Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Ingenieure22, auf der 474. Montagsdemo am 29.7.2019
In diesen Tagen und Wochen hört und liest man ja viel von unterirdischen Bahnhöfen. Es gibt da nicht nur das Halbtiefschrägbahnhöfle als Durchgangsstation – auch S21 genannt – sondern jetzt hat das Verkehrsministerium doch tatsächlich einen unterirdischen Kopfbahnhof in die Diskussion gebracht. Dazu gibt es noch ein paar wichtige Anmerkungen im zweiten Teil der Rede.
Von einem unterirdischen Abstellbahnhof habt ihr aber sicher noch nichts gehört. Es gibt auch nicht die Absicht, in Untertürkheim in den Untergrund zu gehen, sondern das ist nur übertragen gemeint. Die Qualität der Planungen ist einfach nur „unterirdisch“. Dazu hatte ich vor zwei Monaten in meinem Beitrag auf der 465. Montagsdemo einige Details berichtet. Bis 12. Juni erfolgte die öffentliche Auslegung der Planunterlagen, aber sie stehen weiter bei den Planfeststellungsunterlagen des Regierungspräsidiums Stuttgart im Netz zur Verfügung.
Bis 12. August können noch schriftliche Einwendungen gegen die Planungen für den Abstellbahnhof in Untertürkheim beim RP Stuttgart eingereicht werden. Diese Möglichkeit sollten wir alle nutzen. Entweder man nimmt sich ein paar Punkte aus meinem Beitrag heraus (bei BAA steht der Text im Archiv) oder man nutzt den Mustereinspruch der Ingenieure22 – möglichst noch mit einem individuellen Einspruchsgrund ergänzt. Einige Punkte des unterirdisch schlecht geplanten Abstellbahnhofs möchte ich aber erneut aufzählen:
- die große Entfernung zum Hauptbahnhof erfordert Zugfahrten statt Rangieren;
- auf Wartungskapazitäten selbst für kleine Reparaturen soll verzichtet werden;
- beim Bau der Zuführung aus Bad Cannstatt werden die S-Bahnen S1, S2 und S3 für mehrere Jahre unterbrochen bzw. behindert;
- für die Zufahrt zum Stuttgarter Hafen sind keine ausreichenden Kapazitäten zur Abstellung von Güterzügen vorgesehen.
Nun aber noch zu zwei anderen Themen, die mit der Sitzung des Gemeinderatsausschusses zu S21 am 16.7.2019 zu tun haben. Die Diskussionen zum Deutschlandtakt und zur angestrebten Verdopplung der Fahrgastzahlen bei der Bahn hatten Berichte der Deutschen Bahn, des Verkehrsministeriums und des Verbands Region Stuttgart auf die Tagesordnung gesetzt – offenbar waren sich Rathausspitze und Gemeinderat doch nicht mehr sicher, was man sich mit dem Halbtiefschrägbahnhöfle S21 da einhandelt.
Obwohl die DB mit einer Vielzahl hochdotierter Manager erschien, gab es nicht etwa einen fulminanten Vortrag zum Jahrhundertprojekt, sondern der Konzernbevollmächtigte für Baden-Württemberg, Herr Krenz, verlas wortwörtlich eine zuvor verteilte Pressemitteilung – das war’s. Es wurden keine Grafiken gezeigt, nur die Überschriften projiziert, und das waren dann solche Highlights wie:
- S21 ist wesentliche Voraussetzung für den Deutschland-Takt,
- digitaler Pilotknoten Stuttgart verstärkt Zukunftssicherheit weiter,
- S21 ermöglicht viele umsteigefreie Verbindungen und kurze Umsteigezeiten,
- ergänzender Kopfbahnhof ist nicht notwendig.
In den Textpassagen hieß es dann noch „auf jedem der acht Bahnsteiggleise kann ohne Weiteres alle fünf Minuten ein Zug fahren“. Da hatte ich eigentlich gedacht, dass die Zeit der Phantomzahlen vorbei sei. Denn wie war das doch? Herr Prof. Martin hatte mal von 72 Zügen pro Stunde mit völlig unrealistischen Haltezeiten geschwafelt, im Stresstest wurden dann mit Müh‘ und Not die 49 Züge simuliert, und in den letzten Jahren hatte man sich doch darauf verständigt, dass S21 für 32 – mit ein paar Zugeständnissen auch noch 36 – Züge geeignet ist. Aber alle 5 Minuten pro Gleis, das wären 96 Züge in der Stunde – da kann es nur eine Wertung geben: LGNPCK!
Und wie reagierten der Herr Oberbürgermeister Kuhn und die Gemeinderäte? Sie zeigten sich fast alle beeindruckt und vom Projekt bestätigt – nur Herr Stopper von den Grünen und unser Hannes fanden deutliche Worte für die armselige Verlesung einer Pressemitteilung und drückten die Hoffnung aus, vom Verkehrsministerium mehr Informationen zu bekommen.
Herr Prof. Lahl und Herr Hickmann vom Verkehrsministerium stellten dann ihre Bedenken zur Leistungsfähigkeit von S21 dar. Für den Fernverkehr sei zwar die angestrebte Verdopplung der Fahrgastzahlen möglich, aber beim Regionalverkehr und insbesondere bei der S-Bahn treffe das nicht zu. Diese Aussagen wurden mit Grafiken unterlegt und mündeten im Vorschlag, S21 durch einen unterirdischen Kopfbahnhof mit ebenfalls unterirdischen Zuläufen von Feuerbach und der Gäubahn zu erweitern. Man wollte ja die städtebauorientierten Gemeinderäte nicht zu sehr verschrecken. Dazu solle im Sommer eine Arbeitsgruppe beraten. Und dann geschah etwas Bemerkenswertes: Sowohl die Gemeinderäte als auch die DB zeigten sich offen für diese Beratungen. Herr Leger sagte sogar: „Wenn da ein Problem ist, möchte ich wetten, da gibt es auch eine Lösung“.
Warum ist dies so bemerkenswert? Wenn akzeptiert wird, dass S21 keine ausreichende Kapazität für die absehbare Verkehrsentwicklung hat, dann ist das ein ganz wichtiges Argument für den Erhalt oberirdischer Gleise bis hin zum gesamten Kopfbahnhof. Die SNAG hat zwar vor dem Verwaltungsgericht eine Niederlage erlitten, aber im Urteil ist eindeutig festgehalten, dass der Rückbau der oberirdischen Gleise ein Planfeststellungsverfahren erfordert, und dem hat die DB als „Selbstverständlichkeit“ zugestimmt. In diesem Verfahren seien dann Stilllegung und Entwidmung zu entscheiden. Aber §23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes legt (verkürzt) fest: „Die zuständige Planfeststellungsbehörde stellt für… die Betriebsanlage einer Eisenbahn… die Freistellung von den Bahnbetriebszwecken fest, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.“
Bisher waren wir uns sicher, dass dieses Verkehrsbedürfnis zumindest für historische Bahnverkehre und sonstige Sonderzüge besteht, die mit ihren Fahrzeugen – obwohl nach Eisenbahnbetriebsordnung zugelassen – nicht in das Halbtiefschrägbahnhöfle fahren dürfen und auch nicht wollen. Aber es ist ein Paukenschlag, wenn nun allgemein akzeptiert wird, dass dieses Verkehrsbedürfnis auch für den Regionalverkehr und die S-Bahn in Stuttgart besteht. Dann können die bestehenden oberirdischen Gleisanlagen nicht entwidmet werden. Das hat Herr Milankovic am 22. Juli in der „Stuttgarter Zeitung“ treffend so festgehalten: „…sollte am Ende der Beratungen die Erkenntnis stehen, dass es einen verkehrlichen Bedarf für weitere Gleise in der Innenstadt gibt, dürfte der nun beworbene Plan von einem unterirdischen Kopfbahnhof schnell zu den Akten gelegt werden. Wo es einen Bedarf und Gleise gibt, bleiben die an Ort und Stelle."
Lasst uns also die Argumentation des Verkehrsministeriums für zusätzliche Kapazitäten unterstützen. An der angedachten Lösung eines unterirdischen Kopfbahnhofs können sie ja mal planen – sie wird nicht kommen, sondern wir werden: Oben bleiben!
P.S. Nicht vergessen: Einwendung gegen PFA 1.6b bis 12.8. an das RP Stuttgart schicken