Rede von Elsbeth Sureau, ‚Stuttgart 21 ist überall‘, auf der 493. Montagsdemo am 9.12.2019
Gestern war der Tag gegen unnütze Großprojekte. Warum ist das ein besonderer Tag? Am 8. Dezember 2010 trafen sich Vertreter der Bewegungen gegen Bahnprojekte aus dem italienischen Susatal und aus Florenz, aus Bayonne in Südfrankreich und aus Birmingham in England und verfassten eine gemeinsame Erklärung gegen unnütze Bahnprojekte, Hochgeschwindigkeitsstrecken und Tunnel. Sie nannten sie Weiße Elefanten, ein Symbol aus der Kolonialzeit für dekorative Geschenke, die aber für den Beschenkten eine große Dauerbelastung sind, kurz, die man nicht gebrauchen kann. Wir in Stuttgart wurden über einen Kontakt nach Bayonne gefragt, ob wir uns nicht an der gemeinsamen Widerstandsbewegung beteiligen wollten. Wir wollten, wir gründeten den Arbeitskreis ‚Stuttgart 21 ist überall‘, und es gibt uns immer noch.
Was ist der gemeinsame Nenner beim Widerstand gegen aufgezwungene unnütze Großprojekte? Sie sind sehr teuer, sie werden aus Steuergeldern finanziert oder mitfinanziert, sie sind für Bau- und Maschinenbaukonzerne und für die Herren der Finanzwelt sichere Mega-Gewinne – aber die Umwelt und die direkt oder indirekt betroffene Bevölkerung haben den Schaden. Ihre Planung und Durchsetzung ist meist rechtlich fragwürdig, und es gibt gegen sie entschiedenen Widerstand von Menschen, die sich nicht bevormunden lassen.
Der Widerstand ist vielfältig: Wir sind eine städtische Bewegung, andere sind eher ländlich-bäuerlich, in Rumänien war die Bewegung stark von Studenten geprägt, usw. Meistens ist der Widerstand direkt mit einer starken Umweltbewegung verbunden, bei uns ist der BUND leider ausgestiegen. Alle Widerstandsgruppen stoßen auf ähnliche Probleme und die gleichen Methoden der Mächtigen. Wie bei uns werden überall der Machtapparat, Falschinformation und Meinungsmanipulation eingesetzt, um Widerstand oder auch nur kritisches Hinterfragen auszuhebeln. Genau deshalb sind wir aber weiterhin montags hier.
Seit 2011 beteiligte sich unser AK an 6 Foren in Italien, Frankreich, Deutschland, Rumänien und an zwei Treffen auf den Weltsozialforen. Ich selbst bin in die Bewegung in Stuttgart hineingewachsen. Mit den Kontakten zum Widerstand gegen andere Projekte wandelte sich mein Verständnis von der Schädlichkeit dieser Verkehrsprojekte, vom Vorgehen der Betreiber und vom Wirtschaftsprinzip hinter diesen Projekten und über die Gemeinsamkeiten mit anderen Bauprojekten, wie der Atommeiler von Neckarwestheim, der Braunkohle-Tagebau im Hambacher Forst, der Flughafen von Notre-Dame-des-Landes, eine Autobahnwüste und Fracking in Norditalien, der MO.S.E-Lagunendamm und die Kreuzfahrtschiffe von Venedig, eine Tausend-Kühe-Milchfabrik in Nordfrankreich, der Goldabbau in Rosia Montana in Rumänien, und so weiter. Alle schädlich, alle vermeidbar und überflüssig.
Hier ein paar Spotlights auf unsere Partner und Kontakte heute:
- In Deutschland ist da zum einen der Fehmarnbelttunnel: Beim Bau des Absenktunnels müssen weit mehr als 20 Mio. m³ Boden unter Wasser ausgebaggert werden. Die umfangreichen Bodenbewegungen werden die Ostsee eintrüben und Schadstoffe freisetzen. Die Lebensräume von Wasserpflanzen und Lebewesen wie Schweinswalen und Robben, die Laichgründe der Fische und der Weg der Zugvögel werden beeinträchtigt oder zerstört. Das im Fehmarnbelt bestehende Fauna-Flora-Schutzgebiet wird unmittelbar geschädigt.
Die Beltretter, das Aktionsbündnis gegen eine feste Fehmarnbeltquerung e.V., feierten im Mai ihr 25-jähriges Jubiläum. Sie arbeiten u.a. mit einer umfassenden Klage beim Bundesverwaltungsgericht gegen das Planfeststellungsverfahren, oder mit Aufklärung über Straßentheater. Die lärmige Güterbahntrasse zum geplanten Tunnel soll sich mitten durch Hamburg und dann weiter durch Schleswig-Holstein fräsen. Nun wollen auch dort Anwohner klagen. Wir sagen ihnen: weiter so, und: oben bleiben!
- Zum andern ist da im lieblichen Inntal ab Rosenheim die Schienenanbindungsstrecke an den 260 km langen Brenner-Basistunnel, obwohl es schon eine nicht ausgelastete Anbindung gibt. Der reale Bedarf wurde nie geklärt – kennen wir das nicht? Der Widerstand ist in der Region gut verankert und verbunden mit den Protesten zum Brenner-Südzulauf nach Italien und mit uns in Stuttgart.
- Des Weiteren gibt es zum Beispiel Widerstand wegen des Hamburg-Altona-Bahnhofs,
- oder wegen des Umbaus des Münchner Hauptbahnhofs,
- oder zum Aktionsbündnis Unmenschliche Autobahn AUA in Frankfurt gegen Trassenpläne für die A66 quer durch die Stadt,
- oder zu den Baumbesetzungen, Widerstandscamps und Mahnwachen im Dannenröder Forst in Hessen wegen der Naturzerstörung durch den Ausbau der A49 von Kassel Richtung Gießen,
- oder andere. Wir haben eine Bitte: Meldet Euch bei uns, wenn Ihr weitere Kontakte habt!
In Europa haben wir unsere alten Kontakte:
- In Nordspanien nach San Sebastian, wo es um eine unter dem Meeresstrand verlaufende S-Bahn geht. Der Tiefbahnhof ist sozusagen der kleine Bruder von S21.
Es gibt keine Berechnungen zu der erwarteten Steigung des Meeresspiegels und keine Prüfungen der Bebauungs-Tauglichkeit des Untergrunds. Durch die Tunnelbauten sind Schäden in der Altstadt und in anderen Stadtteilen zu erwarten. Der gut funktionierende öffentliche Busverkehr wird behindert. Und unser Experte Hans Heydemann hat überzeugend öffentlich nachgewiesen: Im Brandfall gibt es kein Entkommen für die Fahrgäste. Die Staatsanwaltschaft musste daraufhin die Klage der Protestbewegung zulassen, die seitdem neuen Zuspruch gewonnen hat. Ganz herzlichen Dank, Hans Heydemann! Das ist konkrete internationale Solidarität!
- In Italien im Susatal ist das Lavieren der Regierungen mit ihrem teuren Prestige-Projekt des 57 km langen TGV-Tunnels durch die Alpen nach Frankreich noch immer nicht beendet. Der staatliche Druck gegen die Bewegung bleibt, aber auch der Widerstand! Im letzten Monat wurde die 73-jährige Widerstandskämpferin Nicoletta zusammen mit 11 anderen Widerständlern verurteilt wegen einer Autobahnbesetzung im Jahr 2012. Weil sie keine Schuld anerkennt und daher auch keine Geldstrafe unterschreibt, geht sie ins Gefängnis – für 12 Monate!! Respekt, Nicoletta! Gestern gab es in Venaus eine erneute Demonstration des Susatal-Widerstands.
- Besonders viel haben wir in letzter Zeit von der Klimakatastrophe für Venedig gehört: Unwetter, Überschwemmung, die Stadt droht zu versinken. Für die Kreuzfahrtschiffe wurden tiefe Fahrrinnen in der flachen Lagune ausgehoben, was zu verstärkten Strömungen und einer erheblichen Störung von Flora und Fauna im Wasser führt. Die seit 2007 im Bau befindlichen beweglichen MO.S.E-Trennwände der Lagune vom Meer können den steigenden Meeresspiegel nicht auffangen, aber sie werden das ökologische Gleichgewicht des Lagunenwassers noch weiter zerstören. Die Venezianer fordern den Stopp sowohl von MO.S.E als auch der Kreuzfahrten, und eine Anhebung des Untergrunds der Stadt, der heute technisch möglich ist. Ihr Widerstand brachte die enorme Umweltschädlichkeit der großen Frachter und Kreuzfahrtschiffe international in die Schlagzeilen.
- In Frankreich haben wir – wie auch unsere Trommelgruppe „Lokomotive“ – den erbitterten Widerstand gegen die GCO, die große Westumfahrung Straßburgs, unterstützt. Diese soll dem Ausbau einer französischen Nord-Süd-Autobahn entlang des Rheins dienen, wurde aber als Entlastung für die Stadt ausgegeben, wofür sie gar nicht taugt. Es geht also, wie mit unserem Rosensteintunnel, um mehr Auto- und LKW-Verkehr statt weniger, auf Kosten von wichtigem Wald- und Ackerland in der Straßburger Umgebung. Der berüchtigte multinationale Autobahnbetreiber Vinci reibt sich die Hände. Denn dies wird die erste Autobahn Frankreichs, wo auch am Stadtrand eine Maut erhoben wird. Klimakatastrophe? Was kümmert’s ihn!
- Wir haben auch noch Kontakt nach Notre-Dame-des-Landes, dieses kleine gallische Dorf, wo der Widerstand gegen den neuen Flughafen gesiegt hat. Die Haltung dort ist auch für uns interessant: Das Ende des Projekts ist zugleich der Beginn eines neuen Kampfes. Im Widerstand änderte sich dort wie hier unsere Lebenseinstellung, wir stellen fest: Unsere Welt kann nicht so weitermachen wie bisher. In Notre-Dame-des-Landes haben die Besetzer einen Teil der ZAD, d.h. des staatlich reservierten Terrains, inzwischen gepachtet, ein anderer Teil bleibt besetzt, denn sie wollen verhindern, dass Großbauern dort Landwirtschaft mit Pestiziden betreiben. Stattdessen sollen auf der ZAD weiterhin kollektive Experimente Platz finden, wo die Beziehungen zur Arbeit, zur Wirtschaft, zum Ackerland umgewälzt und neue Formen erforscht werden: Formen zu leben, zu wohnen und gemeinsam zu kämpfen. Dies ist mit zahlreichen Konflikten untereinander und nach außen verbunden, aber es ist wertvoll für uns alle – als eine Türe zu möglichen Auswegen für unsere bedrohten Lebensbedingungen! Unsere Freunde aus der Bretagne grüßen unsere Bewegung in Stuttgart, sie unterstützen weiter die anderen Bewegungen gegen unnütze Großprojekte. Grüßen wir sie zurück!
Wir sind sensibel geworden für die großen Strukturveränderungen, die es überall gibt: Da sind die staatlichen und überstaatlichen Projekte wie die US-Militärzentren Eucom und Africom. Oder das Olympia-Stadion in Katar, schon wieder vom französischen Vinci erbaut, mit Sklavenarbeit und Menschenleben. Der Ilısu-Staudamm, mit dem die Türkei dem Irak das Wasser abdrehen kann. Der Belomonte-Staudamm in Brasilien, der den Urwald massivst schädigt.
Auch die modernen Bergwerke der Welt, wo ganze Berge zermahlen werden, um die Mineralien mit höchst giftigen, umweltverseuchenden Lösungen herauszufiltern… Denken wir nur an die Umweltkatastrophen durch die Dammbrüche der Goldmine von Baia Mare in Rumänien im Jahr 2000 und vom Eisenerztagebau 2015 in Brasilien oberhalb des Rio Doce.
Wir fangen an, die Dinge zu hinterfragen, und zwar die ganze Produktionskette vom Bergwerk bis zum Endprodukt und zur Entsorgung, und das für Produkte, die die Bevölkerung oft gar nicht braucht. Wir lehnen Produkte mit Obsoleszenz-Mechanismen ab, die wir alle Nase lang neu kaufen müssen.
Wir in Stuttgart, wir brauchen die neuen Tunnelbohrmaschinen nicht, wir brauchen die Unmengen von Rohstoffen für Stahl, für Beton und anderes Material für Stuttgart 21 nicht, wir brauchen den alten Kopfbahnhof! Jeder Tag, der weiter gebaut wird, ist eine Umweltsünde gegenüber den kommenden Generationen!
Seit 2016 hat es kein internationales Forum gegen unnütze Großprojekte mehr gegeben. Aber wir haben ein Email-Netzwerk der Foren, über das wir uns auf dem Laufenden halten. Inzwischen geht es auf der ganzen Welt um mehr, es geht um die gesamte Umwelt. Vom großen Umweltcamp in Venedig diesen Sommer ging in Italien die gewünschte Verschmelzung des Widerstands gegen die Großprojekte mit der Umweltbewegung rasant voran. Alle unnützen Großprojekte sind Umweltkiller, dieser Gedanke hat am Weltklimatag dort Fuß gefasst, bei Demonstrationen in vielen Städten bis nach Sizilien. Überall wurden jetzt Großprojekte ins Visier genommen:
- Zum Beispiel bei Demonstrationen gegen Mega-Container und Kreuzfahrtschiffe an Mittelmeer-Häfen,
- vor Rathäusern gegen die fahrlässige Planung und die Betonierung von Stadt und Land,
- Proteste vor Fast-Food-Unternehmen wie Burger King,
- bei Protesten und Die-ins vor Benetton und H&M wegen ihrer Fast-Fashion, dem Geschäft mit der Wegwerfmode aus Billiglohnländern,
- vor Reisebüros wegen des Flash-Tourismus und des Managements der Ski-Gebiete,
- bei der Blockade von Amazon, dem größten Internet-Shopping-Center,
- bei den Blockaden des italienischen Energieunternehmens ENI, wie auch einer Raffinerie und von Tankstellen von ENI und Shell,
- und auch vor den Banken, die mit immensen Mitteln um erdzerstörende Projekte spekulieren, wie die Rüstungs- und Brennstoffindustrie.
Wir sehen: Unser Widerstand hat dem Denken zum Durchbruch verholfen, dass es Massen von „unnützen Großprojekten“ gibt, die Umwelt-.und Klimazerstörung ist konkret fassbar. Unser Widerstand gegen unnütze Verkehrsprojekte ist ein Vorbild geworden für das Verständnis, dass die aus dem Ruder geratene multinationale Konsumindustrie auch konkret bekämpft werden kann.
Suchen auch wir die engere Zusammenarbeit mit der Umwelt- und Klimabewegung!
Gestern – für den 8.12.19 – wurde aufgerufen zum Tag gegen unnütze Großprojekte unter dem Slogan: Platz da! Für eine sozial- und klimagerechte Stadt! Für einen würdigen Fußverkehr, für Radfahren für alle, für einen kostenlosen ÖPNV, S21 stoppen! Für eine andere Mobilität! Tanz im Tunnel am internationalen Tag gegen unnütze Großprojekte! Von 14 - 16 Uhr gehörte uns die B 14. Es gab dort auch ein Grußwort aus San Sebastian aus Spanien. Wir danken Euch für diese Aktion!
Gemeinsam gegen schädliche Großprojekte! Oben bleiben!