Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), auf der 670. Montagsdemo am 7.8.2023
Liebe Freunde des Stuttgarter Kopfbahnhofs,
am 15. Mai habe ich euch hier an dieser Stelle über unsere Klage gegen die geplante Kappung der Gäubahn informiert, seitdem sind keine drei Monate vergangen. Aber mit unserer Klage haben wir ganz offensichtlich in ein Wespennest gestochen – so heftig waren die Kommentare von Bahn, Eisenbahn-Bundesamt (EBA), Bundesverkehrsministerium und der Stadt Stuttgart. Ich möchte euch heute informieren, was seitdem passiert ist und was in den kommenden Wochen und Monaten passieren wird. Denn leider haben wir hier in Stuttgart ein Informationsdefizit bzw. eine gewisse Unausgewogenheit, was bestimmte Printmedien angeht.
Daher bin ich auch Tom Adler so dankbar, dass er mich für heute eingeladen hat, euch zum Stand der Gäubahn die Fakten zu präsentieren. Und mir so auch die Möglichkeit gibt, dafür zu werben, dass wir unseren Kampf für den Erhalt dieser wichtigen europäischen Schienenstrecke durchstehen können – mit Hilfe möglichst vieler Unterstützer, die uns juristisch, gesellschaftlich und finanziell beistehen.
Am 20. Juni haben wir unsere Klage beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim nun eingereicht. Und zwar, weil das Eisenbahn-Bundesamt unserem Antrag von 27. April nach zwei Monaten weder nachgekommen ist noch ihn überhaupt beantwortet hat. Eine Nicht-Antwort des EBA war und ist gleichbedeutend mit einer Ablehnung unseres Antrages auf maximal sechs Monate Unterbrechung der Gäubahnanbindung. Nun kann man ja sagen, zwei Monate sind für das EBA eine zu kurze Zeit. Für uns aber nicht, weil bereits in zwei Jahren die Gäubahn Geschichte sein soll. Ab Sommer 2025 geht dann nichts mehr mit dem Bahnverkehr auf der transeuropäischen Schienenstrecke, die Stuttgart mit dem Süden des Landes, mit der Schweiz und Norditalien verbindet.
Die Bezeichnung ‚Eisenbahn-Bummelamt‘ ist nichts Neues für das EBA, das ja auch für die Betriebsabnahme fertig gelieferter ICEs manchmal über ein Jahr Zeit braucht, und den Landesnaturschutzverband sogar über ein Jahr warten ließ, bevor dessen Antrag auf Erhalt der Gäubahn-Anbindung ebenfalls vor wenigen Wochen abgelehnt wurde.
Begrüßt wurde unsere Klage von den Oberbürgermeistern und den Menschen, die im Süden des Landes an der Gäubahn wohnen, arbeiten oder dorthin reisen. Vor allem aber auch von der Schweiz, die zwischenzeitlich bereits damit droht, die Gäubahnstrecke nicht mehr mit Schnellverbindungen zu bedienen, und die deutsche Züge als direkte Bedrohung der pünktlichen Schweizer Bahn sieht und möglicherweise nicht mehr in ihre Verkehrsknotenpunkte einfahren lassen möchte.
Ich möchte an unsere Pressekonferenz erinnern, auf der wir unser Rechtsverfahren Anfang Mai bekannt gemacht haben, und gemeinsam mit fünf betroffenen Oberbürgermeistern und einem Regierungsvertreter des Schweizer Kantons Schaffhausen die Wichtigkeit der Gäubahn für Klimaschutz und Verkehrswende herausgestellt haben.
Dabei waren folgende Politiker, die ich allesamt anrief und die mir erst einmal sagten, am Tag der Pressekonferenz bereits verplant zu sein. Am Ende des jeweiligen Telefonats sagten mir alle OBs zu, ihre Termine zu verschieben, zu wichtig sei ihnen unsere Klage:
Oberbürgermeister Bernd Häusler, Singen (CDU)[1], Oberbürgermeister Simon Gröger, Radolfzell (parteilos)[2], Oberbürgermeister Dr. Stefan Belz, Böblingen (Grüne)[3], Oberbürgermeister Uli Burchardt, Konstanz (CDU)[4], Oberbürgermeister Michael Beck, Tuttlingen (CDU)[5] und René Meyer, Leiter Koordinationsstelle öffentlicher Verkehr Kanton Schaffhausen (Schweiz)[6].
Sie treten mit uns für den Ausbau einer leistungsfähigen Bahn ein. Sie wollen angebunden bleiben am transeuropäischen Bahnnetz und nicht systematisch dazu gezwungen werden, wie auch in diesem Sommer, alle Reisen von und nach Stuttgart mit dem Auto zu machen.
Ich hatte dabei erinnert, dass Bund, Land und die Deutsche Bahn seit Beginn der Planungen im Jahr 1994 den Bürgern gebetsmühlenartig immer wieder versprochen hatten, dass der Bau des Tiefbahnhofs Stuttgart 21 zu keiner Verschlechterung der Bahnverbindungen in der Fläche führen werde – im Gegenteil sollte sich die desolate Situation verbessern.
Mit unserer Klage fordern wir eine Politik für die Schiene und gegen noch mehr Autoverkehr ein!
Von Landesverkehrsminister Winfried Hermann wissen wir, dass er die Kritik der Verbände teilt, dass die 8 Gleise von S21 nicht genügen und er die Amputation der Gäubahn für mindestens sieben Jahre – wir gehen von 15 bis 20 Jahren aus – nicht gut findet. Vor wenigen Wochen hat er sich offensichtlich dazu vertraulich geäußert: „Die von Ihnen geäußerten Bedenken, dass die von der Deutschen Bahn im Rahmen der Realisierung von Stuttgart 21 ab Mitte des Jahres 2025 geplante mehrjährige Sperrung der Gäubahn im Bereich des Stuttgarter Nordbahnhofs erhebliche negative Auswirkungen auf die Nutzung des Schienenverkehrsangebots dieser Strecke durch die Fahrgäste im Fern- und Regionalverkehr haben kann, werden vom Verkehrsministerium geteilt… Die heutige Qualität einer direkten Anbindung der Gäubahnzüge an den Stuttgarter Hauptbahnhof kann damit jedoch leider nicht erreicht werden und auch die Dauer der Unterbrechung ist deutlich länger als dies noch in der Ursprungsplanung der Fall war.“
Leider wird Winfried Hermann nicht aktiv. Er weiß genau, was der zu kleine S21-Bahnhof für das Land bedeutet, und schreitet nicht gegen die Politik von Bundesverkehrsminister Wissing und Bahnchef Lutz ein, die durch die systematische Abtrennung von in ihren Augen unwichtigen Nebenstrecken vom zu kleinen Tiefbahnhof diese Fehlplanung durch weniger dort verkehrende Züge kaschieren wollen. Der Bundesverkehrsminister sabotiert eine leistungsfähige Bahn und betreibt Politik für die Autokonzerne. Hermann stellt sich diesem Vorhaben aber nicht in den Weg und ist damit bereit, eine weitere Verschlechterung der öffentlichen Verkehre in Baden-Württemberg zu akzeptieren. Das gilt nicht für die Deutsche Umwelthilfe: Wir wehren uns für die Millionen betroffenen Menschen dagegen.
Während die betroffenen Bürgermeister südlich von Stuttgart und Regierungsvertreter der Schweiz mit absolutem Unverständnis auf die Haltung von Bahn und Stadt Stuttgart reagieren, ist letztere vor allem an ihren Milliarden-Immobilienprojekten interessiert und reagiert nervös auf unsere Klage: „Wir sind nicht bereit, Abstriche zu machen. Verzögerungen bremsen die Stadtentwicklung aus“, wird Rathaussprecher Sven Matis in der Stuttgarter Zeitung vom 4. Juli zitiert. Der Artikel trägt die spöttische Überschrift „S21: Umwelthilfe verschickt Bettelbriefe“.
Ende Juli erhielten wir nun überraschend den mit unserer Klageeinreichung angenommenen ablehnenden Bescheid des EBA zugeschickt. Ein Redakteur der Zeitung meldete sich bei mir und meinem Anwalt, wir informierten ihn über Inhalt und Bedeutung des Bescheids des Minister Wissing unterstehenden Amtes. Tags darauf erschien am 25.7. ein weiterer Artikel in der Stuttgarter Zeitung, der mich dann doch etwas ärgerte – vor allem darüber, was in der Überschrift steht: „Kappung der Gäubahn wird wahrscheinlicher. Die Deutsche Umwelthilfe scheitert mit ihrem Versuch, die Unterbrechung der Gäubahn zu unterbinden“. Wie kann es eigentlich sein, dass eine de facto Monopolpresse Falschmeldungen in die Welt setzt? War da nicht etwas in der Vergangenheit mit Tendenzberichterstattung gerade zum heiklen Zeitpunkt der Entscheidung des Volksentscheids zu S21?
Ich habe heute morgen die alleswissende künstliche Intelligenz der Neuzeit, ChatGPT gebeten, mir für die heutige Rede ihr Wissen zur Ausgewogenheit der Berichterstattung mitzuteilen. Ich musste ehrlich staunen, was mir ChatGPT mitteilte:
Ich: "Mir geht es darum zu erfahren, welche konkrete Linie die Stuttgarter Zeitung beim Volksentscheid redaktionell hatte. Insbesondere der stellvertretende Chefredakteur trat doch für S21 ein?"
ChatGPT: "Ja, das stimmt. Die ‚Stuttgarter Zeitung‘ hat in ihrer Berichterstattung und Kommentierung tendenziell eine bahnfreundliche Haltung zu Stuttgart 21 eingenommen. Dies hat sich insbesondere in den Meinungsbeiträgen und Kommentaren von leitenden Redakteuren gezeigt. Joachim Dorfs, der stellvertretende Chefredakteur zur Zeit der intensiven Auseinandersetzungen um Stuttgart 21, war einer der prominentesten Vertreter dieser Haltung innerhalb der Zeitung. In seinen Artikeln und Kommentaren hat er sich häufig für das Projekt ausgesprochen und die Vorteile eines modernen Bahnhofs und die Chancen für die Stadtentwicklung hervorgehoben. Einige Aspekte, die Dorfs und andere Redakteure der ‚Stuttgarter Zeitung‘ betonten:
- Wirtschaftliche Vorteile: Sie argumentierten, dass S21 nicht nur ein Bahnhofsprojekt sei, sondern auch ein stadtentwicklungspolitisches Projekt. Durch die Freigabe von Flächen durch den Wegfall der Gleisanlagen könnten neue Wohn- und Geschäftsgebiete entstehen.
- Modernisierung: Der neue Bahnhof wurde als notwendig für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts betrachtet, sowohl in Bezug auf die Infrastruktur als auch auf die Zugkapazität.
- Städtebauliche Chancen: Durch die Untertunnelung würden oberirdische Flächen frei, die für Grünflächen, Wohnraum und andere städtische Projekte genutzt werden könnten.
- Kritik an den Gegnern: Es gab auch Artikel, die die Proteste gegen Stuttgart 21 kritisierten. Manche Redakteure sahen die Bewegung als zu emotional und nicht immer gut informiert.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Zeitung nicht auch kritische Stimmen zu Wort kommen ließ. Es wurden durchaus auch Gegenargumente und Bedenken gegen das Projekt in der Zeitung abgedruckt. Doch die redaktionelle Linie schien insgesamt eher pro Stuttgart 21 ausgerichtet zu sein.
Insgesamt können Sie in Ihrer Rede hervorheben, dass Joachim Dorfs und andere Redakteure der ‚Stuttgarter Zeitung‘ maßgeblich dazu beigetragen haben, die Vorteile von S21 in der öffentlichen Debatte hervorzuheben, obwohl es natürlich auch kritische Stimmen innerhalb und außerhalb der Zeitung gab.“
Ich hoffe sehr für die Zukunft, dass die Berichterstattung in allen Medien ergebnisoffen und fair wird. Ich richte mich auf eine harte Auseinandersetzung vor allem mit den Immobilien-Akteuren ein. Es geht um Milliarden-Investitionen.
Mit Erhaltung der Gäubahnanbindung kann der Kopfbahnhof nicht verbaut werden. Das ist auch gut und wichtig für den Grundwasserschutz in Stuttgart. Und der unbebaute Kopfbahnhofsbereich ist auch wichtig fürs Stadtklima bei steigenden sommerlichen Temperaturen.
Wie geht es jetzt weiter?
Am 21. August 2023 ist Fristablauf für die vom Gericht angeforderte Klageerwiderung der Deutschen Bahn und des EBA. Das EBA hat nun mitgeteilt, dass man zunächst den Abschluss des Widerspruchsverfahrens abwartet und erst danach zur Klage inhaltlich vortragen wird. Erneut spielt das EBA auf Zeit. Das Gericht muss auch erst noch über seine Zuständigkeit entscheiden.
Wir werden nun auf alle Eingaben von EBA und DB reagieren müssen, gutachterlich weiter vortragen und die üblichen Horrorszenarien durch Gegenberechnungen klarstellen lassen müssen. Und wir wollen mit einer Vielzahl von Bahnhofsgesprächen entlang der Gäubahn Bürger, Institutionen und Politiker gegen die Sabotage am Bahnnetz und der geplanten Verkehrswende mobilisieren.
Bitte helft uns beim Erhalt des Gäubahnanschlusses, für die Verkehrswende und einen leistungsfähigen Bahnknoten Stuttgart durch den Erhalt des Kopfbahnhofs!
Und wer es sich leisten kann, könnte Gäubahn-Pate der DUH werden. Damit verabschiede ich mich heute bei euch.
OBEN BLEIBEN!
Anhang:
Wie soll die Abtrennung der Gäubahn erfolgen?
- Bereits in zwei Jahren – mit der Eröffnung des neuen unterirdischen Bahnhofs – soll die Gäubahn für mindestens 7 Jahre abgetrennt werden, wir rechnen eher mit mindestens 15 Jahren.
- Dann kann man nicht mehr durchfahren, Fahrgäste müssen in Vaihingen in die S-Bahn umsteigen oder an einem noch nicht existierenden Halt, dem Nordhalt (der auch bis 2025 nicht fertig werden würde).
- Mehrjährige Abbindung hätte zur Folge, dass sich ein relevanter Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert, was zu zusätzlichen Treibhausgas-Emissionen führt.
- Direkt betroffen: 1,4 Millionen Menschen leben in der wirtschaftsstarken Region Baden-Württembergs; zwei Millionen in der Landeshauptstadt und weitere 80 Millionen können nicht mehr mit der Bahn ab Stuttgart Richtung Bodensee Schweiz Italien reisen.
[1] Oberbürgermeister von Singen, Bernd Häusler (CDU): „Als Oberbürgermeister einer großen Kreisstadt mit hoher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in Grenznähe zur Schweiz spreche ich auch im Namen unserer Nachbarn. Eine Abbindung der Gäubahn ist für uns nicht hinnehmbar und widerspricht dem Versprechen der Politik, eine Mobilitätswende einzuläuten. Die Lösung mittels des Pfaffensteigtunnels halte ich für ambitioniert. Die Unterbrechung der Direktanbindung nach Stuttgart von mehr als zehn Jahren ist nicht akzeptabel.“
[2] Oberbürgermeister von Radolfzell, Simon Gröger (parteilos): "Der westliche Bodenseeraum muss auch überregional bestmöglich an den ÖPNV angeschlossen sein. Die Gäubahn ist hierbei eine wichtige Verbindungslinie, daher muss die Anbindung der Gäubahn sichergestellt und verbessert werden."
[3] Oberbürgermeister von Böblingen, Stefan Belz (Grüne): „Die Gäubahn muss weiter auf der Panoramabahn in den Stuttgarter Hauptbahnhof fahren können, bis die endgültige künftige Verbindung über den Flughafen fertig ist. Seit über vier Jahren fordern die Gäubahn-Anrainer: Keine Abbindung ohne Alternative! Sonst wären für zehn Jahre oder länger Stuttgart und große Teile des Bahnnetzes nur schwer zu erreichen. Jeder zusätzliche Umstieg geht zu Lasten der Fahrgäste und setzt eine attraktive, bequeme Gäubahn aufs Spiel. Für Böblingen ist sie auch eine zentrale Trasse für die S-Bahn, wenn die Stammstrecke gesperrt ist.“
[4] Oberbürgermeister von Konstanz, Uli Burchardt (CDU): „Es ist ein herber Rückschlag in den Bemühungen um nachhaltige Mobilität, wenn dem südlichen Landesteil die umweltfreundliche Erreichbarkeit der Landeshauptstadt Stuttgart mit der Bahn erschwert wird. Genau das bringt die von der Landesregierung geplante Abbindung der Gäubahn über Jahre hinweg mit sich. Ein Schritt, der aus Nachhaltigkeitsaspekten völlig unverständlich ist und die wirtschaftliche und touristische Benachteiligung einer ganzen Region zur Konsequenz hat.“
[5] Oberbürgermeister von Tuttlingen, Michael Beck (CDU): „Alle wollen die Verkehrswende, alle wollen die Bahn stärken – und dann wird stur an einem Plan festgehalten, der Millionen von Menschen über Jahre von der Landeshauptstadt und vom Fernverkehr abhängt. Das passt beim besten Willen nicht zusammen. Dabei wäre die Kappung der Gäubahn nicht nötig. In den letzten Monaten wurden immer wieder Alternativen aufgezeigt. Sie setzen freilich voraus, dass die Landeshauptstadt Stuttgart bei ihren städtebaulichen Plänen Kompromisse macht. Als Gäubahn-Anlieger laufen wir hier aber seit Jahren gegen Mauern. Umso mehr freuen wir uns über jeden Vorstoß, der unser Ziel unterstützt, auch nach 2025 weiter eine direkte Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof zu behalten.“
[6] Leiter Koordinationsstelle öffentlicher Verkehr, Kanton Schaffhausen, René Meyer: „Der Kanton Schaffhausen setzt sich für eine schnelle, direkte und zuverlässige Verbindung entlang der Achse Zürich – Stuttgart ein. Die Gäubahn soll dafür ausgebaut und der Intercity ohne Unterbruch – auch während der Bauphase – bis in den Stuttgarter Hauptbahnhof geführt werden."