Rede von Dr. Hermann Biehler, Rosenheimer Forum für Städtebau und Umweltfragen e.V., auf der 476. Montagsdemo am 12.8.2019
Danke für die Einladung und die Möglichkeit, die Probleme zu benennen, mit denen wir es in Rosenheim im Zusammenhang mit einer Neubaustrecke der DB zum Brenner zu tun haben.
In 10 bis 15 Minuten ist das nicht hinreichend differenziert möglich. Denn es sind wirtschaftliche, soziale, ökologische, politische und internationale Aspekte zu berücksichtigen, die ineinander verwoben sind. Zudem müssen die unterschiedlichen Zeiträume bedacht werden, in denen Maßnahmen greifen können. Und außerdem spielen in der Diskussion Einzelinteressen eine große Rolle, die das Gemeinwohl nicht im Auge haben. Ich will deshalb einen Punkt besonders hervorheben, der mir in der Debatte zu kurz kommt, ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept. Wie soll der Güterverkehr – und um den geht es hier hauptsächlich – in Zukunft sozial-, umwelt-und klimaverträglich abgewickelt werden?
Vorab:
- Ich bin davon überzeugt, dass Güter von der Straße auf die Schiene verlagert werden sollten.
- Ich wehre mich dagegen, dass Menschen dann protestieren, wenn sie selbst vom Bau einer Straße oder einer Bahntrasse betroffen sind. Das Rosenheimer Forum für Städtebau und Umweltfragen vertritt das Gemeinwohl, auch zu Lasten von Einzelinteressen.
- Ich persönlich würde – nach Aussagen der Deutschen Bahn – von einer neuen Trasse insofern profitieren, als ich als Anlieger an der Bestandsstrecke dann von Bahnlärm entlastet würde.
- Und trotzdem habe ich meine ursprünglich positive Meinung geändert und bin zu der Überzeugung gekommen, dass die neue Trasse – zumindest vorerst – verhindert werden sollte.
Ich will Ihnen das in wenigen Minuten erläutern. Zuerst zu den Voraussetzungen der Planung der Deutschen Bahn:
- Der Deutsche Bundestag hat die DB beauftragt, eine neue Trasse im Landkreis Rosenheim bis zur österreichischen Grenze vorzuschlagen. Diese Trasse soll Teil der europäischen Schienenverbindung von Skandinavien bis Sizilien sein und den Brennerbasis-Tunnel anlaufen, der 2025 in Betrieb gehen soll. Vorgaben sind u.a. eine durchgängige Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h und eine maximale Steigung von 1,25%.
Außerdem sollen nordwestlich und südlich von Rosenheim Verknüpfungsstellen zwischen der Bestandsstrecke und der Neubaustrecke platziert werden. Eine solche Verknüpfungsstelle ist notwendig über der Erde, kreuzungsfrei, braucht mindestens zwei Etagen und ist etwa 800 m lang. Mit den Verknüpfungsstellen will die Bahn Wechselmöglichkeiten zwischen der schnellen Neubaustrecke und der langsameren Bestandsstrecke erreichen.
- Zum Rosenheimer Land muss man erwähnen, dass vor allem im Westen und Südwesten von Rosenheim und in der Stadt selbst der Untergrund aus Seeton besteht, der für Bauwerke sehr unberechenbar ist. Südlich von Rosenheim muss die Bahntrasse durch das Inntal geführt werden, das an manchen Stellen nur 1 km breit ist. Und diese Engstelle muss bisher schon außer dem Fluss die Autobahn, eine Bundesstraße, eine Staatsstraße, eine zweigleisige Bahnstrecke, eine Stromtrasse, eine Gasleitung und eine Öl-Pipeline aufnehmen – neben der Siedlungsfläche. Dazu kämen dann zwei zusätzliche Gleise und ein Verknüpfungsbauwerk zwischen Neubau- und Bestandsstrecke.
- Die Bevölkerung im Inntal – auf bayerischer wie auf österreichischer Seite – ächzt unter der Verkehrsbelastung auf der Straße. Staus und Lärm sowie Ausweichverkehr durch die Ortschaften machen den Menschen zeitweise erheblich zu schaffen. Stillstand und Null-Mobilität sind kein Einzelfall. Es gibt viel Verständnis für die Maßnahmen Tirols, den Verkehr zu dosieren und nicht von der Autobahn abfahren zu lassen.
- In den Gemeinden im Inntal wird in zusätzliche Gleise große Hoffnung gesetzt, Lebensqualität zurückzugewinnen. Dagegen steht die Belastung durch eine Verknüpfungsstelle und die mögliche Verlagerung von bestehenden Bahnhöfen.
- Die Planungen zum Brenner-Nordzulauf werden von der DB zusammen mit der ÖBB von Süden her geplant. In Österreich sind die Planungen weitgehend abgeschlossen. Es fehlt noch die Anknüpfung an das Schienennetz in Deutschland. In einem grenzüberschreitenden gemeinsamen Planungsraum sind die südlichen Landkreisgemeinden schon seit Jahren mit der Trassenfindung befasst. Dort bildeten sich auch die ersten Bürgerinitiativen, die das Projekt in Frage stellen.
Meine Berührung mit dem Planungsprozess:
- Als die Planung weiter nach Norden fortschritt, wurde auch für die tangierten nördlichen Gemeinden ein Beteiligungsprozess gestartet. Die Stadt Rosenheim fragte mich als Vorsitzenden des Rosenheimer Forum für Städtebau und Umweltfragen, ob ich die Rosenheimer Vereine und Bürgerinitiativen vertreten würde. Das Rosenheimer Forum besteht bereits seit 1971, ist eine der ältesten Bürgerinitiativen in Deutschland. Zum damaligen Zeitpunkt hatte sich in Rosenheim noch keine Bürgerinitiative zum Brenner-Nordzulauf gebildet. Nach Rücksprache mit 8 Initiativen und Vereinen, darunter Stadtteilvereine, Bund Naturschutz, PRO BAHN und attac habe ich diese Aufgabe im Herbst 2017 übernommen.
- Ich ging von der langfristigen Notwendigkeit einer neuen Trasse aus. „Güter auf die Schiene“ schien erst einmal ein überzeugendes Argument.
- Im Laufe fast eines Jahres habe ich aufgrund von Informationen und Diskussionen meine Meinung immer mehr geändert und bin heute gegen zusätzliche Gleise.
- Ich beanspruche für mich und das Rosenheimer Forum für Städtebau und Umweltfragen, nicht aus Eigen-, sondern aus Gemeinwohl-Interesse zu handeln und zu argumentieren.
Wie kommt es zu meinem Meinungsumschwung?
- Die erste Ernüchterung kam bereits in der ersten Sitzung des Gemeindeforums: Im gesamten Landkreis soll es weder für Personen noch für Güter einen Haltepunkt an der neuen Trasse geben. Die Züge rollen auf der neuen Trasse ohne Halt einfach durch das Rosenheimer Land. Es gibt keine Möglichkeit, hier Güter auf die Schiene zu verlagern. Wer das will, muss auf der alten Bestandsstrecke verladen – oder auf der Straße zu den Terminals nach München oder Verona fahren. Die ineffiziente Verladung ganzer LKWs ist in Österreich, etwa 50 km südlich von Rosenheim möglich.
- Die Arbeit an einem Kriterienkatalog zeigte, dass kein Kriterium für die Region eine Verbesserung in Aussicht stellte.
- Beides zusammen ergab: Die Region wird lediglich benutzt. Sie hat keinerlei direkte Vorteile von dem Projekt, aber gewaltige Belastungen.
- Meine Zweifel wurden durch Stellungnahmen von Vieregg-Rössler genährt. In denen wird Alternativen zu der DB-Planung der Vorzug gegeben.
- Außerdem wurde von den Bürgerinitiativen immer wieder der Bedarf einer zusätzlichen Trasse in Frage gestellt. Die Ertüchtigung der Bestandsstrecke würde nach ihrer Auffassung ausreichen.
- Verstärkt wurden meine Zweifel dadurch, dass ich in den Jahrzehnte zurückreichenden öffentlich zugänglichen Unterlagen zu diesem Planungsprozess keine Ziele fand, die mit der Trasse erreicht werden sollen. Die DB beruft sich immer nur auf ihren Auftrag durch den Bundestag, die Politik verweist auf Staatsverträge, die aber keine Ziele enthalten.
- Endgültig habe ich meine heutige Meinung gefasst, nachdem Bundesverkehrsminister Scheuer im Januar 2019 in Rosenheim mit Zahlen den Bedarf einer neuen Trasse belegen wollte. Denn seine Präsentation von Szenarien erweist sich als Ausdruck einer erschreckenden Verkehrspolitik, die uns – oder spätestens unsere Kinder und Enkel – gegen die Wand fährt:
Das Bundesverkehrsministerium geht von 2,3% jährlicher Zunahme des Güterverkehrs aus. Das bedeutet, dass wir um 2050 doppelt so viel Güterverkehr hätten wie heute und 2080 –unsere Enkel werden uns für irre erklären – viermal so viel Güterverkehr wie heute. Es muss eigentlich klar sein, dass die zeitliche Verlängerung unseres heutigen Wirtschaftens und unserer heutigen Mobilität keine Zukunftslösung darstellen kann. Jedoch, Minister Scheuer hat keine anderen Szenarien ausarbeiten lassen, keine Szenarien, in denen die Politik Güterverkehr anders verteilen und weniger stark ansteigen lassen oder gar reduzieren will. Er agiert nachlaufend, will da Infrastruktur dazu bauen, wo die Engpässe sind – und das ist vor allem die Straße. Und nur weil deutlich wird, dass die Brenner-Autobahn das gigantische Verkehrswachstum nicht verkraften kann, und Österreich sich nach Jahren leerer Versprechungen zu Gegenmaßnahmen entschlossen hat, wird in dieser Meinung der Bahnausbau notwendig.
- „Güter auf die Schiene“ – damit wurden die Menschen in der Region in die Irre geführt. Es geht nicht darum, dass heutiger Straßengüterverkehr auf die Schiene verlagert wird. Es wäre ja schon heute möglich, mehr Güterverkehrs auf der Schiene abzuwickeln. Tatsächlich waren auf der Strecke Rosenheim – Kufstein schon mehr Güterzüge unterwegs als dies heute der Fall ist. In der Region werden aber Autobahnparkplätze für LKWs ausgebaut. Es gibt keine ernsthaften Versuche des Bundesverkehrsministers, den Verkehr auf die Verkehrsträger anders zu verteilen.
- „Güter auf die Schiene“ hat noch einen trügerischen Aspekt: Vor 2040 würde eine neue Zu-laufstrecke nicht fertig werden. Ohne Eingreifen der Politik führt das Verkehrschaos in der Region bis dahin zum alltäglichen Stillstand.
- „Güter auf die Schiene“ hat sogar noch einen höhnischen Aspekt. Denn ein Großteil des vorgeblichen Bedarfs kommt von Strategien der Unternehmen, Seeverkehr auf die Schiene zu verlagern. Das hatte nun niemand in der Region so verstanden und niemand akzeptiert. Aber für Unternehmen ist es schneller und kostengünstiger, Schiffe, die aus dem Suez-Kanal kommen, nicht mehr durchs Mittelmeer und um die Westküste Europas herum in Nordseehäfen zu fahren, sondern die Ladung bereits in Italien auf Züge zu verladen und über die Alpen nach Norden zu schicken. Und das auch in umgekehrter Richtung. Bei etwa einer Woche Zeitgewinn ist das offensichtlich profitabel, aber unter Gemeinwohl-Aspekten ein Irrsinn!
- Kurz zusammengefasst: Die deutsche Verkehrspolitik hat kein Konzept, weder wie der immer weiter zunehmenden Flut von Güterverkehr begegnet werden kann noch wie man den Verkehr gleichmäßiger verteilen kann. Wie Klimaziele im Verkehrssektor eingehalten werden können, wird nicht ansatzweise beantwortet.
Zum Widerstand von Bürgerinitiativen und Gemeinden:
- Anfangs war aus meiner Perspektive eine Lagerbildung erkennbar: die Gemeinden östlich des Inns und die Gemeinden westlich des Inns; das ist weitgehend überwunden, erstens, weil man sich nicht gegeneinander ausspielen lassen will und zweitens, weil die Sinnhaftigkeit des Projekts immer mehr in Zweifel gezogen wird. Ich will noch hervorheben, dass die Solidarität unter den Bürgerinitiativen deutlich stärker ist als die zwischen den Bürgermeistern.
- Es gibt mittlerweile in jeder Gemeinde eine BI, in der Stadt Rosenheim zwei. Der „Brenner-Dialog“ koordiniert einen Großteil der BIs.
- Vertreter der DB sagen, man habe aus Stuttgart 21 gelernt und wolle die Öffentlichkeit „auf Augenhöhe“ beteiligen. In der Region ist allerdings das Misstrauen sehr groß. Es wird vermutet, dass die Wunsch-Trasse der DB bereits feststeht und durch den Beteiligungsprozess nur noch die Akzeptanz verbessert werden soll. Außerdem bleibt die Kalkulation von Nutzen und Kosten in der Hand der DB – und die Erfahrungen in Stuttgart sorgen da nicht gerade für Vertrauen.
- Eine große Schwierigkeit für die Bürgerinitiativen besteht darin, dass sich einerseits die DB – wenn die Argumente nicht reichen – auf ihren vom Bundestag gegebenen Auftrag beruft und viele Vorschläge – wie etwa die Ertüchtigung der Bestandsstrecke – damit formal vom Tisch fegt. Und andererseits ist die Politik sehr hinhaltend und ohne wirkliches Entgegenkommen für Diskussionen schwer zu fassen. Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Politik sich von wirtschaftlichen Interessen treiben lässt und nicht selbst gestalten will.
- Ich empfehle Ihnen, einen Vertreter der Bürgerinitiativen hierher einzuladen. Er kann um-fassender über die vielfältigen Aktionen berichten.
Fazit:
- Wir wollen in 30 Jahren nicht doppelt so viel Güterverkehr wie heute!
- Wir wollen nicht, dass Seeverkehr über die Alpen durch unsere Region umgeleitet wird!
- Wir wollen dafür nicht unsere Landschaft opfern, die gewaltigen Eingriffe in die Natur akzeptieren und unseren Tourismus belasten!
- Wir wollen die Ertüchtigung der Bestandsstrecke jetzt und Lärmschutz nach Neubau-Standard, weil eine Neubaustrecke vor 2040 nicht bereit stünde!
- Wir wollen endlich ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept, auf dessen Grundlage man über den möglichen Bedarf an Infrastruktur diskutieren kann. Verkehrspolitik darf kein Flickwerk bleiben, das dem Zuruf von Interessenverbänden folgt!
Den Text finde ich gut