Moderation von Dr. Angelika Linckh, Parkschützerin, auf der 604. Montagsdemo am 14.3.2022

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter gegen Stuttgart 21, liebe Freundinnen und Freunde,

seien Sie sehr herzlich begrüßt zur 604. Montagsdemo: gegen das Klimaverbrechen Stuttgart 21, für Klimagerechtigkeit, für eine echte Verkehrswende und – heute mehr denn je – für ein sofortiges Ende des Kriegs in der Ukraine, für einen sofortigen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine und von ihren Grenzen, für Abrüstung statt Militarisierung!

Ein ganz herzliches Willkommen Ihnen allen, und auch besonders den Radler*innen, die auch schon da sind.

Und direkt zu Beginn einen großen Dank allen Spendensammler*innen und Ihnen allen für Ihre großzügigen Spenden zur Finanzierung unserer Demos.

Gestern haben wir im Oberen Schlossgarten eine ermutigende Demo gegen den Krieg in der Ukraine erlebt. Besonders beeindruckt hat mich, wie unser menschliches Miteinander betont wurde und wie wichtig uns Hilfsbereitschaft und Mitgefühl ist unabhängig von Hautfarbe oder Staatsangehörigkeit und ohne rassistische und nationalistische Zurückweisung. Die mutige Rede einer russischen Mitbürgerin gegen Putins Krieg war hierfür ein starkes Signal.

Und lasst mich bitte noch eine kurze Passage aus der gestrigen Rede des Friedensaktivisten Jürgen Grässlin zitieren: „Krieg ist die schlimmste Form der Umweltzerstörung“, und seine Rede endete mit der Forderung: „Wir fordern von der Bundesregierung statt eines 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungsprogramms einen 100-Milliarden-Euro-Friedens- und Sozialfonds – für Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur, Gesundheit und Pflege, für den Ausbau regenerativer Energiequellen, für die sozial-ökologische Transformation (…)“

Endlich sind auch wir wieder auf der Straße, wie haben wir das herbeigesehnt – und wie belastet ist doch heute unsere erste Demo auf dem Schlossplatz. Ich hatte mir das, wie sicher die meisten auf dem Platz, wirklich anders vorgestellt!

Dass hier heute nicht Chain of Fools spielen und den Platz flott machen, das hat leider auch einen ernsten Grund: Drei Musiker*innen von Chain of Fools sind an Corona erkrankt und in Quarantäne.

Die leider wieder steigenden Infektionszahlen machen uns gleich heute beim Neustart auf dem Schlossplatz sehr deutlich: Wir sind nicht raus aus der Corona-Gefahrenzone! Deshalb: weil Ihr alle uns so viel wert seid: nehmt bitte Rücksicht, tragt Maske, haltet Abstand – wir rücken dafür im Kopf und im Herzen umso enger zusammen. Das sagen wir nicht nur, weil das eine Auflage der Versammlungsbehörde ist, sondern aus voller Überzeugung!

Es gab einige kritische Stimmen aus unserer Bewegung, die traurig waren, dass die 600. Montagsdemo vor vier Wochen nicht auf dem Platz, sondern online war, so wie es heute auch Menschen gibt, die es falsch finden, dass wir jetzt trotz Corona wieder auf dem Platz sind und nicht um 18 Uhr im Internet. Beides ist sehr verständlich. Wie Ihr wisst, braucht Planung immer einen gewissen Vorlauf und wie man es macht, ist es immer verkehrt.

Und es war überwältigend, wie viel positive Rückmeldungen es besonders auf die 600. gab. Diese positive Resonanz tut natürlich allen gut.

Und die Live Demo heute wird für all diejenigen, die lieber im Netz dabei sind, statt hier eine Infektion zu riskieren, wieder aufgezeichnet und kann dann im Internet später angeschaut werden.

Auch Ihr zu Hause seid herzlich gegrüßt!

In diesen Wochen ist es nicht einfach, mit unserem Anliegen durchzudringen, trotz Bahndesaster, trotz Pofalla, trotz aller zerbröselnden Lügengebäude der Tunnel- und Beton-Fanatiker. Und es ist nicht einfach, sich durchzuringen, es trotz alledem weiter zu versuchen. In diesen Tagen wird deshalb oft Bertolt Brechts „An die Nachgeborenen“ zitiert – geschrieben in seinem Exil in Dänemark:

Was sind das für Zeiten, wo

Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist

Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

In der letzten Strophe dieses Gedichts wirft Brecht einen Blick aus den finsteren auf kommende hellere bessere Zeiten: „wenn es so weit sein wird, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist“.

Diese andere, bessere, solidarische, klimagerechte Welt, die wir brauchen, damit das 21. Jahrhundert nach dem 20. nicht ein weiteres Jahrhundert der Katastrophen für Mensch und Natur wird, diese Welt, in der „der Mensch dem Menschen ein Helfer ist“: sie kann nicht entstehen, wenn wir heute gelähmt von diesem Krieg unsere Augen und Münder verschließen würden vor den vielen anderen Missständen und potentiellen Katastrophen vor unseren Haustüren!

Die kanadische Journalistin Naomi Klein wurde hier auf unserer Bühne schon öfter zitiert. Sie kennen wahrscheinlich ihr Buch mit dem Titel: „Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“. Sie analysiert darin Ereignisse wie z.B. Margaret Thatchers Großbritannien nach dem Falklandkrieg, Russland unter Boris Jelzin, New Orleans in den USA nach dem Hurrikan Katrina, den Irak nach dem amerikanischen Einmarsch und 9/11 in den USA.

Naomi Klein stellte dabei fest, dass diese katastrophischen Ereignisse erstens immer wieder die Widerstandskraft außerparlamentarischer und sozialer Bewegungen gelähmt und gespalten haben. Und dass dies zweitens von den Herrschenden immer strategisch dazu benutzt wurde, die Gesellschaften mit marktradikalen Konzepten zum schlechteren für die allermeisten Menschen zu verändern.

Diese Schockstrategie der Repräsentanten des Katastrophen-Kapitalismus kündigt sich durch Putins Krieg in der Ukraine heute bei uns und in ganz Europa an. Und sie wird dann Erfolg haben, wenn wir Kriegsgegner*innen uns von der militärischen Logik paralysieren lassen!

Dass gestern im Schlossgarten 35.000 Menschen gegen den Krieg und weitere Aufrüstung demonstriert haben, macht Hoffnung. Hoffnung – nicht Optimismus.

Vaclav Havel, Schriftsteller und Dissident gegen das stalinistische Regime, immer wieder inhaftiert und später erster Präsident der Tschechischen Republik hat den Unterschied einmal so formuliert: „Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht. Sondern Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“

Mit solcher Hoffnung stehen auch wir Stuttgart-21-Gegner*innen heute wieder hier und demonstrieren gleichermaßen gegen Krieg und Militarisierung und für eine Verkehrswende mit einer Klima-Bahn und gegen die Beton-Bahn!

Liebe Freund*innen und Freunde, als wir mit der heutigen Kundgebung unser „Zurück auf die Straße“ geplant haben, konnten wir noch nicht wissen, wie gut es in der momentanen Situation ist, heute Dr. Winfried Wolf als Redner auf unserer Bühne zu haben – ein unbeirrbarer Streiter für den Kopfbahnhof, für eine bessere Bahn und gegen jeden Krieg. Herzlich willkommen, Winfried Wolf!

Es tut gut, so strukturierte Analysen zu hören in diesem emotionalen Wechselbad der Gefühle im Angesicht des Krieges gegen unschuldige Menschen in der Ukraine. Und es hilft auch bei der Einordnung unseres Protests gegen den Klimaskandal Stuttgart 21.

Morgen Abend wird Winfried Wolf um 19:30 im DGB-Haus mit einem Vortrag seine Überlegungen vertiefen und mit Ihnen diskutieren. Fühlen Sie sich herzlich eingeladen zu dieser Veranstaltung!

Am kommenden Donnerstag, 17.3.22 war nach langer Corona-Pause erstmals wieder ein Parkgebet geplant, und zwar um 18:15 Uhr im Mittleren Schlossgarten bei der Lusthausruine. Von da an sollte es wieder monatlich stattfinden. Leider muss es coronabedingt ausfallen. Die Ansprache von Martin Poguntke wird am Donnerstag ab 18 Uhr im Netz zu lesen sein.

Liebe Freund*innen, Chain of Fools lässt Euch schön grüßen aus der Corona-Quarantäne und ausrichten, dass sie bald für uns wieder hier auf der Bühne stehen werden. Wir wünschen Ihnen von hier aus gute Besserung. Und dank unserer wunderbaren Capella Rebella stehen wir heute nicht ohne Kultur, Musik und Rhythmus auf dem Schlossplatz! Einen großen Applaus für die Capella, die gestern nach der Friedensdemo noch geprobt hat für heute – heute unterstützt von Herry von der Lok und Doro, die mit Chain of Fools hier auch schon auf der Bühne stand.

Danke, liebe Capella-Aktivisti, liebe Doro, lieber Herry, dass ihr den Auftritt auf der Bühne heute so spontan möglich gemacht habt! Es tut mir wirklich gut, Teil einer so engagierten Demo-Banda zu sein!

Und es tut auch gut, hier mitten unter Menschen zu sein, deren Gedächtnis offensichtlich besser funktioniert als das der Stuttgart-21-Chef-Propagandist*innen aus dem STZN-Konzern: der wohlbekannte Christian Milankovic hat vergangene Woche feststellen müssen, dass sich die Neugestaltung des Bereichs um den Hauptbahnhof und die Verkehrsberuhigung der Schillerstraße, anders als bisher behauptet, bis weit in die 30er Jahre hinziehen wird. Immer mit der verwegenen Annahme, dass bis dahin der Tunnelbahnhof fertig wäre.

Ein Fiasko mit Ansage, nennt er das, und das ist es tatsächlich – aber nicht wie Herr Milankovic kommentierte, weil eine „linke Mehrheit“ im Rathaus immer noch das ansonsten bestgeplante Projekt behindern würde. Welche „linke Mehrheit“, fragt man sich, in einem Stadtrat, der mit Ausnahme der FrAktion – bestehend aus LINKE-SÖS-Piraten-Tierschutz - das Tunnelbahnhofsdesaster ohne Wenn und Aber unterstützt und deckt? Diese Mehrheit hätten wir doch wirklich gern!

Man braucht aber heutzutage nicht mal mehr ein gutes Gedächtnis als Journalist, sondern nur eine kleine Recherche, um festzustellen: „Mit Stuttgart 21 ist kein Staat mehr zu machen“! Das hatte tatsächlich derselbe Herr Milankovic anlässlich der vorletzten Kostenexplosion und der vorletzten Terminverschiebung auf 2025 noch geschrieben.

Ja, liebe Freund*innen, „mit Stuttgart 21 ist kein Staat zu machen“, das Tunnelbahnhofsprojekt war von Anfang an ein „Fiasko mit Ansage“!

Das hat auf eindrucksvolle Weise gestern wieder einmal auf der parkschuetzer-Seite der Räzelonkel mit einer Sammlung der Titelüberschriften der Stuttgarter Presse seit 1995 dokumentiert! Schaut euch das doch mal an, und ihr wisst sofort, warum ihr heute wieder hier steht, falls ihr nur einen kleinen Moment daran gezweifelt haben solltet!

Ja, es tut gut, unter und mit euch zu sein, mit eurem, mit unserem kollektiven und intakten Gedächtnis! Und mit der einzigen vernunftbasierten Konsequenz: Baustopp jetzt, alles bisherige auf den Prüfstand und umsteuern!

Danke dass Ihr alle gekommen seid, um auch dafür zu demonstrieren! Der Demozug geht heute über die Königstraße bis zur Mahnwache, kommt danach gut nach Hause, bleibt gesund und kommt nächste Woche um 18 Uhr wieder zur 605. Montagsdemo auf den Schlossplatz – auch mit der Hoffnung auf Deeskalation, Waffenstillstand und ein Ende des Kriegs in der Ukraine!

Oben bleiben!

 

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