Rede von Michael Becker, Kernen 21, auf der 652. Montagsdemo am 13.3.2023
Am 10. März 2023 hat die PSU (Projekt Stuttgart–Ulm GmbH) in einer Pressemitteilung bekanntgegeben, dass zur Verlegung von 1200 Kilometern Kabeln und 70 Gleisquerungen für die Installation des ETCS- Systems für Stuttgart 21 ab dem 21. April die Strecke Waiblingen – Bad Cannstatt für mehrere Wochen komplett stillgelegt wird. Weitere Vollsperrungen im Umland sollen folgen.
Stuttgart 21 kann nicht ohne ETCS: Um die direkt dem Projekt zuzuordnenden Baukosten herunterzurechnen, wurden die Tunnelquerschnitte so verkleinert, dass für etablierte Signaltechnik kein Platz mehr war. Die 460 Millionen Euro, die die geplante Baumaßnahme nun kostet, sowie die 200 Millionen, die für die ersten Zugausrüstungen fällig sind, zahlt die Allgemeinheit – selbstverständlich ohne dem Projekt Stuttgart 21 zugeordnet zu werden.
Einen derartigen Einschnitt in den Verkehrsalltag von Zehntausenden Bahnpendlern erst fünf Wochen vor Eintreten bekannt zu geben, ohne einen Ersatzfahrplan für die in Cannstatt und Waiblingen strandenden Bahnkunden vorweisen zu können, ist eine absolute Unverschämtheit und nicht hinnehmbar.
Ich fordere die Bahn auf, die geplante Streckensperrung zurückzunehmen!
Ich fordere das Baden-Württembergische Verkehrsministerium auf, das ja schließlich den Regionalverkehr bei der Bahn vertraglich bestellt und bezahlt hat, ohne Einschränkung auf die Erfüllung zu bestehen!
Ich fordere den Aufsichtsrat der Bahn, der am 30. März 2023 in Berlin tagt, auf, das Projekt Stuttgart 21 einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zu unterziehen, die alle direkten und indirekten Kosten berücksichtigt, und bis dahin einen absoluten Baustopp zu verhängen!
Wir erinnern uns – vor genau zehn Jahren hatte der Aufsichtsrat für einen Weiterbau gestimmt, weil der sich angeblich um 77 Millionen Euro gegenüber einem Projektstopp noch rechnen würde – diese Marke wurde seitdem um ein X-faches gerissen.
Auch ohne Streckensperrung herrscht schon genug Chaos an Rems und Murr, die neuen S-Bahn-Züge laufen nicht störungsfrei, sodass die S3 nur noch maximal im Halbstundentakt fährt. Wegen ETCS- Einbau stehen nicht genug Regionalzüge zur Verfügung, die Ersatzzüge aus den 70ern sind nicht behindertengerecht. Bis zum 17. April werden zwischen Waiblingen und Schorndorf Gleise erneuert – ebenfalls mit massiven Zugausfällen verbunden.
Nun schlägt die Stunde der Pharisäer und Heuchler, ich zitiere jetzt mal aus der Stuttgarter Zeitung vom 11.3.23. OB Nopper bezeichnete die Ankündigung der Bahn als Riesenärgernis: „Das ist eine ganz bittere Pille, gerade für die Pendler und Bahn-Nutzer“. Oh welch geistreiche Erkenntnis! „Es müsse nun ein guter Ersatzverkehr organisiert werden“. Aha!
Regionaldirektor Alexander Lahl und VRS (Verband Region Stuttgart)-Verbandsvorsitzender Thomas Bopp begrüßen sogar die Baumaßnahmen als Chance für die Verbesserung der fehleranfälligen Infrastruktur, allerdings ohne die Beseitigung der unzähligen weiteren Defizite der Bahn rund um Stuttgart zu fordern. Signalstörungen alleine sind nur ein Bruchteil der alltäglichen Betriebsstörungen.
Olaf Drescher, der Geschäftsführer der PSU, führt an, dass die gravierenden Eingriffe nicht zu vermeiden waren, ohne zu erwähnen, dass in der Schweiz der ETCS-Einbau unter rollenden Rädern vorgenommen wurde.
Und unser kritischer Projektbegleiter Verkehrsminister Herrmann? Zeigte sich in einem SWR-Interview irritiert, verärgert, sieht einen herben Schlag für die Pendler – und fordert was? Nein, nicht etwa das denklogische Ende des gescheiterten Projekts Stuttgart 21, sondern appelliert eindringlich in der STZ an die Bahn, ihre Zusage einzuhalten und den S21-Tiefbahnhof 2025 in Betreib zu nehmen, und fordert ebenfalls die Bahn auf, nun die Ersatzverkehre schnellstmöglich zu organisieren.
Da ich daran so meine Zweifel habe, dass die Bahn das hinbekommt, erhoffe ich mir Hilfe aus dem großen Kreis der Stuttgart-21-Befürworter: Andi Scheuer könnte als Juicer eine Flotte E-Scooter bereit stellen. OB Nopper könnte neben seiner Frau auch ein paar Berufspendler in seiner Kutsche mitnehmen, der begeisterte Radler Winnie Hermann als Rikschafahrer die Bahnlücke überbrücken. Christian Lindner im Porsche sowie Friedrich Merz im Flugzeug böten sich als Eilboten an, und Elon Musk könnte mit seinem Unternehmen Space X einen Shuttle Service anbieten, der endlich mal seinen Namen verdient.
Da es aber wohl eher auf einen Pendelverkehr mit überfüllten Bussen auf verstopften Straßen rauslaufen wird, geht die Saat von Verkehrtminister Wissing auf, der sich damit brüstet, die Automobilindustrie im Rücken zu haben und jegliche Verkehrswende in Richtung klimafreundlichen Verkehr zu sabotieren.
Das lassen wir uns nicht bieten, deshalb bleibe ich bei der Forderung, die Streckensperrung zurückzunehmen und lieber:
oben zu bleiben!