Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Ingenieure22, auf der 613. Montagsdemo am 23.5.2022
Bei diesem Titel liegt die Frage nahe, um welches Jubiläum es denn dabei geht. Lasst es mich spannend machen: Heute ist der 23. Mai 2022, auf den Tag genau in 5 Monaten wird Sonntag, der 23. Oktober sein. Dann wird es ganz genau 100 Jahre her sein, dass der Hauptbahnhof an der Schillerstraße, also unser Kopfbahnhof, in den frühen Morgenstunden seinen Betrieb aufnahm. Dieser Jahrestag soll würdig begangen werden.
Vor 35 Jahren, also 1987, hat Matthias Roser die Geschichte des Stuttgarter Hauptbahnhofs ausführlich dokumentiert. Damit diese Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht werden, konnte er die damalige Bundesbahndirektion Stuttgart gewinnen, ein großes Jubiläumsfest „65 Jahre“ zu veranstalten. Als Ausstellungsobjekt wurde z.B. extra ein TGV nach Stuttgart geholt, der damals noch nicht selber auf dem Netz der DB verkehren durfte. Die Festreden von OB Rommel und DB-Präsident Häusler preisen den Hauptbahnhof wie ich es nicht besser machen könnte. Darauf genauer einzugehen überlasse ich einer späteren Veranstaltung.
Aber schon 10 Jahre später, also 1997, wollten OB und DB davon nix mehr wissen und begeisterten sich nur noch für Stuttgart 21. Es gab einen Film zu „75 Jahre Hauptbahnhof“, aber (fast?) keine Präsenz in der Öffentlichkeit.
Auch zum 90-jährigen Jubiläum, also 2012, gab es keine Festveranstaltung. Nach Schwarzem Donnerstag, Schlichtungsrunden, angeblichem Stresstest, Abriss der Seitenflügel und nachdem sich auch die Grünen auf eine Legitimation des Projektes durch eine unsachliche Volksabstimmung berufen hatten, konnte keine Feststimmung aufkommen. Im Jahr 2022 soll es anders werden – unser Kopfbahnhof hat es verdient!
Was wollen wir denn feiern? Am 23.10.1922 ging der Kopfbahnhof mit seiner ersten Baustufe, den Gleisen 9 bis 16, Turm und großer Schalterhalle in Betrieb. An der Stelle, wo jetzt die Gleise 1 bis 8 liegen, sich kleine Schalterhalle und Mittelausgang befinden, lagen damals noch die Gleise zum Stuttgarter Zentralbahnhof an der Bolzstraße. Dort gab es zwar auch 2 Hallen mit 8 Gleisen, aber nur 4 Bahnsteiggleise und am Ende befanden sich zwei Drehscheiben für die Dampflokomotiven. Dieser völlig überlastete Bahnhof hörte am 23.10. exakt um 2 Uhr betrieblich auf zu bestehen, und der neue Hauptbahnhof ging mit dem durchaus legendären Zug 561 nach Aalen um 4.15 Uhr in Betrieb. In der Fachwelt wurden die Kürze der Umstellungsphase und die bis ins Detail durchdachten Arbeitsabläufe hervorgehoben. Vergleiche zu aktuellen Bauvorhaben möge jeder selbst ziehen.
Die Inbetriebnahme vor 100 Jahren war eine Meisterleistung der württembergischen Ingenieure und Eisenbahner. Die Motivation war sicher eine andere als im heute weit aufgegliederten DB-Konzern und bei so mancher Privatbahn, die mit einem Niedrigpreis die Ausschreibung des Landes gewonnen hat. Es tut einfach gut, den Präsidenten Dr. Sigel aus dem Amtsblatt der Reichsbahndirektion Stuttgart vor der Inbetriebnahme zu zitieren: „… Aber auch das außerhalb Stuttgarts stationierte Personal kann zu seinem Teil die Bewältigung dieser Aufgabe dadurch fördern, daß für die strenge Einhaltung des Fahrplans für alle Züge im Verkehr mit Stuttgart Hbf. gesorgt wird. Mit mir werden es alle beteiligten Eisenbahner als Ehrensache ansehen, daß der Betrieb im neuen Bahnhof sofort glatt läuft. Ich vertraue daher darauf, daß jeder einzelne das Seinige hiezu beitragen und daß die Tüchtigkeit und der gute Ruf der schwäbischen Eisenbahner sich auch bei dieser Gelegenheit auf neue bewähren wird“.
Es war dann beispielsweise so organisiert, dass die Bahnhofsvorsteher der Bahnhöfe im Umland von Stuttgart am 23. und 24. Oktober persönlich die pünktliche Abwicklung aller Arbeiten überwachen mussten.
Der Baubeginn für den Hauptbahnhof lag im Frühjahr 1914. Nur wenige Monate später brach der 1. Weltkrieg mit vielfältigen Störungen des Bauablaufs aus. Im Frühjahr 1917 wurden die Arbeiten komplett eingestellt und erst im Oktober 1919 wieder aufgenommen. Die reine Bauzeit bis 1922 lag also bei recht genau 6 Jahren. Vergleiche zu aktuellen Projekten drängen sich auf. Ebenso drängt sich ein Vergleich auf, wenn schon deutlich vor dem Bau des Personenbahnhofs der Abstellbahnhof und das Bahnbetriebswerk Rosenstein mit Lokschuppen und Werkstätten begonnen und bereits 1919 in Betrieb genommen wurden.
Mit dem Hauptbahnhof gingen auch die entsprechenden Zulaufstrecken in Betrieb, die sich in den einmaligen Stuttgarter Überwerfungsbauwerken kreuzungsfrei nach Bad Cannstatt, Feuerbach und Böblingen wenden und in der mittleren Ebene den Abstellbahnhof damals mit 3, heute mit 5 Verbindungsgleisen an den Kopfbahnhof anbinden.
Die Leistungen beim Bau und in nunmehr fast 100 Jahren Bahnbetrieb, das muss in diesem Jahr einfach gefeiert werden. Aber in der Öffentlichkeit sind keinerlei entsprechende Vorbereitungen bekannt – gezielte Nachfragen bestätigten dies. Daraufhin haben „engagierte verkehrstechnisch und geschichtlich interessierte Bürger“ ein Festkomitee „100 Jahre Hauptbahnhof Stuttgart“ gegründet und planen verschiedene Veranstaltungen im Vorfeld des Jubiläums und ein großes Festwochenende am Samstag und Sonntag, dem 22. und 23. Oktober. Es soll umfangreiche Sonderfahrten mit historischen Zügen und ein entsprechendes Rahmenprogramm geben. Über diese Initiative haben wir verschiedene Medien informiert und eine durchweg überrascht positive Reaktion erhalten. Die Aktionen sollen auf eine breite Basis gestellt werden, und so laufen Abstimmungen mit den Verkehrs- und Umweltverbänden, aber auch mit den Miniaturwelten Stuttgart, dieser einmaligen Modelldarstellung der Stuttgarter Bahnanlagen auf dem Stand der 80er Jahre.
Auch die Bahn, Stadt und Land wurden über unser Vorhaben bereits Anfang Mai informiert. Aber bis jetzt können sie sich offenbar keine Beteiligung an Feierlichkeiten zu Ehren des Kopfbahnhofes vorstellen. Wir haben nicht mal Nachfragen zum Konzept erhalten. Auch dazu kann sich jeder seine Meinung bilden.
Mit der Verdeutlichung der Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Bahnhofs als Ganzes im Rahmen der Festveranstaltungen wollen wir natürlich auch sein Potential für den Bahnbetrieb der Zukunft verdeutlichen. Mit etwas Nachdenken sollte dann die Idee eines Abrisses dieser gut funktionierenden Anlagen sehr schnell als das erkannt werden, was es wäre: ein Schildbürgerstreich.
Die Lösung lässt sich ganz einfach mit zwei Worten beschreiben: Oben bleiben!
….gut zurückgeblendet Dr.Jäkel. Selbst ohne 100-Jahrfeier wird das Problem Zukunft umso spannender, da die gesetzlosen Technokraten von S21 sich leibhaftig nicht mehr schämen müssen. Ein Begriff der sich in jüngster Zeit auf politischer Ebene etabliert hat. Auf ökonomischer Ebene sieht es anders aus. Warten wir also auf 125 Jahre Hauptbahnhof Stuttgart. Ohne Grips muß nichts funktionieren, Hauptsache die Erstellungskosten haben sich vervielfacht.