Ein digitaler Knoten Stuttgart und ETCS machen die Schande für Stuttgart 21 nicht besser

Rede von Dipl.-Ing. (TU) Ulrich Pfeiffer, Eco-Consult Fahrtraining e.K., auf der 672. Montagsdemo am 21.8.2023

Liebe Freunde,

zu Beginn meiner Rede möchte ich an die Freunde erinnern, die ich im Kampf für einen besseren Bahnhof gewonnen hatte: Peter Conradi, Peter Dübbers, Egon Hopfenzitz, Roland Ostertag, Gangolf Stocker, Winfried Wolf.

Was motiviert mich, heute zu Ihnen zu sprechen?

In dieser Stadt bin ich geboren, ging zur Schule, machte mein Ingenieurstudium zur elektrischen Nachrichtentechnik und Datenverarbeitung. 1989 zog ich beruflich bedingt in die Kurpfalz nach Heidelberg und Schwetzingen.

Auf der Fahrt heute hierher bin ich die 500 Meter lange „längste Propaganda-Lügenstraße der Welt“ entlang gegangen, wie es auch alle Reisende müssen. Die Plakate an den Wänden erinnern mich an die DDR-Propaganda zur Zeit eines Eduard von Schnitzlers. Kein einziges Wort ist wahr. Es wird dem Leser eine reine Fata Morgana für S21 vorgegaukelt.

Die „alten weißen Männer“ und S21-Fans sind noch immer dem Hochgeschwindigkeitswahn verfallen – egal zu welchen Kosten. Vom Hauptbahnhof zur Messe am Flughafen in 8 Minuten – das gibt es nirgendwo sonst. Eine S-Bahn genügt vollkommen. Wichtiger wäre, endlich einen Ringschluss um Stuttgart herum über die Filder bauen. Man könnte sich den teuren Filtertunnel schenken. Wie viele Milliarden kostet er?

Dahinter steckt der latente Minderwertigkeitskomplex vieler Schwaben: Man vergleicht Stuttgart nicht mit Frankfurt, München oder Zürich, sondern mit Paris, London, Tokio und New York. Dieser Größenwahn hatte seinen Ursprung im legendären Hubschrauberflug über Stuttgart. Die Schwaben-Gang aus Lothar Späth, Manfred Rommel, Heinz Dürr und Matthias Wissmann wollte mit einem unterirdischen Durchgangsbahnhof so das „Gleisgerümpel“ verschwinden lassen. Dafür sollen auf den ehemaligen Gleisflächen moderne Bürobauten entstehen – die so hässlich werden wie heute die LBBW am Bahnhof. Die Schienen und der Bahnhof sollten dann unter der Erde verschwinden und das ganze würde sich über die Immobilienpreise finanzieren lassen.

2005 erfuhr ich erstmals vom Bahnprojekt Stuttgart 21. Ich war sofort elektrisiert, als ich die machtpolitischen Hintergründe erfuhr. Die K21-Alternative – von Gangolf Stocker, Klaus Arnoldi und anderen faszinierte mich. Ich beschloss aktiv zu werden.

Mein erster Beitrag war, ein Gespräch mit MdL Wolfgang Drexler (SPD) im Landtag zu organisieren. Gangolf Stocker, Klaus Arnoldi und ich warteten eine Stunden lang. Dann kam Herr Drexler endlich hereinspaziert, begann – ohne uns zu fragen – sofort seine Sicht der Dinge zu dozieren. Dann verabschiedete er sich, ohne uns anzuhören. Der nächste Termin drängte. So etwas nennt man Bürgerbeteiligung!

Dieses arrogante Verhalten von den S21-Verantwortlichen erfuhr ich immer wieder. Bis 2013 war ich oft zweimal pro Woche nach Stuttgart gereist. Zahllose Gespräche führte ich und versuchte Brücken zu bauen. 2010 führte ich mit Bahnchef Dr. Grube ein zweistündiges Gespräch unter vier Augen. Kurze Zeit später gab es noch ein weiteres zusammen mit Prof. Bodack und Dr. Vieregg. All unsere Liebesmüh war vergeblich. Der Bahnchef ist total unbeleckt von Bahn-Fachwissen. „Stuttgart 21 als einem Geschenk an die Stadt Stuttgart“ sprach er immer wieder freudestrahlend.

2013 war mein vorerst letzter Coup: Ich gewann Dr. Benedikt Weibel als Referent für eine Montagsdemo. Herr Weibel war Chef der Schweizerische Bundesbahnen SBB und hatte Bahn 2000 wesentlich umgesetzt. Sein Credo: „Mit dem Geld von Stuttgart 21 wurde die Schweiz zu einem S-Bahn-Netz ausgebaut.“ Seine Rede vor 10.000 begeisterten Zuhörern gibt es noch im Internet (https://www.youtube.com/watch?
v=zU0nrr1soBo
).

Was ist der Unterschied zu Deutschland? Keine superteuren Hochgeschwindigkeitstrassen, die nie wirtschaftlich sind. Der integrale Taktfahrplan gibt den Streckenausbau vor. Ein Streckenneubau nur dort wo es unbedingt nötig ist, sonst nur eine Ertüchtigung vorhandener Trassen. So schafft man mehr als doppelt so viele Fahrgäste auf die Schiene zu bekommen wie in Deutschland.

Peter Conradi kam nach diesem Vortrag auf mich zu und umarmte mich spontan. Das werde ich nie vergessen. Ich war sehr gerührt. Doch dann waren die Folgen meines übermäßigen Engagements fatal. Die Kräfte verließen mich und ich verfiel in einen schweren Burnout.

Bis 2020 wollte ich nichts mehr von Stuttgart 21 wissen. Inzwischen hatte ich mich wieder erholt und war wieder neugierig geworden. Im Frühjahr 2022 gab es im kommunalen Kino Mannheim eine Vorführung des Films: „Das trojanische Pferd“. Jetzt war ich wieder dabei – gereift – und bot der Bewegung sofort meine weitere Unterstützung an.

„Abgrundtief und bodenlos – Stuttgart 21, sein absehbares Scheitern und die Kultur des Widerstands“ von Winfried Wolf ist das Umfassendste, was ich bisher zu S21 gelesen hatte. Bei der Gedenkveranstaltung zu seinem Tode kürzlich im Württembergischen Kunstverein (15.07.23) habe ich viele alte Freunde wieder getroffen. Wir werden gemeinsam Stuttgart 21 noch kippen! Es gibt als Alternative das wunderbare Konzept: Kopfbahnhof & Logistik Umstieg 21 Plus“. Die Chancen zum Kippen sind gut. Es gibt den Klimawandels. Die Folgen davon spürt man jetzt auf der ganzen Welt.

Eine Energiewende und Verkehrswende mit Stuttgart 21 ist nicht möglich. Die Stuttgart-21-Fans versuchen es wieder mit einem weiteren Zaubertrick. Dabei verbreiten sie über die Medien viel Blendwerk: den digitalen Knoten Stuttgart (DGS).

Die Schweiz ist auch da schon weiter und beobachtet genüsslich, wie unsere S21-Fans einen Trapezsprung ohne Sicherheitsnetz wagen. Dort hat man inzwischen erfahren, dass ETCS die Leistungsfähigkeit in den Bahnhöfen und im Netz sogar verschlechtert. Das kann man sich einfach und logisch erklären: Ein Computer im Führerstand hält den Abstand zum vorausfahrenden Zug immer so groß, als hätte dieser die schlechtesten Bremsverzögerungen. So muss die Geschwindigkeit viel zu früh gedrosselt werden und wertvolle Fahrzeit wird verschenkt. Jede neue komplizierte Technik ist zu Beginn immer fehleranfällig. Es braucht viel Zeit und Erfahrung, bis sie problemlos funktioniert.

Der Klimawandel erfordert sofort effektives Handeln und keine Zeitverschwendung mit Belanglosigkeiten. In diese Sinne fordert Benedikt Weibel, Ex-Bahnchef der SBB, vier Prioritäten für die Deutsche Bahn AG:

  1. Fokus auf den operativen Betrieb: sicher, pünktlich, sauber, vom Topmanagement bis zur letzten Betriebsleitstelle.
  2. Die Sanierung und Modernisierung des bestehenden Netzes und der Bahnhöfe.
  3. Erarbeitung eines Produktionskonzeptes, welches das bestehende Netz optimal auslastet und kurzfristige Fahrplanverbesserungen erlaubt.
  4. Überprüfung aller Ausbauvorhaben und Konzentration auf Investitionen, die rasch zu verwirklichen sind und eine große Hebelwirkung haben.

Gleichzeitig muss sich die Bundespolitik darüber klar werden, mit welchen Vorgaben sie die DB in die Zukunft führt.

Vielen Dank – und oben bleiben!

Rede von Ulrich Pfeiffer als pdf-Datei

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