Rede von Luigi Pantisano, Fraktionsgemeinschaft „Die FrAktion“, auf der 688. Montagsdemo am 11.12.2023
Liebe Freundinnen und Freunde,
Lügen, Lügen und nochmals Lügen! Sie haben uns 15 Jahre lang nur Lügen aufgetischt: Wir konnten es letzte Woche hören und lesen, Stuttgart 21 soll nun 11 Milliarden Euro kosten. Das ist mehr als doppelt so viel wie die 4,5 Milliarden Euro vor 10 Jahren und nochmals 2 Milliarden Euro mehr als die zuletzt genannten 9 Milliarden Euro. Nicht einberechnet sind in diesen Summen die weiteren Milliarden für die Sanierung und den Ausbau des gesamten Bahnknotens um Stuttgart.
Seit diese Baustelle vor über 10 Jahren begonnen wurde, gab es am Stuttgarter Hauptbahnhof hunderte Zugausfälle und tausende Stunden an Verspätungen im Bahnverkehr – statt schneller in Ulm oder Bratislava zu sein. Wir wurden vielmehr abgehängt vom europäischen Bahnverkehr.
Kilometer Tunnel unter der Stadt, tausende Tonnen an CO2-Naturzerstörung, hunderte gefällte Bäume und zerstörten Boden hat uns S21 gebracht.
In Stuttgart haben wir nun eine völlig marode Bahninfrastruktur und einen kaputten Kopfbahnhof, erdulden seit Jahren monatelange Sperrungen bei der S-Bahn, und bald kommen jahrelange Behinderungen auf der Gäubahn hinzu. Stuttgart verhindert eine klimagerechte Mobilitätswende. Die Klimaziele von Paris sind in weite Ferne gerückt.
Sie haben uns tausende bezahlbare Wohnungen versprochen, blühende Landschaften sollten inmitten der Stadt entstehen, stattdessen steigen die Mieten nirgends in Deutschland so sehr wie in Stuttgart, der Grünraum wird immer weniger und die Hitze in der Stadt immer unerträglicher.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich stehe hier heute vor Euch voller Wut und Bitterkeit. Ich frage mich immer wieder, ob wir vor 15 Jahren hätten lauter sein müssen, deutlicher sein müssen, alles hätten besser erklären müssen? Ich stand wie Ihr bei einer der ersten Montagsdemos in Stuttgart vor dem Nordflügel. Ich war mit Euch und zehntausenden auf der Straße und habe protestiert und vor allem auch aufgeklärt.
Wir haben vor all den Folgen gewarnt, wir haben damals schon die Mehrkosten von 11 Milliarden Euro genannt, die heutigen Probleme des Bahnverkehrs haben wir vorhergesagt, die verheerenden Folgen für das Klima haben wir benannt. Und trotzdem haben wir es nicht geschafft, dass die Bevölkerung uns folgt.
Die meisten Stuttgarter:innen hören bei Stuttgart 21 weg. Nach dem Motto: Augen zu und durch. Viele belächeln uns nur noch. Für manche gehören wir mit den Montagsdemos zu Stuttgart wie der jährliche Weihnachtsmarkt oder das Weindorf. Und im nächsten Jahr finden Kommunalwahlen statt, und obwohl die Klimakrise eines der wichtigsten Themen sein wird, wollen viele der Kandidierenden Stuttgart 21 nicht zu einem Thema machen.
Liebe Freundinnen und Freunde, das dürfen wir nicht zulassen und das müssen wir ändern. Denn Stuttgart 21 ist nicht einfach nur ein Bahnprojekt. Stuttgart 21 steht für ein korruptes und betrügerisches System, welches immer noch tief verankert ist in der Stuttgarter Politik. Es gibt in Stuttgart viele kleine und große Stuttgarts 21.
Zum System Stuttgart 21 gehört, dass der Bahnvorstand und folglich auch die Politik schon vor zehn Jahren wusste, dass Stuttgart 21 über 11 Milliarden Euro kosten würde und eine Fertigstellung des Projekts bis mindestens 2025 dauert. In der Stuttgarter Zeitung ist dazu vor wenigen Tage ein sehr aufschlussreicher Artikel erschienen. Demnach wussten die CDU-Kanzlerin Merkel, CSU-Verkehrsminister Ramsauer, Bahn-Chef Grube, Bahnvorstand Volker Kefer und die politischen Verantwortlichen bei CDU/CSU, SPD und FDP über all das Bescheid. Dennoch haben sie die Öffentlichkeit betrogen und belogen, und stattdessen haben sie uns als Lügner verunglimpft.
Bis heute wurde niemand der verantwortlichen Politiker:innen für diesen Lug und Betrug zur Rechenschaft gezogen. Die meisten der damals Verantwortlichen sind nicht mehr im Amt. Nur noch Regionalpräsident Bopp von der CDU ist noch im Amt – nur noch bis zum nächsten Sommer. Er wusste die Wahrheit damals sicher auch schon. Es gibt aber viele Mitwisser:innen, die wie bei der Mafia der
„Omerta“ mehr verpflichtet sind, als der Transparenz gegenüber den Bürger:innen.
Der jetzige Innenminister von Baden-Württemberg, Thomas Strobl, war schon 2011 Vorsitzender der CDU im Land. Er ist einer derjenigen, die auch Bescheid wissen mussten und trotzdem vermutlich gelogen und betrogen hat. Der aktuelle „Oppositionsführer“ Andreas Stoch von der SPD war 2013 Kultusminister der Landesregierung in Baden-Württemberg. Auch er muss damals Bescheid gewusst haben. Auch von ihm als knallhartem Projektbefürworter gab es keine Transparenz. Bis heute nicht. Warum nicht?!
Und der Grüne Kretschmann war schon im Jahr 2011 Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Bis heute ist er das. Ich stand hier auf dem Platz im Jahr 2011 und hab gefeiert, dass Mappus weggewählt wurde. Er muss erst recht schon 2013 gewusst haben, dass die Kosten bei 11 Milliarden liegen. Er ist sogar gewählt worden mit dem Anspruch, für Transparenz zu sorgen. Und was hat er gemacht? Wie alle anderen hat er geschwiegen und gelogen. Keiner dieser Politiker hat sich nach den Berichten der letzten Tage zu Wort gemeldet. Sie schweigen lieber weiter.
Selten wie in diesen Tagen vermisse ich eine starke linke Opposition und Fraktion im Bundestag und insbesondere im Stuttgarter Landtag. Es ist längst an der Zeit, einen Untersuchungsausschuss zum Projekt Stuttgart 21 zu starten, denn dieses Projekt ist eines der größten politischen Betrugsfälle der deutschen Geschichte. Und alle kommen bis jetzt einfach unbehelligt davon. Dabei müssten einige der genannten Herrschaften längst hinter Gittern.
Liebe Freundinnen und Freunde, umso wichtiger ist es, dass Ihr und wir weitermachen und wieder mehr Gehör finden in der Stuttgarter Bevölkerung. Wir müssen wieder mehr Menschen erreichen in der Stadt. Wir brauchen einen Zusammenschluss auf Augenhöhe mit der jungen Klimabewegung und auch mit alten Bündnispartner:innen. Wenn die Kandidierenden zur Kommunalwahl Stuttgart 21 nicht zum Thema machen, dann müssen wir es eben machen. Ich mache es, Die Linke wird es machen und wir müssen die anderen dazu bringen, Stuttgart 21 wieder zum Thema zu machen.
Es ist wichtig, weil in der Stadt weitere Projekte wie Stuttgart 21 auf dem Tisch liegen: Das aktuellste Beispiel ist das geplante Projekt zum kompletten Abriss und Neubau der Schleyerhalle. Die Halle braucht dringend einen neuen Namen, aber warum muss die Halle denn gleich ganz abgerissen und neu gebaut werden? Ich weiß nicht, ob Ihr den Grund mitbekommen habt, aber sie erklären uns dieses Projekt ernsthaft damit, dass Helene Fischer mit ihrer Konzertbühne nicht mehr in die Schleyerhalle passt. Sie braucht für ihre große Bühne mehr Platz. Ja, gehts denn noch?!
Ein Abriss und Neubau würde sinnlos tausende Tonnen CO2 verbrauchen und graue Energie zerstören. Das Projekt soll zudem über 300 Millionen Euro kosten. Das ist vermutlich der sogenannte „politische Preis“, den sie nennen. In Wahrheit kostet das Ganze am Ende dann um die 600 Millionen Euro. Und wie bei Stuttgart 21 wurde dieses Projekt im Hinterzimmer diskutiert und beschlossen. Im Gemeinderat haben wir bis heute keinen Beschluss vorgelegt bekommen. Auch nicht jetzt während den Haushaltsberatungen. Immer wieder wurde die Vorlage geschoben und wird uns auch nicht mehr vorgelegt.
Wisst Ihr warum? Weil sie ab der Stadtspitze Sorge haben, dass es keine Mehrheit für dieses Projekt gibt. Also haben sie entschieden, ohne zusätzliche Gelder des Gemeinderats und ohne einen Beschluss des Gemeinderats das Projekt weiter zu planen und uns erst später wieder vorzulegen. Da hoffen wohl einige, dass sich nach der nächsten Kommunalwahl die Mehrheitsverhältnisse ändern. Das dürfen wir ihnen nicht durchgehen lassen.
Ähnlich wie bei der Schleyerhalle ist die Stadt schon vorgegangen bei der Sanierung des Neckarstadions. Erst sollte es nichts kosten, dann 30 Millionen und jetzt sind es schon 120 Millionen. Gleichzeitig sollen nun dringend notwendige Sanierungen von Schulen um Jahre verschoben werden. Spielplätze werden auch nicht alle saniert. Und das Ganze, obwohl die Stadt 1,5 Milliarden Euro Steuern eingenommen hat. Wie ist das möglich?! Mir und vielen anderen Eltern dieser Stadt ist es wichtig, dass die Toiletten in den Schulen unserer Kinder funktionieren. Uns ist es aber scheißegal, ob Helene Fischer nun in die Schleyerhalle passt oder nicht.
Und es tauchen auch immer wieder Projekte von privaten Investoren auf, die sich als große Wohltäter für die Allgemeinheit verkleiden. Immer sind es die gleichen Parteien im Gemeinderat, die sich flach hinlegen und Investoren die Füße küssen, als wären das Heilsbringer. Die CDU und FDP sind ideologisch schon immer mit dabei. Die SPD liegt flach, wenn die Rede von Wohnungen ist, die geschaffen werden, ganz egal, was diese Wohnungen kosten, und die Grünen jubeln, wenn irgendwo ein Baum geplant ist, unabhängig davon, wieviel CO2 beim Bau eines Projekts entsteht. Ich bin da jetzt seit Jahren im Gemeinderat und egal, wie oft wir vor diesen Projekten von privaten Investoren gewarnt haben, werden sie doch immer durchgezogen.
Die Folge ist nun zu sehen: Immer mehr Löcher entstehen in der Stadt. Das Eiermann-Areal steht bis heute leer und ist weiterhin ein großer leerer Parkplatz, denn die Adler-Group ist pleite. Das sind dieselben mit dem Hochhaus in Fellbach. Das EnBW-Areal im Stöckach geht nicht voran, steht leer und wird nicht umgebaut. Die Landesregierung lässt es lieber leer stehen, statt an die Stadt zu verkaufen. Auf der Königstraße entstehen Löcher, nun an der Schulstraße, nach der Pleite des kriminellen Benko. An vielen anderen Orten ziehen sich private Investoren nach dem Abriss zurück und hinterlassen meist nur großen Schaden.
Und ein aktuelles Beispiel aus Cannstatt: Ein Investor will das alte Rilling-Areal am Neckar zu einem Konzerthaus für das Kammerorchester umbauen und noch zusätzlich ein Hotel. Natürlich alles fürs Gemeinwohl. Die Idee des Investors ist, dass er 20 bis 30 Millionen investiert und ihm die Stadt zusätzlich 50 Millionen zuschießt. Ihr habt richtig gehört, zwei Drittel der Summe soll die Stadt bezahlen, damit der Investor sich später dumm und dämlich verdient an den Einnahmen des Hotels und der Pacht für das Konzerthaus, welche die Stadt ja dann auch bezahlen müsste. Und haltet Euch fest, die Mehrheit im Gemeinderat für dieses Projekt steht. Also macht Euch gefasst auf ein weiteres Loch in der Stadt.
Wir haben früher oft gerufen: Wessen Stadt? Und alle haben gemeinsam geantwortet: Unsere Stadt! Lasst uns das wieder rufen: Wessen Stadt? Unsere Stadt! Ja, Stuttgart ist unsere Stadt und wir müssen sie schützen vor weiteren Zerstörungen durch Stuttgart 21 und viele Projekte, die aus dem System Stuttgart 21 entsprungen sind. Das geht nur, wenn wir uns einmischen und den Politiker:innen von CDU, SPD, Grünen, FDP und Freien Wählern auf die Füße treten und uns dieser verfehlten Stadtpolitik entgegenstellen.
Das geht nur mit Euch zusammen. Deswegen mischt Euch bitte weiter ein, lasst uns wieder mehr werden und tretet auch uns in den Hintern, wenns sein muss.
Liebe Freundinnen und Freunde, lasst uns Stuttgart 21 im anstehenden Wahlkampf zum Thema machen. Wir dürfen es den verantwortlichen Politiker:innen und Parteien nicht durchgehen lassen. Lasst uns gemeinsam gegen das System 21 kämpfen, und das ‚abgrundtiefe und bodenlose‘ Tunnelbahnhofsprojekt zu Fall bringen!
Oben bleiben!