Der Käs isch gessa, jetzt geht’s um die Wurscht!

Rede von Hannes Rockenbauch, Fraktionsvorsitzender ‚Die FrAktion‘ im Stuttgarter Gemeinderat, auf der 520. Montagsdemo am 13.7.2020

Liebe Freundinnen und Freunde eines sozial- und klimagerechten Stuttgarts,

ja, ich will der nächste Oberbürgermeister von Stuttgart werden und gemeinsam mit euch Stuttgart zur Modellstadt für das gute Leben aller machen!

Dass ich das heute so entschlossen sagen kann, war nicht immer so. Vor ein paar Monaten noch habe ich gezweifelt, ob ich mir das wirklich antun soll. Dank Corona habe ich zwei Monate lang Lehrer und Erzieher spielen müssen, da meine Frau weiter in ihrem Architekturbüro arbeiten musste. Ich muss zugeben, ich habe diese intensive Zeit mit meinen Kindern auch sehr genossen. Ich habe gemerkt, wie wichtig mir meine Familie ist. Und irgendwie hat in diese Zeit der Stress und die Aufregung, die so eine OB-Wahl bringt, nicht gepasst.

Deswegen habe ich lange mit meiner Familie und mit Freunden diskutiert und dabei ist mir klar geworden: Ich habe fast mein ganzes Leben lang Politik gemacht für eine Welt ohne Zerstörung und Ausbeutung von Mensch und Natur, und da soll ich ausgerechnet heute, in dieser historisch einmaligen Situation, der doppelten Krise von Corona und Klimawandel, damit aufhören? Und jetzt kommt noch die Stuttgarter Krawallnacht dazu. Ich betrachte die politische Entwicklung mit großer Sorge.

Die Scherben der Stuttgarter Krawallnacht sind längst zusammen gefegt, da droht in unserer Stadt noch viel mehr zu Bruch zu gehen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt und unser liberales, weltoffenes Stuttgart sind bedroht, wenn die Seehofers und Strobels über unsere Stadt kommen.

Repression, Verbote und Videoüberwachung sind plötzlich die Mittel der Stunde. Solche Maßnahmen treffen alle, nicht nur ein paar kriminelle Jugendliche. Ich habe ja nichts gegen 70 zusätzliche Polizist*innen, aber ich als zukünftiger OB werde auch fragen, wo sind denn die 70 zusätzlichen Sozial- und Bildungsmitarbeiter*innen?

Nicht nur dass die CDU-Fraktion mit ihrer offen rassistischen Herkunftsforschung am rechten Rand fischt, sondern wir haben offensichtlich einen Polizeipräsidenten, der bereitwillig landesweit bei Standesämtern nachforschen lässt, ob die Herkunft der Eltern dieser Kriminellen nicht doch eine Migrationsgeschichte belegt. Gegen solche rassistische Methoden müssen wir unser weltoffenes Stuttgart verteidigen. Ich fordere hiermit unseren Polizeipräsidenten, Herrn Lutz, zum Rücktritt auf. Nur so kann das Vertrauen wieder gewonnen werden, das bei großen Teilen unserer Bevölkerung gerade in die Brüche geht. Personelle Konsequenten reichen aber nicht. Es braucht auch strukturelle Veränderungen in unseren Behörden und in unserer Polizei, wie sie auch die großartige „Black-Lives-Matter“-Bewegung fordert.

Dank unserer Montagsdemos wissen wir, dass auch der Zustand vor Corona kein Paradies in Stuttgart war: Verkehr, Wohnen, Klima. Wir haben erst unter einem CDU-Schuster und jetzt unter einem Grünen Kuhn genug verlorene Jahre in Stuttgart erlebt. Dieses Ignorieren von Problemen bei der Luftverschmutzung, beim Wohnen, dieses Durchwursteln bei Stuttgart 21 und bei der Oper, die plötzlich eine Milliarde kostet, und man vergisst natürlich wieder mal, die Bürger zu fragen. Nix gelernt aus S21. So was wird es mit einem OB Rockenbauch nicht geben Denn all das ist nicht nur ärgerlich, sondern brandgefährlich.

Das ist das historisch Einmalige an unserer momentanen Lage. Wir haben 10 Jahre, um das irgendwie mit der Klimakrise hinzukriegen. Sonst droht laut Professor Schellnhuber die Vernichtung aller zivilisatorischen Errungenschaften der letzten 2000 Jahre.

Bei solchen Gedanken ist mir klar geworden, wie wichtig diese OB-Wahl ist und dass ich mit meinen 16 Jahre Erfahrung im Stadtrat und mit meiner Erfahrung als Planer jetzt nicht einfach zuschauen kann.

Und dann, in dieser Situation, da kommt der Tunnelwahnsinn! Erst der Nordtunnel für die Schnellfahrstrecke nach Mannheim, für den Deutschland-Takt. Dann der Fildertunnel, weil der Mischbetrieb mit der S-Bahn – oh Wunder – auch nicht so glücklich für den Deutschland-Takt ist. Wie als ob Gangolf Stocker nicht schon seine berühmten Schnecken- und Blitze-Folien für das Filderchaos gezeigt hätte.

Jetzt einfach so 60 Kilometer Tunnel auf 100 Kilometer Tunnel zu erweitern, das ist einfach wahnsinnig! Nicht die Zuläufe sind doch das Problem, sondern der Tiefbahnhof ist zu klein!

Und jetzt kommt auch noch der Professor Heimerl, der wünscht sich ein Nordkreuz, und wenn wir schon dabei sind, doch bitte auch noch eine Ergänzungsstation am Tiefbahnhof, natürlich auch unterirdisch.

Aber der beste Spruch war: „Kuhn solle nicht nur an Wohnungen denken“ – als ob er das jemals getan hätte. 2019 gab es 31 neue Sozialwohnungen, und wenn wir so weitermachen, haben wir in 100 Jahren die Notfallkartei abgearbeitet!

Und seit neuestem ist klar, dass bei unserem Wohnungsproblem auch die angebliche städtebauliche Jahrhundertchance von Stuttgart 21 nicht mehr hilft. Denn die hat – wie soll es auch anders sein – Verspätung. Die Bahn AG musste zugeben, dass sie frühestens 2035 das B-Gebiet übergeben kann – es gibt da Eidechsen und von Altlasten reden wir gar nicht. Erst dann kann die Stadt mit Planung und Geländemodellierung beginnen.

Es ist jetzt schon ein fast verzweifelter Versuch der Stadt, diese letzte Rechtfertigung für all die Zerstörung durch S21 aufrecht zu erhalten, in dem sie selber die Gleise frei räumen will. Weil sie hofft, mit dem Wohnungsargument weniger zimperlich mit den Eidechsen umgehen zu müssen als die Bahn AG. Nach optimistischer Schätzung des städtischen Rechtsanwaltes könnte man dadurch schon in 12 Jahren auf dem B-Gebiet planen statt in 15 Jahren.

Was helfen uns diese Phantomwohnungen denn bei unseren heutigen Wohnungsproblemen?

Um wenigstens symbolisch etwas zu retten, wollen Kuhn und Pätzold jetzt richtig Gas geben und auf dem A3-Gelände hinter dem Bahnhof noch diesen Herbst Beschlüsse für einen Wettbewerb und einen Bebauungsplan fassen. Damit würde dann die einzig mögliche Option für einen oberirdischen Gleisanschluss, die einzige realistische Option für den Gäubahnanschluss endgültig verbaut.

Ich sage, dieser Wahnsinn muss ein Ende haben! Da müssen wir innehalten, da müssen wir erst mal nachdenken und das kann ich als Oberbürgermeister euch alle versprechen – ich kann Stuttgart 21 nicht alleine beenden – aber ich bin ja nicht alleine. Schaut euch um, ich werde auch als Oberbürgermeister Teil unserer Bewegung sein. Und das ist mir wichtig: ich werde kein OB sein, der still im Rathaus sitzt und nur rausgeht, um den Grüßgott-Onkel zu spielen.

Die anstehenden Herausforderungen bei Verkehr, Wohnen und Klima und die kommenden sozialen Krisen dank Corona kann kein OB allein, auch kein Gemeinderat alleine bewältigen. Nur gemeinsam mit den ökologischen und sozialen Bewegung können wir uns mit den Profiteuren des Satus Quo anlegen. Mal ehrlich, da gibt es doch niemand, der sich in der gleichen Art und Weise die letzten 16 Jahre so konsequent mit den Mächtigen, ob LBBW, EnBW, den Daimlers und Co. und der Bahn AG angelegt hat. Nie bin ich weggelaufen oder habe gekniffen. Diese Standhaftigkeit kommt von eurem Rückhalt.

Nur wenn wir uns als Zivilgesellschaft noch besser mit anderen Bewegungen vernetzen und die Zusammenarbeit trotz Unterschiedlichkeiten lernen, werden wir die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Dabei will ich unterstützen, initiieren und notfalls moderieren: Die Frage, wie wollen wir in Stuttgart leben, geht uns alle an!

Als zukünftiger Oberbürgermeister werde ich von der Bahn AG den Nachweis fordern, dass sie einen nachprüfbaren Plan hat, wie der Bahnknoten den Ansprüchen an Klimagerechtigkeit und Verkehrswende gerecht werden kann. Bis dieser Nachweis vorliegt, werde ich keine weitere Planung zulassen, die unsere Umstiegs21- oder Erweiterungspläne verbaut oder die Gäubahn auf ungewisse Zeit vom Hauptbahnhof abhängt.

An der Stelle habe ich mich warmgeredet, aber ich merke dann immer so ein resigniertes Seufzen. Ach Herr Rockenbauch, das wäre ja schon schön. Aber sie werden es ja nicht werden. Ich denke dann immer: wenn alle, die das sagen, aktiv mithelfen, dann klappt das spielend! Sagen tu ich dann aber: Selbst die Stuttgarter Zeitung schreibt, das Rennen sei angesichts der Lage und der jetzigen Bewerber völlig offen.

Schaut auf unsere Bewegung, was wir alles geschafft haben: Wir haben die letzten 10 Jahre mit all unserer Kreativität, mit unserem Witz und unserer Hartnäckigkeit und nicht zuletzt mit unserer Sachkompetenz diese Stadt verändert.

Und genau diese Entschiedenheit und diesen Mut brauchen wir jetzt die nächsten 8 Jahre an der Rathausspitze. Denn die nächsten 8 Jahre sind entscheidend, nicht nur was Stuttgart 21 angeht. Ich bin bereit, die Chance, die uns diese OB-Wahl bietet, mit aller Entschiedenheit zu nutzen!

Jetzt braucht es euch – denn eins ist doch klar, liebe alte und neue Tunnelparteien: Ihr werdet uns nicht los, wir euch schon!

Ich lade euch ein! Macht mit! Bringt euch ein! Entweder ihr meldet euch auf meiner Seite https://rockenbauch.de/ mit dem Helfer*innenformular an. Oder kommt im Anschluss an unseren kleinen Stand, da könnt ihr euren Kontakt mit genügend Corona-Abstand hinterlassen.

Bei den Schwaben redet man ja nicht übers Geld, ich tus trotzdem: nicht zuletzt gilt auch für eine alternative Kandidatur „ohne Moos nix los“. Also helft mir, damit ich diesen Wahlkampf auch bezahlen kann.

Ihr alle seid herzlich eingeladen zur Gründung meiner Wahlinitiative am Dienstag, 28. Juli, 18 Uhr hier auf dem Marktplatz.

Wenn Kretschmann sagt, der Käs sei gegessen, sag ich jetzt: es geht um die Wurst. Lasst uns diese OB-Wahl gemeinsam rocken!

In diesem Sinne, wir kommen wieder!

Oben bleiben!

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