Neuigkeiten vom Widerstand gegen die Lyon-Turin-Strecke

Rede von Elsbeth Sureau auf der 664. Montagsdemo am 26.6.2023

Vor 2 Wochen, am 17. Juni, gab es eine Demonstration in den französischen Alpen, von der ich Euch berichten möchte. Es geht um die französische Seite der NoTAV-Bewegung zur Verhinderung des geplanten Tunnelbaus der Lyon-Turin-Strecke.

Lyon-Turin ist das Projekt einer neuen, 270 km langen Strecke auf der Eisenbahnachse Lyon-Turin-Budapest. Sie umfasst den dann längsten Doppelröhrentunnel Europas unter den Alpen mit einer Länge von 57,5 km für über 30 Milliarden Euro, davon 1/3 für den gemeinsamen Tunnel und je 1/3 für die beiden Länder.

2010 lernten wir in Stuttgart Vertreter der NoTAV-Bewegung kennen und fuhren 2011 zum 1. Europäischen Forum gegen unnütze Großprojekte ins italienische Susatal.

Auf diesem Forum besichtigten wir auch das Gelände mit dem Erkundungsstollen, das vom Militär mit hohen Stacheldrahtzäunen und Wachen gesichert wird. Das unnütze Großprojekt ist dort eine militärisch geschützte Operation von Industrie, Banken und Staatsträgern – finanziert aus Steuergeldern!

Die Leute in den italienischen Alpen protestieren schon seit 30 Jahren gegen den zweiten Eisenbahn-Tunnel unter dem Monte Cenisio – Mont Cenis – von Italien nach Frankreich. Denn es gibt beim Mont Cenis bereits seit 1875 eine funktionierende und kürzlich komplett renovierte Eisenbahnstrecke mit Tunnel, die zurzeit nur noch zu 25 % ausgelastet ist. Wenn auf ihr wie in der Schweiz der Güterverkehr durch die Alpen mit verhältnismäßig geringen Mitteln zu 70 % auf die Schienen gebracht würde, wäre das eine echte Verbesserung der Luft und der CO2-Bilanz.

Auch mit Frankreich haben wir Kontakt. Von dort erhielten wir kürzlich den Flyer: „5 Gründe gegen die neue Lyon-Turin-Strecke“:

1. Es gibt an diesem Ort schon eine sehr gute Lösung.
2. Das Projekt wurde erfunden, als man noch an unbegrenztes Wachstum glaubte.
3. Die Kosten sind immens, während dringend anderswo Geld gebraucht wird.
4. Das Projekt bedeutet eine Umweltkatastrophe.
5. Der Bau trägt bereits jetzt zur globalen Erwärmung bei – er wird Millionen Tonnen CO2 produzieren und die CO2-Schulden gegenüber der Welt erhöhen.

Alles schon mal gehört, oder?

Die Umweltzerstörung dort:

• 1500 Hektar Agrar- und Natur-Flächen werden zugebaut,
• eine Millionen-Tonnen-Steinwüste Tunnelaushub,
• man wird dann jährlich mehr als 100 Mio. m³ Grundwasser entnehmen müssen, der Berg würde austrocknen,
• die natürlichen Wasserkreisläufe werden für immer unterbrochen, wichtige Wasserressourcen werden unwiederbringlich zerstört, Wald- und Feuchtgebiete dauerhaft bedroht,
• die Umgebung und die Luft werden für die Anwohner für lange Zeit verschmutzt.

Solche Projekte entstehen aus purer kapitalistischer Profitmacherei, sie bedrohen den Erhalt einer lebenswerten Umwelt und eines erträglichen Klimas.

Nun zur französischen Seite: Lange passierte – gar nichts. Zwei Milliarden sind durch die Warterei bereits verbraten.

Fragen wir die Zuständigen:

• Präsident Macron sagte 2017: Das Projekt Lyon-Turin wird erstmal bis 2043 auf Eis gelegt. Und überhaupt geht es um die Strecke Turin – Dijon, also ca. 130 km weiter nördlich, mit 3 statt 2 Tunneln,
• der Premierminister mit seinem Ministerrat beschloss das so 2019,
• der Infrastruktur-Lenkungsrat übernahm es

Projekt gestorben? Halt, da ist ja:

• die EU. Die Europakommission sagt, das Projekt sei der „Dreh- und Angelpunkt für den Ausbau der kontinentalen Eisenbahnknotenpunkte“, und das Europaparlament verlängerte entgegen eigenen Regeln den Zuschuss von 3 Milliarden € um 5 Jahre – nun bewegt sich was,
• zuständig für die Koordinierung ist der länderübergreifende Verwaltungsrat, Tunnel Euralpin Lyon Turin, kurz T.E.L.T als Beauftragter der Regierungen und der Geldgeber,
• die Unternehmer begannen schon mal mit der Betonierung von Zufahrtgelände und Lagerplatz für den französischen Tunneleinstieg im Tal der Maurienne und
• Verkehrsminister Clément Beaune sagt dazu: oui,
• Bauern, Gemeinden und Bürgermeistergehen leer aus.

Inzwischen wurde dadurch im französischen Mauriennetal ein wichtiges Biotop und die Bewässerungsgrundlage für die Bergbauern beseitigt.

Und dann sind da noch die Schienenstränge. Der große Mont-Cenis-Tunnel hat 2 Röhren, für die 3 Anschluss-Tunnel in Frankreich ist nur 1 Röhre geplant. Also dann Tempo weg, aufs Abstellgleis, Gegenzug durchlassen, zurück aufs Liniengleis, Tempo wieder hoch. Für den Güterverkehr bedeutet das die Halbierung des Transportvolumens. Im Ernst? Hat hier jemand die Planung in der Hand? Was wird da koordiniert, und wie?

La montagne se soulève – der Berg erhebt sich!

An diesem 17. Juni gab es nach jahrelanger unermüdlicher Mobilisierung nun endlich einen großen franko-italienischen Protest auf französischer Seite. Die Präfektur hatte für die Demonstration und Kundgebung fast alle Orte verboten, so wurde der Ort ganz kurz vorher bekanntgegeben: La Chapelle. Ein fröhlicher Demonstrationszug von über 4000 Leuten aller Generationen aus ganz Frankreich und darüber hinaus, von 12 Organisationen und Initiativen, gegenüber 2000 Ordnungskräften, die das ganze Tal blockierten.

Die Demonstranten reagierten kreativ:

• sie malten gemeinsam ein monumentales STOP TELT auf die Landstraße,
• mehrere Personen, die von der Gendarmerie gefährlich mit Gas traktiert wurden, durchquerten das Flussbett und blockierten vorübergehend die Autobahn, sie forderten die Nutzung der bereits bestehenden Güterverkehrsstrecke.

Schließlich erhitzte sich die Stimmung, es flogen Steine, Tränengasgranaten und Geschosse, am Schluss gab es unter den Demonstranten 50 Schwerverletzte, 8 Krankenhauseinweisungen, 2 andauernde Funktionsstörungen. Die genehmigte Demonstration wurde gegenüber dem französischen Parlament als illegal dargestellt.

Die italienischen NoTAV-Leute wollten Solidarität zeigen, aber sie erhielten 96 Einreiseverbote, 5 Busse wurden 5 Stunden lang an der Grenze blockiert – ihre improvisierte Parallel-Kundgebung auf einer italienischen Baustelle des Tunnels beantwortete die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas.

Die Demonstranten von La Chapelle schreiben später: „Einmal mehr stellt sich der Staat in den Dienst einer Handvoll Unternehmer und gewählter VertreterInnen, die angesichts der Volksmacht eines fröhlichen und entschlossenen Protests nur noch Waffen und Einschüchterung auffahren können, um die Zerstörungen durch den lobbyistischen Projektträger TELT zu Ende zu führen“.

In der gemeinsamen Erklärung der Demonstranten heißt es: „Über die Grenzen hinweg wurde der Kampf gegen TELT und seine Welt… wieder neu aufgenommen und ist täglich angewachsen. Heute haben wir die Solidaritätsbande von einem Tal zum anderen bestärkt sowie auch die gemeinsame Entschlossenheit, das Leben der Berge zu verteidigen…“

Diesen Sommer finden im Susatal zahlreiche Veranstaltungen der NoTav-Bewegung statt, darunter auch wieder das Festival Alta Felicita vom 30. Juli bis 2. August.

Und: Vom Beschluss des Ministerrats vom letzten Mittwoch, die (Umwelt-)Organisation „Les Soulèvements de la Terre“ aufzulösen, bis hin zur Militarisierung des Susatals wird deutlich, wie der Staat überall zu verhindern versucht, dass das Volk selbst aktiv wird. Am Mittwochmorgen waren bereits 18 Mitglieder der „Soulèvements de la Terre“ verhaftet. Daraufhin fanden in ganz Frankreich zahlreiche Protestkundgebungen statt – das ist ermutigend.

Bei uns heißt es: Oben bleiben, dort: NoTAV! Gegenseitige Solidarität!

Sofortige Beendigung der unnützen Großprojekte!

Stärken wir den Willen, dieser zerstörerischen Vorgehensweise entgegenzutreten und ein erträgliches Leben auf der Erde zu erhalten.

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