Corona, Klima und Katastrophenkapitalismus

Rede von Kathrin Hartmann, Journalistin und Autorin, auf der 509. Montagsdemo[1] am 20.4.2020

Hallo! Ich bin Kathrin Hartmann. Dieses Jahr heißt es nicht nur „oben bleiben“, sondern auch „drinnen bleiben“. Also müssen die Demos wohl weg von der Straße ins Internet verlegt werden. Und ich schicke hier aus dem Münchener Internet solidarische Grüße nach Stuttgart.

Auch hier in München wird der Hauptbahnhof gerade abgerissen. Ein undemokratisches und teures Großprojekt. Für mindestens zehn Jahre werden wir mit großen Einschränkungen zu kämpfen haben. Am Ende wird der neue Bahnhof wohl kaum den Menschen oder einer Verkehrswende nutzen, die ihren Namen verdient. Protest gibt es aber bislang wenig. Da schaue ich aus München mit Bewunderung auf Ihren Mut, Ihre Solidarität und die Entschlossenheit, mit der Sie seit so vielen Jahren gegen den Irrsinn Stuttgart 21 kämpfen.

Ich glaube, Protest ist jetzt wichtiger denn je. Wir müssen verhindern, dass auf die Corona-Katastrophe ein Katastrophenkapitalismus folgt. Der würde die ökologischen und sozialen Krisen weiter vorantreiben: die Klimakrise, die Zerstörung der biologischen Vielfalt, Armut, Ungleichheit und die Hungerkrise in den Ländern des Südens, die gerade furchtbar wird.

Es heißt ja immer wieder: die Corona-Krise zeigt, dass Regierungen zum Wohle aller handeln könnten – wenn sie wollten. Dass Flüge eingestellt werden können, die Produktion von Autos zurückgefahren, die Schuldenbremse gelockert und Unternehmen verstaatlicht, wenn Menschen bedroht sind. Das sei die Lehre, die man aus der Pandemie ziehen könne. Nur leider sollte man jetzt nicht darauf hoffen, dass diese drastischen Maßnahmen auch eingesetzt werden, um die Folgen der Klimakrise einzudämmen.

Klar: Autos, die nicht fahren, sorgen für saubere Luft, genau wie Flugzeuge, die am Boden bleiben und Kreuzfahrtschiffe, die die Häfen nicht verlassen. Das versteht sich von selbst. Aber eine Virus- Pandemie ersetzt nicht die Verkehrswende. Die Autos rollen ja schon wieder. Stuttgart 21 wird weitergebaut werden, obwohl das Projekt ein Klimakiller ist. Da sind die riesigen Mengen Beton und die ungezählten LKWs, die ihn transportieren. Da wird mehr Verkehr auf die Straße kommen, weil die Schienenkapazität zurückgebaut wird. Da werden Züge sehr viel mehr Strom verbrauchen, wenn sie aus dem Tunnel zur Oberfläche fahren. Ackerböden werden mit Hochhäusern zugestellt und Bäume gefällt, das schadet der Artenvielfalt und dem Stadtklima. Und schließlich soll dieser Wahnsinn den nächsten Wahnsinn befeuern, nämlich den Flugverkehr.

Stuttgart 21 ist ein Symbol für die Rücksichtslosigkeit, mit der Menschen und Natur den Profitinteressen geopfert werden. Diese Brutalität spüren wir jetzt durch Corona besonders deutlich. Die Pandemie wirbelt sämtlichen Dreck auf, den Kapitalismus und die neoliberale Ideologie hinterlassen haben. Deshalb wird diese Krise auch nicht einfach so zu der ökologischen und sozialen Transformation führen, die wir brauchen.

Ganz im Gegenteil zielen alle Rettungsprogramme darauf ab, die Wirtschaft wiederherzustellen – samt ihren Schäden, die sie Menschen, Klima und Natur zufügt. Ruckzuck hat die Europäische Zentralbank ein Rettungspaket von mehr als 750 Milliarden Euro geschnürt: für die Finanzmärkte. Auch die deutsche Bundesregierung hat einen Rettungsschirm aufgespannt: Für kleine Firmen und Selbstständige sind aber nur 50 Milliarden Euro vorgesehen, für große Unternehmen aber 600 Milliarden. Dabei ist die Vergabe an keinerlei Bedingung geknüpft: nicht die Einhaltung von Menschenrechten und auch keine Klima- und Umweltauflagen. Es wird also alles dafür getan, ein System zu erhalten, das weiterhin dafür sorgen wird, dass die am stärksten ausgebeutet werden, die ganz vorne für unsere Daseinsvorsorge arbeiten. Es wird dafür sorgen, dass Menschen weiter Krankheiten und Bedrohungen desto mehr ausgeliefert sind, je ärmer sie sind. Und es steht zu befürchten, dass die Klima- und Biodiversitätskrise von der politischen Agenda verschwindet – obwohl auch sie unsere Existenz bedroht.

Covid-19 legt offen, wie grotesk die Vorstellung ist, man könne einer Krise mit Marktmechanismen beikommen. Dass Krankenhäuser privatisiert und dazu gezwungen wurden, Profite zu erwirtschaften, rächt sich jetzt entsetzlich. Lässt man den Markt gewähren, dann liegt der Preisanstieg von Atemschutzmasken wie aktuell bei 3000 Prozent. Aber auch im Falle der Klimakrise setzen EU und Bundesregierung auf den Markt. Der CO2-Preis ist sowohl im Klimapaket, als auch im EU-Green-Deal das zentrale Instrument. Dabei ist der Emissionshandel schon vor Jahren grandios gescheitert. Nämlich daran, dass jede Menge kostenlose und günstige Zertifikate an die größten Dreckschleudern ging. So konnte deutscher Kohlestrom besonders günstig produziert und exportiert werden, während der CO2-Ausstoß anstieg. Nichts deutet daraufhin, dass sich das nun ändert. Im Gegenteil: der Preis für CO2-Zertifikate hat sich seit Ausbruch der Corona-Epidemie fast halbiert.

Wann wäre es im Kapitalismus jemals so gewesen, dass Reiche und Konzerne für den ökologischen und sozialen Schaden, den sie anrichten, aufkommen mussten?

Wenn sich ökologisch und sozial gerechte Produktion lohnen würde, dann gäbe es ja all diese Schäden nicht. Aber Konzerne setzen ihr Recht auf Dreck immer ordnungspolitisch durch. Dazu zählen auch die direkten und indirekten Subventionen und Ausnahmeregeln für die Energie-, Luftfahrt-, Landwirtschafts- und Autoindustrie. Auch das zeigt sich jetzt in den Hilfsmaßnahmen infolge der Corona-Epidemie: solche Industrien wären ohne staatliche Hilfen oft gar nicht überlebensfähig.

Auf den Katastrophenfall – und das zeigt die Corona-Krise deutlich – folgt der Katastrophenkapitalismus. Die Bundesregierung hat Covid-19 dazu benutzt, das geplante Lieferkettengesetz, das Unternehmen dazu verpflichtet hätte, in ihrer Produktionskette die Menschenrechte einzuhalten, gestoppt. „In Zeiten von Corona“, so ließ die Regierung verlauten, „dürfe man deutsche Unternehmen nicht noch mehr belasten.“ Der Verband der Automobilindustrie und Autokonzerne wollen wegen Corona schärfere EU-Klimavorgaben kippen. Seit mehr als 20 Jahren hat die Autoindustrie erfolgreich höhere Abgasgrenzen verhindern können, während sie gleichzeitig immer größere Spritschlucker produziert hat. Das hat nicht nur ihre Kassen klingeln lassen, sondern auch verhindert, dass die Emissionen im Verkehr sinken. Jetzt wollen Autobauer wegen Corona auch noch staatliche Kaufprämien für ihre Autos. BMW zum Beispiel. Der Konzern, der trotz Kurzarbeit seinen Aktionären Dividenden in Höhe von 1,64 Milliarden Euro ausschütten will.

Es gibt also keinen Grund, darauf zu hoffen, dass die Pandemie dafür sorgen würde, dass die Politik Menschen vor weiteren ökologischen oder sozialen Krise schützen würde. Aber die Lehre, die wir aus Corona ziehen müssen, ist diese: keine Krise lässt sich abgekoppelt vom System betrachten. Wir müssen also stärker denn je an einer ökologischen und sozialen Transformation arbeiten, die ihren Namen verdient. Die Bewegungen, die die ökologische und soziale Frage zusammen denken, werden auch jetzt nicht verschwinden, wenn wir die Solidarität, die wir mit Corona lernen, darin aufgehen lassen. Denn es gibt ja Alternativen, die zügig umgesetzt werden könnten. In der Landwirtschaft, im Verkehr, in der Energieversorgung, bei der Regulierung von Konzernen, einer demokratisierten Wirtschaft, einem Gesundheitssystem und einer Daseinsvorsorge, die den Menschen dient.

Deswegen lautet die vielleicht wichtigste Frage: Wer profitiert noch immer von den Verhältnissen, wie sie sind? Wer verhindert diese Alternativen? Danach müssen wir den Diskurs immer wieder abklopfen. Damit wir wissen, wofür wir kämpfen müssen. Und gegen wen. Ich hoffe, dass wir das weiterhin gemeinsam tun werden.

Vielen Dank für's Zuhören – und bitte bleiben Sie gesund!

Kathrin Hartmann ist Journalistin und Buchautorin in München. Zuletzt erschienen ihre Bücher „Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur zerstören und Armut produzieren“, „Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“ und „Grüner wird’s nicht. Warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen“ im Blessing Verlag.

[1]     ab 16.3.2020 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, online: https://www.parkschuetzer.de/videos/

Rede von Kathrin Hartmann als pdf-Datei

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