Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), auf der 674. Montagsdemo am 4.9.2023
Seinen Sie mir herzlich gegrüßt, liebe Mitstreitende,
in meiner heutigen Rede liegt der Schwerpunkt mal nicht auf der Verkehrspolitik oder der Erhaltung der Gäubahn – an der sind wir dran. Sondern ich möchte Euch heute ein paar mutmachende Beispiele geben, die zeigen, dass es sich lohnt, nicht zu resignieren, sondern dran zu bleiben und beharrlich für eine Sache zu kämpfen.
Ich habe mir praktisch nach der Regierungsübernahme der Ampel und der großen Frustration, die es in Teilen der Bewegung gab, ein paar Gedanken gemacht, diese notiert und dann mein erstes umweltpolitisches Buch geschrieben. Das hat im ganzen 18 Monate gedauert und es ist letzte Woche herausgekommen und heißt: „Druck machen. Wie Politik und Wirtschaft wissentlich Umwelt und Klima schädigen und was wir wirksam dagegen tun können.“ Der wichtige Punkt dabei ist mir: Wir sind nicht ohnmächtig! Wir haben es in der Hand! Aktuell ist es so, dass Wirtschaft, Politik und Verwaltung an vielen Stellen einen wirksamen Klima- und Umweltschutz verhindern und auch nicht davor zurückschrecken, gegen Recht und Gesetz zu verstoßen. Leider ziehen sich viele darauf zurück und sagen: „Da kann man nichts machen.“ Und ich sage Euch: Nein, das stimmt nicht!
Ich mute Euch jetzt eineinhalb Seiten aus dem Anfang meines Buches zu, dann gehe ich auf drei Zeitabschnitte ein: vor 40 Jahren, vor 20 Jahren und heute.
Aber zuerst ganz kurz diese eineinhalb Seiten: Eine elfjährige Schülerin zwingt die Bundesregierung über das Bundesverfassungsgericht zu mehr Klimaschutz. Ein junger Zivildienstleistender deckt ein Vogelsterben auf und setzt das Verbot des dafür verantwortlichen Pestizids durch. Und ein kleiner Umweltverband stoppt die gemeinsamen Machenschaften von Regierungen, Behörden und Deutschlands mächtigster Industrie. Diese Beispiele habe ich mir nicht ausgedacht, ich habe sie erlebt.
In mehr als 40 Jahren als Natur-, Umwelt-, Klima- und Verbraucherschützer habe ich gesehen: unsere Demokratie ist lebendig, und wir als Bürgerinnen und Bürger sind nicht ohnmächtig den Entscheidungen aus Politik und Wirtschaft ausgeliefert. Jeder Mensch kann Großes bewirken. Oftmals fängt es ganz klein an. Manchmal werden Massenbewegungen daraus. Fast immer braucht es Ausdauer und die Bereitschaft, einfach dran zu bleiben und nicht aufzugeben. Meine Erfahrung ist, dass sich am Ende – zwar nicht immer, aber doch oft – das Gute und Richtige durchsetzt. Wir können die Welt zum Besseren verändern, wenn wir gemeinsam Druck machen.
Es genügt aber nicht mehr, nur mit gutem Beispiel voran zu gehen oder mit guten Argumenten für Natur und Klimaschutz zu werben. Zunehmend werden geltende Gesetze von der Industrie und sogar vom Staat missachtet. Wir sind mehr denn je darauf angewiesen, Recht und Gesetz vor Gericht durchzusetzen. Unser Kernsatz lautet: Nicht beklagen, sondern verklagen. Gerade, wenn es um die saubere Luft, den Schutz der Natur und die Durchsetzung des Klimaschutzes geht – und hier in Stuttgart um den Erhalt der Gäubahn und des Kopfbahnhofes.
Die Machtbalance zwischen Wirtschaft und Politik hat sich dramatisch zugunsten wirkmächtiger Industriekonzerne verschoben. Relativ ungeniert regieren heute Energie-, Finanz- und vor allen Dingen Automobilkonzerne in Deutschland durch, während sie gleichzeitig öffentlich geloben, immer grüner und klimafreundlicher zu werden.
Und jetzt komme ich zu der versprochenen Zeitenschau: Vor 40 Jahren unternahm ich eine vogelkundliche Exkursion im Eriskircher Ried. Ich war Zivildienstleistender und das war tatsächlich für mich das erste größere Thema. Vor mir fiel eine Singdrossel, die ich durch mein Spektiv beobachtet hatte und die gerade noch komisch gesungen hatte, tot zu Boden. Ich berichtete darüber in der Zeitung, und gleichzeitig wurden viele weitere Berichte über ähnliche Vorfälle bekannt. Es stellte sich heraus, dass es – mit Wissen der Behörden – jedes Jahr zu einem Vogelsterben in Obstanbauanlagen und in angrenzenden Gebieten kam. Und es stellte sich heraus, dass das tödliche Pestizid ‚Endrin‘ – in vielen Ländern wie z.B. in den USA längst verboten – dafür verantwortlich war; in Deutschland hat man es erhalten. Es ist damals durch Öffentlichkeitsarbeit gelungen, Druck zu machen und Politiker davon zu überzeugen, dass solche Gifte weg müssen. Rudolf Bindig von der SPD oder Hermann Precht haben mitgeholfen.
Es gab damals einen grünen Abgeordneten, Winfried Kretschmann, mit ihm und seinem Mitarbeiter Franz Untersteller haben wir gemeinsam an den Briefen und Anträgen gearbeitet. Es gab auch einen CDU-Landwirtschaftsminister, Gerhard Weiser, der sich davon überzeugen ließ, dass das so nicht weitergeht. Also über alle Parteien hinweg ist es gelungen, einen Verbotsantrag zu stellen. Die Chemische Industrie hat getobt und gesagt, dass der Erwerbsobstbau in Deutschland und Europa ohne Endrin zusammenbricht. Es ist trotzdem gelungen, Endrin innerhalb von vier Monaten bundesweit zu verbieten. Ich komme aus einer Obstanbaugegend und freue mich jedes Jahr, dass es immer noch Äpfel gibt – und das ohne Endrin!
Das war vor 40 Jahren. Vor 20 Jahren gab es eine Rot-Grüne Regierung und da gab es einzelne Minister wie z.B. Jürgen Trittin. Er hat zwar auch viele Dinge im Umweltbereich gemacht, über die wir gestritten haben, aber er hat beim Thema Luftreinhaltung, Dieselpartikelfilter und Umweltzonen mitgemacht, gegen die Autoindustrie. Da war es dann aber schon so, dass er ziemlich alleine stand – die SPD hat dagegen gekämpft, die CDU war sowieso auf der Seite der Industrie, und dabei ist es auch geblieben. Und wir haben mit großen Mühen den damaligen Dieselpartikelfilterskandal aufgedeckt und konnten immerhin mit den rund 80 Umweltzonen in Deutschland die Feinstaubbelastung unter die damaligen und heute noch geltenden – viel zu hohen – Grenzwerte bringen. Das war schon eine deutliche Verbesserung. Das hat sich dann im Jahre 2005 mit Frau Merkel verändert, die gesagt hat: „Ab jetzt machen wir nur noch Umwelt- bzw. EU-Recht am unteren Rand, das heißt, nur was unbedingt notwendig ist.
Und jetzt springen wir in den Klimaschutz von heute – die Klimaschutzgesetzgebung: Halbzeitbilanz der Ampel. Was passiert? Wir haben Klage gegen das Merkelsche Klimaschutzgesetz erhoben. In einem Brief hatte uns die elfjährige Schülerin Marlene gebeten, sie zu unterstützen, die Bundesregierung zu verklagen. Dieses Schreiben eines elfjährigen Mädchens hat zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geführt, dass das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung nicht ausreicht und nachgebessert werden muss. Dieses nachgebesserte Gesetz haben wir trotzdem als nicht ausreichend bewertet, weil wir damit die Pariser Klimaziele nicht erreichen. Aber dennoch – es enthält jährliche Überprüfungsvorschriften, es enthält ein Regelwerk, wie nachgesteuert werden soll.
Uns wurde gesagt, was wollt ihr denn, wir haben doch was gemacht. Wir wollen das Gesetz aber verschärft haben und haben deshalb eine ganze Reihe neuer Klagen erhoben. Jetzt kämpfen SPD, FDP, und Grüne dafür, das selbst dieses Gesetz geschliffen wird. Und zwar in einer Weise, die eigentlich ein Verhöhnung ist. Es soll zukünftig nicht mehr bewertet werden, wie gut die Bundesregierung beim Klimaschutz im letzten Jahr vorangekommen ist, sondern es soll nur noch bewertet werden, ob die politisch verabschiedeten Prognosen, zu welchem Ergebnis das Regierungshandeln in den nächsten Jahren führen würde, also ob diese Prognosen die Werte einhalten: an keiner Stelle ein Reality check, auf Jahre hinaus Freifahrt gegen den Klimaschutz!
Das ganz aktuelle Beispiel, für das wir morgen und übermorgen noch einmal Pressearbeit machen: Vor fast 20 Jahren im Jahr 2004 wurde von Rot-Grün – auch verspätet – eine Kennzeichnungsvorschrift auch für Autos eingeführt, nachdem man Kühlschränke etc. nach Effizienz gekennzeichnet hat. Das hat die Autoindustrie geärgert und das wollte sie immer geändert haben.
Die aktuelle Novelle, die von einem grünen Wirtschaftsminister vorgelegt wurde, sieht mehr oder weniger die Abschaffung dieser Kennzeichnung vor. Es reicht jetzt aus, ein Sternchen zu machen und zu sagen, wer etwas über Effizienz und Spritverbrauch wissen möchte, muss hier klicken. Das ist so als ob man auf die Zigarettenschachteln nicht mehr schreibt „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“, sondern: „Wenn Sie irgendetwas über die gesundheitlichen Folgen des Rauchens wissen wollen, dann klicken Sie bitte hier“. Das zeigt, dass es einfach nur noch um eine grüne Fassade geht, nicht mehr um Inhalte.
Dabei spreche ich gar nicht an, dass sich alle Parteien – die Grünen eingeschlossen – einig sind, gegen eine Verschärfung der CO2-Grenzwerte bzw. gegen schärfere Schadstoffgrenzwerte bei Euro-7-Fahrzeugen zu kämpfen. Die EU möchte verschärfen, Deutschland und die Grünen ganz vorne mit dabei, haben Verständnis für die Autoindustrie, dass die Autos, um Geld zu sparen – es geht um 80 Euro pro Auto – schmutziger bleiben.
So fasse ich jetzt zusammen: Für mich ist es ganz wichtig, für unsere Arbeit, für die Mobilisierung der Zivilgesellschaft, aber auch für jeden einzelnen aufzuzeigen, welche Möglichkeiten man z.B. beim Thema Tempo-30-Zonen, Einrichtung von Fahrradwegen, Durchsetzung von Plastikverbot in der öffentlichen Verwaltung hat, über Anträge oder über juristische Schritte etwas zu unternehmen.
Ich habe schon bei der letzten Rede erzählt, was wir in Berlin erreicht haben, nämlich dass die Radwege nicht in Parkplätze umgewandelt werden. Allerdings versucht die Verwaltung, diesen Vorgang zu verzögern, indem sie die provisorischen gelben Parkplatzmarkierungen nicht von den Radwegen entfernen lässt. Das wird wohl eine weitere Klage unsererseits nach sich ziehen.
Wie ihr seht, auch wenn wir etwas erreicht haben, müssen wir dran bleiben und weiterhin Druck machen, um das Erreichte zu bewahren und auszubauen. Ich möchte Euch deshalb bitten, nicht in Resignation zu verfallen, sondern Euch weiterhin für den Kopfbahnhof einzusetzen, für die Erhaltung des Anschlusses der Gäubahn und für eine ehrliche Verkehrswende, wie wir sie um uns herum in anderen europäischen Länden, in den Niederlanden, in Dänemark, in Österreich, selbst in Frankreich und vor allen in der Schweiz schon fortschrittlicher erleben. Und ich verspreche Euch: Ihr habt uns, die Deutsche Umwelthilfe, weiterhin an Eurer Seite und deswegen mein Abschlussappell:
OBEN BLEIBEN!
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