Rede von Dr. Norbert Bongartz, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, und
Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Ingenieure22, auf der 574. Montagsdemo am 9.8.2021
Norbert Bongartz: Liebe Freundinnen und Freunde!
Vor 6 Jahren hat sich im Aktionsbündnis um Werner Sauerborn – unserem Geschäftsführer – eine kleine Gruppe gebildet, die sich gefragt hat: Ist es nicht an der Zeit, über unsere – weiter berechtigte – fundamentale Kritik an Stuttgart 21 hinaus zu gehen und nach einem gangbaren Ausweg aus der Stuttgarter Misere zu suchen?
Wir fragten uns, gibt es nicht Lösungen, mindestens Lösungsansätze, wie es mit dem vermurksten, verstolperten, zum Scheitern verurteilten Großprojekt weitergehen kann, wenn es, angesichts der vielen unbewältigten Probleme und Risiken, nicht mehr weitergeht? Gebe es dann vielleicht einen gangbaren, hilfreichen Plan B, um den drohenden Schaden beim Scheitern dieses Großprojekts in Grenzen zu halten?
Zuvor hatte es Peter Dübbers, der Bonatz-Enkel und Freund letztlich vergeblich versucht, beide Längsflügel des Bonatz-Baus durch eine Überarbeitung oder Umplanung des Tiefbahnhofs zu erhalten. Schon diese Initiative stieß auf taube Ohren – bald sind beide Flügel weggerissen worden...
Der Frust und Zorn auf die Sturheit der Projektpartner führte uns aber nicht in die Resignation: Aus dem Aktionsbündnis heraus bildete sich die Arbeitsgruppe UMSTIEG21, weiter zusammen mit Peter Dübbers, mit dem Ingenieur Klaus Gebhard, mit Werner Sauerborn und mir.
Selbstbewusst und mutig und von vielen Beratern unterstützt legten wir los – mit dem Ziel, für den Fall des Scheiterns von S21 für möglichst viele der bereits angefangenen Bauabschnitte alternative Nutzungsmöglichkeiten vorschlagen zu können. Wir haben seit 2015 an einem Plan B für S21 gearbeitet, an einem Plan B, den bis dahin weder die Stadt, noch das Land, die Deutsche Bahn oder der Bund haben.
Es war ein langer, letztlich erfolgreicher Weg zu unserm Konzept UMSTIEG21, mit dem wir 2016, vor nunmehr 5 Jahren, an die Öffentlichkeit getreten sind und dabei viel Beachtung und Zuspruch erfahren haben – nur nicht von Seiten der Projektpartner, die unbeirrt an ihren Plänen festgehalten haben, so fest, dass sogar die Landes-Grünen, voran unser Ministerpräsident Kretschmann, auf die Seite der Befürworter von S21 übergewechselt sind...
Angesichts der fortgeführten Bauarbeiten im Bereich der alten Eisenbahn-Direktion an der Heilbronner Straße und an den Tunnels hat unsere Arbeitsgruppe 2018 mit einem Update reagiert und weitere, ergänzende Umnutzungs-Alternativen für das Tiefbahnhof-Projekt präsentiert. Die Resonanz in den Medien: nur mäßig.
Seither geht auf der Großbaustelle der Rohbau weiter und die politisch Verantwortlichen haben sich sogar – den Irrsinn auf die Spitze treibend – zu zwei zusätzlichen 2 mal fast 20 km langen Tunnelbau-Projekten hinreißen lassen, nur um wenige Minuten Fahrzeit für Fernzüge herauszuschinden und Stuttgart damit in einen engen Zeitknoten eines Deutschlandtakts hineinzupressen. Weitere Milliarden für Minuten zu verschwenden, das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht!!
... Und das hat unsere, mittlerweile auf vier Personen geschrumpfte Arbeitsgruppe zu einer Fortschreibung unseres Umstiegskonzepts herausgefordert. Sie besteht aus Werner Sauerborn, seinem Sohn und Architekturstudenten Theo, der nach dem Tod von Peter Dübbers an dessen Stelle trat, aus Hans-Jörg Jäkel und mir. Wir vier haben nach weiteren praktikablen Nutzungsmöglichkeiten der S21-Baustellen gesucht – und sie gefunden!
Wir lassen weiterhin – und mit vielen guten Gründen – nicht davon ab, dass der Kopfbahnhof wiederhergestellt werden muss, so wie wir dies 2016 veröffentlicht hatten, und auf den Tiefbahnhof verzichtet werden kann, ja muss. Daraus ergab sich automatisch die Frage: Was kann oder soll aus den Tunnels werden?
Das zentrale Thema unseres fortgeschriebenen Umnutzungs-Konzepts ist die in unserem Update 2018 bereits angerissene Grundidee, die S21-Tunnels anstelle für den Zugverkehr für eine unterirdische Güterlogistik zu nutzen.
Eine Rückbesinnung auf den bewährten Kopfbahnhof mit seinen finanziellen und verkehrlichen Vorteilen und den vielen, dadurch vermiedenen Risiken für die Bahnreisenden und für unsere Gesellschaft, und mit den durch S21 möglich gewordenen Ergänzungen, könnte ein Segen für die Stadt und das Land sein.
Bedeutsam wären auch die Vorteile von UMSTIEG21 Plus, so nennen wir unser fortgeschriebenes Konzept, für das Klima.
Hans-Jörg Jäkel wird uns jetzt die wesentlichen Punkte dieses fortgeschriebenen Umstiegs-Konzepts vorstellen:
Zu viele Autos, verstopfte Straßen und ungenügende Lebensqualität in der Stadt – darüber klagen viele Bürgerinnen und Bürger, aber inzwischen z.B. auch die IHK. Die hohen Treibhausgasemissionen belasten das Klima.
Warum dann nicht den innerstädtischen Güterverkehr dort, wo es geht, unter die Erde verlegen und oben Platz für klimaschonende Mobilität und Lebensqualität schaffen? Statt noch mehr Klimaschäden durch den jahrelangen Weiterbau von Stuttgart 21 zu verursachen, kann man Tunnel und Baugruben besser für unterirdische Güterlogistik und vieles mehr nutzen – das ist der Ansatz der Umstiegsgruppe des Aktionsbündnisses angesichts der Zuspitzung der Klimakatastrophe.
Um diesen Ansatz fundiert zu prüfen, wurde eine Plausibilitätsstudie bei den Professoren Precht und Wilde von der Hochschule Coburg beauftragt. Das Ergebnis bestätigte unsere Überlegungen. Eine Nutzung der S21-Tunnel für den unterirdischen Gütertransport auf der vorletzten Meile in die Innenstadt und auch aus ihr heraus an die Peripherie ist wirtschaftlich und sollte weiter untersucht werden. Darüber haben Euch Werner Sauerborn und ich am 19. April dieses Jahres auf der Montagsdemo – virtuell – berichtet.
Schon vorher, aber durch das positive Gutachten bestärkt, haben wir daran gearbeitet, wie die generellen Logistik-Konzepte für die Situation in Stuttgart angepasst werden können. Für die Feinverteilung in die Innenstadt ist dabei ein sogenannter City-Hub vorgesehen. Das Problem anderer Städte ist die Bereitstellung der dafür notwendigen Fläche. In Stuttgart steht diese in der nördlichen Zufahrt des Tiefbahnhofs zwischen dem wieder aufgebauten Nordflügel und der Bahndirektion bereit. Dort können die durch das Tunnelsystem angelieferten Paletten kurz zwischengelagert werden und dann per Aufzug zum Transport über die letzte Meile in die Innenstadt auf Lastenrädern, E-Transportern u.ä. bereitgestellt werden. In Stuttgart wären sehr einfach sogar zwei Verladeebenen am und unter dem Nordflügel möglich.
An der Peripherie der Stadt – dort wo die S21-Tunnel enden – können die für das Konzept notwendigen Güterverkehrszentren (GVZ) untergebracht werden. Andere Städte müssen dafür erst Flächen suchen. Bei uns wäre der Abstellbahnhof in Untertürkheim mit sehr guter Anbindung an Straße und Schiene verfügbar und auch an der A8/B27 am Ende des Fildertunnels kann ein solches GVZ errichtet werden. Um dabei nicht erneut großflächig kostbaren Filderboden zu versiegeln, soll dieses GVZ über den Fahrbahnen der Autobahn aufgeständert werden. Damit ist ausreichend Fläche für die Be- und Entladung der großen Lkw verfügbar. Die Güter für die Innenstadt sind dort bereits auf Europaletten konfektioniert und werden dann vollautomatisch über die Tunnelverbindungen zum City-Hub transportiert – in der Gegenrichtung natürlich auch.
Der Kopfbahnhof und darunter liegende Ebenen für Busbahnhof, Radstation und andere Nutzungen sollen modern neu aufgebaut werden. In diesem Bereich müssen die Kelchstützen weichen, damit die Gleise wieder bis an den Bonatz-Bau verlängert werden können.
Auch für die Wiederherstellung des Mittleren Schlossgartens haben wir Vorschläge erarbeitet. Dort wäre es denkbar, einige Kelchstützen zu belassen und in die Gestaltung zu integrieren. Die bei S21 bestehende Überflutungsgefahr der Schillerstraße, großer Teile der Innenstadt, der Klettpassage und des Tiefbahnhofs kann dabei durch Verzicht auf den unterirdischen Zugang von der Haltestelle Staatsgalerie vermieden werden.
UMSTIEG21 Plus hat noch viele weitere Themen unseres Konzepts aktualisiert – eine genaue Darstellung würde den Rahmen allerdings völlig sprengen. Deshalb seien nur ein paar Beispiele genannt:
- Die städtebaulichen Aspekte einer Wohnbebauung am Nordbahnhof auf der S21-Logistikfläche und einer Parkerweiterung durch Verkleinerung des jetzigen Abstellbahnhofs.
- Die Einbindung des Kopfbahnhofs in den Bahnknoten Stuttgart (Verbindung zur Neubaustrecke in Wendlingen, S-Bahn-Ringschluss, Panoramabahn, 6 Gleise nach Bad Cannstatt, Abstellbahnhof Rosenstein).
- Die Kostenentwicklung von S21 explodiert durch die Ergänzungsprojekte – auch S21-II genannt. Mit UMSTIEG21 Plus können mehr als 5 Mrd. € gespart werden – und Zeit natürlich auch.
- Die Klimabilanz der S21-II-Ergänzungsprojekte ist katastrophal. Das Umstiegskonzept beinhaltet neben dem Verzicht auf diese Betonorgien viele Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen und Lkw-Verkehr.
Zur Illustration von UMSTIEG21 Plus haben wir ein Video erstellt. Die Abschlussbilder werden vom Sprecher Walter Sittler mit Worten kommentiert, die unser Konzept auf den Punkt bringen und denen ich nichts mehr hinzufügen muss: „Dies alles passiert unter der Erde. Oben ein modernisierter Kopfbahnhof mit transparentem Solardach. So sieht die klimagerechte Zukunft aus.“
Norbert Bongartz: Angesichts der vielen, eigentlich erdrückenden Argumente gegen S21 und die Aussicht auf einen mit vielen Vorteilen verbundenen Ausstieg bzw. Umstieg erwarten wir ein erstes und ernstes Innehalten, ein erneutes Nachdenken und eine schonungslose Bilanzierung des längst bundesweit verspotteten Großprojekts in seinem aktuellen Stand, und als dessen Ergebnis einen radikalen Kurswechsel.
Denn wir zeigen ja nicht nur einen Ausweg aus der Sackgasse, sondern auch die große Chance für Lösungen bei den wichtigen verkehrlichen, stadtklimatologischen und städtebaulichen Problemen im Stuttgarter Talkessel.
Wir hoffen darauf, dass UMSTIEG21 Plus eine neue, starke Sogwirkung entfaltet, die es den Verantwortlichen, den Projektpartnern erleichtern soll, aus S21 auszusteigen.
Darum planen wir in den nächsten Tagen und Wochen etwa 300 Exemplare der neuen Broschüre an die einschlägigen Ministerien, an die Gemeinderats- und Landtagsfraktionen, an die Mitglieder der Verkehrsausschüsse, an die Gemeinden auf den Fildern und entlang der Gäubahn, an viele Medienadressen und an wichtige sonstige Multiplikatoren zu versenden – natürlich auch an die Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm und an die Spitze der Bahn-AG in Berlin.
Da wir morgen Vormittag unser neues Konzept in einer digitalen Pressekonferenz veröffentlichen und es am Nachmittag auch in einer Video-Präsentation vorstellen werden, bitten wir um Verständnis, dass die zugehörige neue Umstiegs-Broschüre erst ab Mittwoch in der Mahnwache und dann ab der nächsten Montagsdemo an den Infoständen des Aktionsbündnisses und der Parkschützer zu haben sein wird.
Was wollen wir alle? Die Verantwortlichen von ihrem hohen Ross herunterholen und wir selbst aber OBEN BLEIBEN!
Rede von Norbert Bongartz und Hans-Jörg Jäkel als pdf-Datei
Was Sie bei Ihren Überlegungen übersehen, ist, dass es das Ziel von 21 ist, die Bahnflächen freizubekommen, damit – noch nicht einmal der Staat oder die DBAG sondern private Profitgeier – darauf Glaspaläste, vielleicht auch ein paar Luxuswohnungen errichten können – koste es, was es wolle und daure es so lange wie es wolle.
Wir haben es mit Profitjunkies zu tun, und
Junkies sind bekanntlich keinen Vernunftargumenten zugänglich.
Sie laufen ihrer Droge hinterher, bis sie
daran verrecken, und das kann dauern.
„Was interessiert uns das Klima?
Uns wird’s schon noch aushalten, und apres nous le deluge!“
Sie sind noch mit allen Ihren (überzeugenden!) Alternativ-Konzepten auf taube Ohren gestossen, und mit allen Weiterentwicklungen wird’s Ihnen nicht anders gehen.
„Die Gleise müssen weg da oben,damit wir da bauen können, alles And’re interessiert uns nicht!“
Mit einer Ausnahme: „Hauptsache wir ergattern genug Kreuzchen nächsten Monat!“
Wichtiger als Alternativen zu S21 zu entwickeln erscheint mir, dem Wahlvolk an
den Kopf zu werfen, „wer von Grün an nach rechts wählt, wählt S21 mit allen Folgen,
auch dem nächsten Ahrweiler!“
Das Problem dabei ist nur, über 90% der
„Inhaber aller Staatsgewalt“ sind auf dem
politischen Ohr taub – Hauptsache D ist Fussballweltmeister + ich kann über’s Wochenende zum saufen nach Mallorca fliegen.
Übrigens: Wer von Euch hat mitbekommen, was die Amis mit China vorhaben?
Wenn die das in die Tat umsetzen, wird S21
ganz bestimmt nicht fertiggebaut, aber dann
brauchen wir auch keine Eisenbahn mehr, + das
Klima wird sich ganz gewaltig abkühlen, mehr als es uns lieb ist.
aabel-s@gmx.de