Rede von Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe, auf der 599. Montagsdemo[1] am 7.2.2022
Liebe Freundinnen und Freunde des Klimaschutzes in Baden-Württemberg und auch hier in Stuttgart,
zuerst einmal ein ganz herzliches Dankeschön an Tom Adler, dass er mich hier eingeladen hat und mein großes Bedauern – ich wäre gerne in Stuttgart bei Euch, vor allem, wenn es um so wichtige Themen wie eben Klimaschutz geht.
Das Jahrtausendhochwasser an der Ahr hat uns gezeigt, was auf uns zukommt, welche Ereignisse auch in Zukunft zu befürchten sind, wenn wir die Verpflichtung aus dem Pariser Klimaabkommen nicht endlich ernst nehmen und Maßnahmen ergreifen. Ich will daran erinnern: 2015 haben wir uns verpflichtet, deutlich unter zwei Grad Erderwärmung als Ziel anzuerkennen und hierzu geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Das ist später nachgeschärft worden auf 1,5 Grad.
Das Bundesumweltamt hat hierzu zuletzt im Dezember ein Gutachten vorgelegt und aufgezeigt, dass Deutschland weder die laxen Ziele des aktuell geltenden Klimaschutzgesetzes erreichen würde, noch dass diese Ziele ausreichend sind, die Verpflichtungen gegenüber Paris, gegenüber der Weltgemeinschaft einzuhalten.
Aber wir haben gerade auch hier in Baden-Württemberg eine deutlich zu geringe Performance. Ich will es vielleicht auch identifizieren: Die Christliche Diesel Union, als Teil der baden-württembergischen Regierung, ist natürlich ein Bremser. Es gehören aber zwei dazu. Auch die Grünen, die ja eine gewisse Rolle spielen und sogar den Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg stellen und dementsprechend mehr tun könnten. Und deswegen blicken wir auf die Performance. Zubau von Wind- und Solarenergie in Baden-Württemberg: da müssen wir in den letzten zehn Jahren feststellen, dass beides sogar weniger als im gleichen Zeitraum in Bayern eingetreten ist. Wir müssen uns ganz massiv verändern!
Aber gerade auch die baden-württembergische Automobilindustrie ist es, die sich in den letzten Jahren eben nicht oder nicht ausreichend verändert hat. Wir haben immer noch die Situation, dass wir in Baden-Württemberg z.B. bei der Marke Mercedes die größten und durstigsten PKWs aller Serienhersteller Europas haben. Daimler bzw. jetzt Mercedes liegt europaweit am traurigen Ende, und viele dieser Fahrzeuge sind wirklich Musterbeispiele für das Schaufahren gegen den Klimaschutz. Nehmen wir den Geländewagen für Freiberufler und Zahnärzte, die Mercedes G-Klasse – dieser fahrbare Wohnzimmerschrank – die in der Spitzenmotorisierung die höchsten CO2 Emissionen von fast allen in Europa zugelassenen Serienfahrzeugen hat. Ein Auto, das in der Regel sechsstellig verkauft wird. Aber von diesem Auto verkaufte Mercedes im vergangenen Jahr genauso viele, wie von allen rein batterieelektrischen Autos zusammen.
Wir sind noch nicht in dieser notwendigen Veränderung und haben gleichzeitig ganz wenig Zeit. Und ich bedaure es natürlich, wenn dann die Landesregierung auch bis in die jüngste Zeit gegenüber Brüssel – aber auch bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin – darauf hinweist, man dürfe die Automobilindustrie nicht überfordern beim Klimaschutz. Gleichzeitig sehen wir, dass es aber möglich wäre. In Asien, in den USA, teilweise jetzt auch in Frankreich überholen uns Unternehmen, was den Klimaschutz angeht. Und das hängt unter anderem einfach daran, dass man dort etwas mutiger ist, auch was Ordnungsrecht angeht, was Vorschriften an die Industrie bedeutet. In Baden-Württemberg hat man offensichtlich Probleme, konkrete Maßnahmen zu verabschieden, und deswegen sehen wir, dass es notwendig ist, mehr Druck zu machen.
Liebe Freundinnen und Freunde des Klimaschutzes, es ist zu spät, wenn wir jetzt noch Jahre darauf warten, bis in Baden-Württemberg irgendwelche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Wir müssen jetzt handeln. In Baden-Württemberg hat man, nachdem wir im Jahr 2020 die Klimaklage nach Karlsruhe brachten und am 29. April im letzten Jahr dann den großen Erfolg feiern konnten, dass eben Artikel 20a im Grundgesetz als Klimaschutz-Paragraph aufgewertet wurde, acht Monate Zeit gehabt, das eigene Klimaschutzgesetz noch umzusetzen. In diesen acht Monaten hätte nämlich ein integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept mit konkreten Maßnahmen verabschiedet werden müssen. Das hat man nicht gemacht. Man spricht davon, dass die CDU das nicht haben wollte. Jetzt soll dieses Konzept irgendwann Ende diesen Jahres als Entwurf vorgestellt werden. Leute, so geht es nicht!
Wir haben deswegen im November letzten Jahres vor dem Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg Klage gegen das Land wegen der Nichtumsetzung des eigenen Klimaschutzgesetzes erhoben. Und ich freue mich, dass uns wenige Tage später ein interner Vermerk aus der Landesregierung zugespielt wurde, in dem man unsere Klage erörterte und unabhängig von der Frage, ob wir vielleicht Schwierigkeiten mit der Zulässigkeit haben könnten – also formale Punkte – inhaltlich sagte, die Umwelthilfe hätte eine gute Chance, die Klage zu gewinnen. Das hat uns gefreut, weil wir das genauso sehen. Und was wollen wir erreichen? Wir wollen erreichen, dass hier im Land jetzt Maßnahmen ergriffen werden, dass wir eine wirkliche Verkehrswende im Ländle einleiten, dass wir einen Umbau der Automobilindustrie – und zwar stürmisch – vornehmen, dass wir wirklich einen Ausstieg aus dem Verbrenner bekommen, und zwar möglichst bis 2025, dass wir alle öffentlichen Gebäude saniert bekommen, energetisch und noch darüber hinaus, und dass mit Schulen und Kindergärten begonnen wird.
Eine Maßnahme, die auch sofort, ohne große Ausschreibungen möglich ist, ist alle geeigneten Dachflächen der öffentlichen Hand, von Kommunen, von Landeseinrichtungen, mit Photovoltaik zu belegen und somit eben auch den Rückstand bei den erneuerbaren Energien aufzuholen.
Wir hatten zur Bundestagswahl große Hoffnungen – eine Ampel ist herausgekommen. Und die Vorstellung des Koalitionsvertrages war dann teilweise schon schwierig zu verarbeiten. Katerstimmung ist vielleicht mit der beste Begriff, weil wir neben vielen wolkigen Absichtserklärungen – was eigentlich immer eine Umschreibung ist für „wir haben uns nicht einigen können“ – zu unserem großen Entsetzen festgestellt haben, dass man sich an wenigen Stellen doch geeinigt hat. Also üblicherweise, wenn man sich nicht einigt, steht nichts drin oder etwas Schwammiges. Aber diese Ampel hat z.B. gesagt, ein Tempolimit sei abgesagt, es werde kein generelles Tempolimit auf Autobahnen geben. Normalerweise würde man doch annehmen – die Grünen haben es gefordert, die SPD wollte es ja auch haben, die FDP nicht – „also schreiben wir dazu nichts rein“. Nein, man hat sich darauf verständigt: Es wird kein Tempolimit geben! Es wird aber auch keine Verkehrswende geben! Die ist jetzt einfach nicht reingeschrieben, aber wir sehen ja, dass keiner mehr dafür kämpft.
Und – das war etwas, was mir wirklich die Schuhe ausgezogen hat: Verbrenner sollen auch nach dem Jahr 2035, obwohl die EU in ihrem Programm „Fit for fifty five“ versuchte, ein Verbrenner-Aus festzuschreiben – nein, in Deutschland sollen sie noch zugelassen sein! Wenn diese Neufahrzeuge nachweislich mit E-Fuels betankbar sind, dann sollen sie auch nach Meinung der Grünen – das steht jetzt genauso im Konzeptpapier des Klimaschutzministers – nach 2035 weiter in Deutschland zugelassen sein, und dafür würde sich die Bundesregierung einsetzen!
So werden wir den Klimaschutz nicht erreichen, und ich bin schon fast dankbar, dass ein tschechischer Milliardär uns den Stinkefinger gezeigt hat, indem er vor einigen Wochen ein Super-Raser-Video veröffentlichte und zeigte, dass man eben in Deutschland auch real Tempo 413 auf der Autobahn, interessanterweise auf dem Weg von Berlin nach Wolfsburg, fahren kann. Ich erlebe auf der A81 Singen-Stuttgart regelmäßig Fahrzeuge, die gefühlt deutlich oberhalb von 300 km/h unterwegs sind. Es gibt mittlerweile elf Straßenfahrzeuge, die zugelassen sind – die auf der ganzen Welt nur in Deutschland gefahren werden können – oberhalb von 400 Stundenkilometer. Spitze ist 480 km/h, für die Straße zugelassen! Vier von diesen Fahrzeugen stammen von Volkswagen, einem Betrieb im Mitbesitz des Staates, mit goldener Aktie Niedersachsen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Mittlerweile ist es die Polizeigewerkschaft, der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, selbst der SPD-Ministerpräsident Weil aus Niedersachsen, die ein Tempolimit auf Autobahnen fordern. Und hier an dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich beim baden-württembergischen Verkehrsminister Winne Herrmann bedanken, der immerhin klar für ein Tempolimit eintritt. Im Gegensatz zu den Berliner Grünen, die offensichtlich seit Dezember ihr Parteiprogramm durch den Koalitionsvertrag ersetzt haben und es nicht mehr wagen, für ein Tempolimit oder eine echte Verkehrswende mit weniger Autos und mehr Bus, Bahn und Fahrrad kämpferisch einzutreten. Ich hoffe, dass sich das ändert.
Im Moment sehe ich allerdings eine rückwärtsgewandte Politik, die weiterhin dem Auto folgt. Wir haben auch im letzten Jahr wieder einen Zugewinn von 800.000 Kraftfahrzeugen auf den Straßen erlebt. Wir liegen jetzt bei 59 Millionen Fahrzeugen. Weniger als 1%, nämlich 530.000, 540.000 Fahrzeuge ist elektrisch. Über 99% sind mit Verbrennungsmotor ausgestattet, und auch in den nächsten Jahren wird sich dieser Trend fortsetzten: dass wir jedes Jahr 600.000 bis 700.000 Fahrzeuge – das ist zumindest der bisherige Schnitt – am Jahresende mehr auf der Straße haben als wieder abgemeldet wurden, weil sie verschrottet oder ins Ausland verkauft wurden. Wir haben selbst bei noch steigenden Zulassungszahlen von Elektroautos ein, zwei Jahre eine Zunahme an Verbrennerfahrzeugen. So kann es und darf es auf keinen Fall weitergehen!
Wir brauchen eine echte Verkehrswende mit einer Halbierung der Autozahl, insbesondere in unseren Städten, und eine Verdopplung der Fahrradwege. Wir brauchen Bahn und Bus in einer Qualität, wie wir es im Großraum Zürich oder eigentlich in der ganzen Schweiz erleben, wo eben auch der ländliche Raum perfekt angebunden ist. Und dies wünsche ich mir auch gerade für Baden-Württemberg. Hier wurde jetzt immerhin für Schüler und Studenten der erste Schritt getan, die Einführung eines entsprechenden Flatrate-Tickets. Dafür ein Dank an die Landesregierung, aber das reicht nicht aus. In Österreich gibt es für die Bundesländer die 365-Euro-Tickets oder 1 Euro pro Tag, mit denen ich Bus, Bahn, Straßenbahn, alles im öffentlichen Bereich, nutzen kann. Für drei Euro am Tag habe ich sogar die Nutzung sämtlicher Züge, auch der Fernzüge, und ich muss mich nicht mehr um irgendwelche Tickets kümmern. So einen entsprechenden Push wünsche ich mir für Deutschland.
Und da sind wir dann auch schon beim Thema Stuttgart 21, und jetzt erstmal auch an Euch das ganz klare Kompliment: Ihr seid Teil der Klimaschutzbewegung, ihr kämpft seit Jahren für eine funktionierende Bahn, dafür, dass auch weiter in Stuttgart Güter auf der Bahn transportiert werden können – und nicht zur großen Freude der Autoindustrie mit Inkrafttreten von Stuttgart 21 nicht mehr transportiert werden können, indem die entsprechenden Verlade- und Entlademöglichkeiten nicht mehr gegeben sind.
Wir haben jetzt gerade mitbekommen, dass die Mehrkosten mit 9,2 Milliarden Euro eine Milliarde höher sind als in der letzten Schätzung. Interessanterweise war dies ein offenes Geheimnis in Berlin, Monate vor der Bundestagswahl. Und ich habe mich gewundert, wie lange das nicht an die Öffentlichkeit gekommen ist, und wundere mich auch, dass die baden-württembergische Landesregierung jetzt sagt, sie höre das zum ersten Mal und sie sei darin nicht eingeweiht. Es ist also weiterhin so, dass nach irgendwelchen Wahlen zurückgehaltene Daten zu Stuttgart 21 über Mehrkosten bekannt werden. Das kann so nicht sein. Und was ich einfach im Moment befürchte, ist, dass auch diese eine Milliarde Euro, die ganz überwiegend zulasten der Bahn gehen wird, eine weitere Schwächung des öffentlichen Personenverkehrs im Fern- aber vor allen Dingen im Nahverkehr bedeutet.
Ganz kleinen Exkurs an den Bodensee: Wir kämpfen als Deutsche Umwelthilfe zusammen mit allen Gemeinden, Landkreisen, auch mit der Wirtschaft, für eine Modernisierung der Bodenseegürtelbahn zwischen Radolfzell und Friedrichshafen. Seit 30 Jahren fordern wir eine Modernisierung dieser Museumsstrecke und eine Elektrifizierung, so wie wir es auf der anderen, der Schweizer Bodenseeseite haben. Mit dem Fahrplanwechsel im November haben wir jetzt einen traurigen negativen Höhepunkt erlebt, weil die Züge noch weiter ausgedünnt wurden. Es gibt kaum mehr funktionierende Anschlüsse, d.h., wenn man jetzt an den Knotenpunkten Radolfzell oder Friedrichshafen umsteigen möchte, erwischt man nicht mehr die Fernverbindungen, braucht sehr viel länger, um in die Metropolen zu kommen, und dazu kommt, dass der Busverkehr auch nochmals ganz massiv verschlechtert wurde. Die Deutsche Bahn fordert jetzt von den Schüler*innen und Eltern, die sich beschweren, dass die Busse sechs Minuten vor Schulende abfahren, dass die Schulen doch einfach ihre Unterrichtsgestaltung an dem neuen Fahrplan ausrichten sollen. Nein, so geht es nicht!
Die Deutsche Bahn und auch die entsprechende Bundes- und Landesregierung müssen dafür sorgen, dass der Klimaschutz auch in der Region ankommt, dass Stuttgart 21 so nicht realisiert wird. Verzeihen Sie mir jetzt zum Schluss diese Kleingliedrigkeit mit dem Hinweis auf die Erlebnisse, die ich gerade auch in der Region sehe. Es darf nicht passieren, dass als Folge von Stuttgart 21 zum einen die Kapazität der Bahn im Bereich Personenverkehr im Großraum Stuttgart massiv verschlechtert wird, dass weniger Kapazität da ist, dass die Bahn auch fast zusammenbricht, wenn es Störungen gibt, dass wir wirklich dann ein Nadelöhr haben, dass wir keinen Güterverkehr im Großraum Stuttgart mehr durch die Bahn verladen können.
Deswegen meine Bitte: OBEN BLEIBEN!
[1] ab 6.12.2021 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, wieder online:
https://www.parkschuetzer.de/videos/