Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder, auf der 507. Montagsdemo[1] am 30.3.2020
Ich grüße euch von den fruchtbaren Fildern. Wir erleben hier ständig neue Heimsuchungen durch den Flugverkehr, durch Stuttgart 21, Autobahn, Messe, Straßen, Gewerbegebiete, Bodenfraß durch den unstillbaren Hunger der Gemeinden nach immer mehr betonierter Fläche usw. Dieser ständige Kampf scheint im Moment allerdings zweitrangig zu sein. Coronaviren drängen sich in unsere Lungen. Doch dazu später mehr.
Was haben die Filder mit Stuttgart 21 zu tun?
Stuttgart ist inzwischen eine unterminierte Kraterstadt. Der einzigartige Schlosspark wurde atomisiert, wir schleifen einen hervorragend funktionierenden Bahnhof, um ihn durch einen leistungsschwächeren, schiefen, wahnwitzig teuren Tiefbahnhof zu ersetzen. Wir ruinieren die Frischluftschneisen, karren dann noch mehr Menschen mit stinkenden Autos in die City, um ganz vielleicht mal fünf Minuten schneller nach Ulm zu kommen.
Ja sind wir denn alle verrückt?
Doch nun zu den Fildern: Die S21-Pläne wurden erstmals vor 26 Jahren (1994) vorgestellt. Aber erst acht Jahre später, 2002, wurden die dazugehörigen Filderpläne zur Planfeststellung eingereicht. Man beteuerte damals, das Projekt werde ganz sicher höchstens 2,59 Milliarden Euro kosten und die Inbetriebnahme von S21 werde ganz sicher 2013 stattfinden. Aber dann dauerte es noch einmal acht Jahre (2010) bis die immer wieder offiziell abgelehnten Filderpläne von Minister Ramsauer durchgezogen wurden. Dieser erließ eine Ausnahmegenehmigung, um die Fernzüge auch auf der S-Bahntrasse zum Flughafen fahren zu lassen, dies wurde allerdings nur genehmigt mit einer Befristung bis 2035. Diese Befristung wurde vor kurzem im Handstreich aufgehoben. Dagegen klagen wir!
Und schließlich, 2014, 20 Jahre nach Veröffentlichung der S21-Pläne, führte man ein Planfeststellungsverfahren zum Filderabschnitt 1.3 durch. Wegen des sogenannten Mischverkehrs ging auch dies in die Hosen. Inzwischen sollte das Projekt 6,8 Mrd. kosten und allerspätestens 2021 fertig sein. Aber, wen kümmerte das schon? Es wurde mit allen Mitteln weitergetrickst und wir klagten immer wieder dagegen. Dieser Tage lehnte ein Gericht unseren Einspruch gegen den Sofortvollzug ab, ohne die Begründung mitzuliefern, und die Zerstörer schieben jetzt bereits große Mengen nie wieder zu ersetzenden Filderboden beiseite. Die kümmern sich einen Dreck um unsere guten Böden.
Es ist zum Heulen!
Inzwischen soll das Objekt ganz, ganz sicher 8,2 Mrd. kosten und 2025 fertig sein. Aber diese Zahlen glaubt ja ohnehin kein denkender Mensch mehr. Es ist wie im Tollhaus. S21 wird ganz sicher weit mehr als 10 Mrd. Euro kosten und für 10 Mrd. könnte man jedem Erdbewohner, vom Opa in Chile bis zum Baby in Nordkorea FÜNF Klopapierrollen spendieren – und zwar dreilagige!
Wäre das Geld so nicht viel besser angelegt?
Zurück zur Filderebene: Es ist einfach idiotisch, die Züge aus Zürich und Singen über den Flughafen zu zwingen. Die allermeisten Fahrgäste wollen nicht zum Flughafen sondern zum Stuttgarter Hbf. Wir wissen doch, würde man diese Züge weiterhin über die Panoramastrecke führen, würde dies fast alle Probleme auf den Fildern lösen.
Und warum dauert dies alles so endlos lang, bisher bereits 26 Jahre? Sind die wirklich so unfähig oder wollen sie gar nicht?
Und dann noch etwas, was in der Coronakrise unterzugehen droht: Im Stuttgarter Gemeinderat sollte diese Woche über neue Ausbaupläne des Flughafens entschieden werden. Der Flughafen will noch mehr fliegen, d.h. er treibt unseren Planeten schamlos weiter in die Klimakatastrophe.
Dieser Tage haben sie das Vorhaben wegen der Viren zurückgestellt, beileibe aber nicht aufgegeben. In der Vorlage „Terminalentwicklung STR 4.0“ steht, ohne diese Ausbauten wäre eine „nachhaltige Passagierentwicklung“ (was ist denn das?) gefährdet. Dazuhin müsse man mehr neue Abstellpositionen für weitere Flugzeuge und mehr Autoparkplätze schaffen.
Was sie nicht sagen: Damit soll natürlich die Ausbauspirale angefacht werden. Hier wird der Bürger mit wolkigen Begriffen beschwichtigt. Der Flughafen spricht von einer „moderaten Steigerung der Passagierzahlen“.
Wenn man allerdings die jährlichen Passagierzahlen von heute (12,7 Mio.) mit den angestrebten in 2033 (17,96 Mio.) vergleicht, so ergibt dies eine Zunahme der Passagiere um 41,4 % in nur 13 Jahren. Dies in Zeiten der drohenden Klimakatastrophe auch nur in Erwägung zu ziehen, ist in höchstem Maße verwerflich. Jeder der enkelverträglich denkt, müsste stattdessen über eine drastische Reduktion des klimaschädlichen Fliegens nachdenken.
Der Aufsichtsratsvorsitzende Verkehrsminister Winne Hermann und sein Stellvertreter OB Fritz Kuhn, aber auch der SPD Chef Martin Körner, hatten bereits Zustimmung zu den Plänen signalisiert, bevor die Entscheidung nun wohl vertagt ist. Verrückt, oder?
Bisher hatten wir bis zu 400 Flugbewegungen täglich, jetzt als Folge von Corona sind es weniger als eine Handvoll. Wir Filderbewohner genießen unglaublich die himmlische Ruhe und einen Himmel ohne die klimaschädlichen Kondensstreifen.
Zum Thema Coronaund Klima: DieCoronavirenbeängstigen durch eine weltweite rasante Ausbreitung. Sie können töten, bevorzugt Vorerkrankte und Alte. Mit einem noch zu findenden Impfstoff hofft man, sie zu besiegen. Die Klimakatastrophedagegen ist bereits seit mindestens 40 Jahren bekannt. Sie geht schleichend voran. Sie trifft die gesamte Biosphäre (Erde, Luft, Meere, Menschen, Tiere, Pflanzen usw.) Sie wird unser Leben und erst recht das all unserer Nachfahren auf alle Zeiten unumkehrbarbeeinflussen, unter Umständen sogar unmöglich machen.
Die rasante Ausbreitung des Coronavirus hat mit der großen Menge der Überträger, den Menschen zu tun und damit, dass die vielen Menschen extrem mobil sind und damit nicht nur Viren in Windeseile über den gesamten Globus verteilen, sondern dabei auch noch Unmengen an klimaschädlichen Abgasen produzieren.
Ich finde es richtig, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, um das Virus einzudämmen und dafür Milliarden zur Verfügung stellen. Aber warum tun wir fast nichts, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten? Trotz Klimabeschluss verkokeln wir weiter Braunkohle und bremsen die Alternativenergien eher aus, als sie massiv voranzubringen. Fliegen wird unterstützt statt es massiv zu belasten.
Zu dem kürzlich gefundenen, jämmerlichen Klimabeschluss der GroKo sagte Minister Peter Altmaier begeistert, der Beschluss gefährde unseren Wohlstand nicht und Christian Lindner meinte, wir könnten die Probleme durch neue Technologien lösen, ohne das Wachstum zu bremsen. Und Verbote – wie ein Tempolimit – schränkten die Freiheit des Bürgers nur ein.
Und ich will noch eins drauflegen: Zur Coronakrise sagte Porsche-Chef Oliver Blume dieser Tage: „Alle besinnen sich nun auf das Wesentliche“ Gut so, denkt man, aber er sagt weiter: „Ich hoffe, die Absatzzahlen sind nach der Krise höher als davor.“
Ja haben die denn alle gar nichts verstanden?
Wir können offensichtlich nur kurzfristig denken, wenn es uns unmittelbar persönlich an den Lebensnerv geht, bereits unsere Kinder und Enkel sind uns ziemlich egal.
Schlussbemerkungen:
- Wir müssen unsere Ansprüche deutlich reduzieren.
- Die Abkehr von einer ständig wachsenden Wirtschaft ist zwingend.
- Wir müssen die Zunahme der Zahl der Menschen auf diesem Planeten drosseln. Allein während meiner Lebenszeit hat sich die Menschheit mehr als verdreifacht. Das kann so nicht weiter gutgehen.
Und, heruntergebrochen auf die Probleme hier vor Ort:
- Reduzieren wir das klimaschädliche Fliegen in Stuttgart auf ein absolutes Minimum. Nicht zuletzt auch wegen der von uns aufgedeckten gefährlichen Ultrafeinstaubproblematik.
- Erhalten wir die Grundlage unserer Ernährung. Ackerböden müssen tabu sein für jede weitere Betonierung, insbesondere unsere fruchtbaren Filderböden.
- Lassen wir die Gäubahnzüge weiter auf der Panoramastrecke nach Stuttgart fahren statt über den Flughafen
Und schließlich:
- Nehmen wir Abschied von dem Schwachsinn S21. Überall muss man Betriebe schließen und Großbaustellen werden gestoppt, also stoppt sofort auch die Bauarbeiten bei S21. Nutzt z.B. die bereits vorhandenen Röhren unter Stuttgart als Verteilerröhren von Waren. Setzt die Ideen des Gutachtens „Umstieg 21“ um.
- Entschleunigen wir das Leben, planen und arbeiten wir enkelverträglich!
Bleibt gefälligst oben!
[1] ab 16.3.2020 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, online: https://tinyurl.com/yx2etbs9
Super!!!!
Rede von Steffen Siegel finde ich wirklich sehr gut, klar und deutlich. Eigentlich sollte das in vielleicht etwas gekürzter Form in die Tageszeitungen kommen, mindestens 1 x pro Woche, damit es auch der Letzte kapiert.