Wie schön, Euch alle hier zu sehen am Globalen Aktionstag gegen Ökozid & Vertreibung: Es geht heute um den „Maya“-Zug und die koloniale Schiene der Deutschen Bahn.
Mein Name ist Angelika Linckh. In Stuttgart lebe ich seit 1984.
Wir stehen heute hier, weil sich der staatseigene Konzern „Deutsche Bahn“ an einem gigantischen Projekt im Südosten Mexikos beteiligt.
Das Eisenbahn-, Autobahn- und Flughafen-Projekt wird von der mexikanischen Regierung „Tren Maya“ genannt, und schon das ist ein Begriff, gegen den sich die indigenen Menschen und Organisationen wehren, und den auch wir ablehnen. Es ist ein Begriff, der die Rechte der indigenen Menschen mit ihrer jahrtausendealten Kultur der Maya missachtet.
Heute ist de globale Aktionstag gegen dieses Projekt mit Aktionen überall in Europa im Rahmen der Europareise der Zapatistas. Die Zapatistas sind eine große Gruppe von aufständischen indigenen Personen im Süden Mexikos.
Viele von uns aus Stuttgart sind heute in Lützerath, um auch dort gegen die Pläne der DB in Mexiko zu protestieren. In Lützerath, wo Dörfer für dreckige Braunkohle vernichtet werden, in Stuttgart mit dem Megaprojekt Stuttgart 21 wie im Süden Mexikos und an zahllosen anderen Orten unseres Planeten – überall geht es um Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen.
Ich möchte mich in meiner kurzen Rede damit beschäftigen, wo ich die wichtigsten Gemeinsamkeiten von uns hier bei S21 und dem „Tren Maya“-Projekt sehe:
Seit 2009 sind wir aktiv auf der Straße im Widerstand gegen Stuttgart 21. 2009 wurde der erste Bauzaun aufgestellt am Nordflügel – für die Vorbereitungen zum Abriss. Damals konnte ich es mir noch nicht vorstellen, dass die Deutsche Bahn und die Politik es wirklich ernst meinen mit diesem Wahnsinn, dass es den politisch und wirtschaftlich Mächtigen wirklich gelingen würde, Stuttgart in eine hässliche Riesenbaustelle zu verwandeln, hunderte von uralten wunderschönen und wertvollen Bäumen im Herzen unserer Stadt zu vernichten und die Mobilität in unserer Stadt dauerhaft zu schädigen. Hier in Stuttgart haben wir am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn rücksichtslos Natur zerstört und lebendige Stadtkultur kaputt gemacht wird.
Und es ist keinesfalls vorbei. Auch in den nächsten Jahren wird unserer Stadt, dem Klima, Menschen und Natur noch Schreckliches angetan werden, wenn wir die jetzt neu geplanten weiteren Zerstörungen mit zusätzlichen 40 km Tunneln und unterirdischem Zusatzbahnhof nicht stoppen können.
Von dem geplanten Megaprojekt in Mexiko habe ich persönlich erst vor ein paar Wochen gehört und inzwischen viel dazu gelesen und gelernt. Besonders von der Internet-Seite des Ya-Basta-Netzes, einem deutschsprachigen Netzwerk in Solidarität mit den Zapatistas. „Ya basta!“ heißt auf spanisch soviel wie „Genug ist genug“, „Es reicht!“, „Halt!“
Nicht nur die mexikanische Regierung behauptet: „Infrastrukturprojekte bedeuten Fortschritt und Entwicklung“. Dabei erscheint das Projekt „Tren Maya“ nur auf den allerersten Blick wie ein harmloses Vorhaben: Auf über 1.500 Kilometern soll die neue Strecke zu einem Anstieg des Tourismus führen. Politik und Unternehmen versprechen Arbeitsplätze und den Weg in die Moderne.
Tatsächlich bedeutet das Megaprojekt die Zerstörung der letzten Regenwälder Südmexikos, die Missachtung der Rechte der indigenen Bevölkerung, Landnahme und Vertreibung sowie eine zusätzliche Militarisierung in einer der konfliktreichsten Regionen des Landes.
Einige wenige erwarten große Gewinne und treiben die Verwirklichung des „Tren Maya“ voran – auch deutsches Kapital und deutsche Unternehmen, allen voran die Deutsche Bahn. Interessiert sind auch Siemens, der TÜV Rheinland, die deutsche Waffenindustrie und andere. Der Vertrag mit der Deutschen Bahn wurde zum 1. Dezember 2020 geschlossen. Er umfasst eine Auftragssumme von 8,6 Millionen Euro.
Aus Imagegründen wurde 2019 der rote Streifen der ICE-Züge um einen grünen Streifen ergänzt und soll die Klima- und Umweltfreundlichkeit des Konzerns betonen. Aber es ist nicht klima- und umweltfreundlich, den Regenwald Mexikos zu zerstören. Wie es, nebenbei bemerkt, auch nicht menschenfreundlich ist, Kohle aus Datteln 4 in das Bahnstromnetz einzuspeisen, wo Kohle aus Kolumbien verbrannt wird. Wir wissen, dass in Kolumbien Menschen vertrieben und ermordet werden, um die „Blutkohle“ abzubauen und zu exportieren. Ein Viertel des gesamtdeutschen Bahnstroms wird aus dem Kohlekraftwerk Datteln 4 geliefert.
Wenn die DB also „offiziell“ Ökostrom verbraucht, handelt es sich um erkaufte und vor allem von der EU geschenkte Zertifikate und ist Greenwashing. Wenn die Deutsche Bahn auf dem Rücken von Ländern wie Mexiko und Kolumbien Gewinne macht, ist das kolonialistischer Kapitalismus.
Uns hier in Stuttgart ist bewusst, dass die geplanten Zerstörungen in Mexiko ein viel gigantomanischeres Ausmaß haben als die Zerstörungen hier, und uns ist natürlich bewusst, dass der politische Kampf dort viel härter ist.
Wir haben hier trotz Demokratie und Rechtsstaat 2010 ein völlig illegitimes und widerrechtliches Vorgehen der Polizei erleben müssen und dann die Fortsetzung des Klimaverbrechens im Februar 2012: mit grün-rotem Mäntelchen und unter Einhaltung aller staatlichen Regeln wurden wir nachts im Flutlicht aus dem Mittleren Schlossgarten geschleppt von einer nächtlichen Armee aus mehr als 3000 freundlichen Polizisten, und unsere Bäume wurden gefällt.
Wir haben es hier in unserem eigenen Lebensraum schmerzhaft und brutal erleben müssen, und wir fühlen uns an der Seite der Indigenen und sagen mit ihnen, dass es unser gemeinsamer Kampf ist. Wir mit ihnen und sie mit uns – gemeinsam gegen die Missachtung einer lebendigen Welt.
Die Gesetze zum Schutz von Flora-Fauna-Habitaten und zum Schutz der Natur, die UN-Konventionen für Menschen mit Behinderungen, die europäische Strategie für ein barrierefreies Europa und die UN-Konvention zum Schutz der indigenen Bevölkerung, zum Schutz von Minoritäten – immer und überall werden sie ausgehebelt, und nichts ist mehr von Bedeutung, wenn Profitinteressen durchgesetzt werden.
Man kann die Zerstörung des uralten Baumbestands im mittleren Schlossgarten, der grünen Lunge unserer Innenstadt, durchaus auch als Ökozid bezeichnen: alle Vorschriften zum Artenschutz wurden so zurechtgebogen oder gleich ignoriert, dass sie am Schluss mit dem Juchtenkäfer nur noch die Karikatur ihrer selbst waren. Vom Denkmalschutz ganz zu schweigen. Parallelen überall: Stichwort „Volksabstimmung“.
Die UN-Konvention 169 über indigene Rechte schreibt vor, dass vor jeder Planung in einem indigenen Gebiet Umweltverträglichkeitsstudien unternommen werden, und vor jeder Planung die betroffenen Menschen in den Dörfern befragt werden müssen. Im Dezember 2019 führten die Projektunterstützer die Umfrage über Zustimmung oder Ablehnung des Projektes seitens der indigenen Gemeinden durch. Bei sehr geringer Wahlbeteiligung stimmte die Mehrheit der indigenen Bevölkerung für das Projekt. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte kritisierte die Art der Umfrage: Sie widerspreche den internationalen Leitlinien. Die vorgelegten Informationen für die Befragten nannten nur den potenziellen Nutzen des Projekts und nicht seine negativen Auswirkungen. Auch zeigte sich das UN-Büro besonders besorgt über die geringe Beteiligung und Repräsentation indigener Frauen an diesem Prozess
Wie bei Stuttgart 21 werden auch in Mexiko Bürgerbeteiligung, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Transparenz versprochen – schöne Worte, aber leider viele Lügen, die vor allem dazu dienen, dem Widerstand den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Interessen des Kapitals und der internationalen Konzerne durchzusetzen.
Hier wie dort erleben wir das Lächerlichmachen, das Entwerten und Kriminalisieren derjenigen Menschen, die sich wehren.
In Zeiten der globalen Bedrohung unseres Planeten durch die Erderwärmung ist es ein Verbrechen, intakte Natur und intakte Ökosysteme zu zerstören.
Wir hier in Deutschland können dagegen protestieren. In anderen Ländern wie Russland, China und Lateinamerika werden Umweltaktivist*innen und ihre Familien bedroht, eingesperrt, gefoltert, getötet. Also haben wir hier die verdammte Pflicht und Schuldigkeit zu protestieren, vor allem, da wir dabei persönlich im Vergleich zu den Menschen in anderen Ländern nur sehr geringe Risiken haben.
Wir gegen Stuttgart 21 betonen immer wieder, dass es bei unserem Protest um mehr geht als um einen Bahnhof. Ángel Sulub hat uns letzten Montag zu unserer 585. Montagsdemo eine wunderbare Grußbotschaft geschickt hat, die Ihr im Internet anhören könnt: https://youtu.be/qGVdvrGh5R0.
Von ihm ist auch folgender Satz: „Es geht nicht um … das Ja oder Nein zur Zugstrecke, sondern um die Frage: Wie wollen wir leben?“
Der Maya-Zug ist weder neu noch ein Zug, noch ein Maya-Zug – sondern vielmehr Teil eines geopolitischen Projekts, das zwei private Großprojekte im Süden Mexikos von der Pazifik- bis zur Karibikküste umfasst. Mit der Realisierung dieser Projekte werden vor allem die Maya und andere dortige indigene Bevölkerungen aus ihren Gebieten verdrängt. Ihr Land, bisher oft gemeinschaftliches dörfliches Eigentum, wird enteignet werden. Mit mangelhaften Umfragen so ein Projekt zu rechtfertigen, ist eine besonders perverse Form der Legitimation.
Es geht uns nicht – noch nie und auch nicht heute am 30. Oktober – „nur“ um diese wenigen Konzerne oder nur um S21 oder nur um den einen „Tren Maya“. Es geht um das System eines kolonialen Kapitalismus, der durch seine Profitgier alles Schöne auf dieser Welt beerdigt.
Wir müssen die Welt neu denken. Dabei kann uns zapatistisches Denken helfen. Die Zapatistas leben eine Mischung aus sozialer Bewegung, praktizierter Selbstverwaltung und Selbstverteidigung. Für die Zapatistas sind Konsum und Kapitalvermehrung nicht der Zweck von Technik. Sondern die Technik soll dem besseren Leben für alle Menschen dienen. Es geht ihnen um Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, den Generationen, den Ethnien, Kulturen und Nationen.
Die Zapatista-Bewegung hat sehr interessante Vorschläge entwickelt für Chancen auf mehr Gerechtigkeit und Frieden in der Welt, und Vorschläge für die Beziehungen von Menschen untereinander und mit der Natur.
Wir stehen heute hier für den Erhalt des Lebens auf unserem gemeinsamen, wunderbaren Planeten.
Wir sagen Ya Basta und Oben bleiben – und fordern deshalb gerade hier in Stuttgart, dass sich die Deutsche Bahn nicht an dem Megaprojekt in Mexiko beteiligt, dass sie Stuttgart 21 sofort stoppt und zu einem Umstieg bereit ist in eine klimafreundliche und menschenwürdige Zukunft!
Quellen:
https://www.ya-basta-netz.org/tren-maya-made-in-germany/ Link zum Video der zapatistischen Grußbotschaft an die Menschen in Stuttgart: https://youtu.be/qGVdvrGh5R0
Artikel TAZ: Ein gefährlicher Zug https://taz.de/Geplante-Maya-Bahn-durch-Mexiko/!5791061/
Lateinamerika Nachrichten: Interview mit dem Maya-Aktivisten Pedro Uc Be zum Widerstand gegen das Infrastrukturprojekt „Tren Maya“: https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/sie-wollen-uns-ausloeschen/
Rosa Luxemburg Stiftung: Der „Maya-Zug“ https://www.rosalux.de/news/id/41761/der-maya-zug
Deutschlandradio Kultur: Der umstrittene Maya-Zug https://www.deutschlandfunkkultur.de/mexikos-megaprojekt-tren-maya-der-umstrittene-maya-zug.979.de.html?dram:article_id=483817
amerika-21: Mexiko: Hundertausende fordern Aussetzung des „Tren Maya“-Projekts https://amerika21.de/2020/12/245879/hundertausende-stopp-tren-maya
UN-DH: Der indigene Konsultationsprozess zum Maya-Zug hat nicht alle internationalen Menschenrechtsstandards in dieser Angelegenheit erfüllt: https://hchr.org.mx/comunicados/onu-dh-el-proceso-de-consulta-indigena-sobre-el-tren-maya-no-ha-cumplido-con-todos-los-estandares-internacionales-de-derechos-humanos-en-la-materia/
Oeku-buero zur durchgeführten Umfrage zum Projekt Tren Maya: https://www.oeku-buero.de/jahresbericht-2019/articles/mexiko-3259.html
Übereinkommen über indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbereinkommen_%C3%BCber_eingeborene_und_in_St%C3%A4mmen_lebende_V%C3%B6lker_in_unabh%C3%A4ngigen_L%C3%A4ndern
Radio Múuch 'Xíinbal, eine aufstrebende öffentliche Stimme einiger Maya-Gemeinden auf der Halbinsel Yucatan: https://asambleamaya.wixsite.com/muuchxiinbal/radiomuuchxiinbal
Zum zapatistischen Gedankengut https://journals.openedition.org/am/1316?lang=de