Klimabahn als Basis der Verkehrswende

Rede von Prof. Dr. Heiner Monheim, Stadtplaner und Verkehrsexperte, auf der 666. Montagsdemo am 10.7.2023

Warum die Bahnpolitik von Stuttgart 21 lernen muss? Und warum die Verkehrspolitik sich grundlegend ändern muss. Und das Bündnis gegen S21 den Fokus breiter wählen muss, als Mehrfrontenangriff auf die deutsche Tunnelitis und Betonmafia

Gedenken an Winfried Wolf

Liebe Freunde, mit dieser Rede will ich natürlich auch an Winfried Wolf erinnern, mit dem ich seit Mitte der 80er Jahre, also jetzt 45 Jahre, intensiv verbunden war: Er als kreativer Buchautor und engagierter Verkehrspolitiker, ich als Ministerialbeamter auf Bundes- und Landesebene und später als Planungsprofessor in Trier. Vier mal haben wir gemeinsam Bündnisse geschmiedet: Die Initiative für eine bessere Bahn, dann Bürgerbahn statt Börsenbahn. Dann zuletzt Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene und Klimabahn. Und natürlich Euer S21-Bündnis mit seiner tollen Arbeit.

Wir beide hatten nie Scheuklappen auf. Wir beide haben immer wieder engen und kreativen Kontakt zu den vielen Bürgerbewegungen im Verkehr gesucht und daraus viel Inspiration gewonnen. Und wir beide waren von Anfang an im Kampf gegen S21 engagiert, beide schon lange, bevor das Projekt offiziell wurde und Prof. Heimerl seine ersten Planspiele für das Drehen des Bahnhofs andachte.

Die Tunnelmanie in Deutschland und speziell in Stuttgart

Wenn ich hier von Tunnelitis oder Tunnelmanie rede, meine ich natürlich zuerst die 60 Kilometer ursprünglich für S21 geplanten Tunnel, zu denen jetzt weitere 40 Kilometer Ergänzungstunnel dazu kommen sollen. Also allein wegen dieser Steigerung kann man von Tunnelmanie reden. Und diese Krankheit hat keineswegs erst mit S21 begonnen. Rund um den Hauptbahnhof grassierte auch vorher schon die Tunnelmanie, nur noch nicht ganz so extrem. Am Anfang standen die ersten Tiefgaragen und Fußgängertunnel unter großen Kreuzungen, so auch die Klettpassage.

Zu dieser Zeit propagierte auch der damals vom ADAC protegierte Verkehrsplaner Theo Romahn zur Lösung der zunehmenden Autoverkehrsprobleme die Verlagerung von möglichst vielen Straßen unter die Erde. Sein Motto war: Abwasser lassen wir auch nicht mehr oberirdisch laufen, das verstecken wir besser in einem Röhrensystem. Warum sollen wir nicht den auch entsetzlich stinkenden und lauten Autoverkehr in Röhren verbuddeln. An die hohen Kosten, die fehlende Vernetzbarkeit und die langen Bauzeiten hat er dabei nicht gedacht.

Heute träumen die unverbesserlichen Tunnelfetischisten wie Elon Musk wieder von Tunneln, jetzt sogar Vakuumtunnelsysteme, durch die die Menschen als eine Art Rohrpost geschossen werden. Hyper Loop nennen sie das vollmundig. Der Irrsinn hat Methode. Und die Politik ist fasziniert von der damit suggerierten Höchstgeschwindigkeit.

Stuttgarter Tunnel für den Autoverkehr

Doch zurück zu Stuttgart. Wer sich heute das Umfeld des Hauptbahnhofs anschaut, merkt sofort, dass dieser Orts grässlich vom Autoverkehr entstellt ist. Und ahnt, dass eine falsche Straßenbaupolitik dem HBF immer mehr auf die Pelle gerückt ist und seine Erreichbarkeit für alle anderen erschwert hat. So wurde der HBF von gigantischen Straßen umstellt. Hätte man das unterlassen und dort die Fußgänger nicht unter die Erde geschickt, führe da noch die Straßenbahn oberirdisch, wäre die ganze Tunnelitis oder Tunnelmanie zum Wohle des wuchernden Autoverkehrs nie begonnen worden. Dann hätte man den HBF in die wachsende Fußgängerzone integriert und damit dafür gesorgt, dass die Hauptkunden der Bahn, nämlich die Fußgänger und Radfahrer, den HBF locker und sicher erreichen können. Und wäre nie auf die Idee gekommen, so viel wie möglich unter die Erde zu schicken.

Falsche Prioritäten der deutschen Verkehrspolitik

Und dann hätte man die Bahn seit den 1970er Jahren nicht in der Fläche kaputt gespart, nicht die vielen Strecken still gelegt, nicht den Interregio vernichtet. Weil die waren ja immer wirtschaftlicher als das deutsche Autosystem, von dem immer wieder behauptet wird, es sei so effizient und so kostengünstig. Von wegen – es werden Jahr um Jahr viele Milliarden aus den Verkehrsetats des Bundes, der Länder und der Kommunen in einen gigantischen Straßenbau gesteckt. Hochsubventioniert, aber das darf man nicht sagen, denn angeblich rechnet sich ja der Autoverkehr. Dagegen muss die Bahn einen Großteil ihrer Investitionen am Kapitalmarkt aufnehmen und abzinsen.

Tunnelitis: Die Ursünde deutscher Verkehrspolitik

Im Prinzip ist also der Urfehler dieser unsäglichen Entwicklung gewesen, die Lösung aller Verkehrsprobleme in Tunneln zu suchen. Tunnel für die Fußgänger, damit die auf der Oberfläche an den großen Kreuzungen nicht den Autoverkehr behindern. Tunnel für die Straßenbahnen, damit die oben Platz für immer mehr und breitere Straßen machen. Und am Ende auch immer öfter Tunnel für Straßen, weil man glaubte, so der Störungen des urbanen Lebens durch Tunnel besser Herr werden zu können. Und natürlich gehören in diesen Katalog auch noch die vielen unsäglichen Tiefgaragen, also eine Art Kurztunnel für abgestellte Autos.

Von Flaneuren zu Kellerasseln

So wurden immer öfter aus flanierenden Menschen hetzende Kellerasseln. So wurde aus oberirdischem, öffentlichen Raum unterirdischer Angstraum, für viele Frauen ein Trauma. Und mit den langen Wegen zwischen oben und unten und den meist kaputten Rolltreppen und Aufzügen extrem zeitaufwändig. Und extrem treuer in den Bau- und in den Betriebskosten.

Der Fluch der Betonmafia

Um im Bild zu bleiben: Der Teufel in dem Drama ist die Betonmafia. Sie majorisiert die vielen Klein- und mittelständischen Betriebe der Bauwirtschaft, die zu schwach gegenüber den Monopolgiganten sind. Deren Heißhunger auf Tunnels werden mit immer neuen Projekten wohlfeil bedient. Ihren gigantischen Baumaschinen wird immer neuer Fraß vorgeworfen.

Verkehrswende muss oberirdisch erfolgen

Die Alternative, mit einem Bruchteil der gigantischen Tunnelgelder auf der Oberfläche für urbanes Leben, für dichte Straßenbahnnetze, für bedarfsgerechte Bahnhöfe und Haltepunkte im Schienennetz, für immer größere Fußgängerzonen, für ein dichtes Netz von Radwegen und für eine flächenhafte Verkehrsberuhigung zu sorgen, wurde stets abgeblockt. Dabei hätte die klein- und mittelständische Bauwirtschaft mit den kleinteiligen Projekten für bessere Verkehrsverhältnisse viel mehr Arbeitsplätze sichern können. Aber die großen Giganten der Bauwirtschaft, zumal die Tunnelbauer, dominierten die Konzepte und suggerierten, es sei ja so leicht, den ganzen Verkehrsmist unter der Erde zu entsorgen – und aus Bürgern Kellerasseln zu machen.

In der Falle: Kosten und Bauzeiten explodieren

Und jetzt merkt man in Stuttgart bei S21 wie in München bei der 2. Stammstrecke und in Hamburg bei der Verlagerung des Bahnhofs Altona, dass Tunnel eine schreckliche Falle bilden. Eine lebens­bedroh­liche Brandfalle. Eine Kapazitäts- und Leistungsfalle. Denn Tunnel sind nicht wirklich netzfähig. Mit ihnen wird jede künftige Netzerweiterung zubetoniert. Tunnel sind „Ewigkeitsbauwerke“ und kosten natürlich ungeheuer viel mehr als oberirdische Lösungen. Nicht umsonst fordert ihr sparsamen Stuttgarter schon lange „oben bleiben“.

Rückblick auf die Anfänge der Tunnelmanie und ihre fatalen Folgen

Leider war der Widerstand in den 60er Jahren, als in Deutschland die ersten Tunnel grassierten, noch nicht so laut. Aber es gab schon damals in vielen Städten Proteste gegen die Stadt- und U-Bahntunnel, gegen die Fußgängerunterführungen, die nie barrierefrei werden und zu langen Umwegen führen. Schon damals vollzog sich das immer gleiche Trauerspiel: Die Kosten explodieren, die Bauzeiten explodieren, die anfänglichen Kosten und Bauzeiten erweisen sich regelmäßig als Traumtänzerei. Aber wenn man die Tunnel mal angefangen hat, gibt es angeblich nie mehr ein Zurück, wie wir an den 40 Kilometern zusätzlichen Entlastungstunneln in Stuttgart mal wieder schmerzlich erfahren mussten.

Der Staat, der große Verschwender

Warum haben wir eigentlich eine Haushaltsordnung, die vom öffentlichen Bauherren immer sparsames Wirtschaften fordert? Der Klimawandel erfordert sofortiges Umsteuern. Trotzdem setzen wir auf Projekte mit Bauzeiten von 20-30 Jahren. So, als hätten wir endlos Zeit mit unseren Lösungen?

Bäume statt Beton

Warum ist Beton das liebste Handwerkszeug der Verkehrsplaner anstelle der dringend erforderlichen Bäume? Sie müssten eigentlich zentrales Straßenraumgestaltungsmittel sein. Alleen statt Tunnel, baumbestandene Plätze statt Tiefgaragen.

BIs sind auch immer mehr auf dem Tunneltrip

Leider hat inzwischen die Tunnelmanie auch manche Bürgerinitiativen angesteckt – so z.B. die im Oberrheintal oder im Inntal, weil die Bahnplaner und Straßenplaner mit ihrer chronischen Geschwindigkeitsfixierung es nicht schaffen, ihre Trassen landschaftlich und städtebaulich so zu integrieren, dass oberirdische Strecken weiter möglich sind und Akzeptanz finden. Immer mehr BIs fordern jetzt bei Neu- und Ausbauprojekten von Straßen und Bahnstrecken ebenfalls Tunnellösungen.

Die Zeit drängt

Die Zeit, auf immer neue Tunnel zu warten, haben wir aber nicht. Die Klimakrise erfordert wegen der bislang völlig unzureichenden Beiträge des Verkehrssektors zum Klimaschutz dringend eine Verkehrswende. Eine Verkehrswende kann nur gelingen, wenn im ganzen Land, im Fernverkehr, Regionalverkehr und Nahverkehr wie auch im Güterverkehr die Abhängigkeit vom Autoverkehr (Pkw- wie Lkw-Verkehr) abgebaut wird und die Alternativen zum Autoverkehr überall schnellstmöglich ausgebaut werden. Mit sinnvollen Standards, die verglichen mit den oft 260 oder 300 km/h der derzeitigen Neu- und Ausbaustrecken gerne bescheidener sein dürfen. 160 km/h ist auch schon ein gutes Tempo, um den Autoverkehr abzuhängen. Deswegen fordert die Klimabahn ja Takt vor Tempo als Grundprinzip einer attraktiven Bahn. Mit innovativem Lärmschutz bei den Bahnstrecken mit Gummibriketts als Schienenstegdämpfern und kniehohen Lärmschutzmäuerchen. Und mit lärmbedingten Tempolimits auch für die Schiene.

Beton und Stahl als klimapolitische Problembaustoffe

Beton und Stahl werden in hohem Maße im Bereich des Infrastrukturausbaus für Autobahnen, Straßentunnel, Bahntunnel und -brücken, Tiefbahnhöfe und U-Bahnröhren eingesetzt. Sie sind in Herstellung und Verbau extrem klimaschädlich. Daher muss es Ziel des Infrastrukturausbaus sein, den Einsatz von Beton und Stahl zu minimieren, durch reduzierte Standards für Breite, Größe und Entwurfsgeschwindigkeit der jeweiligen Verkehrsanlagen und Vermeidung von unnötigen Tunnelprojekten.

Ausbau der Güterbahn

Bahndebatten werden meist von Fragen des Personenverkehrs dominiert. Aber das „Entlastern“ der Straßen hat auch hohe klimapolitische Relevanz. Deswegen muss der Rückzug der Güterbahn aus der Fläche gestoppt werden. Bei Reaktivierungen muss auch an den Güterverkehr gedacht werden. Deutschland braucht ein dezentrales System der Güterverkehrs- und Güterverteilzentren und KLV-Anlagen (kombinierter Ladungsverkehr, Containerterminal), die über moderne Umschlagtechniken, digitale Betriebssteuerung, moderne Zugbildung mit Hilfe von Automatikkupplungen und autonome Schienenfahrten verfügen. Der eigene Gleisanschluss muss wieder zur Norm transportintensiver Betriebe werden.

Es ist Euer Verdienst, mit Umstieg 21/K 21 das Thema Güterverkehr in die Debatte gebracht zu haben. Denn leider wird Verkehrswende ja meistens nur im Kontext von Personenverkehr diskutiert. Euer Konzept für die Nutzung von Tunnels für die City-Logistik ist da viel elaborierter und hat es verdient, endlich ernst genommen zu werden.

Aus Autobahnen Güter-Eisenbahnen machen

Und vor allem müssen wir den Mut haben, den viel zu vielen und viel zu breiten Autobahnen auf die Pelle zu rücken, mit dem Konzept der Auto-Eisenbahn. Warum nicht auf einer sechsspurigen Autobahn, wo sowieso die beiden äußeren Fahrspuren von endlosen Ketten von Lkw blockiert werden – jeder mit Fahrer und Motor – die rationellere Option einer Art Förderband mittels einer neuen Schiene in jede Richtung nutzen? Dann fahren auf der Auto-Güter-Eisenbahn im dichten Takt Güterzüge durchs Land. Der Grund gehört eh schon dem Bund. Die Trasse ist eh schon betoniert oder asphaltiert. Also machen wir das Beste aus den unsäglich überdimensionierten Autobahnen und nutzen sie für Gütereisenbahnen.

Von der Korridorbahn zur Klimaflächenbahn mit leistungsfähigem Netz

Jedenfalls muss die Bahn ihren Netzausbau dezentral gestalten, statt sich auf wenige Projekte der Hochgeschwindigkeit mit vielen Brücken und Tunnels und spekulationsgetriebene Großstadtbahnhöfe mit langen Tunnelröhren zu konzentrieren. Die Bahn muss auch in der Fläche ein attraktives Angebot machen. Dafür müssen im Personen- wie im Güterverkehr die Angebote und Netzkapazitäten ausgebaut, und die Takte massiv verdichtet und systematisch abgestimmt werden. Dann wird endlich massenhaftes Umsteigen möglich.

Das aber passiert nicht. Weil ein fataler Nebeneffekt von S21 ist, dass anderswo dringend nötige Bahnmaßnahmen auf die lange Bank geschoben werden, weil fast das gesamte verfügbare Geld und Planungspersonal in Stuttgart gebunden, man kann auch sagen, dort monopolisiert wird.

Vernünftige minimal invasive Sanierung statt lärmender Generalsanierung

Statt zerstörerischer sogenannter Generalsanierung mit monatelanger Korridorsperrung und Beschränkung auf 3.000 Kilometer Sanierungsprojekte müssen im ganzen Netz die vielen Langsamfahrstellen schnellstmöglich beseitigt werden. Eingleisige Strecken brauchen mehr Kreuzungsstellen. Das Netz braucht mehr Überholgleise, Weichen und digitale Stellwerke. Für eine hohe Leistungsfähigkeit des Netzes ist eine Harmonisierung der Geschwindigkeiten im mittleren Bereich (120-160 km/h) viel wichtiger als wenige Bolzstrecken der Hochgeschwindigkeit. Dann entfallen die vielen Wartezeiten der Güterbahn und des Nahverkehrs. Zulaufstrecken auf Großstädte müssen mehrgleisig ausgebaut werden, um dort S-Bahnsysteme zu etablieren und die Konflikte zwischen Güter- und Personenbahn zu entzerren. Und auch im ländlichen Raum brauchen wir kleine S-Bahnsysteme mit angepassten Formaten. Dringend ist der schnelle und effektive Ausbau vieler Knoten. Mit dem Finanzvolumen von S21 als rein immobilienwirtschaftlich motiviertes Bahnhofs-Großprojekt mit maximalem Tunnel-Tiefbau hätte man locker 100 Bahnknoten ausbauen und Tausende neuer Haltepunkte einrichten können.

Reaktivierungen für einen dezentralen Netzausbau

Statt der jahrzehntelangen Stilllegungen von Strecken, Bahnhöfen und Güteranschlüssen müssen möglichst schnell möglichst viele Streckenreaktivierungen realisiert werden. Hierfür sind vereinfachte Standards und flexible Übergänge zwischen den Betriebsordnungen für Eisenbahnen, Straßenbahnen, Anschlussbahnen und Kleinbahnen nötig. Nötig ist ein dezentraler Netzausbau mit vielen neuen Haltepunkten und Güterbahnhöfen. Für die 400 vordringlichen Reaktivierungen braucht es ein neues Bund-Länder-Programm mit schnell abrufbaren Investitionsmitteln.

Die bisher stark auf den Straßenbau orientierten Planungskapazitäten müssen auf den Schienenverkehr verlagert werden, mit breit angelegten Programmen für Umschulung und Weiterbildung. Im Fahrzeugbereich müssen die Potenziale der Elektromobilität und des autonomen Fahrens engagiert genutzt und auch kleinere Fahrzeugformate für wirtschaftlichen Schienenverkehr in der Fläche entwickelt werden. Wir brauchen eine neue Generation elektrischer Schienenbusse und Cargo-Sprinter. Und wir brauchen bei der Fahrzeugentwicklung und dem Streckenausbau angepasste, flexible Standards für ländlichen Bahnverkehr.

Die leise Bahn

Das gesamte Schienennetz und der Fuhrpark müssen lärmminimiert werden, auch im Bestandsnetz. Dies wird möglich mit Hilfe von Schienenstegdämpfern, gummigepufferten Karosserien, lärmarmen Bremsen und nah an die Schienen gerückten kniehohen Lärmschutzmäuerchen sowie nächtlichen Tempolimits auf Ortsdurchfahrten von Bahnstrecken.

Kundennähe durch viele Zugangsstellen

Eine kundennahe Bahn braucht viele Bahnhöfe, Haltepunkte und Güterbahnhöfe. Modell für eine solche Strategie sind die erfolgreichen S-Bahnen und Stadt-Umland-Bahnen mit ihren massiven Fahrgastzuwächsen, allen voran das Karlsruher Modell. Aber auch die Güterbahn braucht dezentrale Netze mit vielen Zugangsstellen für den Wirtschaftsverkehr und dezentralen Umschlagknoten in allen Regionen.

Mehr Ehrgeiz für den Deutschlandtakt: Halbstundentakt als Basis der Personenbahn

Die oft nur stündlichen Verbindungen im Konzept des Deutschlandtakts reichen nicht aus für die Verkehrswende. Für maximale Akzeptanz braucht man mindestens einen landesweiten Halbstundentakt und Taktverdichtungen auf den Hauptstrecken und in Ballungsräumen. Dichte Takte sind viel wichtiger als hohe Geschwindigkeiten. Entscheidend ist die Systemgeschwindigkeit, in der alle Warte-, Umstiegs-, Zu- und Abgangszeiten berücksichtigt werden.

Fahrzeugbau: Renaissance bewährter Produkte Interregio, Nachtzüge und Schienenbus

Die Deutsche Bahn hat den Interregio und die Nachtzüge abgeschafft. Beides waren schwere Managementfehler. Deswegen muss der IR als Basisprodukt des Fernverkehrs wieder eingeführt werden, mit halbstündlichen Verbindungen zwischen allen Ober- und Mittelzentren. Zudem muss die Bahn wieder ein deutsches und europäisches System von Nachtzügen mit Schlaf- und Liegewagen einführen, in dem alle Großstädte und Regionen einbezogen sind. Der Bund muss dafür eine gesetzliche Basis für bestellten Fernverkehr schaffen. Auch der Schienenbus war ein bewährtes und beliebtes Fahrzeug. Als elektrischer Schienenbus 2.0 kann der Schienenbus wieder die Basis des ländlichen Personenbahnverkehrs werden. Und für die regionale Güterbahn braucht er einen Zwilling als Cargo-Sprinter, der auch kleine Gütermengen wirtschaftlich transportiert.

Elektromobilität „pur“

Die Zeit der Dieseltraktion geht zu Ende. Alle Hauptstrecken und Verbindungsstrecken müssen durchgängig mit Oberleitungen ausgestattet werden. Und alle bisherigen Dieselnetze abseits der Hauptstrecken erhalten moderne Elektrotriebwagen, dafür werden auch Umrüstprogramme aufgelegt. Statt Prämien für E-Pkw und E-Lkw werden E-Schienenfahrzeuge und E-Busse mit Prämien unterstützt.

Bahn-Bus-Konzepte

Hohe Akzeptanz in der Fläche sichern Bus-Schienen-Konzepte. Der ländliche Busverkehr muss den Bahnverkehr ergänzen, mit angepassten Fahrzeugkonzepten für elektrische Mini- und Midibusse und Taktverkehre. Dem überlagert erhalten alle Regionen regionale Plus- und Schnellbusnetze. Bund und Länder müssen für angemessene Angebote von Dorf-, Orts- und Stadtbusnetzen in kommunaler Trägerschaft und von Regionalbusangeboten in Trägerschaft der Kreise einen gesetzlichen Rahmen mit angemessenen Bedienungsstandards definieren.

Allianz mit Radverkehr und Car Sharing

Der öffentliche Verkehr auf Schienen und Straßen muss seine Stationen und Haltestellen mit dem Radverkehr verknüpfen. Dazu gehören Radstationen, Bike & Ride und Fahrradverleih an Bahnhöfen und ausreichend Kapazitäten für die Fahrradmitnahme im Nah- und Fernverkehr. Und auch das Car Sharing muss endlich dezentral organisiert werden, mit Tausenden Mobilstationen, die als dezentrales Angebot zur Pflichtaufgabe aller Mobilitätsanbieter werden müssen.

Die finanziell gesicherte Bahn, Umschichtung von Budgets

Die Verkehrsbudgets von Bund und Ländern müssen klimapolitisch justiert und von der prioritären Finanzierung des Autoverkehrs auf den vordringlichen Ausbau des öffentlichen Verkehrs auf Straße und Schiene umgeschichtet werden. Bei den Ausgaben für den Straßenverkehr (Straßennetzausbau und Parkraumausbau) muss massiv gespart werden, da der Bedarf durch die Verkehrswende massiv zurückgehen wird.

Die personell gesicherte Bahn, Umschichtung und Umschulung von Personal

Verkehrswende braucht viel Personal. Personal für Planung und Betrieb des Bahnnetzes und der lokalen und regionalen Bahn- und Busnetze. Planung und Bau der Netze müssen viel schneller gehen als bisher. Daher muss ein Großteil des Personals aus dem Straßenbereich abgezogen und für die notwendigen Kapazitätsausbaumaßnahmen im öffentlichen Verkehr umgeschichtet und umgeschult werden. Das gilt auch für das administrative Personal in den Ministerien des Bundes und der Länder und ihre nachgeordneten Verkehrsverwaltungen. Klimapolitik kann nicht warten, bis neue Generationen von engagierten Planern ausgebildet sind.

Weiterbildung für Parlamentarier und Minister mit Winfried Wolfs Klassiker

Und damit bin ich am Ende und schließe mit einem Appell: wir brauchen mehr Weiterbildung für Parlamentarier in Verkehrsausschüssen und Minister in Verkehrsministerien. Basis dafür muss der Klassiker „Eisenbahn und Autowahn“ von Winfried Wolf sein, mit dem er schon in den 1980er Jahren alle wichtigen Daten, Fakten und Ideen für eine zukunftsfähige Bahnpolitik zusammengetragen hat. Pflichtlektüre für alle, die im Verkehr fundiert und kreativ mitmischen wollen, und auch heute noch brandaktuell. Für diesen Klassiker danken wir, lieber Winfried, von ganzem Herzen!

Rede von Heiner Monheim als pdf-Datei

 

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