Grußwort von Franz Alt, Journalist, auf der Samstagsdemo am 11.5.2019
In der Widerstandsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland sind die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 einmalig. Seit bald 10 Jahren gehen Sie auf die Straße, um ein staatlich geplantes Milliardengrab zu verhindern. Ihr anhaltender Protest ist ein klares und wichtiges Zeichen demokratischer Reife und eine menschenrechtliche Leistung, die allergrößte Anerkennung verdient. Ihr Kampf gegen Stuttgart 21 ist vorbildlich für eine zukunftsfähige Demokratie. Deshalb werde ich Sie auch in Zukunft unterstützen. Meine für heute zugesagte Rede muss ich leider absagen wegen eines Muskelfaserrisses, den ich mir auf einer Vortragsreise in Osteuropa geholt habe. Aber ich komme gerne ein andermal. Für heute ein kurzes Grußwort.
Stuttgart 21 ist nicht nur ökonomischer Unsinn, es ist auch ökologisch unvertretbar – zumal in den Zeiten der Klimaerhitzung. 2019 sollen wir nach den Prognosen des Deutschen Wetterdienstes einen ähnlich starken Hitzesommer bekommen wie wir ihn 2018 erlebten. Die Zeichen mehren sich und zum Glück lassen sich vor allem die jungen Menschen von unseren Regierungen nicht mehr mit leeren Klimaschutz-Versprechungen abspeisen. Die älteren Stuttgart-21-Gegner und die jungen Freitags-Demonstranten passen gut zusammen. Wir sollten uns auch zusammenschließen: „Stuttgart 21 for Future“. Und die Jugend gegen Stuttgart 21.
Die größten Herausforderungen für das Überleben der Menschheit sind die Klimaerhitzung und das Artensterben. Daran sind auch Großbaustellen wie Stuttgart 21 beteiligt. Eine der Ursachen für die schon heute schlechte Luft im Stuttgarter Kessel ist der Feinstaub wie alle, die heute hier sind, bestens wissen. 2018 ergaben Messungen in Stuttgarts U-Bahnhöfen, dass dort die Grenzwerte für Feinstaub um mehr als das Vierfache überschritten wurden. Die Feinstaubbelastung in Eisenbahntunneln ist noch dramatischer als am Neckartor oder an U-Bahnhöfen. Feinstaub-Partikel werden von Bremsen und Gleisen abgerieben. Aber Fernzüge im Tiefbahnhof fahren weit schneller als U-Bahnen und haben deshalb auch weit längere und heftigere Bremsspuren. Der einzige Tiefbahnhof der Schweiz, der Hauptbahnhof in Zürich, hat stark überhöhte Feinstaubwerte, weit über dem zulässigen Grenzwert.
Ärzte weisen darauf hin, dass schon kurze Aufenthalte an mit Feinstaub überlasteten Orten für Asthmatiker – aber auch für alle Menschen mit Atembeschwerden – gefährlich sind. In Deutschland sterben jedes Jahr 43.000 Menschen vorzeitig wegen Belastung durch Feinstaub und Ozon. Erhöhte Feinstaubwerte sind durch Stuttgart 21 ein großes Problem für Hundertausende Fahrgäste, aber noch viel mehr für Bahn-Mitarbeiter, die sich jeden Arbeitstag stundenlang dort aufhalten müssen. Fachleute prognostizieren, dass in Stuttgart 21 die Feinstäube noch weit gefährlicher werden als in Zürich, denn dort fahren überwiegend langsame und leichtere U-Bahnen, aber in Stuttgart 21 rasen Fernzüge mit bis zu 160 Kilometern pro Stunde von der Höhe in den Bahnhof.
Stuttgart hat bereits Fahrverbote für ältere Diesel. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass überhaupt keine Züge in den Tiefbahnhof fahren, indem wir Stuttgart 21 noch verhindern. Die Volksabstimmung, die eine Mehrheit für den Tiefbahnhof ergab, beruhte auf falschen Zahlen. Die Wahrheit aber ist so wichtig wie die Mehrheit. Die Volksabstimmung, auf die sich die Landesregierung beruft, beruht auf einer Lüge.
Durch Ihre Proteste, liebe Demonstranten, und durch Ihre jahrelange Aufklärung über dieses Projekt wurde und wird deutlich, dass Stuttgart 21 ein Hochrisikobahnhof würde, der verhindert werden muss. Er passt nicht ins 21. Jahrhundert. Nach dem Diesel-Fahrverbot droht sonst bald noch ein ICE-Fahrverbot. Wer Klimaschutz und die Gesundheit von Menschen ernst nimmt, kann sich Ihren Demonstrationen nur anschließen und mit Ihnen fordern: Oben bleiben!
Wir fordern hier und heute von der Deutschen Bahn, von der Bundes- und von der Landesregierung: Nehmt endlich die Feinstaubprobleme und die Klimaerhitzung ernst und stoppt Stuttgart 21! Es gibt immer Alternativen. Kommt endlich zur Vernunft! Wenn schon der heutige Bahnchef sagt: „Nach heutigen Erkenntnissen würden wir Stuttgart 21 nicht mehr bauen“, warum um Himmels willen wird dann immer noch weitergebaut?