Der Widerstand im Susa-Tal

Rede von Jenö von Egan-Krieger, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, auf der 626. Montagsdemo am 29.8.2022

Liebe Freundinnen und Freunde aus der Stuttgart-21-Bewegung,

ich berichte Euch von einer Reise nach Italien, die wir mit elf Teilnehmern unternommen haben, die hier auch regelmäßig an der Montagsdemo teilnehmen.

Unsere Reise hatte zwei Inhalte, zum Einem haben wir die Widerstandsbewegung gegen das Tunnel- und Hochgeschwindigkeitsprojekt im Val di Susa besucht, zum Anderen waren wir in Sant´Anna di Stazzema – manche von Euch wissen, um was es sich dort dreht – um die über 600 Morde der SS, die die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, namentlich der Herr Häussler, unterlassen hat, zu verfolgen. Mein Bericht hier wird sich aber unserem Besuch bei den Widerstandsfreunden im Susa-Tal widmen.

Begonnen hat unser Besuch beim Climate Social Camp, das in der Woche vom 25. bis zum 29. Juli in Turin stattgefunden hat. Das Climate Social Camp – ein Camp der Fridays-for-Future-Bewegung in Europa, dort haben sich praktisch aus ganz Europa Jugendliche aus der Fridays-for-Future-Bewegung zusammengefunden.

Unter anderem waren dort auch mehrere junge Leute vertreten, die Bewegungen gegen Infrastruktur-Großprojekte vertreten haben. Eben die NoTAV-Bewegung aus dem Val di Susa, die HS2 Bewegung zusammen mit XR Rebellion aus England, die Bewegung gegen Notre Dame de Landes, die immer noch existiert und dort nach wie vor dieses ehemals beschlagnahmte Gelände für den vorgesehenen Flughafenbau mit alternativen Lebensformen am Leben erhält, ein Kollektiv von ehemaligen Fabrikarbeitern aus Florenz, dem Gelenkwinkelhersteller GKN, der in Florenz seinen Standort geschlossen hat und wo sich die Beschäftigten nicht nur gegen die Standortschließung wehren, sondern sich auch einsetzen für alternative zukunftsträchtige Arbeitsplätze, die eben nicht mehr nur einfach dem Konsum dienen sollen. Aus Deutschland war die Widerstandsbewegung gegen den Hambacher Forst und Ende Gelände vertreten.

Diese Woche in Turin endete mit einer Demonstration, an der wir teilgenommen haben, mit nach meiner Schätzung etwa 1600 jungen Leuten.

Nach der Demonstration ging es gewissermaßen fahrplanmäßig ins Susatal zum Festival „Alta Felicita“ der NoTAV-Bewegung. „Alta Felicita“ ist eine Verballhornung des Begriffes „Alta Velocita“ (Hochgeschwindigkeit), in Italien heißen die ICE-Züge „Alta Velocita“, Hochgeschwindigkeitszüge, und das wird verballhornt mit dem Begriff „Alta Felicita“, hohe Glücklichkeit. Das heißt, die Menschen im Susatal setzen eben nicht auf hohe Geschwindigkeit in ihrem Leben, sondern sagen, viel wichtiger ist, dass man glücklich ist.

Und dann war es schon ein Erlebnis, als wir mit dem Zug aus Turin herausgefahren sind und am Bahnhof erlebt haben, wie immer mehr junge Leute in denselben Zug einstiegen, mit ihren Zelten, ihren Schlafsäcken. Es war deutlich erlebbar, wie viele junge Menschen vom Climate Social Camp ins Susa-Tal gefahren sind, den Aufruf des Climate Social Camp umgesetzt haben und das Camp eben abgeschlossen haben mit einer Teilnahme am Alta-Felicita-Festival der NoTAV Bewegung im Susa-Tal, das dieses Jahr zum fünften mal stattgefunden hat, mit einer etwas verkleinerten Version, die der Corona-Pandemie geschuldet war.

Wir haben uns mit unserer Delegation, unseren elf, dort schlau gemacht, wie es dort um die Baustelle – bzw. um die Nicht-Baustellen – und wie es um die Widerstandbewegung steht.

Einmal muss man wissen, die Widerstandsbewegung als solche gibt es seit über dreißig Jahren und gebaut ist so gut wie nichts. Was den Tunnel anbetrifft, wurde bisher nur eine sogenannte Erkundungskaverne gebaut. Das im Moment bekämpfte Projekt ist ein sogenannter Autoport, an dem Zollkontrollen für LKW vorgenommen werden sollen, die von Frankreich nach Italien kommen. Der bisherige Autoport, der im Tal besteht, soll abgelöst werden, weil man dort Bauinfrastruktur, sprich die Betonmischanlagen, die LKW-Parkplätze und was eben für eine große Tunnelbaustelle alles notwendig ist, einrichten will, und jetzt hatte man begonnen oder wollte man beginnen, dafür eben eine andere Fläche zu gewinnen und einen neuen Autoport zu bauen.

Aber auch den gibt es nicht. Es gibt einen riesigen Bauzaun, es gibt ein mehr oder weniger militärisch abgeriegeltes Gelände, und in dem ist nichts, außer Polizei, und die sehr zahlreich. Das konnten wir erleben, weil wir am zweiten Tag unserer Anwesenheit an einer großen Demonstration teilgenommen haben, dort, an diesem Gelände, das nichts verteidigt und dafür, zum Nichts-Verteidigen hunderttausende Euro ausgibt, für die Stationierung und Aufrechterhaltung der Polizei darin. An dieser großen Demonstration haben nach meiner Schätzung etwa zweieinhalbtausend Menschen teilgenommen.

Und auch da gibt es aus meiner Sicht Interessantes zu berichten: der Widerstand im Susa-Tal ist jung. Dort kämpft mittlerweile die vierte Generation an der Seite der dritten Generation, an der Seite der zweiten Generation, und teilweise auch noch sichtbar die erste Generation, so sie noch lebt. Das halte ich für eine ganz enorme Leistung, eine solchen Widerstand so lange aufrecht zu erhalten und den Funken überspringen zu lassen an die nachfolgenden Generationen, die sich mit der größten Selbstverständlichkeit am Widerstand beteiligen und ihn auch qualitativ noch deutlich aufgewertet haben.

Denn in der Widerstandsbewegung im Susa-Tal geht es mitnichten nur um dieses Bahnprojekt, um diesen Tunnel, sondern da geht es auch um Fragen der Migration, die in diesem Gebirgstal an der Grenze zu Frankreich schon seit Jahrhunderten eine Rolle spielt, und wo die Talbewohner eben ihre Position haben, dass man in einem solchen Tal niemand an der Grenze erfrieren oder verkommen lässt. Man hilft dort den Flüchtlingen zu überleben, wenn sie über die Grenze kommen. Auch das ist Arbeit aus dieser Widerstandsbewegung.

Es gibt eine große eigene Gruppe der Frauen gegen TAV, die sich auch explizit mit den praktischen feministischen Fragen, mit den Fragen von Frauen in der Gesellschaft auseinandersetzt. Man beschäftigt sich sehr stark politisch im Tal, und das hat eben auch ausgestrahlt auf die jungen Leute in Turin. Man beschäftigt sich mit der Frage, wie wollen und wie müssen wir in Zukunft leben? Können wir weiter einfach so im Konsumrausch leben, wie in der Vergangenheit, oder brauchen wir andere Formen des Wirtschaftens und des Umgehens untereinander? Auch das spielt in der Bewegung und im Tal selber mittlerweile eine große Rolle.

So war es interessant, dass beispielsweise am Ende der Woche des Climate Social Camp in Turin der dortige Geschäftsführer der TELT – des Baustellenbetreibers für dieses Tunnelprojekt, das wäre hier in Stuttgart die Bahnprojektgesellschaft – einen offenen Brief an den Sprecher der Fridays for Future Turin, Luca Sardo, geschrieben hat, in dem er ihn bewegen wollte, zu einer alten Position zurückzukehren und das TAV Projekt wieder zu befürworten, weil es doch ein Projekt wäre, das praktisch mehr Schienenverkehr, mehr Güterverkehr auf der Schiene ermöglichen würde.

Der siebzehnjährige Luca Sardo hatte vor fünf Jahren in einem gefilmten Interview eine solche Position bezogen, heute, fünf Jahre später ist er weiter und hat erkannt, um was es sich dreht, dass es dieses Tunnelprojekt nicht braucht, dass wir innehalten müssen, mit dem immer Höher, Schneller, Weiter, Mehr, dass wir nicht mehr Waren auf der Schiene brauchen, sondern weniger.

Damit möchte ich meinen Bericht an Euch beenden.

Rede von Jenö von Egan-Krieger als pdf-Datei

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.