Stuttgart 21 Abstellbahnhof Untertürkheim – die Fehlplanungen gehen in die nächste Runde

Rede von Michael Brunnquell, Ingenieur, Vorstand Bürgerinitiative „Lärmschutz Untertürkheim e.V.“, auf der 636. Montagsdemo am 14.11.2022

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 636. Montagsdemo,

auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen. Es ist wirklich ein starkes Zeugnis, dass Ihr jetzt schon zum 636. Mal für Eure Überzeugungen demonstriert! Als Ihr mit dem Protest angefangen habt, da habe ich noch in Nürnberg studiert. Natürlich habe ich mitbekommen, dass hier ein großes Bauprojekt geplant ist und dass es mehr als kontrovers ist. Aber für mich war das weit weg.

Bis zu dem Moment, als ich nach Stuttgart – genauer gesagt nach Untertürkheim – gezogen bin. Jetzt bin ich selbst Betroffener. Und ich kann Eure Wut und Euren Ärger über die Planung und Durchführung komplett nachvollziehen.

Untertürkheim ist wahrscheinlich einer der Stadtteile, der langfristig zu den großen Verlieren von S21 zählen könnte. Wieso ist das so? Was plant die Bahn in Untertürkheim?

Ein Verkehrsknotenpunkt wie Stuttgart benötigt Abstellfläche für viele Züge, z.B. nach Betriebsschluss oder zum Bereitstellen für Züge, die in Stuttgart starten. Aktuell wird dazu das Areal beim Rosensteinpark genutzt. Diese Fläche soll zur Stadtentwicklung genutzt werden, und der Abstellbahnhof soll nach Untertürkheim umziehen. Warum ist das so lukrativ? Auf dem Rosenstein-Abstellbahnhof sollen 4.500 Wohnungen entstehen. Wie viele davon bezahlbar sein werden, kann sich jeder an fünf Fingern abzählen.

Und was bedeutet das für Untertürkheim?

Das Areal des seit über 20 Jahren nicht mehr genutzten Güterbahnhofs soll für Stuttgart 21 zum Abstellbahnhof werden. Neben Abstellfläche soll es auch eine Innenreinigungsanlage und eine Außenreinigungsanlage geben. Geplant ist, dass deutlich über 100 Züge tags und nachts abgefertigt werden sollen. Und das bedeutet vor allem eins: viel Lärm.

  • Signalhorn-Probe mit 120 Dezibel: das entspricht dem Geräuschpegel eines Presslufthammers oder eines Düsenfliegers
  • Bremsenquietschen beim Rangieren
  • Kurvenkreischen beim Abrollen über Weichen mit engen Radien
  • Ablassen von Druckluft
  • Permanentes Geräusch von Lüftern und Kompressoren
  • LKW-Verkehr: Versorgung des Abstellbahnhofs und Entsorgung des Mülls
  • Baulärm über Jahre hinweg

Und das Krasseste: die Bahn behauptet, mit dem Bau des Abstellbahnhofs würde sich die Lärmbelastung nicht ändern. Im Gegenteil – so die Behauptung – es würde sogar leiser werden. Wie kann das sein? Wie kann ein Lärmgutachten zu so einem Ergebnis kommen? Ganz einfach: man dreht so lange an den Prämissen, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt.

Dieses Vorgehen der Bahn bei Stuttgart 21 kommt Euch bestimmt bekannt vor.

 

Hier einige beispielhafte Prämissen, die sich die Bahn zurechtgelegt hat:

  • Für das erste Beispiel muss ich etwas ausholen: Die Lärmgutachten müssen in Verkehrslärm und in Industrielärm getrennt werden. Beim Verkehrslärm werden Schallspitzen weggemittelt; und beim Industrielärm gibt es klare Spitzenpegel, die nicht überschritten werden dürfen. Bei der Inbetriebnahme einer Lokomotive ist diese auf Funktionsfähigkeit zu prüfen. Unter anderem muss eine Probe des Signalhorns durchgeführt werden. Diese ist 120 Dezibel laut und wurde von der Bahn dem Verkehrslärm zugeordnet. Der Zug ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht fahrbereit. Es handelt sich daher eindeutig um Industrielärm und übersteigt sehr deutlich die erlaubten Spitzenpegel. Was bedeutet es für die Anwohner? Ab den frühen Morgenstunden werden wir durch diese Signalhornprobe geweckt, die den Lärmpegel eines Düsenfliegers haben. Und das täglich hundertfach.
  • Beim zweiten Beispiel geht es um die Zugzahlen: Diese wurden so lange frisiert, bis herauskam, dass durch den Bau des Abstellbahnhofs der Lärm geringer wird. Besonders prägnant: angeblich würden nachts 14 Züge vom Stuttgarter Hafen über das aktuelle Areal rollen und somit bereits für viel Lärm sorgen. Schaut man sich die Betriebszeiten an, kann das nicht sein: Der letzte Zug vom Stuttgarter Hafen wird um 21:45 abgefertigt.

Die Liste lässt sich noch fortführen, aber ich möchte die anderen Redner auch noch zu Wort kommen lassen.

Leider haben sich das Regierungspräsidium, die Stadt und auch das Eisenbahnbundesamt der Sichtweise der Bahn angeschlossen. Das verwundert uns leider nicht. An dieser Stelle vielen Dank an Euch: Ihr habt über 300 Einwendungen an das Regierungspräsidium geschickt!

Ich möchte Edzard Reuter, früherer Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG, zitieren: „Da sind Zahlen auf den Tisch gekommen, die ganz eindeutig erstunken und erlogen waren. Mit dieser Hilfe ist Stuttgart 21 mit Brecheisen zum Schluss durchgesetzt worden. Die breite Öffentlichkeit glaubt nicht mehr, was uns oben erzählt wird. Das ist das Thema der Glaubwürdigkeit und das zehrt an den Wurzeln unseres demokratischen Systems.“ [1] Dieses Projekt wird einfach darübergestülpt – und genauso fühlen wir uns auch in Untertürkheim.

Im Rahmen der Bürgerinitiative „Lärmschutz Untertürkheim e.V.“ haben wir Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss eingelegt. Wir sind direkt betroffen und haben sehr gute Argumente auf unserer Seite – denn die Prämissen des Lärmgutachtens sind nicht haltbar. Trotzdem fühlt man sich wie David gegen Goliath. Auf der einen Seite der scheinbar kleine Bürger als David, auf der anderen Seite ein scheinbar übermächtiger Apparat aus Bürokraten und Anwälten. Allerdings wissen wir, wie die Geschichte ausgegangen ist: David hat Goliath an der richtigen Stelle getroffen, und der Riese ist zu Boden gegangen. Wir sind auch überzeugt, dass wir den Riesen an der richtigen Stelle treffen werden.

Dafür bitten wir um Eure Unterstützung: Wir sammeln Unterschriften, um unserem Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen. Außerdem benötigen wir Spenden, um die Klage durchzustehen. Bitte gebt Eure Unterschrift hier bei den Unterschriftensammlern am Platz. Alternativ könnt Ihr digital über unsere Homepage www.laermschutz-ut.de unterschreiben. Über die Homepage gibt es auch die Möglichkeit zu spenden.

Lasst uns gemeinsam dafür einsetzen, dass beim Abstellbahnhof nachgebessert werden muss. Und solange der Abstellbahnhof im Rosensteinpark noch nicht geschlossen werden kann, solange wird es auch einen Kopfbahnhof geben.

Vielen Dank für Eure Unterstützung!

[1] S21 und Bürgerbeteiligung im Podiumsgespräch mit Edzard Reuter, Boris Palmer und Wieland Backes im Haus der Wirtschaft (18.11.2015, Stuttgart)

Rede von Michael Brunnquell als pdf-Datei

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Eine Antwort zu Stuttgart 21 Abstellbahnhof Untertürkheim – die Fehlplanungen gehen in die nächste Runde

  1. Steffen Hans sagt:

    Man darf eben nicht vergessen wieviel lärm es vor der vorübergehenden Stilllegung des Geländes dort gab. Diese Nutzung, jetzt mit leiserem Zugmaterial wird es wieder geben, das war klar. Bevor man umzieht sollte man sich die Gegend genau anschauen. Sonst muss man eben damit leben.

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