Rede von Dr. Bernhard Knierim, „Bahn für Alle“, auf der 472. Montagsdemo am 15.7.2019

Liebe Freundinnen und Freunde einer guten Bahn!

Ich komme gerade von einer ziemlich langen Bahnreise zurück: Ich war in Barcelona bei einer Konferenz zur Reduktion des Flugverkehrs. Logischerweise fliegt man zu einer solchen Veranstaltung nicht mit dem Billigflieger, also war ich pro Richtung ungefähr eineinhalb Tage mit der Bahn unterwegs. Und ich muss sagen: Es funktioniert eigentlich auch heute schon ganz gut, nur mit der Bahn in Europa unterwegs zu sein. Man muss Zwischenstopps machen, aber dort kann man dann auch gleich noch Neues kennenlernen und Europa ganz hautnah erleben.

Keine Angst: Ich propagiere jetzt nicht die „Achse Paris – Bratislava“ als europäisches Einigungsprojekt. Ihr alle hier wisst mindestens so gut wie ich, dass das immer nur eine vorgeschobene Begründung war und es dabei garantiert nicht um drei Minuten Fahrzeitersparnis durch irgendwelche Tiefbahnhöfe geht. Die Bahn in Europa hat ganz andere Probleme. Zum Beispiel werden die Bahnnetze in den Ländern immer nur mit dem nationalen Blick ausgebaut und nicht zum Aufbau eines europäischen Netzes, das wir aber tatsächlich dringend brauchen. Das hat erst kürzlich der Europäische Rechnungshof in einem Gutachten gezeigt: Milliarden von Euro werden ausgegeben, ohne dass dadurch das europäische Bahnnetz wirklich wesentlich besser wird![1]

Aber es geht nicht immer nur um Milliarden-teure Bauprojekte und Hochgeschwindigkeit, sondern oft hilft ganz bewährte Technik weiter. Ich denke z.B. an die Nachtzüge: Bei allen längeren Reisezeiten macht es sehr viel Sinn, über Nacht zu fahren, die Reise ganz bequem schlafend zu verbringen und zum Frühstück in einer neuen Stadt zu sein. Jahrzehntelang gab es ein europaweites Nachtzugnetz, teilweise sogar über den „Eisernen Vorhang“ hinweg. Und ausgerechnet heute, im Zeitalter des angeblich geeinten Europas, stellen fast alle europäischen Bahnen diese Züge aufs Abstellgleis.

Der letzte Nachtzug der Deutschen Bahn ist vor drei Jahren abgefahren. Die DB spielt lieber „Global Player“ und gräbt gigantische Löcher hier in Stuttgart. Angeblich passen Nachtzüge nicht mehr ins Zeitalter der Hochgeschwindigkeit auf Schienen. Aber es macht auch weiter Sinn, über Nacht ausgeschlafen früh am Ziel anzukommen, das kann kein ICE und auch kein Flugzeug bieten. Und wenn die Züge schneller unterwegs sind, dann lassen sich noch ganz andere Entfernungen auf Schienen über Nacht zurücklegen: Ein Vorschlag ist z.B. ein Nachtzug Frankfurt – Barcelona; der hätte mir auf dieser Reise sehr genützt!

So könnte eine wirkliche Verlagerung auf die Bahn funktionieren! Deswegen fordern wir ein europäisches, vernetztes Bahnnetz von komfortablen Tages- und Nachtzügen. Niemand soll in Europa fliegen müssen! Wer sich weiter für das Thema der Verlagerung von Flügen auf die Bahn interessiert, findet interessante Informationen bei „Stay Grounded“[2] und dem deutschen Ableger „Am Boden bleiben“[3]. Und wir vom Netzwerk „Back on Track“[4] setzen uns dazu passend für mehr und besseren grenzüberschreitenden Bahnverkehr ein. Wenn wir die Klimakrise ernst nehmen, dann müssen wir den Flugverkehr ganz erheblich reduzieren!

Nun ist es ja so, dass inzwischen alle Welt von der Verlagerung auf die Bahn spricht – wenn auch überwiegend in Sonntagsreden. Das offizielle Ziel der Bundesregierung ist eine Verdoppelung – ja völlig richtig – eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030. Das bedeutet in 10 Jahren auch rund doppelt so viele Züge, die fahren und in den Bahnhöfen halten müssen Das ist endlich mal ein sinnvolles Ziel, und wir sollten alles daransetzen, es nicht nur zu erreichen, sondern noch zu übertreffen!

Dazu soll ein bundesweiter Taktfahrplan kommen – der Deutschlandtakt, damit die Umstiege an den Knotenbahnhöfen besser klappen. Und hier wird es richtig spannend: Denn der wichtigste Knoten im Südwesten besonders für die Verknüpfung des Fernverkehrs mit dem Regionalverkehr ist Stuttgart. Und ausgerechnet hier in Stuttgart plant die Bahn einen neuen Bahnhof, der viel zu klein ist und diese zukünftigen Fahrgastzahlen nie wird bewältigen können.

Allein das ist Grund genug, um zu fordern: Sofortiger Ausstieg aus Stuttgart 21! Dieser Bahnhof ist zu klein und nicht zukunftsfähig!

Acht Gleise sind an sich schon viel zu wenig, da für einen Taktfahrplan in Stuttgart bis zu 16 Züge gleichzeitig im Bahnhof halten müssen. Und dazu werden spätestens mit der Inbetriebnahme noch weitere Einschränkungen kommen: Wenn Brandschutz und Fluchtwege nicht ausreichend sind, können noch weniger Züge fahren, und diese dürften dann immer nur teilweise gefüllt sein. Damit wird Stuttgart 21 zum Problem für den ganzen Deutschlandtakt!

Aber es gibt ja noch die Grünen in Baden-Württemberg, die für jedes Problem eine passende Idee haben: Sie bestreiten nicht, dass Stuttgart 21 völlig unzureichend ist – immerhin. Aber nun schlagen sie vor, noch zusätzliche Gleise zu bauen. Nur: Wie soll das funktionieren? An einen Tiefbahnhof kann man nicht eben nochmal nebendran ein paar Gleise bauen, und ein Ausbau der Zulaufstrecken würde noch mehr teure und risikoreiche Tunnel bedeuten. Liebe Grüne, Stuttgart 21 kann man nicht heilen! Es ist und bleibt eine Katastrophe!

Die einzige richtige Antwort muss lauten: Der Kopfbahnhof bleibt, und zwar mit allen Gleisen! Für eine wachsende Bahn der Zukunft brauchen wir diese Gleise, und hier kann – mit ein paar überschaubaren Verbesserungen bei den Zuläufen – ein Deutschlandtakt auch für die Zukunft funktionieren! Nur so kann Stuttgart auch zukünftig an das europäische Bahnnetz angeschlossen bleiben! Der Kopfbahnhof sichert die Bahn-Zukunft für Stuttgart!

Aber in den letzten Monaten hat die DB damit begonnen, auch noch den Bonatz-Bau, das ohnehin schon verstümmelte Gebäude des Stuttgarter Hauptbahnhofs, umzubauen. Und hier, liebe Stuttgarterinnen und Stuttgarter, sehe ich eine neue Gefahr: Denn der ganze Umbau wird nur auf den geplanten Tiefbahnhof ausgerichtet. Die oberirdischen Gleise werden von dem umgebauten Gebäude nicht mehr zugänglich sein, und damit funktioniert auch die Anbindung an die S-Bahn und die Straßenbahn nicht mehr. Und dadurch wäre dann jede Chance vertan, die dringend notwendigen oberirdischen Gleise wirklich weiter zu betreiben. Deswegen müssen wir alle dafür kämpfen, dass die Umbaupläne für den Bonatzbau so verändert werden, dass man auch in Zukunft den Kopfbahnhof erreichen kann, denn wir werden ihn weiter brauchen!

Und nicht zuletzt ist die Bahn auch heute schon in einer massiven Krise. Sie ist überschuldet, sie hat die Instandhaltung des Netzes jahrelang vernachlässigt, und sie bekommt ihr Kerngeschäft, den Bahnverkehr in Deutschland, immer weniger auf die Reihe. Eine Bahn in diesem Zustand muss sich ganz dringend auf ihr Kerngeschäft konzentrieren! Eine Bahn in diesem Zustand sollte ganz sicher keine unnützen Großprojekte weiter betreiben! Und eine Bahn – egal in welchem Zustand – sollte keine neuen Engpässe im Bahnnetz bauen!

Wir brauchen die Bahn mehr denn je – als klimafreundliche Alternative für Fernreisen in Deutschland und in Europa!

Deswegen gilt in Stuttgart weiter – jeden Montag und auch sonst jeden Tag: Oben bleiben!

[1] https://www.eca.europa.eu/de/Pages/DocItem.aspx?did={DBFE8B49-586B-49EB-AE0B-CE0CCDD87422}

[2] https://stay-grounded.org/

[3] https://www.ambodenbleiben.de/

[4] https://back-on-track.eu/

Rede von Bernhard Knierim als pdf-Datei

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Eine Antwort zu Rede von Dr. Bernhard Knierim, „Bahn für Alle“, auf der 472. Montagsdemo am 15.7.2019

  1. Ottro Hartmann sagt:

    Ein Lob für den Vortrag von Bernhard Knierim bei der 472. Montags-Demo.
    Seine Ausführungen sind alle richtig, um in Stuttgart und Europa einen richtigen Bahnverkehr
    durchführen zu können.Doch wie sind die Chancen bei der jetzigen Verkehrspolitik?
    Gestern war ich bei einem Vortrag von Verkehrsminister Scheuer und Staatssekretär Bilger, in Ludwigsburg. Beide sehen gute Fortschritte beim Tiefbahnhof „Stuttgart“.
    Ein Stopp oder Umbau ausgeschlossen. Der neue
    Bahnhof würde alle Anforderungen erfüllen. Wie
    lange sind diese Leute noch an der Macht?

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