Rede von Britta Mösinger, Leerstandsmelder Stuttgart, auf der 459. Montagsdemo am 1.4.2019
Hallo, guten Abend,
mein Name ist Britta Mösinger. Ich habe in der Vergangenheit viele Male mit euch gemeinsam gegen Stuttgart 21 demonstriert und freue mich sehr, dass ich hier oben stehen darf.
Durch das Immobilienprojekt Stuttgart 21 habe ich auch angefangen, mich für die Themen Stadt, Wohnen und Mieten zu engagieren. Vor sechs Jahren habe ich gemeinsam mit anderen Aktiven den Leerstandsmelder für Stuttgart gestartet. Auf einer Website gibt es für jeden die Möglichkeit, Informationen über leerstehende Adressen in der ganzen Stadt zu teilen. Über 400 Anschriften sind inzwischen zusammen gekommen, zwei Drittel davon sind Wohnungen oder Häuser.
Mit unserer Sammlung konnten wir effektiv dazu beitragen, dass seit Januar 2016 ein Zweckentfremdungsverbot für Stuttgart gilt – dank unwilliger Stadtverwaltung wahrscheinlich der zahnloseste Papiertiger seit der Mietpreisbremse!
Der Leerstandsmelder ist Teil des ‚Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen‘. Dieses Aktionsbündnis veranstaltet am kommenden Samstag, den 6. April ab 14:00 Uhr die Demo: Mieten runter – Wohnen muss bezahlbar sein.
Die Liste der Unterstützerinnen der Bündnisdemo ist lang und beeindruckend: Der Mieterverein und die Mieterinitiativen sind dabei. Die Caritas und die evangelische Gesellschaft sind dabei. Die AWO, die ambulante Hilfe und Trottwar kommen, weil sie sich um diejenigen kümmern, die längst ohne ein Dach über dem Kopf sind. Migrantinnen, Geflüchtete und deren UnterstützerInnen sind dabei, weil sie wissen, dass es kaum eine Chance auf eine eigene Wohnung gibt, wenn ich nicht Mösinger, Meier oder Müller mit Nachnamen heiße. Die Gewerkschaften sind dabei, weil es falsch ist, dass ArbeitnehmerInnen über 50% ihres Gehalts ausgegeben müssen, um in Stuttgart schaffen zu können, wie zum Beispiel viele hundert Geringerverdiener, die bei Daimler keine Autos bauen, sondern die Werkshallen reinigen. Viele Parteien sind als Unterstützer dabei – selbst die, die im Rathaus immer wieder für den Ausverkauf der Stadt stimmen.
Im Namen all dieser Organisationen lade ich euch zur Demo ein. Ich lade euch aber vor allem im Namen der Menschen ein, die schon fast unter die Räder der Investoren und Spekulanten gekommen sind und sich mutig dagegen wehren.
Ich lade euch ein, im Namen von Ursula Kienzle. Sie ist 81 Jahre alt und wohnt in der Friedhofstraße 11. Ihre Wohnung war mal eine Eisenbahnerwohnung. Nun gehört das Gebäude der Vonovia. Die Vonovia wollte die Miete von Frau Kienzle um 63 Prozent erhöhen. Bei gleichbleibender Rente ein Alptraum für Frau Kienzle. Bei der Modernisierung ihres Zuhauses hat sie keinerlei Mitspracherecht. Am liebsten wäre es Vonovia, wenn Frau Kienzle – laut eigener Worte – auf den Campingplatz oder gleich auf den Friedhof „umzieht“. Aber Frau Kienzle nimmt das nicht hin und kommt am Samstag zur Mietendemo.
Ich lade euch ein im Namen von Stephanie. Stephanie wohnt mit ihren vier Kindern in Degerloch.
Der Jüngste lernt gerade erst laufen, die Großen sind schon in der Schule. Wegen Verzögerung der Mietzahlung konnte der Vermieter Stephanie kündigen. Das Amtsgericht Stuttgart hat Stephanie nicht geholfen, sondern einen Vergleich vorgeschlagen, damit sie auszieht. Sie hat gesucht und gehofft, aber nichts gefunden. Jetzt droht die Zwangsräumung, der Verlust des Zuhauses und die Unterbringung in einer Notunterkunft für Obdachlose. Aber Stephanie war sehr mutig und hat eine Online-Petition gestartet, die bis heute 60.000 Menschen unterschrieben haben, die es nicht glauben wollen, dass die Stadtverwaltung so etwas zulässt. Diese 60.000 haben geholfen, dass sich Stephanie doch noch eine Wohnung im Fasanenhof anschauen kann, obwohl das Amt immer nur Nein gesagt hat.
Stephanie ist am Samstag genauso auf der Demo dabei, wie die Besetzerinnen der Wilhelm-Raabe-Straße und der Forststraße. Voraussichtlich ab kommenden Mittwoch sollen drei von ihnen für unfassbare DREI Verhandlungstage wegen Hausfriedensbruch vor Gericht stehen, während die Investoren weiter über das Zweckentfremdungsverbot schmunzeln.
Aber wir nehmen das nicht so hin. Wir machen Druck im Kessel! Wir brauchen bezahlbare Wohnungen für alle! Jetzt! Nicht irgendwann. Und der Boden in unserer Stadt darf keine Ware sein – egal ob davor ein Bahnhof drauf stand oder nicht!
Kommt am Samstag zur Demo mit Christine Prayon, Joe Bauer, viel Musik und tollen Redebeiträgen.
Die Mieten müssen runter – der Bahnhof muss oben bleiben!