Rede von Prof. Dr. Heiner Monheim, Institut für Raumentwicklung und Kommunikation, auf der 500. Montagsdemo am 3.2.2020

Liebe Freunde der Bahn und der Verkehrswende, liebe Gegner von S21,

Mein Kompliment und Vorschlag

Ich beginne meine Rede erneut wie bei meinen letzten Reden bei Euren Montagsdemos mit einem großen Kompliment. Es ist wohl einmalig, mit welcher Ausdauer, Beharrlichkeit, aber auch welcher Kreativität und kulturellen Aufladung bis zur heutigen 500sten Montagsdemo Ihr Euren Widerstand gegen das Wahnsinnsprojekt S21 durchgehalten habt. Ihr habt es eigentlich verdient, dass die Stadt Stuttgart Euch dafür ein eigenes Museum widmet, das Museum der „aktiven, kritischen, ausdauernden Demokratie“ und des Widerstandes gegen arrogante Staatsmacht und Planerwillkür.

S21 – ein Wahnsinnsprojekt

Heute zeigt sich mehr denn je, dass S21 aus der Zeit gefallen ist. Warum mehr denn je? Weil jetzt, in Zeiten der offenkundigen Klimakrise, es erst recht Wahnsinn ist, 10 Mrd. € (am Ende werden es dann vermutlich 12 Mrd. werden) in einem Loch und Tunnelsystem zu vergraben. Richard Wagner hätte daraus eine Oper gemacht: „der Schatz der Schwaben“! Mit bombastischer Musik. Denn das Drama um die verschwendeten Milliarden verdient opernhafte Begleitung. Während überall sonst im Lande dringend auf Schieneninvestitionen gewartet werden muss, vergraben die nutzlos Milliarden? Und geraten damit hart an den Rand der Zahlungsunfähigkeit, vor der sie nur der Schutzmantel der staatlichen Patenschaft rettet. Über die Aufteilung der Mehrkosten wird es dann noch einen langen Rechtsstreit geben, wegen der ominösen Sprechklausel.

Die Investitionsoffensive für die Flächenbahn wird durch S21 verhindert

S21 passt überhaupt nicht zur Verkehrswende. Denn Verkehrswende erfordert Tausende von kleinen Bahnprojekten für einen massiven Systemausbau des öffentlichen Verkehrs. Aber im Südwesten monopolisiert das völlig überzogene Großprojekt die Planungs- und Investitionsmittel einer ganzen Generation. Gleichzeitig verlottern im deutschen Bahnsystem Tausende Bahnhöfe, warten Tausende Kilometer von eingleisigen Strecken dringend auf ihren Ausbau, können 6.000 neue Bahnhöfe und Haltepunkte nicht geplant und gebaut werden, die für eine kundennahe Bahn nötig wären, weil dafür Personal und Geld fehlt. Ganz zu schweigen davon, dass Hunderte von Strecken nicht reaktiviert werden können, weil das bei den Bahnoberen keine Priorität hat. Das alles zeigt den völligen Orientierungsverlust der Bahnoberen bei ihrer strategischen Ausrichtung. Weil die Herren Dürr, Mehdorn, Grube kein Verkehrswendekonzept hatten, sondern mit ihren offenen und verdeckten Börsenplänen und Einkaufstouren Großmachtträumen einer globalen Börsenbahn nachhingen und sich in Deutschland nur für die milliardenschweren Großprojekte interessierten.

Der Deutschlandtakt als Chance

Gut, dass die Bundesregierung sich jetzt endlich zum Deutschlandtakt bekannt hat. Das Schweizer Vorbild des integralen Taktfahrplans funktioniert vorbildlich. Und basiert auf einer regional ausgewogenen Investitionsstrategie, die nur da investiert, wo es nötig ist, oft genau dosiert auf die notwendigen Minuten bis zum nächsten Knoten, aber auch nicht mehr, ohne Hochgeschwindigkeitswahnsinn. Schlecht, dass die Bundesregierung bisher die DB nicht dazu bewegen konnte, alle aktuellen Großprojekte der Bahn unter den Vorbehalt der Deutschlandtaktverträglichkeit zu stellen. Denn dann hätte man S21 in der geplanten Form sofort umplanen müssen, um dem Bahnknoten Stuttgart eine maximale, zukunftsfähige Knotenkapazität zu sichern, mit ausreichend oberirdischen Gleisen.

Der Flaschenhals zu Lasten der Region – hochgeschwindigkeitsschnell verlieren viele regionale Bahnkunden wertvolle Reisezeit

Stattdessen kommt jetzt ein Flaschenhals ins Südwest-Schienennetz, der die Reisezeit von Millionen Fahrgästen wegen nicht optimaler Anschlüsse mutwillig verlängert. Das wird die Konkurrenzfähigkeit der Schiene gegenüber der Straße massiv beeinträchtigen und verhindern, dass man in Stuttgart endlich an den Umbau der vielen überdimensionierten Straßen und Kreuzungen gehen kann. Und raus aus dem Stau kommt durch weniger Autoverkehr. Aber vielleicht war das ja das heimliche Ziel der Erfinder von S21. Die Zukunft der Autostadt Stuttgart und der Autoregion Stuttgart auch langfristig sichern durch ein kapazitätsbegrenztes Bahnsystem und einen Flaschenhalsknoten. Immerhin kamen ja die Bahnchefs Dürr, Mehdorn und Grube aus der Konkurrenz der Luftfahrt- und Autoindustrie. Und waren vorher alles andere als begeisterte Bahnfahrer.

Die kleine, feine Börsen-Korridor-Bahn

Herr Dürr und Herr Mehdorn träumten von einer kleinen, feinen Korridorbahn, die mit ihren Korridoren aus Hochgeschwindigkeitsstrecken dem Diktat des „höher, schneller, weiter“ folgen sollte. Die brave, biedere Bürgerbahn mit einer breiten Streuung angepasster Investitionen in allen Regionen, also die Flächenbahn, galt ihnen als Spinnerei, obwohl die pragmatische Schweiz genau diese Strategie erfolgreich verfolgte. Mehdorn verspottet die SBB dann gern als kleines S-Bahnsystem. Und immunisierte sich so gegen jeden Lerneffekt von Bus und Bahn 2000, mit dem die Schweiz zum Weltmeister in der Nutzung des öffentlichen Verkehrs wurde. Weil das Schweizer Volk viel häufigere und weitere Wege mit dem öffentlichen Verkehr macht als die Deutschen und in Relation zur Bevölkerung viel mehr Jahresabos und BahnCard 50 absetzt als die DB.

Die Flächenbahn

Um solche Werte zu erreichen, muss die Deutsche Bahn überall mit dem Auto in Sachen Reisezeit konkurrieren. Dafür braucht sie ein dichtes Netz, das weniger auf Höchstgeschwindigkeit und mehr auf Systemgeschwindigkeit setzt, ohne Verspätungen, ohne Zeitverluste beim Umsteigen, ohne lange An- und Abfahrtzeiten, weil der nächste Bahnhof erst nach 20 oder 30 km erreichbar ist. Dafür braucht die DB wieder dringend einen Interregio, und zwar im Halbstundentakt zwischen allen Mittel- und Oberzentren. Dafür braucht sie 250 S-Bahnsysteme mit dichtem Taktverkehr. Und ca. 6.000 neue Bahnhöfe und Haltepunkte. Solche Zukunftskonzepte braucht die Bahn. Sie müssen den Rahmen für den nächsten Bundesverkehrswegeplan bilden. Dann können wir uns den weiteren Autobahnausbau sparen. Dann kommen wir raus aus dem Stau. Dann erledigt Deutschland seine klimapolitischen Hausaufgaben. Dann ist Schluss mit den extrem teuren Tunnelprojekten. Die überlassen wir den Alpenländern. Dann wird endlich wieder der Mittelstand in der Bauwirtschaft gefördert und nicht die wenigen Großkonzerne, die sich an S21 ihre goldenen Nasen verdienen. Dann können wir die Tunnelbohrmaschinen von Herrn Herrenknecht einmotten. Die brauchen wir nicht mehr.

Moratorium Straßenbau

Völlig absurd aber ist die deutsche Verkehrspolitik, weil sie trotz der mittlerweile wohlfeilen Beschwörungen von Verkehrswende weiter viele Milliarden in den Ausbau des Fernstraßennetzes investiert, den 6-spurigen Ausbau der Autobahnen in den Metropolregionen und Tausende weiterer Ortsumgehungen. Dieses Land braucht weniger Autos! Und daher kann der Straßenbau eingestellt werden. Verkehrswende ist eben nicht der Austausch von Motoren sondern die Zurückeroberung des öffentlichen Raums für lebenswerte Straßen, breite Gehwege, breite Radwege und Millionen neuer Straßenbäume. Statt Ausbau sind Rückbau und Umbau gefragt!

Der ländliche Raum als Autoland

Davon hört man nichts in den Parlamenten von Bund und Ländern. Immer noch gilt das Credo: im ländlichen Raum geht nichts ohne Auto. Da ist attraktiver Bus- und Bahnverkehr nicht vorstellbar und angeblich auch nicht bezahlbar. Aber die Milliarden für den weiteren Autobahnausbau und die Bahngroßprojekte können wir uns angeblich leisten. Da wird immer wieder mit zweierlei Maß gemessen. Dabei wäre es sehr kostengünstig, systematisch stillgelegte Schienenstrecken zu reaktivieren. Und dabei modernste Bahntechnik einzusetzen, in der Betriebssteuerung und bei den Fahrzeugen. Es gibt sehr preiswerte Ultraleicht-Solar-Tramfahrzeuge, die einen Bruchteil heutiger Triebwagen kosten. Die müssen endlich auf die Schiene gebracht werden.

Spinner und Pragmatiker

Wie kann es sein, dass man mit solchen Zielen als Spinner tituliert wird, während das Durchbohren von 60 km Tunnelröhren als pragmatischer Realismus und Krönung deutscher Ingenieurskunst gepriesen wird? Dass das Vergraben eines stattlichen Hauptbahnhofs unter der Erde als städtebauliche Ikone gefeiert wird? Während wir anderswo, in den Niederlanden oder England, eine Renaissance der überirdischen Bahnhofsarchitektur feiern? Während wir aus Deutschland das Land der Wühlmäuse machen.

Risiken der Betriebsgenehmigung

Wie kann es sein, dass die technischen Regelwerke des Bahnbaus hinsichtlich der Neigung von Bahnsteigen, des Platzbedarfs von Fahrgästen auf dem Bahnsteig und der Entrauchung und Entfluchtung von Tunneln einfach außer Kraft gesetzt werden? Spätestens seit dreimal ICEs gebrannt haben und die Löschbarkeit dieser Brände für die Feuerwehren ein Riesenproblem wurde, weil man brennendes Aluminium und Transformatorenöl nicht mit Wasser löschen darf, muss den Verantwortlich dämmern, dass dieser Bahnhof so lange keine Betriebsgenehmigung erhalten kann, wie der Brandschutz und die Entfluchtung und der Umgang mit zu stark geneigten Bahnsteigen zuverlässig geklärt sind. Und gibt es dafür einen Plan B? Nein, Augen zu und durch!

Am Ende wird das bekannte Kindermärchen von den Schildbürgern in Stuttgart traurige Aktualität erhalten, wenn der milliardenteure Bahnhof keine Betriebsgenehmigung erhält und dann für weitere zig Milliarden umgebaut werden muss.

Appell

Ich ende mit einem Appell an die Verantwortlichen in Politik, Verwaltungen und bei der DB: Sorgen Sie dafür, dass der Hbf Stuttgart die nötige Gleis- und Bahnsteigkapazität bekommt, die er als zentraler Bahnknoten im Südwesten für das Zusammentreffen aller Fernzüge und Regionalzüge im Taktknoten braucht. Ohne oberirdische Gleise ist die benötigte Kapazität nicht darstellbar!

Also: Oben bleiben!

Rede von Heiner Monheim als pdf-Datei

 

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