Rede von Dr. Norbert Bongartz, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, auf der 576. Montagsdemo am 23.8.2021
Liebe mitdenkende, mitfragende, mitzweifelnde und mitdemonstrierende Freundinnen und Freunde,
das Loch in der Bahnhofsfassade hat die zu langen Umwegen gezwungenen Bahnkunden verärgert; tagelang hat es auch für dicke Fragezeichen bei allen Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz gesorgt.
Sollte hier eine Abbruch-Methode ausprobiert werden, die ohne Abriss-Bagger auskommt? Ging es dem planenden arroganten, an Denkmalpflege-Projekten desinteressierten Architekten Ingenhoven möglicherweise darum, die ihn störende Natursteinmauer über der grandiosen Pfeilerhalle mit einem kalkulierten – leider bedauerlichen – Fehltritt loszuwerden und uns auf diese Weise einen „Neuen Bonatzbau“ zu präsentieren ?
Oder hatte sich Ingenhoven etwa von dem gebauten geistvollen Gag seines berühmten Berufskollegen James Stirling inspirieren lassen, der an der Sockelmauer der Staatsgalerie zwei ausgebrochene, ausgefranste Löcher inszeniert und die dazu passenden Steine kunstvoll im davor liegenden Rasen drapiert hatte, so als ob diese bei Explosionen in der dahinter gelegenen Tiefgarage herausgeschleudert worden seien?
Was in den stark vergrößerten Bildern unserer tüchtigen Ingenieure22 hinter dem Loch im Inneren des Gebäudes erkennbar wurde, konnten die Bauleitung und die hinzugezogenen Statiker nicht mehr verheimlichen: Einer der das Dach über und hinter dem Arkadengang abstützenden Betonträger – aus der Zeit des Wiederaufbaus nach den Kriegszerstörungen im 2. Weltkrieg – war abgestürzt und hatte das Loch in die Fassade gerissen!
Wir durften inzwischen erfahren, dass bei den vorbereitenden Arbeiten für das Hotelprojekt eine tragende Wand im Inneren des Kopfbaus „versehentlich“ abgetragen worden sei.
Fazit: Zu dem von Arno Luik diagnostizierten „Schaden in der Oberleitung“ der Bahn ist jetzt ein Schaden in der Bauleitung hinzugekommen! Für die Bauleitung ist so ein beschönigend als Versehen etikettiertes Ereignis ein kapitaler Bock, ein Versagen! Nicht auszumalen, dass es noch schlimmer hätte kommen können, wenn der Teileinsturz am Tag passiert wäre und nicht nachts um 3 Uhr, als kein Mensch auf der Baustelle oder an den Taxiständen zu Schaden gekommen ist.
Die Beseitigung des entstandenen Schadens wird teuer werden. Ob angesichts der fahrlässig laxen Bauleitung die Haftpflichtversicherung für die Kosten der Schadensbegleichung aufkommen wird, dürfte fraglich sein.
Wenn das üble Loch wieder zugemauert, gewissermaßen kunstgestopft sein wird, wird die Fassade der Bahnhofsfront – neben dem Bahnhofsturm die einzige, heute im Erscheinungsbild unveränderte Partie des bedeutenden Baudenkmals, künftig weiter durchlöchert werden, denn: Architekt Ingenhoven hat geplant, dass über der Pfeilerhalle 25 Löcher entstehen sollen, weil er die zwei dahinter geplanten neuen Hotelstockwerke um mehrere Meter von der Fassade abrückt. Durch die dann ausgehöhlten Fensteröffnungen wird man künftig den Himmel sehen, so wie bei historischen Ruinen.
Mit dem Architekten und Bonatz-Enkel Peter Dübbers zusammen hab ich mich gegen diese denkmalpflegerisch nicht hinzunehmende Ruinierung der Bahnhofsfassade engagiert und in Brandbriefen an Ingenhoven, an die Stadtverwaltung und an das Regierungspräsidium – nichts erreicht, obwohl wir eine praktikable und kostengünstige Planvariante vorgeschlagen hatten, nämlich die untere der beiden aufgesetzten Hotel-Etagen bis an die Fassade vorzuziehen, sodass die vorhandenen Fenster ihre bisherige Funktion behalten würden.
Die ärgerliche Begründung der Ablehnungen war die Botschaft von Baubürgermeister Peter Pätzold, das Landesamt für Denkmalpflege habe den Ingenhoven-Plänen angeblich zugestimmt! Die Wahrheit war indes: meiner zuständigen Kollegin hatte man weisgemacht, die Hotelpläne seien im früheren Planfeststellungsverfahren für den Tiefbahnhof bereits abgesegnet worden...
Auf weitere Einzelheiten muss ich hier aus Zeitgründen verzichten.
Eins ist mir – einmal wieder – klar geworden: Das verkorkste, verstolperte, vermessene Bauvorhaben wird weiter – bundesweit – negative Schlagzeilen produzieren; es wird uns weiterhin viel Zündstoff für unseren Protest liefern, es wird unser alternatives UMSTIEG-Konzept immer dringlicher erkennen lassen und nicht verhindern können, dass wir – OBEN BLEIBEN !