Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 568. Montagsdemo am 28.6.2021
Liebe Freunde und Mitstreiter!
Vorab mal eine gute Nachricht: Wir haben eine Klage gegen die Bahn in letzter Instanz vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim gewonnen – die Bahn muss uns nun doch die Tunnel-Simulation vorlegen. Das hatte sie bislang verweigert mit der Begründung, die eigentliche Simulation läge ihr ja nicht vor, die habe nur die GRUNER AG in Basel. GRUNER aber wollte diese nur nach schriftlicher Bestätigung durch die Bahn vorlegen – was die Bahn wiederum ablehnte mit dem Hinweis, der Vertrag mit GRUNER sei längst ausgelaufen. Was für ein Affentheater! Eine erneute Klage dagegen wurde vom Verwaltungsgericht Stuttgart abgewiesen; dagegen wurde dann Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim eingelegt.
Schlussendlich ist die Bahn mit ihrer Hinhalterei gescheitert. Mit diesem Gerichtsbeschluss des VGH vom 8.6.2021 wurde ein nun fast fünf Jahre dauernder Rechtstreit mit der Bahn auf Einsichtnahme in S21-Planungsdokumente über mehrere Instanzen hin zu unseren Gunsten beendet. Allein Beharrlichkeit führt zum Erfolg!
Das zeigt einmal mehr, wie es die Bahn mit ihrer „Transparenz“ meint – nämlich nur das herausstellen, was sie in einem „guten Licht“ zeigt; alles andere wird zurückgehalten.
Nun zum eigentlichen Thema heute: die Überflutung am Stuttgarter Hbf am 5. Juni. An diesem Tag – wie auch schon am Vortag, dem 4. Juni, zogen über Stuttgart heftige Unwetter mit Starkregen hinweg; es kam zu zeitweiligen Überflutungen von Straßen. Die Stuttgarter Zeitung titelte: „Starkregen sorgt für Überschwemmung am Stuttgarter Hbf“ und berichtete: „Aufgrund von Starkregen ist am Samstagabend der Bereich um den Hauptbahnhof in Stuttgart überschwemmt worden. Das Wasser stand zeitweise bis zu 30 Zentimeter hoch; die Schillerstraße vor dem Hbf musste zeitweilig gesperrt werden. Das Wasser konnte demnach unter anderem aufgrund verstopfter Gullys nicht schnell genug ablaufen“.
Verstopfte Gullys als Ursache für die Überflutung am Hauptbahnhof? Das ist geradezu lachhaft und soll nur von der wirklichen Ursache ablenken. Gullys sind so gebaut, dass sie nicht verstopfen, es sei denn, man macht das absichtlich. Warum waren denn auch nur die Gullys im Bereich des Hauptbahnhofs betroffen und nicht auch anderswo? Wären die Gullys tatsächlich verstopft gewesen, wie hat es dann sein können, dass das Wasser später beim Nachlassen des Regens wieder von selber abgeflossen ist, ohne dass zuvor ein Reinigungstrupp des Tiefbauamtes irgendwelche „Verstopfungen“ beseitigt hätte?
Nein, nicht etwa verstopfte Gullys waren die Ursache der Überflutung am Hauptbahnhof, wie die Stuttgarter Zeitung als Sprachrohr der Stadtverwaltung dem ahnungslosen Bürger weismachen will, sondern ein Rückstau im Abwasser-Kanalnetz als Folge der durch die S21-Düker verringerten Abflussleistung!
Der S21-Bahnhofstrog zerschneidet alle großen Abwassersammler der Innenstadt, die ja auch das Überflutungswasser aufnehmen und abführen müssen. Diese mussten deshalb sehr aufwendig unter dem Bahnhofstrog als Düker hindurchgeführt werden als Voraussetzung dafür, dass der S21-Tiefbahnhof überhaupt gebaut werden kann. Mit dem Einfügen der S21-Düker in die Abwasserkanäle aber wurde eine Verringerung der Abflussleistung aus der gesamten Innenstadt in Kauf genommen. Gegenüber den zuvor gerade durchlaufenden Kanälen haben Düker größere Längen sowie mehrfache Umlenkungen und Querschnittsänderungen, was den Durchfluss-Widerstand beträchtlich vergrößert und damit die Abflussleistung der Kanäle verringert. Bei größeren Abflussmengen staut sich das Wasser im vorgelagerten Kanalnetz zurück, das dann kein weiteres Wasser mehr aufnehmen und abführen kann. Dadurch kommt es schon bei einem noch vergleichsweise mäßigen Starkregen zu Überflutungen wie am 5. Juni.
Das Tiefbauamt hatte mir 2013 auf meine Einwendung hin mitgeteilt, der Querschnitt der Düker-Röhren sei ja größer vorgesehen als die der Bestandskanäle. Das ist zwar richtig, gleicht aber die verringerte Abflussleistung der Düker dennoch nicht aus.
Der Nesenbach-Düker als der größte wurde für eine Abflussleistung von 100 m³/s geplant und gebaut, mit einer geplanten Rückstauhöhe von 0,65 m. Der früher gerade durchlaufende Nesenbachkanal konnte 120 m³/s abführen – ohne Rückstau!
Ein schweres Starkregen-Ereignis wie das vom 5. Juni erhöht die Überflutungs-Gefahr in der Innenstadt deutlich. Stuttgart ist von seiner Kessellage geprägt; dadurch unterscheidet sich Stuttgart von allen anderen Großstädten in Deutschland. In Minutenschnelle stürzt das Regenwasser die Hänge herab, staut sich im Nesenbachkanal und den anderen Abwassersammlern vor den S21-Dükern an und tritt dann aus den Straßengullys aus – die Straßen werden überschwemmt. Künftig werden schon geringere Regenmengen als bisher zum Rückstau im Kanalnetz führen und nicht mehr sicher abgeleitet – ein weiterer erheblicher Nachteil von Stuttgart 21. Allein schon aus Gründen des Hochwasserschutzes hätte das Vorhaben Stuttgart 21 nie genehmigt werden dürfen!
Der bereits in vollem Gange befindliche Klimawandel führt einerseits zu wochenlangen Trockenzeiten, in denen die Ernte auf den Feldern verdorrt und die Bäume absterben, aber eben auch immer wieder zu starken Unwettern mit sehr viel Regen und auch Hagel. Diese Unwetter nehmen an Häufigkeit und Stärke zu. Das hat sich in den letzten Wochen mehrmals gezeigt, so kürzlich auch in Bempf-lingen und in Tübingen, nur 30 km von Stuttgart entfernt, wo die Straßen sich nach schweren Regengüssen in Sturzbäche verwandelten, die alles mit sich rissen und unabsehbare Schäden hinterließen.
In Tübingen wurde sogar das dortige Impfzentrum überflutet und ist seither bis auf weiteres geschlossen – die Impfwilligen dort werden jetzt nach Stuttgart oder Nagold verwiesen.
Nur Deppen können glauben, dass es so etwas hier in Stuttgart nie geben wird. Stuttgart ist seit der letzten großen Flutkatstrophe von 1972 bislang weitgehend verschont geblieben, doch das wird so nicht bleiben; der Klimawandel erhöht die Gefahr schwerer Unwetter, und früher oder später wird es auch wieder Stuttgart treffen!
In der Vergangenheit wurde auch Stuttgart immer wieder von schweren Überflutungen heimgesucht, so zuletzt vor 45 Jahren am 15. August 1972, als tiefergelegene Teile der Innenstadt unter Wasser standen und mehrere Menschen dabei umkamen. Die damals gerade neu gebaute Straßenunterführung am Charlottenplatz war vollgelaufen; etliche Autos schwammen darin umher. Die Klettpassage gab es damals noch nicht, sonst wäre die wohl auch abgesoffen.
Die Chronik berichtet immer wieder von schwersten Überflutungen der Stadt durch den Nesenbach, im Schnitt etwa viermal im Jahrhundert. Besonders schlimm traf es die Stadt im Jahre 1508: Mannshoch sei das Wasser auf dem Marktplatz gestanden, mehrere Häuser seien von der Flut weggerissenen worden, es habe 11 Tote gegeben, heißt es in der Chronik.
Bedingt durch die Kessellage Stuttgarts schießen bei einem schweren Sturzregen große Wassermassen von den Hängen herunter und strömen in den Nesenbach, der dann sofort gefährlich anschwillt. Gerade darin unterscheidet sich ja Stuttgart von allen anderen Großstädten Deutschlands, die allesamt eben sind, sodass das Wasser dort nach allen Seiten abfließen kann. Hier in Stuttgart aber kann es nur das Nesenbachtal hinunter zum Neckar ablaufen. Und genau dieser natürliche Abflussweg wird nun versperrt durch den quer dazu liegenden S21-Tiefbahnhof, der einen bis zu 8 m hohen Damm bildet. Der zeichnet sich schon heute auf der S21-Baustelle ab: die bereits gebauten Kelchstützen und das Einlaufbauwerk des Cannstatter Dükers überragen das Gelände um diese Höhe und deuten den vorgesehenen Verlauf des Walles über der Tiefbahnsteighalle an. Die am Ende der Tiefbahnsteighalle vor dem Planetarium vorgesehene, viel zu schmale Abflussrinne wird dann immer noch 2 Meter über dem Tiefpunkt in der Schiller-Straße liegen.
Bei einem schweren, längerdauernden Starkregen-Unwetter wird sich folglich das Wasser bis zum Schloßplatz zurückstauen und einen großen, zwei Meter tiefen Stausee bilden, wobei die Klettpassage samt S- und Stadtbahntunnel volllaufen wird und danach wochenlang gesperrt bleiben muss, bis alle Überflutungsschäden beseitigt sind. Und über den S-Bahntunnel kann auch die S21-Tiefbahnsteighalle absaufen, selbst dann, wenn der Wasserstand den nur wenige Zentimeter über der Abflussrinne liegenden Hauptzugang nicht erreichen sollte. Dann wäre auch der Bahnbetrieb von und nach Stuttgart für längere Zeit eingestellt.
Was für ein Schwabenstreich sondergleichen, welch´ ungeheure Dummheit der S21-Macher, sich mit dem Bau von Stuttgart 21 über diese örtlichen Gegebenheiten kurzerhand hinwegzusetzen und den natürlichen Abflussweg zu verbauen! Und wie verantwortungslos, der Allgemeinheit solche Risiken aufzubürden mit der Begründung, so etwas käme doch allenfalls nur bei einem Jahrtausend-Hochwasser vor! Das aber kann schon nächstes Jahr anstehen und wird keine tausend Jahre auf sich warten lassen!
Wirksamer Hochwasserschutz sieht anders aus. Doch anstatt diesen zu verbessern, wird er hier durch S21 verschlechtert.
Hinzu kommen betriebliche Nachteile: Die Düker müssen – im Gegensatz zu den durchlaufenden und deshalb weitgehend sich selbst reinigenden Abwasserkanälen – regelmäßig entleert sowie gereinigt werden und verursachen im Betrieb laufend erhebliche Wartungs- und Instandhaltungskosten von rund 500.000 € jährlich als zusätzliche Ausgaben der Stadt. Das Tiefbauamt hatte hierzu lediglich erwidert, die Reinigungs- und Wartungskosten seien denen anderer Sonderbauwerke vergleichbar – welch eine Verschleierung! Die Stadt Stuttgart hatte bislang keine derartigen Düker in dieser Größe.
Aus abwassertechnischer Sicht hätte das Tiefbauamt diesen S21-Dükern niemals zustimmen dürfen, damit wäre S21 nicht machbar gewesen!
Oben bleiben!
War das heute abend nicht schon die extreme Probe aufs Exempel? Wer kann etwas berichten?