Flüge, Züge, Lüge – richten wir die Filder zugrunde?

Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder, auf der 583. Montagsdemo am 11.10.2021

Wir Menschen können nur überleben, wenn wir zu atmen und zu essen haben. Wir leben von wenigen Kilometer Luft über uns und von einigen Dezimetern Boden unter uns. Wir Menschen sind dabei, beides dramatisch zugrunde zu richten.

Und gerade auf den Fildern wird dies besonders deutlich: Unsere Böden zählen zu den allerfruchtbarsten auf dieser Welt, und wir betonieren sie zu mit Straßen, Autobahnen, Wohnungen, Gewerbegebieten, Großmessen, Flughäfen, Schnellbahntrassen usw., und unsere Luft über diesem herrlichen freien Gelände verpesten wir mit Lärm und Abgasen und Feinstaub und Ultrafeinstaub.

Man hämmert uns ständig ein, wir bräuchten Wachstum und aus diesem Grund eine weitere Versiegelung landwirtschaftlich genutzter Flächen, um unseren Nachkommen Wohnungen und Wohlstand und ein sorgenfreies Leben zu garantieren. Dies aber ist eine, im wahrsten Sinne des Wortes, bodenlose Fehleinschätzung!

Boden ist von unschätzbarer Überlebenswichtigkeit. Boden schützt das Klima, Boden bindet CO2 – Böden sind der größte globale Speicher für Kohlenstoff, bedeutender als die Vegetation und die Ozeane. Boden hat eine Reinigungsfunktion u.a. beim Eintrag von Schadstoffen aus Hausbrand, Industrie, Verkehr. Unsere Filderebene widersteht der Erosion, da sie, wie gesagt, eben ist und bei Starkregen viel Wasser speichern kann, und vor allem: Boden sichert uns unsere Ernährung. Wenn wir mit der Zerstörung so weiter machen wie bisher, z.B. durch „ehrgeizige“ Flächennutzungspläne, gigantische Zerstörungen durch die sinnlose Schnellbahntrasse von S21, durch eine „airportcity“, durch Gewerbegebiete, Straßen und Parkplätze, durch klimaschädliche, unsinnige Tunnel wird die Welt unserer Kinder und Enkel anders, lebensfeindlicher aussehen. Extreme Heißzeiten werden sich mit schlimmen Unwettern ablösen, unsere Nahrung muss aus fernen Regionen her gekarrt (geflogen?) werden. Woher aber soll die Nahrung kommen, wenn die fruchtbarsten Böden leichtfertig zugebaut werden? Was nützt es unseren Enkeln, wenn sie eine ansprechende Wohnung haben, aber ein erträgliches Überleben nicht mehr gesichert ist?

Wir zerstören gerade unser aller Lebensgrundlage auf den Fildern – und zwar für alle Ewigkeit. Deshalb darf kein Quadratmeter fruchtbarer Filderboden mehr zugebaut werden!

Und wie sieht es mit dem Atmen über der Filderebene aus? Die Lufthülle um unsere Erde ist ein ganz dünnes, nur wenige Kilometer dickes Häutchen, das uns gegen das unendliche, unwirtliche Weltall schützt und durch das unser Leben auf der Erde erst ermöglicht wurde. In dieses empfindliche Häutchen blasen wir tagtäglich unvorstellbare Mengen von Gasen und Teilchen, die nicht der natürlichen Zusammensetzung der Luft entsprechen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis das Gleichgewicht in der Atmosphäre, das sich über Jahrmillionen ausgebildet hat, nachhaltig gestört wird.

Besonders dramatisch wirken dort die Flugzeugabgase, die in etwa 8 bis 10 km Abstand ausgestoßen werden. Zwar produzieren Flugzeuge aktuell „nur“ knapp 3% des CO2, aber die Abgase sind ein Cocktail aus Rußpartikeln und Wasserdampf (diese erzeugen klimaschädliche Kondensstreifen) und aus CO2, Stickoxiden, CO, HC, SO2, Feinstaub, Ultrafeinstaub. In großen Höhen, also bei extremem Unterdruck, tiefer Temperatur, starker UV-Strahlung vervielfacht sich die Klimawirksamkeit dieser Abgase. Und deshalb gehen Wissenschaftler davon aus, dass Flugzeuge zwar aktuell nur für knapp 3% des reinen CO2-Ausstoßes in die Atmosphäre verantwortlich sind, die Klimawirksamkeit der Flugzeuge aber wegen der gerade beschriebenen Ursachen etwa 3 bis 5 mal größer ist, d.h. sie schädigen das Klima im Bereich von über 10% .

Der Flughafenchef Schoefer denkt, dass der Einbruch beim Fliegen durch Corona bis spätestens 2024 wieder aufgeholt ist und man dann mit einer „nachhaltigen Passagierentwicklung“ rechnet. Noch im Frühjahr 2020 sprach er von einer „moderaten Steigerung der Passagierzahlen“ und meinte damit in den nächsten 13 Jahren sollen diese um über 40% zunehmen.

Die Welt wird im Moment erkennbar zugrunde gerichtet, und wir tun alles, um dies mit Hilfe des Klimakillers Flugzeug zu beschleunigen.

Seit vielen Jahren beschäftigen uns auch die Abgase moderner Flugzeuge. 2019 haben wir uns ein sau-teures Messgerät angeschafft (13.000 Euro, gespendet von einem großherzigen Esslinger Professor) und umfangreiche Messungen beim Starten und Landen durchgeführt. Das Ergebnis war erschreckend. Flugzeuge mit modernsten Turbinen stoßen Unmengen von superkleinen Partikeln aus, sogenannte Ultrafeinstaubpartikel (UFP). Diese sind bis zu hundert Mal kleiner als die üblichen Feinstaubpartikel. Seit über 10 Jahren ist dies bekannt und intensiv erforscht. Unsere Messungen in Stuttgart ergaben: auf freiem Feld befinden sich in jedem cm3 (Spielwürfel) ca. 7000 UFP – unter einem landenden Flugzeug kurzfristig bis weit über eine Million (1.000.000). Sie sind so klein, dass sie Lungenbläschen und Haut überwinden können, direkt ins Blut gelangen und damit in alle Körperorgane, ja bis ins Gehirn, und sind somit extrem gesundheitsgefährdend.

Unsere Forderung an Wirtschaft und Politik, längere Zeit eigene Messungen mit teuren Geräten durchzuführen, traf auf taube Ohren, schließlich gäbe es ja bislang keine Grenzwerte.

Und: Wir erfahren, dass im Kerosin hohe Mengen Schwefel und diese Hauptverursacher der UFP sind. Also raus mit dem Schwefel aus Kerosin. Im Autobenzin oder -diesel holt man den Schwefel ja längst heraus, der Schwefel würde die Katalysatoren zerstören. Flugzeugturbinen haben keine Katalysatoren und so spart man sich diese Arbeit. Ohne Schwefel im Kerosin sänke die Zahl der gefährlichen UFP drastisch. Warum holt man es aus Gesundheitsgründen nicht sofort heraus?

Am 21. September führten drei von uns ein 2 ½ Stunden langes, intensives Gespräch mit den Flughafenchefs Schoefer und Freitag. Diese sagten eine ideelle Unterstützung zu, haben aber gerade wegen Corona andere Probleme und kein Geld zur Verfügung, verweisen uns ans Umweltministerium und die Fluggesellschaften. Am 22.9. sprachen wir mit dem Grünen-Politiker Matthias Gastel zum Thema Entschwefelung. Gastel sagte zu, dass er am Ball bleiben will, wenn er wiedergewählt werden sollte – und das ist ja nun wohl so. Schließlich kontaktierten wir bundesweit viele Flughafengruppen und am 30.9.2021 führten wir erstmals eine lange Vernetzungsvideokonferenz mit Gruppen der Flughäfen München, Frankfurt a.M., Basel-Mulhouse, Leipzig, Berlin und Düsseldorf durch. Mal sehen ob wir so beim Thema Entschwefelung weiterkommen.

Man kennt das Problem, kennt die Ursache – dessen gesundheitliche Wirkung, es gibt eine Lösung – kennt deren Kosten (1 bis 2 Cent je Liter Kerosin), und tut dennoch nichts!

Und nun noch etwas ganz Aktuelles: Vor knapp zwei Wochen kommen Artikel in den Zeitungen zum Thema Flugroutenänderung: Flugzeuge starten in der Regel gegen den Wind. Bei Ostwind betrifft dies etwa 30 bis 40 Prozent aller Starts am Stuttgarter Flughafen. Wenn die Flugziele im Süden oder Westen liegen, wie beispielsweise Mallorca, planen die Fluggesellschaften Lufthansa und Eurowings beim Abflug nach Osten durch eine engere Rechtskurve abzukürzen, wodurch in einigen Gemeinden der Lärm z.T. deutlich zunehmen wird, auf der anderen Seite wird es in einigen nördlicher gelegenen Gemeinden eine Verminderung des Lärms geben. Man munkelt, dass durch das frühzeitige Ausscheren aus der Startlinie u.U. auch die Abstände aufeinanderfolgender Flieger verkürzt werden könnten, d.h. die Kapazität des Flughafens in den Zeiten, wo bisher die Startbahn voll ausgelastet ist, erhöht werden könnte.

Die Idee wurde in der sogenannten Lärmschutzkommission schon länger diskutiert und von Eurowings und Lufthansa gepuscht, natürlich mit dem Gedanken, schneller und billiger zu fliegen. In den dann neu betroffenen Gemeinden brodelt es allerdings erstaunlich heftig.

Die Schutzgemeinschaft Filder (SGF) setzt sich seit mehr als fünf Jahrzehnten dafür ein, den Fluglärm einzudämmen. Bereits im Jahr 1968 erkämpften wir ein (eingeschränktes) Nachtstartverbot und drängten auf die Einsetzung eines Lärmschutzbeauftragten. Die SG Filder vertritt die Interessen aller Fildergemeinden und Bürgerinnen und Bürger und fordert seit jeher Änderungen im Flughafenbetrieb, die allen zugutekommen – nicht nur was den Lärm angeht. Gerade in Zeiten des beängstigenden Klimawandels gibt es nur eine Lösung: Es muss deutlich weniger geflogen werden!

Jetzt davon zu träumen, rasch wieder die Flugzahlen wie vor der Coronakrise zu erreichen und dann noch weiter zu wachsen, ist unverantwortlich!

Wäre es nicht schöner, wenn wieder viel mehr Insekten flögen und weniger Flugzeuge?

Forderungen der SG Filder:

  • Massive Besteuerung des Kerosins und gleichzeitiger Ausbau der Bahn, d.h. verteuern des Fliegens und verbilligen und verbessern des Bahnfahrens!
  • Untersagung von Kurzstreckenflügen und der geradezu obszönen Billigfliegerei
  • Erhebung von Mehrwertsteuer auf internationale Flüge
  • Unterbindung der massiven staatlichen Subventionen des Flugverkehrs
  • Einführung eines konsequenten Nachtflugverbots von mindestens acht Stunden
  • Weitgehende Entschwefelung des Kerosins, um den gerade beim Fliegen entstehenden, extrem gesundheitsgefährdenden Ultrafeinstaub zu vermindern

Bereits 1995 hat unsere damalige Umweltministerin Angela Merkel verkündet:  „Die Bundesregierung wird international auf eine weltweite Besteuerung von Flugbenzin dringen“. Das Kanzleramt (Kohl) hat sie aber dann rasch zurückgepfiffen. Als Kanzlerin hat sie auch nichts weiter unternommen.

Doch nun zum leidigen Thema Stuttgart 21 und seinen Tunneln: S21 zwingt Güter auf die Straße. Täglich quälen sich LKW Schlangen über die breite Autobahn, und mit der gerade im Bau befindlichen parallelen S21-Trasse ergießt sich eine brutale Schneise der Verwüstung quer über die Filderebene.

Seit 2002 gilt, mit geringen Veränderungen, der Plan, die Gäubahnen statt über die Panoramastrecke in den Hbf Stuttgart zu führen, sie von der Rohrer Kurve bis zum Flughafen auf den Gleisen der S-Bahn mit einer ganz windigen Ausnahmegenehmigung mitfahren zu lassen. Diese sogenannte Antragstrasse haben wir von Anfang an gegeißelt. Unsere Klage gegen diese Ausnahmegenehmigung soll übrigens demnächst, am 26. November vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart verhandelt werden.

Und da kommt Steffen Bilger wie Phoenix aus der Asche und verkauft der Öffentlichkeit, der seit Jahren eingebläut wurde, es gäbe keine Alternative zur obigen Antragstrasse, nun einen 12 km langen doppelröhrigen Tunnel unter unseren fruchtbaren Filderböden.

Er behauptet: Wir brauchen das, um schneller fahren zu können, wegen des Deutschlandtaktes, der nur so erreichbar sei – wenigstens dann, wenn wir in den wichtigen Stationen Singen und Böblingen nicht mehr halten. Er weiß genau, dass der Deutschlandtakt nicht klappt, allein wegen der verrückten mehr als 100 Doppelbelegungen im Stuttgarter Tiefschiefbahnhof. Und er weiß genau, dass seine öffentliche Behauptung, diese Wahnsinnsröhren kosten nicht mal 1 Milliarde, nie und nimmer stimmt. Bilgers neueste Panikaktion, darauf zu drängen, das Treffen des Lenkungskreises auf nächste Woche vorzuziehen, ist vielleicht damit zu erklären, dass das nächste Kabinett andere, hoffentlich Kompetentere an seiner Stelle einsetzen könnte, und ihm nur noch wenige Wochen verbleiben, um sich mit einem Tunnel ein unterirdisches Denkmal zu setzen.

Die nächstliegende, einzig richtige Lösung allerdings ist es, die Gäubahn auf der Panoramastrecke zu belassen und sie entsprechend der „Schlichtung“ und des „Filderdialogs“ an den Kopfbahnhof in Stuttgart anzuschließen. Das wäre preisgünstiger, bahntechnisch besser, rascher umzusetzen und klimapolitisch allen Plänen der Bahn vorzuziehen!

Dieser Tunnel wird dazu führen – und das ist ja wohl die Absicht – Bahngäste direkt zum klimaschädlichen Fliegen zu karren. In gleichem Maße ist die völlig unsinnige Führung der Ulmer und Tübinger Züge über den Messetiefbahnhof zu sehen. Dieser Tiefbahnhof ist gerade im Bau. Wie könnte man den nur sinnvoll nutzen?

Ich tendiere ja gerne dazu, all diese Bauwerke einfach zuzuschütten, auch das Riesenbauloch in Stuttgart. Eine Unmenge Geld wäre umsonst ausgegeben worden, aber das wäre allemal sogar finanziell, bahnbetrieblich, und vor allem klimatisch besser, als diese Totgeburten bis zum bitteren Ende weiter zu pflegen und damit Stadt und Filder zugrunde zu richten.

Alle, bis auf die AfD, haben erkannt, dass das Klima ein wichtiges Wahlkampfthema ist. Ganz Dumme argumentieren auf sehr niedrigem Niveau, nach der Methode: SUVs sind klimaschonend, ist doch deren Aschenbecher aus Recyclingmaterial. Aber auch Klügere geben sich dem grandiosen Selbstbetrug hin, dass wir als intelligente Wesen doch dies alles noch durch Reparieren und raffinierte Umwelttechnologien in den Griff bekommen werden. Viele schwärmen davon, durch synthetische Kraftstoffe, durch Wasserstofftechnologie, durch E-Mobilität usw. den Hebel umzulegen. Daran arbeitet sogar der Flughafen – und das ist gut so.

Nur, dies wäre alles extrem energieaufwendig und die Energieeffizienz wäre gering. Allein für all dies wäre viel mehr elektrische Energie nötig, als wir im Moment mit Kohle und Öl und Gas und Atom produzieren. Alle die oben genannten neuen Technologien machten nur dann vielleicht Sinn, wenn wir dafür und für die restlichen Arbeitsfelder ausreichend regenerative Energien zur Verfügung hätten. Dies bundesweit zu schaffen würde aber mit allergrößten Anstrengungen weit länger als 20 Jahre – das heißt bis zum Klimakollaps – brauchen. Und selbst mit kostenlos zur Verfügung stehender Energie würden wir bei unserer Lebensweise immer noch, wenn auch langsamer, unsere Erde ruinieren.

Unsere dringlichste Aufgabe ist es, so rasch wie möglich vollständig auf alternative Energie umzusteigen und gleichzeitig Abschied zu nehmen vom fortwährenden Wachstum. Entschleunigen wir das Leben und träumen wir von Störchen und Rebhühnern und Lerchen auf unseren Feldern, wie ich sie als Kind hier noch erleben durfte. Schrauben wir unsere (Konsum-)Ansprüche herunter! Denken und planen wir enkelverträglich!

Ihr hier und die FFF-Jugend geben mir trotz allem noch ein wenig Hoffnung, also

Oben bleiben!

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