. Der neue Krieg, der keinen Wachhund hat, keinen Stacheldraht, der die Wölfe abhält. Der neue Krieg hat es nicht weit nach Möhringen und Vaihingen.
Doch Brücken müsst' man bauen zu den Nachbarn nebenan – die offene Tür und das offene Wort fordere ich. Das offene Wort, das nicht übelgenommen wird, wenn es anders klingt. Bücher müsste man lesen, wie's zum besseren Leben kommen könnt', wie's gewendet werden kann. Zuhören müsste man lernen- und widersprechen. Freunde werden wir haben und mit ihnen bei allem Unbill, bei allen Gemeinheiten, die ein Mensch dem anderen zufügen kann, wieder leben lernen. Vielleicht in Demut. Mit schweren Träumen in den Nächten...
Wir leben. Doch bedenkt: es gibt kein gutes Leben ohne Solidarität. Es gibt kein gutes Dasein ohne Gerechtigkeit. Es gibt kein Leben ohne Trauer. Es taugt kein Leben ohne Heiterkeit – auch wenn das Lachen schwerfällt mitunter.
Mata terra – Mutter Erde, wir leben auf Dir, wir quälen, wir peinigen Dich, wir leben auf Dir und auf Pump. Zu den ganz großen Pump-Stationen gehört Stuttgart 21, ein schlecht geplantes, unnützes und 16 Milliarden teures Angeber-Projekt. Zum Kotzen, Herr Major, würde meine Omi Glimbzsch in Zittau sagen.
Der globale „Erdüberlastungstag“ nennt den Zeitpunkt, an dem wir die natürlichen Ressourcen der Erde fürs gesamte Jahr aufgebraucht haben – verfressen, verbrannt, verramscht, zerstört, vernichtet. Was wir ab August bis Dezember 2023 an Wasser, Wäldern und Ackerland verbraucht haben, kann sich nicht mehr regenerieren. Schuld daran ist dieses miese profitorientierte Wirtschaften ohne Rücksicht auf Verluste, nach dem Prinzip der Bahnhofsbauer, Flughafenbauer, der Städtebauer. Ohne Rücksicht auf Verluste heißt ohne Rücksicht auf Mensch und Tier, ohne Rücksicht auf die Natur.
Wer die vielfachen Krisen unserer Zeit verstehen will, wer ehrliche Antworten sucht, wer keine Angst vor der Wahrheit hat, der wird Ulrich Brand kennen und sein Buch „Imperiale Lebensweise – Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus“.
Kapitalismus war ja viele Jahre lang ein Wort, das man am liebsten verboten hätte wie den Uhu-Kleber der Klimaschützer auf Asphalt. Kapitalismus war etwas, das woanders war, ganz ganz weit weg, vielleicht bei den Amerikanern. Heute natürlich auch in China und Russland, bei den Mullahs und den christlichen Fundamentalisten Und Kapitalismus und Demokratie, die zwei Worte nahm man nie gern gemeinsam in den Mund. Und dann auch noch Imperialismus. Imperialismus könnt' man heute auch auf Russisch sagen: Imperializm oder auf Arabisch: al'iim biry alia – oder auf Hebräisch: Imperialis'm. Imperialismus und Kapitalismus und Demokratie – das ging ja gar nicht. Höchstens zu Zeiten der Kolonialisierung, bei Anno Kruck, wie meine Om Glimbzsch wusste. Als uns noch viel, viel Afrika gehörte, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kamerun, Togo, Elsass-Lothringen und Südtirol. Heute gehört uns auch die DDR, und wir sind auch nicht glücklicher als vorher – und viele dort auch nicht.
Imperialismus, Kapitalismus: Diese ganz schlimmen Worte verfaulen im Maul.
Wenn Sie an diesem 8. Januar 2024, einem halbwegs normalen, kalten Januartag überlegen, wie frech, gewalttätig und rücksichtslos sich der Globale Norden (wir!) wie vor 100 Jahren an den ökologischen und sozialen Ressourcen des Globalen Südens bedient, dann ahnen Sie, was Imperialismus und Kapitalismus ist: Die totale Ausbeutung von Mensch und Natur hält nach wie vor an – und nimmt weiter an Fahrt auf. Sie erklärt auch, warum es so schwer ist, unerwünschte Großprojekte wie S21 zu stoppen. Die imperiale Lebensweise baut darauf, dass verdient wird, auf Teufel komm raus, baut darauf, dass scheißegal ist, was ein Bahnhof oder ein Flughafen kosten, baut darauf, dass die Menschen, wo auch immer, das Maul halten und sich damit begnügen, alle paar Jahre mal hier und mal da und mal dort ihr Kreuzle zu machen: die amputierten Demokraten.
Immanuel Kant, der alte Ostpreuße, der bald 300 Jahre alt wird, er war einer der wenigen deutschen großen Philosophen, der für den Republikanismus eintrat. Ein begeisterter Anhänger der Französischen Revolution. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, forderte er. Das wird bald gern zitiert, bei seinem Geburtstag. Das mit der Revolution eher nicht.
Wenn die Sonne brennt, nicht nur wie bei uns im August, wenn es nicht nur an ein paar Tagen 30, 40 Grad heiß ist, sondern monatelang, manchmal über Jahre – wie etwa in Afrika, wenn die Felder vertrocknen, kein Korn mehr reift, letztes Jahr schon nicht und die Jahre davor nicht, wenn die Quellen versiegen und das Vieh verreckt, wenn es nichts mehr zu essen gibt dort und keine Arbeit und keine Vesperkirche dort und auch keine Care-Pakete ankommen und Bibeln, sondern massenweise Waffen von Heckler & Koch und Kampfpanzer von Kraus-Maffei und Liebesgaben für die Oligarchen – auch von unserer Regierung! – dann ist das auch Kapitalismus. Dann machen sich die dürstenden Menschen auf. In kilometerlangen Kolonnen wie dieser Tage in Mexiko. Dorthin, wo es Wasser gibt für die Kinder, einen Brotkanten nur, und die Chance zu überleben.
Das ist bei uns die Zeit der Söder und Höcke und Merz. Das ist bei uns die hohe Zeit der Populisten.
Zu den unveräußerlichen Rechten in einer Demokratie gehört die Versammlungs-, die Meinungs- und Pressefreiheit – Rechte, die uns die Rechte gern nehmen würde, das Recht zu Offenheit, zu Kontroversen. Deshalb streiten wir für Demokratie und Menschenrechte, auch wenn sie lädiert und beschädigt und geflickt sind, deshalb suchen wir Antworten auf mangelnde Information, suchen nach unterdrückten und unterbliebenen Nachrichten auch an den Montagen.
Vor ein paar Wochen war ich im Bezirksbeirat Cannstatt, um ein paar Mark zu erbetteln für die Ausstellung „Mein Name ist Mensch“, die sich für das alles einsetzt, was sich in ein Wort fassen lässt: Menschlichkeit. Es gab eine Abstimmung, und den Antrag auf einen Zuschuss lehnte die AfD gemeinsam mit der CDU, der FDP und den Freien Wählern ab. Keinen Pfennig für sowas! Aber noch hatte die bessere Hälfte des Bezirksbeirats die Mehrheit: Die Ausstellung wird am 11. Januar im Cannstatter Rathaus eröffnet. Aber täuscht euch nicht: Morgen könnte es mit solchen Mehrheiten vorbei sein. In diesem Jahr stehen Wahlen an – wehe, wenn Ihr Euch darauf nicht gut vorbereitet.
Ich gebe zu: Menschen, die sich für mehr Demokratie, für Gerechtigkeit und eine solidarische Welt engagieren, für Vielfalt und eine freie Presse, Menschen wie Ihr, wie wir sind nicht nur der AfD ein Dorn im Auge. Vergesst es nicht: Die schrägen Brüder und ihre Schwestern sitzen längst in fast allen Landtagen. Sie sind die Trendsetter der neuen Zeit und eine Folge von Denkverboten, fehlenden Debatten, dummer Rechthaberei auch in unseren Reihen, von Politikverdrossenheit, die einhergeht mit dem Wunsch nach einem starken Mann, der dem links-grün-versifften Haufen und uns endlich mal so richtig „den Rost runter“ tut.
Liebe Leute, wir Widerständler gegen den dümmsten und tiefsten Bahnhof der Welt, wir AnStifter gegen Hass im Netz und auf der Gass' müssen aufpassen und aufhorchen und widerständig bleiben – oben also! Das Schöne an der Zivilgesellschaft ist, dass wir den Herrschenden nicht nach dem Maul reden, dass wir selbst unter uns streiten, ganz kräftig oft, darum, was schlecht und was gut und was besser wäre. Das Schöne an uns ist, dass wir so viele Meinungen haben und uns meistens zuhören und wissen, dass wir nicht immer Recht haben, aber doch sehr oft. Das Gute an uns ist, dass wir gut aussehen und aufrecht gehen können und heiter bleiben, dass wir oben bleiben!